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"Aber Partizipation ist nicht Kommunikation"

Die neue politische Debatte über Wissenschaftskommunikation hadert mit zukunftsorientierten Lösungen. Ein Gastbeitrag des Wissenschaftsjournalisten Manfred Ronzheimer.

Foto: Thaliesin / pixabay - cco.

DIE WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION HAT es kommunikativ und konzeptionell nach oben geschafft. Das Thema ist seit dem vorigen Monat Chefinnensache – mit Vorlage eines sogenannten "Grundsatzpapieres" durch Bundesmininisterin Karliczek – und noch kurz vor Weihnachten hat sich der Deutsche Bundestag in einer Plenardebatte damit befasst.  Jetzt fehlen eigentlich nur noch die Kanzlerin und der Bundespräsident.

 

Bevor auf die aktuelle Parlamentsaussprache am 19. Dezember eingegangen wird, sei der Versuch einer Strukturierung unternommen. Der Diskurs über die Wissenschaftskommunikation, wie er jetzt in Deutschland geführt wird, hat verschiedene Beteiligte mit entsprechend unterschiedlichen Interessen und Themenschwerpunkten. Im Diskursmanagement sollten sie auseinander gehalten werden, um sie für Lösungsansätze gegebenenfalls synergetisch zusammen zu führen.

 

Vier Quadranten, vier sehr
unterschiedliche Interessenlagen

 

Die Beteiligten lassen sich in einem Viereck mit vier Quadranten sortieren. Oben links ist der Bundestag, die höchste politische Vertretung der deutschen Gesellschaft, der Souverän. Rechts daneben befindet sich die Presse, auch sie ist ein gesellschaftlicher Akteur, wenngleich nicht mandantiert, aber doch im Auftrag des Grundgesetzes, im gleichen Artikel wie die Wissenschaft. Dieser Quadrant wird in unserm Kontext vom Wissenschaftsjournalismus besetzt.

 

Im linken unteren Quadranten, also unterhalb der Legislative, ist die Exekutive angeordnet, in diesem Fall das fachlich zuständige Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Es ist in starkem Maße für die Strukturierung und Mittelverteilung zuständig. Rechts unten befindet sich der Quadrant der Wissenschaft, des Wissenschaftssystems, hier vertreten durch seine kommunikativen Instanzen: die Wissenschaftskommunikation, die keine gesellschaftliche Aufgabe hat, sondern für die institutionalisierte Wissenschaft spricht. Die Ordnung also: Parlament, Wissenschaftsjournalismus, Ministerium, Wissenschaftskommunikation.

 

Kurz zu den jeweiligen Interessenlagen: Das Parlament arbeitet gegenwärtig einen Punkt in der Koalitionsvereinbarung ab, der schon im Regierungsvertrag 2013 stand, aber nicht erfüllt wurde. Es handelt sich also um eine ziemlich olle Kamelle ohne großen Realisierungsdruck für die Abgeordneten.

 

Anders stellt sich die Lage im Ministerium dar, wo die neue Ministerin ihre eingangs wissenschaftliche Unterinformiertheit zum politischen Schwerpunktprogramm gemacht hat (neben Digitalisierung und Berufsbildung). Hier kommt der Realisierungsdruck also  von oben. Gefüttert und bestätigt werden die Intentionen des Ministeriums von den Erhaltungs- und Expansionsabsichten der vorhandenen Wissenschaftskommunikation in Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die in den vergangenen 20 Jahren einen immensen Umfang angenommen hat.

 

13 Aktionspunkte zum
Rausschmeißer-Termin

 

Auch die derzeitige Strukturdiskussion wird im wesentlichen aus diesem Quadranten, der Wissenschaftskommunikation, getrieben. Völlig anders der Wachstumstrend (Schrumpfung) beim Wissenschaftjournalimus, getriggert durch den Medienwandel, wo Personal und Ressoucen ständig abgebaut werden. Auch konzeptionell kommen aus dieser Ecke keine wegweisenden Vorschläge, wenn man von einigen Ansätzen der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) absieht. Zwischen den Quadranten Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation hat es in der Vergangenheit größere Personalbewegungen gegeben: Journalisten wurden zu Kommunikatoren.

 

Wie wurden nun diese Interessenslagen am 19. Dezember im Bundestag debattiert? Zunächst einmal: zum symbolhaften Rausschmeißer-Termin um 21.30 Uhr, als letzter TOP des Tages. 

 

Grundlage der Beratung (die im Januar 2020 im Forschungsauschuss fortgesetzt wird und später, wahrscheinlich mit Änderungen, zur 2. Lesung und Beschlussfassung im Bundestag führen wird) ist der Antrag der beiden Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD "Wissenschaftskommunikation stärken – Strukturen sichern, neue Möglichkeiten schaffen", an dem bis zuletzt gefeilt wurde. Mit sechs Seiten ist er immerhin doppelt so umfangreich wie das Grundsatzpapier des Ministeriums. In dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, in den folgenden 13 Aktionspunkten tätig zu werden.

