Die neue Organisation für "Innovation in der Hochschullehre" soll Anfang 2021 erste Fördergelder vergeben. Aber wofür genau? Und wie? Höchste Zeit für ein paar Vorschläge. Ein Gastbeitrag von Achim Wiesner.
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JETZT SOLL ES schnell gehen. Anfang Dezember hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) beschlossen, die neue Organisationseinheit für die Förderung von "Innovation in der Hochschullehre" bei der Toepfer-Stiftung in Hamburg anzusiedeln. Noch am gleichen Tag schrieb die Stiftung die Hochschulpräsidien an, schaltete eine Webseite mit Informationen zu den nächsten Schritten frei und kommunizierte die Termine für die ersten drei Think Tanks. Die Toepfer Stiftung will – so sagt sie es selbst – jetzt erst einmal zuhören, und zwar möglichst sofort.
Warum die Eile? Weil die ersten Fördergelder bereits 2021 fließen sollen. Bis dahin ist die rechtlich unselbstständige, aber doch unabhängige Organisationseinheit mit einem eigenen Namen bei der Toepfer-Stiftung als Trägerin zu etablieren. Dass es in der Organisationseinheit ein Bund-Länder-Gremium und Förderausschüsse geben wird, ist mit der Verwaltungsvereinbarung vom Juni 2019 festgelegt.
Die dort formulierten Förderziele müssen die neuen Gremien in einem Förderportfolio konkretisieren. Weil die Konstruktion und das gesamte Programm neu sind, wird sich hier noch vieles fügen müssen. Und schließlich sind Anträge in den Hochschulen zu schreiben und dann von Expert*innen zu bewerten, bevor die Förderung einsetzen kann.
Weil die Zeit knapp ist, möchte ich noch vor Weihnachten fünf Thesen und einen Vorschlag beisteuern zu diesen neuen Förderverfahren zur Stärkung der Lehre.
1. Die Verbreitung guter Ideen braucht Offenheit
Man kennt das: Nach einigen Jahren Programmlaufzeit finden Vernetzungstreffen statt, im Gallery Walk schlendert man an Postern der einzelnen Projekte vorbei, kommt ins Gespräch, fährt mit neuen Eindrücken zurück an die eigene Hochschule. Das funktioniert leidlich gut, selten folgt daraus etwas. Kann man beim Transfer guter Ideen in andere Hochschulen nicht früher ansetzen? Kann man schon den Moment nutzen, da das Interesse am größten ist?
Achim Wiesner leitet die Stabstelle Strategie an der Universität Bremen. Am Zentrum für Wissenschaftsmanagement (ZWM) lehrt er zu Strategieentwicklung (www.uni-landstadt.de). Foto: privat.
Ein solcher Moment ist sicherlich die Bewerbungs- und Bewertungsphase. Wenn nun alle eingegangenen Förderanträge in dieser Phase für ein "open review" im Netz einsehbar wären, wenn andere Akteure in der Lehre sie kommentieren, nachfragen oder (anonyme) Verbesserungsvorschläge machen könnten, dann würden die Hochschulen schon in dieser Phase viel voneinander lernen. Die Entscheidung der Förderausschüsse bei der neuen Organisationseinheit wäre damit nicht schon erledigt, aber doch vorbereitet und informiert – "informed peer review" also einmal anders.
Ein solches Förderverfahren kennen wir in Deutschland bisher nicht.
Anders als etwa beim scharfen Wettbewerb der Exzellenzstrategie ist es hier aber denkbar: Auch wenn die Mittel der neuen Organisationseinheit nicht mit der Königsteiner Gießkanne vergeben werden, dürfte der Wettbewerb doch moderat bleiben. Dafür sorgen genug Förderungen und sich rascher wiederholende Ausschreibungen.
2. Innovieren kann auch klug Adaptieren bedeuten
Die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern, auf deren Basis die Organisationseinheit ihr Fördergeschäft betreiben wird, heißt "Innovation in der Hochschullehre". Dass das Neue immer wieder seinen Platz in der Hochschullehre finden muss, ist sicherlich richtig, man sollte diesen Gedanken aber auch nicht überstrapazieren. Es sind sehr unterschiedlich innovative Dinge, ob man eine Schreibwerkstatt einrichtet, didaktische Qualifizierung anbietet, ein neues Curriculum entwickelt, ein Blended-Learning-Format konzipiert oder Online-Lehre in der Lehrverpflichtungsverordnung berücksichtigt.
