Die scheidende Wissenschaftsratsvorsitzende Martina Brockmeier über neue Wertesysteme in der Wissenschaft, ihre persönlichen Erfahrungen in dem Beratungsgremium – und die entscheidende Sitzung in der Exzellenzstrategie.
Martina Brockmeier. Foto: Wissenschaftsrat / Peter Nierhoff.
Frau Brockmeier, Sie waren seit 2014 Mitglied im Wissenschaftsrat und seit 2017 seine Vorsitzende. Die Regeln schreiben vor, dass Sie das Gremium nach sechs Jahren verlassen müssen – und in wenigen Tagen damit auch das Spitzenamt abgeben. Sind Sie wehmütig oder erleichtert?
Der Wissenschaftsrat ist ein einmaliges Gremium. Er lebt von der Vielfalt seiner Mitglieder, und ich bin dankbar, dass ich mit so vielen spannenden Persönlichkeiten zusammenarbeiten und diskutieren durfte. Diese Bandbreite an Perspektiven aus der Wissenschaft, aus der Politik, aus der Gesellschaft ist einzigartig. Auch die Geschäftsstelle des Wissenschaftsrates trägt mit ihren überaus wachen und fähigen Mitarbeitern zu dieser Offenheit im Denken und Diskutieren bei. Insofern bin ich wehmütig: Es macht unglaublich viel Spaß, in der Sache zu diskutieren, ein Thema von so vielen unterschiedlichen Seiten beleuchten zu können, dabei so viel voneinander zu lernen – und zu beobachten, wie am Ende aus all den Meinungen eine tragfähige gemeinsame Position entsteht. Dennoch bin ich überzeugt, dass nach einigen Jahren ein Wechsel in solchen Positionen für alle Beteiligten sehr gut ist.
Sie sind also auch erleichtert?
Vor allem bin ich erleichtert, dass erstmal dieses ständige Reisen vorbei ist, dieses Sitzen in Zügen, Flugzeugen und Autos. Es sei denn, ich konnte selbst Auto fahren. Andere mögen Autofahren als Belastung empfinden, als Arbeit. Ich genieße es selbst zu fahren, zumal ich dann gezwungen bin, einmal eben nicht zu arbeiten. Ich kann mich dann zurücklehnen und nachdenken. Mal mit Abstand auf die Dinge schauen.
Dann lassen Sie uns genau das doch mal tun: Wenn Sie aus der Vielzahl der Empfehlungen und Entscheidungen, an denen Sie in den vergangenen Jahren beteiligt waren, zwei herausgreifen sollten, welche wären das?
Die Antwort fällt mir leicht. Eines der wichtigsten, vielleicht das wegweisendste Positionspapier, das der Wissenschaftsrat in meiner Amtszeit beschlossen hat, ist das zur Nachfolge des Hochschulpakts. Und die wohl wichtigste wissenschaftspolitische Entscheidung, zu deren Zustandekommen ich meinen Beitrag leisten konnte, war die Auswahl der elf Exzellenzuniversitäten im Juli 2019.
"Eine Integration der Meinungen, ohne
dass das Ergebnis belanglos wird"
Was macht das Papier zum Hochschulpakt für Sie so besonders?
Es ist dem Wissenschaftsrat in sehr kurzer Zeit gelungen, für den Bund und die Länder eine Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten, die in sich stimmig war, konkret und doch der Politik in keiner Weise die Entscheidung vorweggenommen hat. Das gehört zu den Dingen, die den Wissenschaftsrat so besonders machen: Am Anfang mag es kontroverse Positionen geben innerhalb der Wissenschaft und zwischen Wissenschaft und Politik, oft auch zwischen Bund und Ländern. Doch zum Schluss der Beratungen kommt es zu einer Integration der Meinungen, ohne dass das Ergebnis belanglos wird. Im Gegenteil: Nur weil auch die Empfehlung zum Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm von allen mitgetragen wurde, hatten die Wissenschaftsminister etwas, auf dem sie aufbauen konnten. Und wenn man sich die Entscheidung in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) ansieht, erkennt man unsere Empfehlung doch sehr deutlich wieder.