 

1. Wissenschaftliche Grundbildung für Kinder und Jugendliche, speziell in den MINT-Fächern, das Haus der Kleinen Forscher absichern;

 

2. Netzwerk von Senior Scientists für Jugend-Aktivitäten (Stiftungen und Allianz der Wissenschasftsorganisationen);

 

3. Mehr Wissenschaft in Erwachsenenbildung und Weiterbildung, Projekte der lokalen und regionalen Forschung;

 

4. Mehr Einfluss für Citizen Science bei Forschungsinhalten, Unterstützung der Forschungswende;

 

5. Wissenschaftsrat soll Bestandsaufnahme der Wissenschaftskommunikations-Lage machen und von sich aus Vorschläge unterbreiten;

 

6. "Leitsätze und Konzepte für gute Wissenschaftskommunikation" durch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen und journalistische Instanzen;

 

7. Frauen in der Wissenschaft sichtbarer machen;

 

8. Forschungsprojekte bekommen Wissenschaftskommunikations-Komponente, Entwicklung von Indikatoren zur Messung;

 

9. Wissenschaftlicher Nachwuchs: Wissenschaftskommunikation als Karrierekriterium;

 

10. Wissenschaftskommunikation erforschen: eigene Forschungsprojekte besonders dringlich zur Fakten- und Wissenschaftsfeindlichkeit;

 

11. Ein neuer strategischer Dialog (#FactoryWisskomm), der sich auch mit der Stärkung des Wissenschaftsjournalismus befassen soll; der Bedarf einer "Agentur für Wissenschaftskommunikation" soll geprüft werden;

 

12. Mit den Akademien ein "strukturbildendes Konzept" entwickeln für nachhaltige Qualität der Wissenschaftskommunikation und neue Formen des Wissenstransfers;

 

13. Synergien stärken: eine engere Vernetzung der Wissenschaftskommunikations-Akteure.

 

Warum haben die Wissenschaftspolitiker
überhaupt diesen Antrag eingebracht?

 

In der Summe sind überwiegend Vorschläge enthalten, die das Wissenschaftssystem betreffen und dort implementiert werden sollen. Das betrifft mithin die Angebotsseite. Wenig bis gar keine Vorschläge gibt es für die gesellschaftliche, die Abnehmer-Seite von Wissenschaftsinformationen. Diese beträfen die Entwicklung von gesellschaftlichen Bedarfen an Wissenschaft (so wie dies FridaysForFuture für die Klimaforschung aufs Tapet gebracht hat).

 

Diese Richtung – von der Gesellschaft zur Wissenschaft – hatte früher einmal die institutionelle Form der "Wissenschaftsläden". Vielleicht könnte Citizen Science in diese Richtung weiterentwickelt werden, so der im Antrag formulierte Vorschlag an inhaltlicher Forschungs-Mitbestimmung. Dabei lassen die Bundestagsfraktionen jedoch unberücksichtigt, dass der gesellschaftliche Unterbau dafür gar nicht vorhanden ist. Es bräuchte dafür ein organisatorisches Format wie "Wissenschaft im Dialog", das dem Namen zum Trotz vor allem für die Aussendung von Wissenschafts-Content zuständig ist. Etwa eine Plattform "Gesellschaft im Dialog (mit der Wissenschaft)".

 

Warum haben die Politiker der Regierungsfraktionen überhaupt diesen Antrag eingebracht? Es gibt bei der Wissenschaftskommunikation doch gar keine aktuelle Problemlage, die politisches Handeln erfordern würde. Fake News, Klimawandelleugnung, Anti-Wissenschaft nach Trumpschem Muster, Flache-Erde-Phantasien, all das sind zweifellos schräge Phänomene, und bei der Impfgegnerschaft werden sie über individuelle Ablehnung in Form einer Ansteckungsgefahr für andere Kinder auch sozial gefährlich. Aber doch sind sie nicht so gravierend wie etwa Hate Speech in den sozialen Medien oder die Wählerbeeinflussung mit Methoden von Facebook/Cambridge Analytica. An solchen Stellen wäre echtes Handeln gefordert.

 

Und zur Krise des Wissenschaftsjournalismus (immer mitdenken: Journalismus in Gänze) müsste viel eher etwas unternommen werden, obschon dieses Mediensegment von den Arbeitsplätzen her ein kleiner Bereich ist. Doch die Politik setzt sich lieber mit Millionenaufwand für die Braunkohle-Kumpel ein, damit die Gesellschaft mit dreckigem Strom versorgt werden kann. Schreiberlinge, die Informationen über die Forschung an sauberen Energien und Motivation zu Engagement und Investment verbreiten, bekommen diese Unterstützung nicht.

 

Der eigentliche Antrieb für die Politik im ersten Quadranten besteht darin, dass Wissenschaftskommunikation ein Arbeitsauftrag des geltenden Koalitionsvertrages ist. Und nachdem von der Wissenschaftspolitik größere Brocken wie Grundgesetzänderung und Wissenschaftspakte abgeräumt sind, kommen nun kleinteiligere Vorhaben an die Reihe. Dabei ist es von Interesse, sich die Ursprungsformulierung anzuschauen .

