Bildung, Forschung und Innovation: Die politischen Versprechungen und Pläne der vergangenen zwölf Monate waren gut. Jetzt müssen die Taten folgen. Ein Ausblick von Ernst Dieter Rossmann.
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DAMIT HAT JAN-MARTIN WIARDA, diese ziemlich einmalige Mischung aus Chronist, Kritiker und Vordenker, ja Recht in seinem Jahresausblick 2020: dass die große Breite der Probleme, Herausforderungen und Entwicklungen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation am Ende dazu verführen kann, ein Potpourri der Themen zu servieren, das den Geist ins Rotieren bringt und hoffentlich auch manches an den Verhältnissen zum Tanzen. Als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung möchte ich im Blick auf das Jahr 2020 allerdings doch lieber eine nüchterne strukturierte Perspektive aufmachen.
2019: Es ist geliefert worden
Wenn das zweite Jahre einer Legislaturperiode aus guten Gründen das Jahr sein muss, in dem die Regierung und die sie tragenden Fraktionen konzeptionell und gesetzgeberisch liefern müssen, weil das dritte schon die praktische Umsetzung und den Beginn der allseitigen Profilierung und das vierte dann endgültig den Wahlkampf im Zentrum hat, darf mit Fug und Recht festgehalten werden: Es ist geliefert worden.
Dazu die wichtigsten Stichworte: Verabschiedung des Paktes der Pakte mit 160 Milliarden für die nächsten 10 Jahre; darin enthalten der Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken", das Programm "Innovation in der Hochschullehre" und der Pakt für Forschung und Innovation mit dem kontinuierliche drei Prozent Jahreszuwachs; die Gründung der Agentur für Sprunginnovation; die Novellierung des BAföG mit deutlich mehr Mitteln als im Koalitionsvertrag vorgesehen; der Gesetzentwurf zum Aufstiegs-BAföG und die Steigerung der dafür vorgesehenen Gelder um fast 50 Prozent; die Verbesserung der Berufsausbildungshilfe; die Reform des Berufsbildungsgesetzes mit einer Mindestausbildungsvergütung und einer neuen Normierung von Weiterbildungsstufen.
Die Änderung des Grundgesetzes für den Digitalpakt Schule mit fünf Milliarden Bundesmitteln in Jahrestranchen bis 2023; das gemeinsames Bund-Länder-Programm „Schule macht stark“. Und auch wenn es in der Forschungsförderung bei den Entscheidungen zur Batteriezellenforschung, in der Umsetzung der KI-Strategie und beim Thema Wasserstoff geruckelt hat und ruckelt, so sind diese wichtigen strukturbildenden Förderinitiativen genauso auf dem Weg – wie endlich, nach vielen Jahren des Finassierens und Taktierens, die steuerliche Forschungsförderung. Im Übrigen sind die Haushaltsmittel des Bundes weiter gewachsen und hat das BMBF einen zusätzlichen Gestaltungsrahmen von über 700 Millionen Euro für das Jahr 2020 erhalten.
Auch mit der nötigen Distanz: Diese Bilanz kann sich sehen lassen. Und das alles in nur einem Jahr.
Viel Konsens, zu stille Botschaften und erste Brüche
Dass es an dieser Bilanz des Gesetzgebers auch Kritik geben wird, ist die Pflicht der Opposition und die Aufgabe von Sachwaltern in Verbänden und betroffenen Institutionen. Dass es gleichwohl bei vielen sehr relevanten Entscheidungen im Parlament Zustimmung oder zu mindestens Enthaltung der relevanten demokratischen Oppositionsparteien gegeben hat, spricht nicht nur für die Güte der verabschiedeten Gesetze,
sondern auch für die Souveränität der Opposition und den immer noch sehr breiten Konsens in der Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik des Bundes und auch der Länder.
Ernst Dieter Rossmann ist SPD-Bundestagsabgebordneter und Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Foto: privat.