Viel Gutes geschieht durch Imitation – das zeigt jeder Bund-Länder-Wettbewerb. Eine kluge Adaption von Strukturen und Maßnahmen anderer Hochschulen kann für die eigene Hochschule durchaus innovativ sein. Man muss dafür nichts neu erfinden, sondern verstehen, welches die Bedarfe und Gelingensbedingungen im eigenen Kontext sind. Das ist anspruchsvoll genug und durchaus förderungswürdig. Da es ohnehin zu solchen Übernahmen kommt, warum nicht die Adaption von "good practices" ausdrücklich zum Fördergegenstand machen und dabei ein systematisches Vorgehen erwarten?
Das Reservoir an Ideen ist da, bilden doch – nach bald einem Jahrzehnt Qualitätspakt Lehre – "die vielen Projekte und Experimente einen großen Vorrat an Konzepten und Modellen, die nun einer systematischen Sortierung und Bewertung sowie einer strategischen Auswahl unterzogen werden sollten, um tragfähige Konzepte zu verstetigen, auszubauen und zu verbreiten" (Wissenschaftsrat 2017, Positionspapier "Strategien für die Hochschullehre").
3. Keine nachhaltige Verbesserung ohne Veränderung
im Kerngeschäft
Mit Projekten des Qualitätspakt Lehre wurde vieles in Angriff genommen und verbessert: in der Beratung und Unterstützung der Studierenden (vor allem in der Studieneingangsphase), aber auch der Lehrenden, genauso in der Weiterbildung, der Qualifizierung und bei außercurricularen Aktivitäten. Man kann dies eine Optimierung der "Angebotsstrukturen" nennen. Hinsichtlich der "Kernstrukturen" der Hochschullehre, also bei den Curricula, Lehr- und Lernszenarien und Prüfungswesen, scheint weniger zu geschehen.
Ein empirisches Indiz: Alle bisherigen Projekte des Qualitätspakt Lehre sind zehn Themenfeldern zugeordnet (zwei weitere wurden erst mit der zweiten Förderperiode eingeführt). Die "Entwicklung innovativer Studienmodelle" liegt hier lediglich auf Platz neun aller Nennungen, danach kommt nur noch "Durchlässigkeit" als zumindest bei den Universitäten erwiesenermaßen unbeliebtes Thema. Dabei sind dies die dicken Bretter. In diese Richtung sollte das Pendel ausschlagen, wenn das neue Programm nicht ein "Qualitätspakt III" sein soll.
4. Innovative Lehre ist (auch) eine Aufgabe von Fächern
und Studiengängen
Innovative Hochschullehre stellen wir uns heute noch viel zu sehr als Leistung einzelner Lehrender vor. Lehrpreise, national oder innerhalb der einzelnen Hochschule, gehen in aller Regel an Individuen und bestärken damit diesen Gedanken. Gleiches gilt für Fördermittel, die an den Hochschulen für innovative Lehre vergeben werden. Gewiss bewirken solche Förderungen etwas, und gewiss sind Lehrpreise wertvoll, da sie gute Lehre thematisieren und sichtbar machen. Und selbstverständlich sind es einzelne Personen, die auf beiden Seiten die Interaktion von Lehrenden und Lernenden gestalten.
Dennoch wird damit eine Herausforderung individualisiert, die langfristig nur gemeinsam auf Ebene von Fächern und Studiengängen zu bewältigen ist. Darum sind, nebenbei gesagt, im Qualitätsmanagement die Systemakkreditierung und die Programmakkreditierung wichtiger als die einzelne Lehrveranstaltungsevaluation. Die Situation ist an den meisten Hochschulen dieselbe: Einzelne Lehrende engagieren sich leidenschaftlich für gute Lehre, bleiben jedoch Leuchttürme im Studiengang und in der Hochschule.
Da hilft es nur, wenn grundsätzlich keine einzelnen Lehrenden mehr, sondern Fächer und Studiengänge bei Innovation und Qualitätsentwicklung finanziell gefördert werden. Und so, wie man an einer Hochschule weiß, welches die "drittmittelstarken" Fächer in der Forschung sind, so sollte man in Zukunft wissen, welches die "lehrinnovativen" Studiengänge sind. Gern auch über die jeweilige Hochschule hinaus.
