Toxischer Pakt
Entgegen allen Beteuerungen: Die Bundesländer schlachten ihre Bildungsetats. – erschienen in der ZEIT am 20. Mai 2010.
Foto: Tim Reckmann / flickr - CC BY 2.0.
DIE REVOLUZZERSTIMMUNG IN Hessen hielt nur eine Woche lang. "Ein ruinöses Windhundrennen um Studierende" werde die Schrumpfkur im Hochschuletat der Landesregierung auslösen, hatten die Unipräsidenten von Frankfurt und Darmstadt noch am vorvergangenen Montag empört zu Protokoll gegeben. Drei Fachhochschulen und die Universität Marburg weigerten sich per offenem Brief sogar kategorisch, das als "Hochschulpakt" betitelte Spardiktat abzuzeichnen. Ein einmaliger Affront gegen die Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann.
Nur acht Tage später, am vergangenen Dienstag, setzten dann alle hessischen Hochschulrektoren brav ihre Unterschrift unter das Dokument, das pro Jahr 30 Millionen Euro aus ihren Budgets abzweigt. Der Grund: Finanzminister Karlheinz Weimar hatte ihnen in einem Treffen unverhohlen gedroht, dass die Verweigerer mit noch größeren Streichungen rechnen müssten. Und dann werde nicht mehr nach ihrer Zustimmung gefragt.
Seit über 20 Jahren beschäftigte ich mich mit Hochschulen, Bildung und Wissenschaft. Viel ist passiert in dieser Zeit, vieles davon durfte ich als Journalist begleiten. Der Blick zurück zeigt, wie aktuell einige meiner Themen von einst geblieben sind – obwohl sich fast alles verändert hat. Machmal allerdings auch, weil sich fast gar nichts verändert hat. Der 17. Teil einer Serie. Einen Überblick über die gesamte Serie "Blick zurück" finden Sie hier.
Was Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) neuerdings auf Bundesebene propagiert , Kürzungen in Kindergärten, Schulen und Universitäten, praktiziert er im eigenen Land längst mit Brachialgewalt. Während Bundesbildungsministerin Annette Schavan den Vorschlag ihres Parteifreundes ungewöhnlich scharf als "Versündigung an der nächsten Generation" abkanzelte und auch Bundeskanzlerin Merkel ihren Widerspruch ausrichten ließ, blieben Kochs Ministerpräsidentenkollegen auffallend ruhig.
Von einigen, etwa Baden-Württembergs CDU-Regierungschef Stefan Mappus, erntete der hartnäckige Hesse sogar vorsichtigen Zuspruch – aus gutem Grund: In der Mehrheit der Landeshauptstädte wird längst an ähnlichen Plänen gewerkelt, schuld sind die Konjunkturkrise und die bis 2020 greifende Schuldenbremse, die von den Ländern Jahr für Jahr zusätzliche Sparanstrengungen in Milliardenhöhe erfordert.
Wie gewaltig die Streichwelle rollt, zeichnet sich jeden Tag ein wenig deutlicher ab. Überall in den Ländern gehen die Kabinette in diesen Wochen in Klausur, um die Pakete auch für den Bildungsbereich festzuzurren. Wie die Giftlisten aussehen sollen, ist den zuständigen Politikern kaum zu entlocken – vor den bald zu erwartenden Horrormeldungen will sich keiner den Mund verbrennen. Zuletzt passierte das Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), der vorschnell den Verzicht auf 1000 versprochene neue Lehrerstellen angekündigt hatte, um kurz darauf zurückzurudern – er sei wieder einmal falsch verstanden worden.
Was bereits durchsickert, ist besorgniserregend: Ein "Desaster" nannte Bremens grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert die jüngste Steuerschätzung. Sie hat im deutschen Budgetnotstandsland Nummer eins eine Haushaltssperre erlassen, die wider alle Beteuerungen auch Bildungseinrichtungen trifft. In Niedersachsen wiederum will die Landesregierung frei werdende Lehrerstellen offenbar nicht neu besetzen, angesichts sinkender Schülerzahlen die vermeintlich konfliktärmste Lösung.
Und doch wäre es eine hochbrisante Strategie, schließlich hatten die Landesregierungen von Hannover bis München dem chronisch unterfinanzierten Bildungssystem jahrelang eine "demografische Rendite" versprochen – sprich: Die geringere Zahl von Schülern und Studenten sollte in den Genuss stabil bleibender Bildungsausgaben kommen. Davon wollen die Sparkommissare nun nichts mehr wissen.
Besonders heftig zittern derzeit die Unis in Nordrhein-Westfalen. Die Abschaffung der unpopulären Studiengebühren scheint als einer der ersten Schritte einer wie auch immer gearteten neuen Landesregierung festzustehen. Das Ende der Campus-Maut würde Einnahmeausfälle für die Hochschulen von 250 Millionen Euro jährlich bedeuten. Die volle Kompensation aus Landesmitteln gilt angesichts der jüngsten Steuerschätzung als unwahrscheinlich, und es könnten noch extremere Sparmaßnahmen dazukommen:
Auf vier Milliarden Euro belaufe sich der prognostizierte Steuerrückgang für NRW, klagte die SPD-Kandidatin Hannelore Kraft bereits öffentlich. So werden die Koalitionsverhandlungen im größten Bundesland zur Stunde der Wahrheit für die deutsche Bildungspolitik insgesamt. Gelingt es in Nordrhein-Westfalen nicht, die Ausgaben stabil zu halten, droht auch anderswo der Sturz ins Steuerloch.
Immerhin, es gibt auch gute Nachrichten: So schließt Brandenburgs rot-rote Regierung explizit aus, in den anstehenden Haushaltssanierungsrunden den Bildungsbereich zu rasieren, Bremen verschont Schulen und Hochschulen vom verhängten Einstellungsstopp, und Bayerns CSU-Ministerpräsident Seehofer stemmt sich vehement gegen alle Kürzungsdebatten – wobei die Äußerungen seines Kultusministers Spaenle dann doch wieder hellhörig machen.
So groß ist die Angst vor den anstehenden Grausamkeiten, dass von einer gemeinsamen Front gegen das Bildungssparen nichts mehr zu spüren ist. Im Gegenteil, wie in Schleswig-Holstein, so lautet auch anderswo die Devise: jeder gegen jeden. "Die Hochschulen mobilisieren gegeneinander, das ist leider eine Tatsache", räumt Hans Jürgen Prömel, Präsident der TU Darmstadt, ein. Er und sein Frankfurter Amtskollege hatten vergangene Woche lautstark moniert, Kochs Minuspaket gehe einseitig zulasten ihrer forschungsstarken Universitäten.
Fachhochschulvertreter dagegen hatten kritisiert, die Förderung der Ingenieurwissenschaften an den Unis solle auf ihre Kosten verbessert werden. Jetzt sagt Prömel: "In der Tat hat es unsere Unterschrift unter den Hochschulpakt am Ende erleichtert, dass die Unterfinanzierung der Ingenieurwissenschaften etwas abgemildert wird." Im Klartext: Sollen halt die anderen ein bisschen mehr sparen.
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