Die Empfehlungen zum Hochschulpakt wurden nur von wenigen Experten wahrgenommen, so dass der Zusammenhang zur Logik der GWK-Beschlüsse den meisten nicht wirklich aufgefallen sein dürfte. Anders sieht die Sache bei der Exzellenz-Auswahlsitzung aus. Wie die Politik eins zu eins der Wissenschaft gefolgt ist, war spektakulär – und gilt vielen als ein Meisterstück Ihrer Verhandlungsdiplomatie.
Sagen wir mal so: Ich bin sehr glücklich über die Art und Weise, wie in der zweiten Förderlinie die Auswahlentscheidung getroffen wurde. Für das Wissenschaftssystem in Deutschland war es wichtig, dass wir eine richtungsweisende Einigkeit erzielen konnten.
Ja, gut, aber wie haben Sie das hinbekommen? Viele hatten noch das unschöne Gefeilsche bei den Exzellenzclustern im Kopf, als auf Betreiben der Politik plötzlich massenweise von der Wissenschaft nur als Kann-Fälle (gelb) eingestufte Clusteranträge durchgewinkt wurden. Bundesforschungsministerin Karliczek wird das bis heute vorgeworfen.
Der Wissenschaftsrat war für die Administration der zweiten Förderlinie zuständig. Aber natürlich wäre ich eine schlechte Vorsitzende gewesen, wenn ich den Verlauf der Auswahlrunde für die erste Förderlinie nicht in die Vorbereitung der zweiten miteinbezogen hätte. Wir haben das Medienecho sehr genau beobachtet, haben sehr wohl wahrgenommen, wie das Standing der Wissenschaft war nach der Cluster-Entscheidung. Die Entscheidung über die zweite Förderlinie war die wichtigste Sitzung meiner Amtszeit, da ist extrem viel Vorbereitungszeit hineingeflossen. Allerdings hätte ich nicht weniger Zeit investiert, wenn die erste Entscheidung anders gelaufen oder kommentiert worden wäre.
Was hatten Sie sich als Ergebnis der Auswahlsitzung vorgenommen?
Die Besten auszuwählen und dass das Ergebnis einstimmig wird. Ganz klar. Dass Wissenschaft und Politik gemeinsam eine qualifizierte Auswahlentscheidung treffen und vollständig hinter dieser Entscheidung stehen. Das war alles, was ich erreichen wollte.
"Ein unmissverständliches Signal
der Wissenschaft an die Politik"
Indem Sie die Wissenschaftler im Expertengremium so eingeschworen hatten, dass Sie der Politik genau elf Anträge auf Grün präsentiert, sprich: zur Förderung empfohlen haben, während alle übrigen auf Rot (nicht fördern) standen. Da blieb der Politik doch gar nichts mehr übrig als zuzustimmen, oder?
Das stimmt nicht ganz. Bund und Länder hätten versuchen können, durch Diskussionen auf die Entscheidung der Wissenschaft Einfluss zu nehmen. Ebenso hätte die Politik die Entscheidung des Expertengremiums einfach nicht befürworten können, auch das wäre möglich gewesen. Ohne die Vertraulichkeit der Sitzung zu verletzen, kann ich sagen: Dass wir nicht über elf Förderempfehlungen gegangen sind, liegt auch daran, dass es eine eindeutige Lage gab, was die Qualität der Anträge anging. Und zweitens herrschte im Expertengremium die Überzeugung, dass nur von einer Einstimmigkeit innerhalb der Wissenschaft ein unmissverständliches Signal an die Politik ausgehen würde. Die Politik hat ja auch immer gesagt, dass sie sich diese klaren Aussagen wünsche.
Viele finden, in der Hochschulpolitik werde zu viel über die Exzellenzförderung geredet und zu wenig über die Themen, auf die es eigentlich ankomme. Ist da was dran?
Was stimmt, ist, dass in Sachen öffentlicher Aufmerksamkeit die Exzellenzstrategie immer an erster Stelle rangiert. Und dass darüber manches in den Hintergrund rückt, was eigentlich nicht dorthin gehört.
Zum Beispiel?