Selbstkritisch wird dabei festzuhalten sein, dass die positiven, die mutmachenden großen Botschaften hinter diesem Mammutprogramm bei der schnellen Folge der Gesetze und Projekte kaum mehr auszumachen waren. Vielleicht gab es auch nicht genug öffentlichkeitswirksamen Streit um die langen Linien. Konsens ist nun einmal publizistisch nicht sexy.
Dass dieser Konsens in Wirklichkeit auch sehr schnell brüchig werden kann, wenn Eigensinn und Egoismus die Oberhand gewinnen, zeigte sich leider an einem Schlüsselprojekt, dem Nationalen Bildungsrat.
Das Veto der beiden Bundesländer Bayern mit einem CSU-Ministerpräsidenten und Baden-Württemberg mit einem Ministerpräsidenten von den Grünen hat hier die Bundespolitik wie auch die übrigen Länder gegen die Wand laufen lassen. Es bleibt jetzt zu hoffen, dass sich möglichst viele der guten Absichten und Chancen, die mit dem Nationalen Bildungsrat verbunden sind, dennoch im guten Zusammenwirken von Bund, Länder und Kommunionen, Sozialpartnern und Wissenschaft bewahren lassen.
Schließlich geht es um die Sache, um Transparenz und Standards, um gemeinsame Zielsetzung und Umsetzung – und auch um viel Geld, das für die Zukunft zusammen aufgebracht werden muss. Da war es gewiss nicht hilfreich, den Bund als Partner an den "Katzentisch" zu verweisen, die Kommunen außen vor zu lassen und auch die Wissenschaft zu verprellen. So erfolgreich das Jahr 2019 deshalb war, dieser Makel ob der Selbstherrlichkeit zweier Länder bleibt.
2020: Vom Ansagen zum Machen
Wenn 2019 das Jahr der Gesetze und Programme gewesen ist, muss das Jahr 2020 zeigen, was aus der guten Absicht des Gesetzgebers an Verbesserungen in der Realität wirklich ankommt und umgesetzt wird.
So wird 2020 zum Jahr der Wahrheit dafür werden, wie die zusätzlichen Milliarden aus dem Zukunftsvertrag "Studium und gute Lehre" an die Hochschulen gebracht werden und wie die Länder sicherstellen, dass sie ihren paritätischen Anteil an dieser Zukunftsinvestition dann ab dem Jahr 2021 verlässlich leisten. Neue Institutionen wie die Agentur für Sprunginnovationen oder die Organisation "Innovation in der Hochschullehre" in der Trägerschaft der Toepfer-Stiftung werden zeigen müssen, wie sie ihre Aufgaben ins Laufen bringen. Und sie werden zugleich Anstöße für Zukunftsdebatten in der Politik zu geben haben, die dann über den Status quo hinausführen.
Sind wir in Deutschland schon gut genug darin, aus Sprunginnovationen auch leistungsfähige Start-ups werden zu lassen? Was erfordern neue Konzepte der Hochschullehre im Blended-Learning-Format oder in der Online-Lehre an Optimierung der digitalen Infrastruktur an den Hochschulen? Wenn die Entscheidungen des Jahres 2020 wirklich gut gewesen sind, werden sie genau solche Debatten auslösen, die dann aber auch zielorientiert zwischen allen staatlichen Ebenen, der Wirtschaft und der Wissenschaft konstruktiv weiter geführt werden müssen – die Sabotage am Nationalen Bildungsrat hin oder her.
