Während andere Länder– wie Berlin – massenhaft Quereinsteiger einstellen, beweist Bayern Mut beim Kampf gegen den Lehrermangel: Die Pädagogen müssen vorübergehend mehr arbeiten.
BIS 2025 SOLLEN Tausende Grundschullehrer fehlen. Die Bertelsmann-Stiftung sagt: über 26 000. Die Kultusministerkonferenz (KMK) sagt: knapp 11 000. Jetzt kann man lange darüber diskutieren, wie die Prognosen derart unterschiedlich sein können und wer am Ende Recht hat. Fest steht: Die Lücke wird richtig wehtun. Und Folgen haben vor allem für jene Kinder, die in den nächsten Jahren die Grundschule durchlaufen.
In Berlin etwa wurden die neuen Lehrerstellen 2018 zu 60 Prozent mit Quereinsteigern besetzt. Ohne deren Motivation oder Engagement abwerten zu wollen: Wenn laut aktueller Pisa-Studie schon jetzt mehr als 20 Prozent der 15-Jährigen zum Beispiel nicht richtig lesen können, bleibt es angesichts solcher Einstellungsquoten abzuwarten, wie viele es bei der nächsten Generation ehemaliger Grundschüler sein werden.
Die Bundesländer liefern sich derweil einen ins Absurde reichenden Wettbewerb um die vorhandenen Lehramtsabsolventen, der sie durch diverse Höherstufungen der Lehrergehälter schon jetzt teuer zu stehen kommt und in ein paar Jahrzehnten noch teurer: Bis auf Berlin winken alle Bundesländer inzwischen wieder mit der Verbeamtung, und in Berlin würde die Partei von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wenn sie könnte, sofort nachziehen. Dabei waren sich die meisten Bildungspolitiker mal einig, dass die Verbeamtung wegen der langfristig enormen Pensionslasten keine gute Idee sei.
Mindeststundenzahl bei
Anträgen auf Teilzeit
Umso mehr lässt aufhorchen, welchen Beschluss Bayerns Bildungsminister Michael Piazolo (Freie Wähler) zu Jahresbeginn verkündet hat. Die Grundschullehrer im Freistaat sollen vorübergehend um eine Stunde pro Woche mehr unterrichten. Und wer künftig auf Teilzeit wechseln will, kann das zwar weiter beantragen, aber mit einem ebenfalls höheren sogenannten Mindeststundenmaß.
Ein paar Ausnahmen hat Piazolo eingebaut, doch die Wut unter Bayerns Lehrern ist trotzdem groß. Allerdings hatte sogar ihr bundesweit höchster Vertreter, der Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger, den hohen Anteil häufig zu wenig qualifizierter Quereinsteiger in der Welt als "Verbrechen an den Kindern" bezeichnet.
Der Lehrermangel ist jetzt da. Er mag von den Kultusministern durch eine daneben gegangene Bedarfsplanung zum Teil hausgemacht sein, aber klar ist auch: Es wird Jahre dauern, bis die Linderung in Form ausreichender Absolventen eintrifft. Bis dahin kann man als Kultusminister Krokodilstränen weinen, man kann das letzte Aufgebot an Quereinsteigern in die Schule schicken, freundlich an die vorhandenen Lehrer appellieren, für ein paar Jahre freiwillig mehr zu arbeiten – oder man nutzt in Form der verordneten Mehrarbeit den womöglich größten Vorteil, den die teure Verbeamtung bietet. Piazolos Mut möchte man insofern auch seinen Kollegen wünschen.
Wird der Lehrerberuf dadurch wieder unattraktiver, wie Piazolos Kritiker sagen? Konterkarriert die Mehrarbeit die Wirkung der höheren Gehälter? Wird der Lehrermangel im Freistaat jetzt noch größer, weil Pädagogen in andere Bundesländer abwandern oder junge Leute sich entscheiden, gar nicht erst Lehrer werden? Unwahrscheinlich, denn am Ende entscheidet sich die Beliebtheit eines Berufs nicht an einer Stunde mehr oder weniger Arbeit, sondern an seinen Inhalten, an den Arbeitsbedingungen und an seiner Stellung in der Gesellschaft.
Die Regelung allein wird den Mangel natürlich nicht beseitigen, aber sie wird den bayerischen Grundschülern helfen. Übrigens hat sie noch einen Vorteil. Nach 2025 könnte sich nach aktuellen Prognosen der Trend umdrehen. Wenn plötzlich mehr Berufseinsteiger da sind als Stellen, helfen die vollen Arbeitszeitkonten. Werden sie abgebaut, können parallel mehr Neue eingestellt werden. So etwas nennt sich vorausschauende Politik.
Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda Will`s Wissen" im Tagesspiegel.
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Caves_of_steel (Sonntag, 19 Januar 2020 20:51)
Jetzt stellt sich aber doch die Frage wie das langfristig wirkt:
Unzweifelhaft richtig ist ja erstmal, dass es zu wenig Lehrer gibt und wenn wir Mal ehrlich sind brauchen wir ja nicht nur eine Deckung von 100% der Stunden, denn auch Lehrer werden Mal krank, oder machen Fortbildungen, Wandertage oder was weiß ich noch, sodass man eben auch ein bisschen über eine formale volle Deckung kommen muss.