Ein Positionspapier, das mir persönlich besonders wichtig ist, ist das zum Begutachtungssystem in der Wissenschaft. Welche Ressourcen investiert die Wissenschaft in die Begutachtung von Leistungen, wie können wir sie effizient einsetzen und wie bewerten wir Leistungen in der Wissenschaft überhaupt adäquat? Ebenso lesenswert finde ich, was wir zum Thema Transfer ausgearbeitet und dann im Wissenschaftsrat beschlossen haben. Am meisten berührt aber hat mich ein Positionspapier zur wissenschaftlichen Integrität, dessen Entstehen noch mein Vorgänger Manfred Prenzel als Vorsitzender begleitet hat. Was bedeutet Integrität in der Wissenschaft? Und was kann die Wissenschaft, was können Wissenschaftler tun, um diese Integrität zu erhalten oder überhaupt erst herzustellen? Über viele der darin enthaltenen Fragen habe ich lange nachgedacht, bei manchen Fragen hält das Nachdenken bis heute an.
Martina Brockmeier, 58, ist Professorin für Internationalen Agrarhandel und Welternährungswirtschaft an der Universität Hohenheim.
2014 wurde sie in den Wissenschaftsrat berufen, dem wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratungsgremium von Bund und Ländern. Von 2016 bis 2017 fungierte sie als stellvertretende
Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission und seit 2017 als Vorsitzende des Wissenschaftsrats.
Foto: Wissenschaftsrat/ David Ausserhofer.
Angesichts der immer wiederkehrenden Nachrichten über Plagiate oder Machtmissbrauch in der Wissenschaft muss man doch sagen: Viel weiter gekommen ist die Wissenschaft seit 2017 nicht auf dem Weg zu mehr Integrität, oder?
Wir könnten schneller vorankommen, wenn wir vieles von dem umsetzen würden, was das Papier anregt. Beispielsweise ist es sehr wichtig, dass schon die Studierenden das Thema wissenschaftliche Integrität vorgelebt bekommen durch diejenigen Personen, die vorne stehen in Hörsaal und im Seminarraum. Wenn wir als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler wissenschaftliche Integrität im Alltag leben, beeinflusst das die Bedeutung, die Studierende ihr beimessen.
Was bedeutet wissenschaftliche Integrität für Sie?
Das Thema hat so viele Dimensionen, dass sich das kaum in einem Satz beantworten lässt. Oft entstehen ungünstige Bedingungen oder ein Mangel an Integrität aber dadurch, dass der Wettbewerb überhandnimmt. Dann zählt die Quantität der wissenschaftlichen Arbeit so viel mehr als die Qualität, dann fangen manche – und das sind wirklich nur wenige – an zu tricksen. Diese Wenigen gefährden dann aber das Ansehen der integren Anderen. Und genau diese Wirkmechanismen hat das Positionspapier bis ins Detail beschrieben und Empfehlungen für Veränderungen gemacht. Es geht also darum, welche Werte für uns zählen in der Wissenschaft.
"Wir wissen, was wir wollen, aber
wir handeln nicht immer danach"
Es ist wunderschön, dass der Wissenschaftsrat unter der Regie von Herrn Prenzel und Ihnen diese Papiere beschlossen hat. Aber praktisch ändert sich doch kaum etwas zum Besseren, oder? Der Publikationsdruck gerade auf junge Wissenschaftler hat zum Beispiel mitnichten nachgelassen.
Sie sagen da etwas ganz Wichtiges: Wir haben in der Wissenschaft eine klare Meinung, was sich alles ändern sollte, wohin die Reise gehen müsste. Qualität statt Quantität nochmal als das entscheidende Stichwort für vieles mehr. Wir wissen, was wir wollen, wir sagen es auch immer wieder, aber wir handeln nicht immer danach. Das löst bei vielen ein Gefühl der Frustration aus. So als würde es reichen, eine brillante Analyse und Diagnose vorzunehmen und sich dann zufrieden zurückzulehnen und zu sagen: Jetzt ist alles gut. Ist es aber nicht. Auch die Umsetzung muss konsequent angegangen werden.
