Frauen müssen sich besser gegenseitig unterstützen in der Wissenschaft, um Karriere zu machen, findet Andrea Schmidt – und hat mit Mitstreiterinnen das Netzwerk Professorinnen2 gegründet. Ein Interview über vermeintlich männliches Genietum, die "Sister Ceiling" und ein ungewöhnliches Projekt.
Andrea Schmidt ist Professorin für sozialpädagogische Handlungskonzepte an der Fachhochschule Potsdam und war dort zwischen 2014 und 2019
Vizepräsidentin für Studium und Lehre.
Foto: privat.
Frau Schmidt, der typische Universitätspräsident, ich gendere bewusst nicht, ist 59 und heißt Thomas. Nicht einmal ein Viertel der deutschen Universitäten wird von Frauen geleitet, bei den Fachhochschulen sind es laut einer weiteren Erhebung des (CHE) sogar nur gut ein Fünftel. Was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal von diesen Zahlen gehört haben?
Dass sie mich so gar nicht überraschen. Dass Frauen an Hochschulen derart unterrepräsentiert sind, beschäftigt mich seit einiger Zeit. Fast noch mehr beschäftigt mich, wie wenig das in der Öffentlichkeit Thema ist. Über 50 Prozent der Studienanfänger_innen sind weiblich, aber nicht einmal ein
Viertel der Professor_innen sind es, wie sollte es also in den Hochschulleitungen anders sein? Wenn ich mir die vergangenen 20 Jahre anschaue, komme ich zu dem Ergebnis, dass sich die deutschen Hochschulen weitgehend unter Ausschluss von Frauen entwickelt haben.
Ist das nicht ein bisschen harsch? Sie haben es selbst gesagt: Bei den Studienanfängern herrscht Parität, und der Prozentsatz der Profesorinnen hat sich in wenigen Jahren verdoppelt.
Die Zahlen steigen, das stimmt. Aber wenn man genau hinschaut, bekommen Frauen meist die schlechter dotierten W1- und W2-Positionen oder befristete Verträge. Nein, der Anteil ist und bleibt gering. 24 Prozent! Und an Fachhochschulen noch weniger. All die gut gemeinten Förderinitiativen wie das Professorinnenprogramm entfalten offenbar zu wenig Wirkung. Ich habe viel zu dem Thema recherchiert im vergangenen Jahr, und ich kann Ihnen sagen, ich bin dabei immer ärgerlicher geworden.
Gerade ins Professorinnenprogramm stecken Bund und Länder richtig Geld. Woran liegt es, dass der Fortschritt so langsam ist?
Auf den ersten Blick könnte man sagen: Vielleicht gibt es die Initiativen einfach noch nicht lang genug. Aber die Antwort ist mir zu einfach. Im Rahmen meines Forschungssemesters habe ich mich mit diesen und ähnlichen Fragen befasst. Und ich habe meine eigene Karriere reflektiert. Wie bin ich eigentlich Professorin geworden? Mit welchen Widerständen musste ich selbst umgehen?
"Also habe ich vorgeschlagen:
Lasst uns was tun."
Und?
Als ich Mitte der 90er meine akademische Laufbahn als wissenschaftliche Mitarbeiterin begann, gab es noch ganz offenen Sexismus. Richtig krass. Heute ist der Sexismus immer noch da. Allerdings subtiler. Die Benachteiligungsmaschinerie läuft trotzdem noch wie geschmiert.
Zum Glück haben Sie Ihren Ärger konstruktiv gewendet und mit anderen Kolleginnen ein ungewöhnliches Tandem-Programm gegründet: Professorinnen2 heißt es.
Ja, ich bin Mitglied beim Lehrenden-Netzwerk Lehren. Wo interessanterweise 50 Prozent der Teilnehmer_innen weiblich sind. Dort habe ich das Thema angesprochen, und ich war erschrocken, von wieviel blanken Sexismen mir auch dort berichtet wurde. Also habe ich vorgeschlagen: Lasst uns was tun.
Was genau ist Professorinnen2?
Sie müssen sich vorstellen, Sie haben es als Frau geschafft und sind Professorin. Und plötzlich stehen sie da und beobachten all die Grabenkämpfe, die Verteilungskonflikte in ihrer Hochschule. Was machen Sie dann? Professorinnen2 zwei macht neuberufenen Professorinnen das Angebot zur gemeinsamen Reflexion über die Strukturen und Prozesse, die Hochschulen prägen. Wir wollen sie auch dabei unterstützen, über ihre eigene Rolle nachzudenken und darüber, was sie mithilfe ihrer Professur erreichen können. Das sind ja alles gestandene, fachlich starke Frauen. Den müssen sie nicht sagen, was zu tun ist. Aber wir können uns gegenseitig helfen, mehr aus den Positionen, die wir haben, zu machen.
Wer ist "wir"?
Das war wirklich verrückt, ich habe die Programmidee im Juni letzten Jahres auf der Jahrestagung von Lehren vorgestellt, und sofort haben sich 31 Kolleginnen bereit erklärt, als Mentorinnen zu helfen. Die meisten von ihnen sind oder waren selbst in Hochschulleitungen aktiv, ich war ja auch einige Jahre Vizepräsidentin der Fachhochschule Potsdam. Die Toepfer-Stiftung, die Lehren finanziert, ist so nett, uns bis Ende 2020 ebenfalls zu unterstützen. Sie macht die Werbung und das Matching, Ende des Jahres müssen wir dann weitersehen.