Auf die gemeinsame Umsetzung wird es auch bei den sozialen Großprojekten in der Bildungsförderung ankommen , dem Ausbau des BAföG und des Aufstiegs-BAföG. Die erwünschten höheren Reichweiten in die betroffenen sozialen Schichten hinein werden nur zu erreichen sein, wenn es eine breite Aufklärung und Werbung für die verbesserten Leistungen im Jahr 2020 gibt. Die Politik darf es nicht bei einem allgemeinen Marketing belassen, sondern sie muss in die konkrete personenbezogene Ansprache und Beratung gehen. Um einen aktuellen Vergleich heranzuziehen: Zur Direktinformation über die Organspende werden 170 Millionen Euro allein an Portokosten eingepreist. Das eine sicherlich nicht so einfach mit dem anderen zu vergleichen. Aber auch die Sozialgesetze in der Bildungsförderung brauchen die gezielte Adressierung und Werbung.
Den Fehler sollte jedenfalls niemand machen, nach der erfolgreichen Ansage im Jahr 2019 die konsequente Umsetzung im Jahr 2020 schleifen zu lassen und das Heil stattdessen immer in neuen Projekten und zusätzlichen Initiativen zu suchen. Auch in der Bildungs- und Forschungspolitik ist die Wahrheit immer konkret.
Projekte und Profilierungen
Offene Projekte in der Reform-Agenda 2017 bis 2021 gibt es im Übrigen genug. Die notwendige Verbreiterung der Wissenschaftskommunikation an Tiefe im Verständnis, an Reichweite, an Aktualität und Methodenvielfalt muss angegangen werden. Dass die Vorlagen von Regierung und Koalitionsfraktionen bei der Komplexität der Strukturen und der Vielfalt der Akteure keine Begeisterung ausgelöst haben, darf niemand daran hindern, das Jahr der #FactoryWisskomm jetzt zur Identifikation von Schlüsselprojekten für den notwendigen Aufbruch in ein Jahrzehnt der Wissenschaftskommunikation zu nutzen. Ideen wie Pflichtanteile bei der Forschungsförderung, eine Agentur für den Wissenschaftsjournalismus, eine Wissenschafts-dpa, Akademie-Konzepte und Stiftungsmodelle stehen im Raum. Jetzt muss gestritten und dann entschieden werden.
Streit wird es auch geben müssen um den Evaluationsbericht zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes aus dem Jahr 2016, der in 2020 vorzulegen ist und der absehbar eine Grundsatzdebatte um die Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Personalstruktur an den Hochschulen verlangen wird. Aber auch andere Probleme an den Hochschulen müss die Politik aufgreifen wie den drängenden Sanierungsbedarf der Gebäude und das studentische Wohnen. Für nachhaltige Investitionsprogramme, die jetzt von vielen Seiten eingefordert werden, ist hier wahrlich ein weites Feld.
Besonders heftige Auseinandersetzungen sind zu erwarten, wenn es um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule von 2025 an geht. Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzverteilung, die ab diesem Jahr den Ländern und damit indirekt auch den Kommunen Mehreinnahmen von fast zehn Milliarden Euro bringt, reicht diesen genauso wenig wie die zwei Milliarden, die der Bund als einmalige Anschubfinanzierung für die Räumlichkeiten bislang anbietet. Wenn drei Viertel aller Familien von ihrem Rechtsanspruch Gebrauch machen sollten, sind in den nächsten sechs Jahren über 800.000 Plätze zu schaffen und Mittel zwischen 5,3 und 7,5 Milliarden Euro bei den Investitionen und 3,2 bis 4,5 Milliarden bei den laufenden Kosten einzusetzen, je nach pädagogischen Konzept und Aufbauschritten.
Dass sich die Länder und die Kommunen mit diesen zwei Milliarden zufriedengeben werden, wird deshalb niemand glauben wollen. Das übliche Ränkespiel und ein Last-Minute-Poker bergen allerdings die Gefahr, die größte schulpolitische Reform in dieser Dekade von den pädagogischen Chancen weg ins rein Finanzielle abzudrängen. So kann sich keine Begeisterung einstellen, die die wichtigste schulische Einrichtung in Deutschland, nämlich die Grundschule mit ihrem integrativen und inklusiven Potenzial, an Förderung und Bildung, unzweifelhaft verdient hat. Am 28. April 1920 wurde die Grundschule als allgemeine Bildungseinrichtung für alle Kinder in der Weimarer Demokratie eingeführt. Jetzt, genau 100 Jahre später, muss sich zeigen, dass sich die heutige Politik einer neuen Jahrhundertreform wirklich gewachsen sieht.