Das klingt sehr pessimistisch.
Das soll es gar nicht. Ich nehme durchaus mit großer Freude wahr, dass sich an vielen Stellen etwas tut, zum Beispiel bei den Berufungsverhandlungen an den Universitäten, wo nun beispielsweise stärker auf die Qualität der Publikationen als auf deren Zahl geschaut wird. Aber das Tempo der Veränderung ist viel zu gering.
Woran liegt das?
Weil wissenschaftliche Institutionen auch eine Sicherheit aus einer Konstanz ihres Wertesystems ziehen. Wenn Sie jemanden unter bestimmten Voraussetzungen an eine Universität berufen, fällt es schwer, im Nachhinein diese Spielregeln zu ändern. Und jede Veränderung produziert zwar Gewinner, aber eben auch Verlierer. Eine Veränderung wird genau dann nicht stattfinden, wenn sich zu viele als Verlierer empfinden, wenn sie denken, dass sie sich dadurch schlechter stellen. Nehmen wir die Bewertungsmaßstäbe, die wir entwickelt haben, die Indizes, die wir zur Begutachtung wissenschaftlicher Leistungen heranziehen. Die Wissenschaftsverlage haben viel in alle möglichen Publikationsindizes investiert; wenn die künftig nicht mehr verwendet würden, wäre das ein großer wirtschaftlicher und finanzieller Verlust für sie. Die Verlage wissen das, und immerhin einige reagieren.
Wie reagieren sie denn?
Neu ist bei einigen Indizes beispielsweise, dass jetzt auch Lehre und Transfer berücksichtigt werden. Im Rahmen sogenannter "informed peer-reviews" kann das eine wichtige zusätzliche Hilfestellung bei der Bewertung bieten. Erfreulich ist auch, dass bei Hochschulrankings immer häufiger die Gewichtung der einzelnen Kriterien in den Rankings transparent gemacht wird. In vielen Fällen wusste man ja gar nicht, was wieviel zählt. Und die selbst festgelegten Gewichtungen haben einen sehr großen Einfluss auf das Endergebnis.
Die Politik hat beschlossen, eine Organisation für Innovationen in der Hochschullehre einzurichten, die Gründungsphase läuft gerade. Ich erinnere mich, wie Sie auch dieses Thema zu Beginn Ihrer Zeit als Vorsitzende öffentlich gepusht habe.
Weil das so grundlegend ist. Auch das dazu gehörende Positionspapier ist noch von Manfred Prenzel zur Entscheidung in den Wissenschaftsrat eingebracht worden, ich habe es dann nach außen vertreten. Ich freue mich sehr, dass diese Idee nun im Sinne unseres Vorschlages umgesetzt wird. Wir wollten keine zweite DFG für die Lehre, wir wollten etwas ganz Neues: nicht noch mehr Wettbewerb, in dem die Hochschulen sich verlieren, nicht noch mehr Drittmittelprojekte. Es geht darum, die Aufgabenfelder Transfer, Vernetzung und Förderung der Lehre mit Leben zu füllen, dass Austauschforen entstehen, in denen ungewöhnliche Lehrideen wachsen, reifen können und nachgeahmt werden. Wenn es gut läuft, wirkt sich das auch positiv auf die Reputation der Lehre aus, womit wir wieder beim Bewertungssystem in der Wissenschaft sind, bei der Frage, wo sich Einsatz auch für die eigene Karriere auszahlt. Es kommt jetzt natürlich sehr auf die Geschäftsführung der neuen Organisation an, auf eine Person, die dieses Neue verkörpert.
"Ich würde es begrüßen, wenn der Wissenschaftsrat
das Thema Studiengebühren behandeln würde"
Wenn Sie auf die vergangenen sechs Jahre im Wissenschaftsrat zurückblicken: Was ist liegen geblieben? Was hätten Sie gern noch mitentschieden?