5. Projekte müssen wirksame Veränderungen anstoßen
Laut Verwaltungsvereinbarung sollen "Projekte mit zukunftsweisendem Charakter gefördert" werden. Damit stellen sich zwei Fragen: Welche Zeit braucht es, damit ein Projekt in der Hochschule nachhaltig verankert werden kann? Aller Erfahrung nach einige Jahre, vielleicht drei. Und dann: Wenn weiter mit Projektbefristungen gearbeitet werden muss, welche Mindestlaufzeit braucht es, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten? Aller Erfahrung nach einige Jahre, vielleicht drei.
"Innovation in der Hochschullehre"-Projekte können immer nur helfen, die Veränderung aufs Gleis zu setzen. Entstehen nach drei Jahren daraus noch Kosten, sollten sie von der Hochschule auf Dauer übernommen werden. Eine entsprechende Verpflichtung im Antrag kann dazu beitragen, dass Hochschulen tatsächlich nur die strategisch bedeutsamen Projekte beantragen.
Wie ließen sich diese Thesen in eine
konkrete Förderpolitik übersetzen?
Insgesamt sind 150 Millionen Euro jährlich zu vergeben. Bei Projektlaufzeiten von drei Jahren wären dies 50 Millionen jährlich. Bei durchschnittlich 500.000 Euro Jahreskosten pro Projekt könnten jährlich 100 neue Projekte bewilligt werden. Gefördert werden könnten
a) strukturelle Experimente mit strategischem Charakter für die Institution, die bei Erfolg weit ausstrahlen können (Deputatsbemessung, Kapazitätsberechnung, Personalpools, Lehre in Berufungsverfahren, Messung von Lehrqualität, Lehrverfassungen und dergleichen mehr),
b) fachbezogene Innovationen (etwa neuartige Curricula, neue Lehr- und Lernarrangements, neue Formen von Prüfung und Zertifizierung),
c) die Adaption von Modellen anderer Fächer oder Hochschulen für den eigenen Kontext, sofern deren Erfolg nachgewiesen ist.
Damit wäre vieles denkbar, ohne dass gleich alles möglich wird. Der Wettbewerb wäre moderat, aber trotzdem noch qualitätssteigernd. Und voneinander gelernt würde von Beginn an und systematisch. Das sind vielleicht nicht die schlechtesten Maßstäbe für das, was in den kommenden Monaten in der Toepfer Stiftung, der neuen Organisationseinheit und in den Hochschulen diskutiert werden wird.
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Klaus Diepold (Dienstag, 17 Dezember 2019 12:02)
ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich die Vorschläge bewerten soll. Insbesondere Punkt 4 geht mir dabei durch den Kopf. Wenn die Förderung von individuellen Vorschlägen hinter die institutionelle Förderung zurücktritt, dann bin ich mir nicht sicher wieviele Kolleginnen und Kollegen sich dafür einbringen wollen. Dann ist das Beantragen von Innovationsförderung eine Aufgabe von Strategieabteilungen wo oft nur eine Konsenslösung bzw. -vorschlag entsteht. Das bedeutet aber auch, dass individuelle Vorschläge innerhalb der eigenen Hochschule die Menschen in der Strategieabteilung schon überzeugen müssen, ohne dass sie vorher erprobt werden können. mmh ... es sind genau die Leuchttürme innerhalb einer Fakultät, die Impulse geben können, damit ein Studiengang revidiert oder umgestaltet wird. Sonst greift man doch wieder auf bewährte Formate zurück. Ich bin mir, wie gesagt, noch nicht sicher, wie ich die Vorschläge verstehen soll...
Bei der DFG gibt es auch Programmförderungen parallel zur individuellen Sachbeihilfe. Ein drittmittelstarker Fachbereich entsteht meist durch das Kollektiv von drittmittelstarken Individuen.
Ob Projekte wirksam sind und somit zu Innovationen werden lässt sich oft a priori nicht sagen.
Die Punkte 1 und 2 finde ich interessant und kann mir das auch spannend vorstellen.
... to be continued ...