 

Verdrehung von einem
Koalitionsvertrag zum nächsten

 

Im Koalitionsvertrag von 2018 heißt es ab Zeile 1485: 

"Wir wollen den Dialog von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft intensivieren, neue Beteiligungsformen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft erproben und die Wissenschaftskommunikation stärken." Direkt danach folgt übrigens der Satz: "Wir wollen auch die Internationalisierung der Hightech-Strategie vorantreiben", der gesamte Passus findet sich im Kapitel "Forschung und Innovation".

 

Die eben zitierte Formulierung können sensibilisierte Dissertationsleser als ein politisches Plagiat auffassen, aber der Sache nach ist es lediglich die Wiedervorlage eines in der vorherigen Legislaturperiode nicht erledigten Arbeitsauftrages. Denn im vorhergehenden Koalitionsvertrag von 2013 heißt es auf Seite 108: "Wir wollen Bürgerinnen und Bürger und die Akteure der Zivilgesellschaft konsequent in die Diskussion um Zukunftsprojekte und die Ausgestaltung von Forschungsagenden einbinden. Wir wollen neue Formen der Bürgerbeteiligung und der Wissenschaftskommunikation entwickeln und in einem Gesamtkonzept zusammenführen". Diese Passage steht dort aber nicht unter "Forschung und Innovation", sondern unter der Überschrift "Bürgerbeteiligung", genauer im Kapitel "Moderner Staat, lebendige Demokratie und Bürgerbeteiligung".

 

Es ist also nicht so, dass damals, vor sechs Jahren, die Information über Wissenschaft im Vordergrund gestanden hätte, sondern vielmehr die Beteiligung der Bevölkerung an bestimmten Prozessen, in diesem Fall den Abläufen in der Wissenschaft. Partizipation war der Kerngedanke, nicht Kommunikation, allenfalls zur Umsetzung. Besonders charmant war im 2013-Koalitionsvertrag die Verbalie "Gesamtkonzept". Dessen Erstellung soll jetzt, sieben Jahre später, an den Wissenschaftsrat delegiert werden.

 

Dieser Auftrag, die Bürger mit neuen Beteiligungsformaten ins Spiel zu bringen, ist seit 2013 völlig entleert und umgedreht worden. Jetzt geht es darum, die schon recht gut aufgebaute Maschinerie Wissenschaftskommunikation noch besser zum Laufen zu bringen. Gäbe es einen funktionierenden aufpasserischen politischen Wissenschaftsjournalismus in Deutschland, dann wäre diese Verdrehung von einem Koalitionsvertrag zum nächsten längst angeprangert worden, die zuständigen Minister und wissenschaftspolitischen Parlamentssprecher hätte man längst zur Rede gestellt. Doch hat die Politik wirklich Interesse an einem solchen Wissenschaftsjournalismus? Dann sollte sie etwas dafür tun.

Wie die Debatte ablief und
welche Resonanz sie fand

 

Bei der Parlamentsdebatte traten neun Redner auf, darunter auch Ministerin Karliczek, mithin acht Parlamentarier: zwei von der  CDU/CSU, zwei von der SPD, je einer von AfD, Linken, FDP, Grünen. Bei einer guten halben Stunde Redezeit insgesamt blieben pro Beitrag etwas weniger als fünf Minuten.

 

Markus Weißkopf von Wissenschaft im Dialog hat zu den Redebeiträgen wie folgt getwittert: (von Journalisten habe ich keine Tweets gefunden): "Stefan Kaufmann eröffnet die Parlamentsdebatte zu #wisskomm. Er fordert, dass wisskomm auch Methoden der Wissenschaft vermitteln soll.

Schön, dass er auch (wie im Antrag) WID neben den Wissenschaftsjahren und dem futurium als erfolgreiches Beispiel erwähnt und eine künftige Weiterförderung fordert."

 

Die von Kaufmann erwähnte Agentur für Wissenschaftskommunikation ist Weißkopf unklar: "Entweder eine Art Stiftung für Wissenschaftsjournalismus, oder vielleicht eine Agentur in Anlehnung an die Agentur für Sprunginnovationen? Wäre meine Vermutung... "

 

Bärbel Bas (SPD) sagte, Wissenschaftskommunikation solle Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung werden.  Anna Christmann (Grüne) forderte mehr Partizipation in der Wissenschaft und entsprechend mehr Unterstützung für Citizen Science und Reallabore. Ministerin Anja Karliczek sagte: Wissenschaftskommunikation solle fester Bestandteil der Forschungsförderung des BMBF werden. "Wenn Wissenschaftler gut kommunizieren, dann muss genau das auch anerkannt werden." rast Dieter Rossmann berichtete, dass laut Antrag der Koalitionsfraktionen der Wissenschftsrat den Status quo in der Wissenschaftskommunikation erfassen solle. Thomas Sattelberger von der FDP twitterte aus seiner Rede:

"18 Monate kreißte der Berg und gebar jetzt eine dreiseitige Maus." Sattelberger weiter: "Kein Wort drin, wie man Elitensilos aufbricht; Flacherdler zur Raison bringt! Steter Tropfen höhlt den Stein, auch wenn manche Steine an sich schon recht hohl sind. Also, Ihr Wissenschaftsgranden: Geht selber in die Bütt!!"