Da gibt es so vieles. Der Tag hat nur 24 Stunden, und auch der Wissenschaftsrat kann nicht alle Fragen gleichzeitig bearbeiten. Jeder Ausschuss hat einen Themenspeicher, der von den wissenschaftlichen und politischen Mitgliedern bestückt werden kann. Die Themen werden dann priorisiert und in eine Reihenfolge gebracht und abgearbeitet. Wenn ein Thema unten auf der Liste steht, dann kann es angesichts des großen Spektrums schon mal eng werden. Oft sind das auch Themen, die politisch schwierig sind, wo nur unter Einsatz enormer Ressourcen ein Konsens erzielt werden kann. So bleiben immer wieder Themen auf der Strecke, das finde ich schade.
Denken Sie dabei an ein bestimmtes Thema?
Ich persönlich würde es begrüßen, wenn der Wissenschaftsrat das Thema Studiengebühren behandeln würde. Nicht im Sinne einer Entscheidung, ob man sie nun wieder einführen soll oder nicht. Da wäre wohl tatsächlich ein Konsens im Wissenschaftsrat schwierig. Was der hochschulpolitischen Debatte aber guttäte, wäre ein Papier, dass ähnlich wie beim Papier zum Hochschulpakt die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Optionen empirisch gesichert und wissenschaftlich fundiert beleuchtet und im Detail darstellt.
Ein bisschen klingt das doch nach einer netten Fleißarbeit. Wie mächtig ist der Wissenschaftsrat wirklich?
Die Wissenschaft trifft in der Vollversammlung gemeinsam mit der Politik eine Entscheidung, beschließt eine Empfehlung, die dann veröffentlicht wird. Natürlich: Das sind nur "Empfehlungen" oder Stellungnahmen. Wir können niemandem etwas vorschreiben, wir können auch nur bedingt kontrollieren, was aus den einzelnen Empfehlungen folgt oder nicht. Doch das, was der Wissenschaftsrat sagt, hat ein enormes Gewicht, eben weil seine Mitglieder aus Wissenschaft und Politik im Wissenschaftsrat gemeinsam sprechen und beschließen müssen. Ich habe es schon gesagt: Nur deshalb konnten auch die Empfehlung zum neuen Hochschulpakt eine solche Wirkung entfalten. Sie haben eine gemeinsame Basis für die letztendlichen Entscheidungen im Hochschulpakt gelegt. Natürlich hätten Wissenschaft oder Politik sagen können: Ich halte mich nicht dran, doch dann hätte sie sich in einigen Punkten auch selbst widersprochen. Der Preis ist, dass wir uns nicht zu allen Themen äußern können – sondern nur dann, wenn eine Grundbereitschaft der Wissenschaft oder der Politik vorhanden ist, eine Empfehlung haben zu wollen. Aber dann werden wir auch gehört, und zwar deutlich.
Die Empfehlungen werden zwar alle veröffentlicht, aber von den meisten nimmt die breite Wissenschaft eigentlich keine Notiz, die Öffentlichkeit erst recht nicht. Muss sich das ändern?
Da sind wir dran. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel einen Twitter-Account eingerichtet. Das ist nur ein kleiner Schritt, aber schon der ist für eine Institution wie die unsere nicht ohne und zeigt, dass wir mehr tun wollen. Mir persönlich ist das ungemein wichtig. Was allerdings nicht angemessen wäre: wenn der Wissenschaftsrat oder seine Vorsitzende über die Social Media aktiv in Diskussionen einsteigen würden. Aber auf unsere Empfehlungen aufmerksam machen, sie in Szene setzen, immer wieder in passenden Situationen auf das Beschlossene hinweisen, das können und müssen wir – und zwar mehr als in der Vergangenheit.
"Ich dachte: Hoffentlich fragt er mich nicht auch noch,
ob ich kurz was kopieren gehen kann für ihn"
Welche Rolle spielte es, dass Sie erst die zweite Frau in diesem Amt waren?
Dass eine Frau in der Wissenschaft eine Spitzenposition besetzt, ist in Deutschland noch immer nicht der Normalfall. Ich glaube auch, dass man als Frau anders wahrgenommen wird, dass es einen sogenannten "implicit bias" gibt. Ich war vorher Dekanin einer großen Fakultät meiner Universität, da oder auch in anderen Funktionen in der Wissenschaft habe ich das nicht gespürt. Aber als Wissenschaftsratsvorsitzende schon.
