Familien von Schulschwänzern zu bestrafen, wird nichts bringen. Stattdessen muss man sie zur Hilfe befähigen.
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ELTERN VON SCHULSCHWÄNZERN sollten weniger Sozialleistungen erhalten, fordert CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak im Focus, sekundiert von Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger. Anfang November war das, einen wirklich aktuellen Anlass für Ziemiaks Vorstoß gab es nicht, umgekehrt könnte man natürlich sagen: Aktuelle Anlässe, um härter mit vermeintlich gleichgültigen Eltern umzuspringen, gibt es immer. Das Narrativ hat ja auch etwas Bestechendes: Vielen Leuten sind ihre Kinder so egal, dass man sie nur über das eigene Geld kriegt. Noch schlimmer: Anstatt im Kampf um die Bildungschancen ihrer Kinder zu den wichtigsten Verbündeten der Lehrer zu werden, beschimpfen und bedrohen einige Eltern die Pädagogen sogar noch.
Wirklich erstaunlich an Ziemiaks Wortmeldung jedoch war, wie wenig öffentliche Resonanz sie erzeugt hat. Obwohl der Focus sie mit der – freilich ohne absolute Zahlen auskommenden – Statistik unterfütterte, dass die Zahl der Schulschwänzer in Hamburg innerhalb eines Jahres um 22,5 Prozent gestiegen sei, in Thüringen habe sie sich in sieben Jahren sogar verdoppelt. Obwohl der von den Kultusministern in Auftrag gegebene "IQB-Bildungstrend 2018" im Oktober stagnierende Schülerleistungen in Mathe und Naturwissenschaften konstatierte. Und obwohl laut der kurz vor Weihnachten erschienenen PISA-Studie die soziale Herkunft in Deutschland eine große Rolle spielt bei der Frage, wer wie gut lesen kann.
Wer mit den Lehrern an Brennpunktschulen redet, bekommt freilich nicht den Eindruck, dass dort der Frust über besagte Eltern geringer geworden ist. Doch wissen die meisten Lehrer eben auch, dass der Wunsch nach einem größeren Elternengagement so ähnlich ist wie der Traum von Sommersonne im Januar.
Viele Eltern unterstützen ihre Kinder nicht,
weil sie es nicht können
Warum? Weil Eltern (von den zugegebenermaßen nicht wenigen pathologischen Fällen abgesehen) eben nicht aus bösem Willen ihre Kinder nicht unterstützen, wo sie sie unterstützen sollten. Sondern weil sie es schlicht nicht besser können. Weil ihnen selbst die Bildung fehlt. Weil sie krank sind, unter Traumata leiden. Weil unsere Gesellschaft, das zeigen Studien, Einwanderern die Integration immer noch so viel schwerer macht als andere. Wie Paul Ziemiak behaupten, diese Eltern müssten könnte die Kürzung des Kindergeldes zur Kooperation gezwungen werden, entspricht von der Komplexität in etwa der Aussage, die meisten Harz-IV-Empfänger wollten einfach nicht arbeiten gehen.
Im Januarwetter würden die wenigsten auf Dauer in der Badehose herumlaufen und ihre Empörung über die Kälte pflegen. Die meisten würden sich früher oder später eine passende Jacke kaufen und das Beste aus der Situation machen. Die meisten Schulen machen es genauso. Sie haben in den vergangenen Jahren realisiert, dass erfolgreiche Bildungsarbeit an Brennpunktschulen auch Elternarbeit ist. Anstatt den Familien mit drastischen Forderungen und Strafen immer wieder ihr Unvermögen spüren zu lassen, gibt es Sprachkurse für Eltern, Mütter-Cafés, Schulsozialarbeiter, die Hausbesuche machen. Das ist ein Knochenjob für die Schulen und ihre Kollegien. Und doch ohne Alternative.
Diese Botschaft scheint zum Glück auch bei den meisten Politikern angekommen zu sein. Zumindest könnte man die Tatsache, dass in den Nach-PISA-Wochen so wenig Elternschelte zu hören war und so viel von der politischen Verantwortung, den Einfluss des Elternhauses auf den Bildungserfolg zu verringern. Dass dies nicht besser gelingt, hat freilich auch etwas mit der soeben beschriebenen Kausalität zu tun. Die nötige Elternarbeit kostet viel Personal und Geld. Und von beidem gönnt unsere Gesellschaft zu wenig ausgerechnet den Schulen, die es am dringendsten brauchen würden. Manchen erscheint es dann offensichtlich doch billiger, auf die Eltern zu schimpfen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda Will`s Wissen" im Tagesspiegel.
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