 

MPG-Vizepräsidentin Angela  Friederici erwiderte: "Viele Wissenschaftler*innen suchen die kommunikative Herausforderung. Kommen Sie uns gern besuchen." Thomas Sattelberger insistierte daraufhin: "Warum twittert der Präsident nicht? Warum legt er sich nicht mit der AFD an?"

 

Ingesamt gab es jedoch nur wenig Tweets, die auf die Bundestagsdebatte Bezug nehmen. Ein Indikator. Das schriftliche Protokoll der Sitzung verzeichnete folgende Kernaussagen (das Video der Debatte finden Sie hier in voller Länge):

 

Stefan Kaufmann (CDU/CSU)

 

"Wir brauchen eine umfassende, eine hochwertige Wissenschaftskommunikation, die die Ergebnisse der Wissenschaft, die möglichen praktischen Anwendungen, die wissenschaftlichen Fragestellungen und auch die wissenschaftlichen Methoden einer breiten Öffentlichkeit vermitteln kann.

 

Nur so kann es im Übrigen gelingen, dass wir Akzeptanz schaffen für neue Technologien, zum Beispiel Biotechnologie, Quantenoptik usw.

Darüber hinaus müssen wir in Zeiten von steigendem Populismus, Fake News und lauter werdenden wissen-schaftsskeptischen Stimmen das Vertrauen der Bürger in die Wissenschaft zurückgewinnen, und wir müssen die Wissenschaftsmündigkeit der Bürgerinnen und Bürger stärken. (...) Wir brauchen effektive Instrumente gegen Fake News und Fehlinformationen. Wir wollen den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft weiter intensivieren, indem die Wissenschaftskommunikation, aber auch der Wissenschaftsjournalismus gestärkt werden. Journalisten müssen mit den Informationen aus der Wissenschaft unter den heutigen Bedingungen im Medienbetrieb arbeiten können. Daher sind neue Vermittlungsformate zwischen Wissenschaft und Journalisten erforderlich. 

 

Wir brauchen eine Bestandsaufnahme zur Situation der Wissenschaftskommunikation – das macht gerade der Wissenschaftsrat. Bundesministerin Anja Karliczek hat die Stärkung der Wissenschaftskommunikation zu einem ihrer Schwerunktthemen gemacht und mit ihrem im November veröffentlichten Grundsatzpapier den strategischen Dialog über die Weiterentwicklung angeregt."

 

Marc Jongen (AfD)

 

"Die Regierungskoalition hat eine Initiative zur Austreibung der Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm gestartet. "Wissenschaftskommunikation" heißt das Zauberwort, das dafür sorgen soll, dass Wissenschaftler nicht mehr nur lehren und forschen, sondern ihre Erkenntnisse auch publikumsgerecht vermitteln. Der Antrag der GroKo enthält denn auch einige wirklich positive Beispiele: die Wissenschaftsjahre, die Initiative "Wissenschaft im Dialog", die Stiftung "Haus der kleinen Forscher", das Futurium. Das alles sind schon länger bestehende Vorzeigeprojekte, und wir halten es für richtig, sie weiter abzusichern und, wo nötig, auszubauen.

 

Ihr Antrag nennt jetzt wieder den Kampf gegen sogenannte Fake News als einen wichtigen Aspekt der Wissenschaftskommunikation. Manche wollen den Klimaleugner, der lediglich eine abweichende Theorie zur Rolle des CO2 für den Klimawandel vorträgt, sogar auf eine Ebene mit dem des Holocaust-Leugners stellen. Frau Karliczek, Sie drohen die Wissenschaft auch mit ihr fremden Aufgaben zu überfrachten."

 

Bärbel Bas (SPD)

 

"Die Debatten über Fake News zeigen deutlich, dass selbst gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse immer stärker infrage gestellt werden. Diese Erfahrungen machen deutlich, dass es notwendig ist, die Wissenschaftskommunikation zu stärken. Auf der anderen Seite nehmen schiere Mengen an wissenschaftlicher Komplexität zu, gleichzeitig verändert sich Kommunikation dramatisch. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Wissenschaftskommunikation verbessern wollen.

 

Karliczeks Grundsatzpapier: Unsere Vorschläge zielen in die gleiche Richtung. Es geht darum, dass der Dialog mit Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft intensiviert wird.

Wir wollen, dass Wissenschaftskommunikation zum Bestandteil von Ausschreibungen von öffentlichen Forschungsvorhaben wird.

 

Thomas Sattelberger (FDP):

 

"Werte Frau Ministerin, Sie haben seit Ihrem Amtsantritt stets die Wichtigkeit der Wissenschaftskommunikation betont. 18 Monate kreißte der Berg und gebar jetzt eine dreiseitige Maus. Ein erstaunlich dürftiges BMBF-Papier für ein solches Herzensanliegen. Der heutige Antrag der Koalition legt noch dürftiger nach: aus der Komfortzone für die Komfortzone der Etablierten. Wissenschaftskommunikation wird von der Großen Koalition als reine Elitendebatte gedacht.