So wie bringen wir jetzt Akademiker dazu diesen Beruf zu ergreifen?
Die gesellschaftliche Anerkennung ist ja schonmal nicht sehr hoch - denn wenn Gerd Schröder sagen kann, dass alle Lehrer faule Säcke sind und er es trotzdem noch zum Kanzler schafft, sagt dass ja schon was aus.
Die Bezahlung: wenn man bedenkt, dass die Ausbildung zum Lehrer durch das ref langer dauert als bei den meisten andere berufen und sich außerdem im Hinterkopf behält, dass das Gehalt kaum noch steigt, denke ich, dass insbesondere Naturwissenschaftler in der Wirtschaft mehr verdienen könnten.
Und jetzt werden die Stundenzahlen erhöhtund das ja auf unbestimmte Zeit.
Warum sollte ein junger Mensch den Job ergreifen?
Th. Klein (Montag, 20 Januar 2020 07:09)
Aufstockung um eine Stunde mehr, aber wofür denn eigentlich? In der Grundschule (in Bayern) haben die SchülerInnen in Jahr 1 nur 23 Stunden, in der 2. Klasse 24 Stunden, in der 3. Klasse 28 Stunden und in der 4. Klasse 29. Stunden. Wann soll den die zusätzliche Stunde abgeleistet werden, wenn keine SchülerInnen mehr in der Schule sind? Mir ist das in der Praxis noch nicht klar. An der Schule meiner Frau machen manche LehrerInnen schon jetzt anderweitige Aufgaben in den Stunden, die sie nicht mit Unterricht füllen können. Kann ja auch was nutzen, ist aber kein Mittel gegen unbesetzte Stellen, große Klassen etc.
Ilse Schaad (Mittwoch, 22 Januar 2020 11:57)
Seit 1990 wurden in allen Bundesländern die Pflichtstunden der Lehrkräfte zwei- oder dreimal erhöht. In Bayern zweimal, in Berlin dreimal. Diese Erhöhungen dienten nie der Bedarfsdeckung, sondern allein dem Ziel, Stellen zu streichen. Diese Politik war kurzsichtig und basierte auf falschen Zahlen, wie man heute weiß. Schon allein deshalb ist eine Prognose, dass ab 2025 genügend ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung stehen, Unsinn. Weniger Lehrkräfte braucht man dann nicht, die Schüler*innen, die heute eingeschult werden, sind dann alle noch da und brauchen in den weiterführenden Schulen sogar mehr Lehrkräfte. Der Mangel wird uns bei zuverlässiger Berechnung noch 10 bis 15 Jahre mindestens begleiten.
Sie bezeichnen den Vorschlag aus Bayern als mutig. Das ist mutig angesichts der Realität. In mehr als der Hälfte aller Bundesländer wurde die Erhöhung der Pflichtstunden im ersten Schritt als vorübergehende Erhöhung geregelt, die man später zurück bekommt. Zu diesen Zeitpunkten wurde die Pflichtstundenzahl dann aber wieder und teilweise über dieses Maß hinaus erhöht; in Berlin gab es pikanterweise noch einen dritten Schritt: der Anspruch auf Rückzahlung wurde kurzerhand gestrichen.
Ganz davon abgesehen, dass die Qualität bei Vor- und Nachbereitung und z.B. bei Korrekturen dann eben schlechter wird, wird durch die ständige Überlastung des Einzelnen die Krankheitsquote erhöht.
Die Frage der Qualität hat bereits vor Jahren das Bundesverwaltungsgericht in einer entsprechenden Klage beleuchtet: der Arbeitgeber nehme hier eben billigend in Kauf, dass die Qualität schlechter wird.
Der Bayerische Vorschlag ist nicht mutig, sondern dumm.
Michael Felten (Mittwoch, 22 Januar 2020 12:40)
Klar ist: Es gibt zumindest auf Jahre zu wenig Lehrer. Die Schuldigen dafür sind benannt, das macht aber die Situation für jetzige Schüler nicht besser. Auch Seiteneinsteiger lindern die Lage lediglich. Also darf man auch unkonventionelle Übergangsnotlösungen erwägen - hier ist eine:
# die wöchentliche Stundenzahl des Unterrichts absenken, vermehrt direct instruction praktizieren (Nein, das ist keine stupide Frontalbelehrung!) und Übungsarbeit in beaufsichtigte Großsilentien oder Heimarbeit (Guter Ort für Lernvideos!) verlegen;
# alle Schüler-Beschäftigungen (AGs) im verpflichtenden Ganztag auf externe Anbieter übertragen;
# alle nicht-unterrichtlichen Tätigkeiten auf das Nötigste kürzen (z.B. die mit Schulinspektion/Qualitätsanalyse beauftragten Lehrkräfte wieder in der 'Produktion' einsetzen).
So käme sicher schon einiges zusammen.
www.initiative-unterrichtsqualitaet.de
Schäfer (Mittwoch, 22 Januar 2020 22:40)
Frau Schad hat Recht, in Bärlin wurde seit 1985 von damals 22 Wochen-stunden auf heute 26 WoStd. erhöht. Seit 2004 werden keine Verbeatungen vorgenommen. Quereinsteigerquoten von über 50 % Grundschulen. Welche Gewerk-schaft hat dieses Desaster in Bärlin zugelassen Frau Schad (GEW) ?