Der Beginn eines neuen europäischen Jahrzehnts
Das sollte auch schon deshalb gelingen, weil Deutschland mit dem Recht auf Ganztags-Grundschule letztlich nur zu dem aufschließen würde, was in den meisten anderen europäischen Ländern schon lange Standard in der Förderung in der Primarbildung wie der Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist. Eine verzagte und kleinkarierte Debatte in Deutschland um diese überfällige Modernisierung würde sich sicherlich nicht gut machen in einer Zeit, in der der gesamteuropäische Aufbruch einer neuen Kommission trotz Brexit mit neuen Aufgaben und mit großen Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 verbunden ist.
Die neue deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihren programmatischen Leitlinien für "Eine Union, die mehr erreichen will" vor ihrer Wahl im Europäischen Parlament im Juli 2019 verkündet, dass sie fest entschlossen ist, "den europäischen Bildungsraum bis 2025 zu verwirklichen". Konkret hat sie ihre Unterstützung für den Vorschlag zugesagt, dass Erasmus+ Programm im nächsten langfristigen Haushalt zu verdreifachen. Weitere Kernpunkte der Kommissionsagenda sind der Aktionsplan Digitale Bildung, die Europäischen Hochschulnetzwerke, der Europäische Innovationsrat und die Fortentwicklung des Europäischen Forschungsraums mit dem nächsten Rahmenprogramm der EU für Forschung und Innovation "Horizont Europa". Beide zentralen Programme werden voraussichtlich unter der deutschen Ratspräsidentschaft abgeschlossen werden können.
Und schließlich steht ein neuer strategischer Rahmen für die verbesserte Zusammenarbeit von allgemeiner und beruflicher Bildung an. Die Aufwertung der beruflichen Bildung ist unverzichtbar, um mehr Brücken zwischen Bildung, Forschung und Innovation zu bauen. Angesprochen ist damit nicht weniger als die wegweisende Strategie von Lissabon aus dem Jahr 2000, in dem das damals sozialdemokratisch dominierte Europa sich vorgenommen hatte, Europa zu dem größten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.
Der frühere niederländische Ministerpräsident Wim Kock hat dann im November 2004 mit seiner hochrangigen Sachverständigengruppe unter anderem die absolute Priorität für Forschung und Entwicklung (FuE) und Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie gemeinsame Strategien für das lebenslange Lernen ins Zentrum der europäischen Zukunftsstrategie gehoben. Hieran wird unter der deutschen Ratspräsidentschaft anzuknüpfen sein, aber eben nicht vorrangig technokratisch und wachstumsfixiert, sondern in Verantwortung für Nachhaltigkeit, mehr Lebensqualität in ganz Europa und Bildung für alle Menschen.
Es ist dabei ein besonderer Zufall, dass die Ratspräsidentschaft nach Deutschland dann an das Namensgeber-Land der Lissabon-Strategie – an Portugal – gehen wird. Und es ist eine besondere Chance, mit einem Berliner Zukunftsplan diesen wegweisenden Impuls des Jahres 2000 wieder aufzunehmen und das Wissensdreieck von Bildung, Forschung und Innovation zu einem Identitätsmerkmal des gemeinsamen Europas von morgen zu machen. Für die Bildungs- und Forschungspolitik in Deutschland im Jahr 2020 verbindet sich dieses mit der Verpflichtung, sich erst recht von einer manchmal zu kleinstaatlichen, um nicht zu sagen: föderativen Fixierung zu lösen und sich ganz im Gegenteil mehr für die europäischen Aufgaben und Perspektiven zu engagieren. Das ist eine Chance. Wir müssen sie nutzen.
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