 

Viele Ihrer geforderten Initiativen finden in Berliner Salons statt, auf elegant bezogenen Fauteuils, die immer gleichen Verdächtigen im sogenannten Diskurs. Weder Karliczek-Papier noch Ihr Antrag enthalten auch nur ein Wort, wie man Elitensilos aufbricht. Mehr MINT-YouTuberinnen gewinnen, wie die Chemikerin Dr. Mai Thi Nguyen mit 561 000 Followern. Sie müssen das Netzwerk der Zehntausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aktivieren. So erreicht man Reichweite.

 

Kennen Sie Flacherdler? Das sind Menschen, die glauben, die Erde sei eine Scheibe. Es gibt Zehntausende Flacherdler und Tausende in Deutschland. Was hilft denn gegen Flacherdler? Wir brauchen die direkte Auseinandersetzung mit Wissenschaftsleugnern, Verschwörungstheoretikern und Sympathisanten. Für die Granden der Wissenschaft gilt: Leadership, selber in die Bütt gehen, nicht an Kommunikationsabteilungen delegieren. Hat ein Max-Planck-Präsident jemals getwittert, sich mit der AfD über Genderforschung auseinandergesetzt?"

 

Petra Sitte (Die Linke):

 

"Martin Stratmann, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, stellte unlängst fest – ich zitiere – "Niemand will eine Expertokratie, in der wenige Wissende über die Zukunft eines Staates bestimmen." Wohl wahr. Das heißt, was die Wissenschaft hervorbringt, muss bei allen ankommen können.

 

Bereits 2014 und aktualisiert 2017 haben Leopoldina, acatech und andere Wissenschaftsakademien ein umfassendes Papier zur Wissenschaftskommunikation vorgelegt. Nicht weniger als fünf Jahre dauerte es, bis das Forschungsministerium – es wurde schon gesagt – ein dreiseitiges Grundsatzpapier dazu vorlegte. Wow! Und nun, quasi in zweiter Ernte, legen die Koalitionsfraktionen einen sechsseitigen Antrag vor. Aber er enthält, wie auch das ministerielle Papier, über weite Teile Projekte, die längst laufen, und was Wissenschaft bereits selbst leistet.

 

Aber Sie wollen keinerlei zusätzliche Ressourcen geben. Vielmehr verweisen Sie unter anderem auf den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken". Das ist, ehrlich gesagt, schon ein bisschen dreist. Den haben Sie nämlich gerade um 50 Millionen Euro gekürzt. Die große Gruppe der Scientists for future oder die March-for-Science-Bewegung zeigen, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrer Verantwortung bewusst sind. Auch Citizen Science. Aber auch: Wissenschaftliche Fakten haben es bisweilen schwer –  abstruse Verschwörungstheorien in Filterblasen.

 

Gleichermaßen müssen die professionellen Erklärer komplizierter wissenschaftlicher Themen, die Wissenschaftsjournalistinnen, in den Fokus rücken."

 

Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

"Zwei Punkte wundern mich an dem selbstgewählten Schwerpunkt der Ministerin. Zum einen die Wissenschaft unter Rechtfertigungsdruck durch die zunehmende Skepsis gegenüber wissenschaftlicher Expertise. Ihre Regierung hat zu der Skepsis zum Teil übrigens sogar selbst beigetragen. Ich erinnere an die Feinstaubdebatte, als Sie in der Regierung eine ganze Weile einem sehr zweifelhaften Gutachten hinterhergelaufen sind. Zweitens stellt sich die Frage, ob der vorliegende dreiseitige Antrag wirklich der große Wurf ist und dem Schwerpunkt gerecht wird.

 

Denkwerkstatt #FactoryWisskomm: Das klingt irgendwie fancy und soll auch in den Chefetagen verankert werden. Aber am Ende ist das nur eine Fortsetzung der Debatte, konkrete Vorschläge sind das nicht.

 

Wir Grüne sind sehr dafür, Wissenschaft stärker in die Gesellschaft zu tragen und Wissenschaftskommunikation zu unterstützen. Wir haben viele Vorschläge dazu gemacht. Es ist nicht lange her, dass wir über Partizipation in der Wissenschaft einen sehr ausführlichen Antrag vorgelegt haben. Formen wie Citizen Science und Reallabore, wo die Zivilgesellschaft und Forschungsinstitutionen zusammenkommen, unterstützen wir seit Langem. (Zwischenruf von Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Aber Partizipation ist nicht Kommunikation!) Wir würden uns hier eine stärkere Zusammenarbeit wünschen. Auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft am Hightech-Forum haben wir uns seit Langem gewünscht. All das könnte man schon jetzt sehr konkret angehen, darüber müsste man nicht noch jahrelang diskutieren.