"Zum Teil sind wir Frauen selbst schuld. Wir könnten
uns auch besser gegenseitig stützen."
Also einfach ein weiteres Mentorinnenprogramm.
Nein, nein! Das ist nicht noch ein Onboarding-Angebot. Es geht um einen Austausch auf Augenhöhe, der zu Beginn der Professur beginnt und dann idealerweise immer weitergeht. Gerade wenn der Wechsel auf eine Führungsposition in der Hochschulleitung klappt, ist der Austausch grundlegend, passiert aber bislang, wenn überhaupt, eher zufällig. Insofern passt Netzwerk besser als Mentoring. Wir unterstützen uns gegenseitig in unterschiedlichen Phasen unserer Karrieren. Das wichtigste Ziel ist, eine verbindlichere Struktur zum Netzwerken zu schaffen. Und natürlich gehen wir auch einfach mal zusammen in die Kneipe.
Männer, heißt es, seien im Netzwerken oft besser – auf jeden Fall weniger zurückhaltend.
Daran sind wir Frauen zum Teil selbst schuld. Wir könnten uns auch besser gegenseitig stützen. Aber es gibt auch das Phänomen der "Sister Ceiling", demzufolge sich Frauen in Führungspositionen oft selbst sexistisch verhalten. Von wegen Frauensolidariät! Stattdessen heißt es dann: Ich habe mich selbst durchboxen müssen, warum sollen es andere Frauen leichter haben? Das sind übrigens auch die Frauen, die gegen Quoten argumentieren.
Warum fällt es Männern leichter, sich gegenseitig zu helfen?
Die Wissenschaft ist bis heute geprägt von dem Bild der "gottgegebenen Gnade des Geistes", eines Genietums, welches offenbar nur Männer auszeichnet: Ich sperre mich in meinem Kämmerlein ein, meine Forschung geht über alles und lässt sich übrigens auch auf keinen Fall mit der Familie vereinbaren. Zugegebenermaßen hat sich diese Figur verändert, indem weniger ein Genietum die Eintrittskarte in die Wissenschaft ist, sondern vielmehr die Persönlichkeit: die Wissenschaftlerpersönlichkeit, die aber ebenfalls männlich konnotiert ist. Dass mit der mangelnden Vereinbarkeit von Wissenschaft und Privatleben möchte ich so nicht gelten lassen. Zumindest auf einer Professur ist die Flexibilität sehr groß.
Sie haben vorhin gesagt, es gehe darüber, über die eigene Rolle nachzudenken.
Ja, das mit dem Selbstverständnis als Rollenbild ist besonders schwierig. Aber natürlich sind Professorinnen für andere Frauen Rollenbilder. Ich würde mir wünschen, dass dies mehr Kolleginnen für sich annehmen, dass ihr Verhalten das Verhalten der nächsten Generation junger Wissenschaftlerinnen und ihrer Karriereaspirationen prägt. Seeing is believing!
Was heißt das praktisch?
Wir Frauen sind zum Beispiel oftmals so fleißig und viele können schlecht nein sagen. Das hat dann den Effekt, dass Frauen sehr viel Gremienarbeit machen. Die Satzungen sehen einen bestimmten Anteil von Frauen vor, zum Beispiel in Berufungskommissionen. Weil unterdurchschnittlich viele Frauen Professorinnen sind, müssen sie sich in überdurchschnittlich vielen Gremiensitzungen verschleißen. Aus dem Dilemma kommen wir Frauen nur raus, wenn wir kantiger werden, wenn wir nicht überall mitmachen. Ich sage immer: Wenn du etwas verändern willst, ohne dich in jedem Gremium totmachen zu lassen, dann geh gleich in die Hochschulleitung. Aber auf die Idee kommen die meisten gar nicht. Also Männer natürlich schon. Mit Professorinnen2 wollen wir das ändern.
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Johanna Maiwald (Samstag, 18 Januar 2020 08:33)
Inhaltlich ein interessanter Artikel. Allerdings habe ich mach dem ersten Drittel aufgehört zu lesen, weil das Gegendere im Text störend ist.
Viele Grüße von einer Frau.
Andrea Schmidt (Dienstag, 21 Januar 2020 13:50)
Liebe Frau Maiwald,
vielen Dank für den Hinweis. Sie haben völlig recht! Ich hätte im ganzen Text das generische Femininum wählen sollen.
Herzliche Grüße
Andrea Schmidt
Hochschullehrerin (Freitag, 24 Januar 2020 14:39)
Das entspricht leider nicht meiner eigenen Berufserfahrung. Ich bin Hochschullehrerin und werde vor allem von Frauen in Führungspositionen in den Freiheiten den Beruf auszuüben und die Professur zu entwickeln (z.B. ebenfalls bei Hochschulleitungsaufgaben mitzumischen) maximal eingeschränkt. Familienvereinbarkeit ist definitiv nicht gegeben, denn was nutzt Flexibilität in einer 60h Woche? Das Programm finde ich dennoch gut, vielleicht hilft es auch im Kampf gegen die "Ceiling Sisters".