David J. Green (Donnerstag, 19 Dezember 2019 12:19)
Vielen Dank für den reicht interessanten Beitrag. Zwei Gedanken, die bei der Lektüre gekommen sind:
Zu Nr. 1, open review: Ich höre zum ersten Mal davon, klingt sehr ansprechend. Die Breitenwirkung wäre aber vermutlich noch besser, wenn zum Abschluss der Begutachtung die Gründe für bzw. gegen einer Förderung auch öffentlich einsehbar wären – was natürlich sehr heikel wäre.
Zu a), strukturelle Experimente: Das interessante am Tenure-Track-Programm war, dass die Tenure-Track-Satzungen den Hauptbegutachtungsgegenstand darstellten, und dass die Länder Tenure Track von W2 auf W3 ohne erneute Ausschreibung ermöglichen mussten. Ja, es wäre wirklich eine Errungenschaft wenn das Hochschullehre-Programm auch zu Innovationen in den Rahmenbedingungen für die Hochschullehre – etwa Kapazitätsrecht, Lehrverpflichtungsverordnungen – führen könnte.
Außerdem: Bei Nr. 4 (Aufgabe von Fächern und Studiengängen) stimme ich Ihnen vollkommen zu.
Marianne Merkt (Sonntag, 12 Januar 2020 13:18)
zunächst mal stimme ich ebenfalls den meisten oben genannten Puntken zu.
Meiner Erfahrung nach ist die schwierigste Frage, wie Innovationen, die in Entwicklungsprojekten entstanden sind, a) bewertet werden und b) positiv Bewertetes ins Kerngeschäft transferiert wird.
Da stoßen schon in den Hochschulen zwei Handlungslogiken von zwei Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen der Hochschulen aufeinander, die meistens nicht bewußt verhandelt werden.
1. im Projekt: eine bildungsorientierte Logik - was unterstützt die Lern- und Studienprozesse der Studierenden am besten?
2. im Hochschulmanagement: eine managementorientierte Logik - wie finanzieren wir mit der Grundfinanzierung das, was vorgeschrieben ist und das, was für die Hochschule politisch und strategisch wichtig ist.
Handlungslogik 1 ist auf der Ebene von Lehrenden / Studierenden und bestensfalls noch in Studiengängen relevant.
Handlungslogik 2 ist auf der Ebene der Hochschulleitung und teilweise im Senat relevant. Hier wird dann die Entscheidung getroffen, wobei Handlungslogik 1 dann meist keine Rolle mehr spielt oder im schlimmsten Fall gar nicht bekannt ist.
Dazu kommen die bildungspolitischen Rahmenbedingungen, die oben schon genannt wurden wie Kapazitätsverordnungen, Lehrdeputatsverordnungen etc., die bisher nicht systematisch auf bildungsorientierte Innovationen hin ausgewertet oder diskutiert werden, sondern einer Verwaltungslogik folgen.
Mir scheint eine große Herausforderung die Abstimmung von Handlungslogiken über verschiedene Ebenen hinweg und die Formulierung von daraus folgenden Konsequenzen zu sein. Wie das gelingen kann, kann ich aber auch nicht sagen.
Peter England (Montag, 13 Januar 2020 10:00)
Vielen Dank für den anregenden Gastbeitrag! Insbesondere die Punkte 1-3 finde ich spannend und lohnenswert zu verfolgen. Ich würde noch um zwei Punkte ergänzen wollen: Verpflichtender Teil der Ausschreibung sollte eine Kooperation mit Organisationen außerhalb des Bildungssystems sein (z.B. Kunst & Kultur, Wirtschaft, Recht, Politik etc.). Grund: Innovationen entstehen an den Rändern und dort, wo strukturelle Koppelung zu anderen Systemen existieren und genuine Systemlogiken leichter in Frage gestellt werden (können). Zweiter Punkt: Macht (auch) das Scheitern zum Programm! Innovationen entstehen häufig aus "trial-and-error" und "rapid prototyping". Also bitte keine drei Jahre Konzepte entwickeln lassen o.Ä.! Zwingt die Projekte, in die Praxis zu gehen und alle vier Wochen einen "proof of concept" zu machen. Dabei dürfen und sollen Irrwege bitte gerne beschritten werden. Nehmt das Scheitern (und das Lernen) bitte auch in das Berichtswesen auf! Damit weniger Energie auf das Balken biegen verwendet wird. Ihr versteht schon. ;-)