 

So viel Neues haben wir im Antrag nicht gefunden. Wir freuen uns aber, wenn sich die Vorhaben in aktiven Taten niederschlagen, vielleicht sogar in einem Haushaltsaufwuchs; denn auch hier fristet die Wissenschaftskommunikation bisher ein eher trauriges Dasein."

 

Bundesministerin Anja Karliczek (CDU)

 

"99 Prozent der Wissenschaftler sind der Meinung, dass ein Teil unseres Klimawandels menschengemacht ist. Und trotzdem gibt es immer wieder Diskussionen darüber. Was schließen wir daraus? Dass wir klarer kommunizieren müssen.

 

Es ist es mehr denn je nötig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler uns einen guten Einblick in ihre Arbeit gewähren, dass sie über Methoden und Erkenntnisse ihrer Forschungsarbeiten sprechen und Zusammenhänge einordnen, dass sie Impulse aus der Gesellschaft aufnehmen und Wissenschaft nicht als Einbahnstraße sehen, kurzum, dass der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft noch intensiver wird. Die Wissenschaftsfreiheit ist nicht nur ein Brunnen der Kreativität. Die Wissenschaftsfreiheit gibt auch jedem Einzelnen die Verantwortung mit auf den Weg, sein Wissen mit anderen zu teilen und daraus etwas zu machen. Gerade in Zeiten, in denen wissenschaftliche Fakten mitunter ignoriert oder einfach umgedeutet werden.

 

Wir sind heute schon sehr aktiv. Wir haben die Wissenschaftsjahre – im nächsten Jahr übrigens zum Thema Bioökonomie. - das "Haus der kleinen Forscher", Citizen Science machen wir schon lange, das Futurium.

 

Jetzt soll die Wissenschaftskommunikation noch mehr Gewicht bekommen: Wissenschaftskommunikation wird fester Bestandteil der Förderprogramme meines Hauses; denn Wissenschaftskommunikation soll Teil des wissenschaftlichen Selbstverständnisses werden. Wenn Forscher gut kommunizieren, dann muss genau das auch anerkannt werden.

 

Und Kommunikation muss Chefsache sein. In einer modernen Denkfabrik werden wir gemeinsam ausloten, wie ein solcher Weg aussehen kann; denn es ist die Aufgabe der Wissenschaft, sich verständlich zu äußern.

Zur Einordnung braucht es aber auch den Wissenschaftsjournalismus; denn Deutschlands Bürger sollen faktenbasiert urteilen können.

 

Die frohe Botschaft kurz vor Weihnachten ist, dass viele, gerade auch junge Menschen ein hohes Interesse an der Wissenschaft haben, zeigt das jüngste Wissenschaftsbarometer. Wir brauchen Lust auf Zukunft, Spaß an Innovationen und das Verständnis, dass all das wesentliche Bausteine für den Erhalt der liberalen Demokratie sind."

 

Ernst Dieter Rossmann (SPD)

 

"Frohe Botschaft: Der Ausschuss war gestern mit einigen Mitgliedern und vielen Mitarbeitern im Futurium. Die Leitung konnte uns sagen, dass sie mit 100 000 Besuchern gerechnet haben, und es sind 300 000 geworden. Das ist ein Zeichen dafür, dass viele Menschen jeder Generation Orientierung suchen, sich fragen, wie sie ihr Leben in Zukunft organisieren, auf Basis welcher Werte sie es gestalten werden, welche Interessen sie dabei verfolgen wollen.

 

Herr Sattelberger: Im Zuge der Haushaltsberatungen hat die FDP Anträge gestellt, mit denen sie die Mittel für Wissenschaftskommunikation, Partizipation, Citizen Science markant kürzen wollte.

 

Ich möchte hier zugespitzt drei Punkte ansprechen. Erste Zuspitzung. Wir unterstützen die Ministerin ausdrücklich in ihrem Bemühen, den Kulturwandel im Bereich Wissenschaft, was die Selbstbeauftragung von Wissenschaftskommunikation angeht. Zweitens. Wir erbitten vom Wissenschaftsrat – Kollege Kaufmann, das ist dort noch nicht beschlossen – eine Status-quo-Analyse zur Situation im Bereich der Wissenschaftskommunikation in Deutschland und Empfehlungen. Drittens. Wir fordern ein, dass im Zuge des positiven Prozesses von #FactoryWisskomm zwei Projekte in der Zuspitzung stärker mitdiskutiert werden. Zum einen kann der Wissenschaftsjournalismus mit neuen Impulsen aufwarten. Es gibt neue mediale Zugänge und ganz andere Abläufe. Dieser Prozess kann nicht nur durch eine Agentur für Sprunginnovationen, sondern auch durch eine Agentur für Wissenschaftskommunikation innovativ gestärkt werden. Zum anderen erwarten wir von dem Netz von Akademien, dass sie sich einbringen, weil sie die Wissenschaft, Bevölkerung und Journalismus zusammenbinden können.

 

Mein Schlussgedanke soll sein: Laut Artikel 5 unseres Grundgesetzes sind die Freiheit der Wissenschaft und die Freiheit der Medien gleichwertig, gleichgestellt."

 

Andreas Steier (CDU/CSU)

 

"Die Investitionen in Forschung und Entwicklung haben in Deutschland ein Rekordniveau erreicht. Wichtig ist, dass die Menschen wissen, wofür wir das Geld ausgeben. Gegen Klimawandelleugner und das Szenario vom Weltuntergang soll Wissenschaft den Menschen mit klaren Worten die Fakten benennen, auf deren Basis Lösungen entwickelt werden können. Wir wollen die Kommunikation weiter vorantreiben, in den Dialog mit der Gesellschaft eintreten und die Dinge hier entsprechend umsetzen. 

 

Das "Haus der kleinen Forscher" ist ein gutes Beispiel. Darauf sollten wir aufbauen und weiter auf die Kommunikation mit weiten Teilen der Gesellschaft setzen."

 

Die Folgen eines schnell
zusammengeschusterten Antrags 

 

Die inhaltliche Auswertung der Redebeiträge zeigt, dass die Parlamentarierer beim Aktionsfeld Gesellschaft in sehr hohem Maße vom Problem Populismus, FakeFacts und Wissenschaftsablehnung betroffen sind. Das war bei der Debatte in der vergangenen Legislaturperiode nicht so. Der Punkt gesellschaftliche Partizipation ist völlig unterentwickelt. Hier gibt es keine Ideen, was eigentlich erstaunlich ist für Volksparteien, die aus der Gesellschaft heraus politisch wirken.

 

Weil der Antrag offenbar schnell zusammengeschustert wurde, hat die Zeit für die Tiefenrecherche gefehlt. So wird vorgeschlagen, neben dem Citizen Science-Cluster auch die "Forschungswende" unterstützen, eine Plattform von Umweltverbänden, die der herrschenden Forschungspolitik – etwa zu Bioökonomie – kritisch gegenüberstehen und deshalb eine Wende einfordern. Bei den Betreibern der Forschungswende war auf Nachfrage nicht bekannt, dass sie als Regierungsopposition im Antrag der Regierungsfraktionen genannt werden. Der Stress zwischen BMBF und Forschungswende wegen der Partizipationsbeschränkung beim Hightech-Forum ist noch immer nicht ausgeräumt.

 

Für den Journalismus als Kommunikations- und Informations-Agent der Gesellschaft gibt es auch keine Zukunftsvorstellung. Die Idee einer Stiftung wird offenbar nicht weiter verfolgt, oder sie steckt vielleicht im Agentur-Modell. Das Problem des Wissenschaftsjournalismus wird ohne Bezug zum technischen und sozialen Medienwandel gedacht – das kann bei dieser Gegenwartsfixierung nichts werden. Gerade an dieser Stelle – was hat Journalismus/Presse früher für die Gesellschaft bedeutet und was muss von ihm und ihr morgen verlangt werden – sind disruptive Ansätze am dringendsten gefragt.

 

Für alles mögliche gibt es inzwischen Reallabore, um neue Wege zu erproben. Mal einen anderen, bürgerpartizipativen Journalismus in der Fläche, in abgehängten Regionen mit gestorbener Lokalzeitung zu probieren, dazu gibt es in der Innovationspolitik keinen Mut. Dafür kann man sicherlich auch irgendwie eine spezielle Wissenschafts-Anbindung finden. Vor allem müsste an dieser Stelle groß und in neuen Zeiten gedacht werden.

 

Die Aussagen zur Wissenschaft schlagen im wesentlichen die Fortsetzung des Bestehenden vor, sind damit tendenziell Anti-Zukunft. Eine Vision von PUSH 2.0, wie auf dem diesjährigen Forum Wissenschaftskommunikation andiskutiert, also die Erreichung der an Wissenschaft Nicht-Interessierten – und dafür die Entwicklung neuer Partizipationsansätze – ist in den Politikerköpfen noch nicht angekommen.

 

Über Geld haben bislang nur wenige geredet. Das wird sich dann wahrscheinlich ändern, wenn die Finanzierungsfrage für bestimmte Lösungs- und Experimentalmodelle ansteht.

 

"Mit dem Antrag und dem Grundsatzpapier des BMBF können wir jetzt daran arbeiten, das Jahr 2020 zu einem Jahr der Konzeptbildung, der Zuspitzung und der Konzentration auf Schlüsselprojekte der Wissenschaftskommunikation zu machen, damit dann möglichst viele unserer Punkte Einzug in die Realität erhalten", sagte der Ausschussvorsitzender Rossmann am Tag der Debatte in einem Interview nicht mit Wissenschaftsjournalisten, sondern mit WissenschaftskommunikatorenRossmann wünscht sich ein "Jahr der Wissenschaftskomunikation" als eine Aufgabe für die nächsten Jahre über 2020 hinaus.

 

Immerhin schon mal eine kleine Vision.

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Kommentare: 2
  • #1

    Josef König (Montag, 23 Dezember 2019 17:31)

    Zunächst einmal: Ein riesiges Dankeschön an Manfred Ronzheimer, dass er sich diese Mühe gemacht hat, die einzelnen Punkte und Akteure sauber zu trennen und ihre Motive und Interessen auseinander zu nehmen und zu diskutieren. Leider gibt es, wie er selbst sagt, in Deutschland kaum noch Journalisten bzw. Wissenschaftsjournalisten, die sich dieser Aufgabe unterziehen, und das ist bedauerlich - das sage ich in aller Deutlichkeit als jemand, der 30 Jahre in der Wissenschaftskommunikation, also der anderen Seite des Schreibtisches tätig war und noch selten bin.

    Über eine Förderung des Wissenschaftsjournalismus zu sprechen, ist aus mehreren Gründen schwierig. Einerseits gehört er eindeutig, trotz Gleichrang im GG mit der Wissenschaftsfreiheit, zum privatwirtschaftlichen Sektor - bis auf den Öffentlichen Rundfunk, der über Beiträge finanziert wird, die m.E. eine verkappt Steuer ist. Aber der Wissenschaftsjournalismus ist als Teil des allgemeinen Journalismus in der gleichen Krise wie dieser, und hier müsste m.E. die Unternehmen, also die Medienhäuser und Verlage, neue Wege beschreiten, wie sie ihr Produkt erstellen, distribuieren und ihre Mitarbeiter halten können. Dass der Öffentliche Rundfunk mit die Wissenschaftsberichtersattung stiefmütterlich behandelt, wissen wir alle sehr wohl.

    Bleibt also im Kern die Frage nach der Zukunft der Wissenschaftskommunikation. Und da bin ich - ehrlich gesagt - gespalten. Einerseits als langjähriges Mitglied dieser Zunft gehört ihr meine Solidarität; und so wünsche ich ihr sicheres Gedeihen.

    Dennoch: der Wissenschaftskommunikation geht es gut, um sie mache ich mir keine Sorgen. Und mit Blick auf das BMBF-Papier lese zwischen dessen Zeilen deutlich heraus, wer durch "Mitnahmeeffekte" von der Förderung profitieren wird - und diese Profiteure haben es alles andere als nötig!

    Aber als inzwischen verrentet und mit mehr verfügbarer Zeit muss ich schlicht zugeben: Es gibt davon einfach zu viel Wissenschaftskommunikation. Mehr ist gar nicht nötig!

    Wer sich für Wissenschaft interessiert, kann sich 24 Stunden am Tag in der Wissenschaftskommunikation und in der Wissenschaftsberichterstattung verlieren und wird dennoch kaum hinterher kommen. Dabei ist höchste Qualität an sehr vielen Orten und in vielen Medien zuhauf zu finden. Selbst hier in der Provinz, in Bochum (meine Mitbürger mögen mir verzeihen) kann ich fast täglich abends Vorträge von Wissenschaftlern besuchen, in der Uni Vorlesungen hören, und vieles andere mehr erleben. Dazu kommen die newsletter der Qualitätsmedien von Nature, Spektrum, Wissenschaft-im-Dialog, Science Media Center, idw, YouTube-Videos und vieles andere mehr. Da reichen die 24 Stunden des Tages gar nicht aus, um auch nur den Bruchteil davon mitzubekommen.

    Notwendig ist nach meinem Dafürhalten was ganz anderes: nicht etwa die Partizipation der Zivilgesellschaft an der Wissenschaft, für die sowieso kaum jemand überzeugende Instrumente hat, wie sie zu organisieren sei (weshalb das Papier von Wilhelm Krull wieder in der Schublade verschwunden ist). Es fehlt aus meiner Sicht die Verwirklichung der zwei einzig wichtigen Punkte aus WÖM 2:

    a) die Schaffung einer von der Politik unabhängigen Plattform/Agentur, gern gespeist aus Wissenschaftsjournalisten und Wissenschaftskommunikatoren, die täglich den Falschmeldungen, Lügen, Verdrehungen im Netz und den Sozialen Medien zu Leibe rückt und diese richtig stellt - ich zögere sie "Agentur für Wahrheit" zu nennen (erinnert zu sehr an "1984"), aber in diese Richtung müsste sie arbeiten. (Man sieht welche Fortschritte z.B. die Plattform zu Tierversuchen erreicht).

    b) die massive und intensive Schulung/Bildung von Kindern und Jugendlichen ab dem frühest möglichen Zeitpunkt in Medienerziehung und Medienökonomie. Aus meiner Sicht wird ein Kitt in dieser Gesellschaft auf Dauer erst wirksam werden, wenn Kinder und Jugendliche lernen, Informationen in den Medien kritisch zu sichten und einzuordnen. Wenn das gelänge wäre schon viel erreicht.

    In diesem Sinne - herzliche Grüße und frohe Festtage
    Josef König

  • #2

    Manfred Ronzheimer (Freitag, 27 Dezember 2019 16:19)

    Wer noch mehr lesen will: Hier der erweiterte Fußnotenblock

    https://www.facebook.com/manfred.ronzheimer/posts/2784275891624442
    27.12.2019
    Chronik der Debatte
    Wie wird über Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus berichtet?
    Eine Sammlung aktueller Artikel