Was meinen Sie damit?
Ich will Ihnen eine kleine Anekdote erzählen. Zu Beginn meiner Amtszeit war ich zu einer Klausurtagung mit führenden Köpfen aus Wissenschaft und Wissenschaftspolitik eingeladen. Ich saß am Tisch der Präsidenten der Allianz der Wissenschaftsorganisationen beim Mittagessen, und dann setzte sich jemand dazu und fing sofort an, mich nach der Organisation der Tagung zu fragen. Ob alles so laufen würde wie geplant und wie genau es heute Nachmittag weitergehe. Aus der Tatsache, dass ich eine Frau bin, schloss der Herr offenbar, dass ich zum Orga-Team gehören musste. Ich weiß noch, wie ich dachte: Hoffentlich fragt er mich gleich nicht auch noch, ob ich kurz was kopieren gehen kann für ihn. Zum Glück hat dann ein Kollege die Situation gerettet und mich vorgestellt. Mein Gesprächspartner hat dann ziemlich verdutzt geguckt.
Ärgern Sie sich über solche Erlebnisse?
Ich glaube, das bringt nichts. Genauso wenig, wie Schuldzuweisungen die Sache besser machen. Auf eine gewisse Weise hat mein Gesprächspartner ja nur aufgrund seiner Erfahrungen gehandelt. Solange Frauen so selten in Führungspositionen sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch die Frau vor mir keine hat. Das Nachdenken darüber, dass es auch anders sein könnte, findet halt oft noch nicht statt. Interessant ist in diesem Zusammenhang ja auch, dass Frauen und Männer für gleiche Handlungen unterschiedlich bewertet werden. Beispielsweise werden Männer, die etwas verändern wollen, als dynamisch und durchsetzungsstark beurteilt, Frauen, die Veränderungen umsetzen wollen, werden dagegen als schwierig abgestempelt.
Die neue DFG-Präsidentin Katja Becker hat in ihrer Antrittsrede die Bedeutung von Diversität in der Wissenschaft hervorgehoben. Meinen Sie auch, dass Deutschlands Wissenschaft da Nachholbedarf hat?
Da bin ich gespalten. Ich muss dazu sagen, dass ich an einer Hochschule lehre, wo meine Master-Vorlesungen grundsätzlich auf Englisch stattfinden und hauptsächlich von Studierenden aus Entwicklungsländern besucht werden. Aber das sind meine eigenen, sicherlich auch fachspezifischen Erfahrungen und natürlich ist mir bewusst, dass der erreichte Grad der Diversität stark von Standort und Disziplin abhängt.
"Ein Sachbearbeiter muss in der Lage sein, sich mit
einer ausländischen Studierenden zu verständigen"
Deutschlandweit haben weniger als zehn Prozent der Professoren einen ausländischen Pass!
Da ginge sicherlich mehr. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass wir in der Wissenschaft zum Beispiel Personen, die sichtbar aus dem Ausland kommen, anders behandeln oder ihnen den Zugang zu Karrieren verwehren. Ganz im Gegenteil! Aber natürlich würde ich mir wünschen, dass wir insgesamt mehr erstklassige Hochschullehrer, Doktoranden und Studierende nach Deutschland locken könnten.
Warum gelingt das nicht?
Die Offenheit ist da, der Wunsch nach einer weiteren Internationalisierung der deutschen Wissenschaft ist deutlich zu spüren. Und gerade in letzter Zeit können wir in der Rekrutierung von Spitzenkräften Erfolge verzeichnen. Doch wir müssen mehr tun, beispielsweise auch die Verwaltung unserer Hochschulen modernisieren. Wenn ich eine ausländische Studierende zu einem Sachbearbeiter schicke, muss dieser Sachbearbeiter auch in der Lage sein, sich adäquat mit ihr zu verständigen. Das gelingt noch nicht überall.
Zum Schluss Ihrer Amtszeit noch einen Satz an die Politik.
Ich wünsche mir, dass alle Politikerinnen und Politiker weiter mit der Wissenschaft so konstruktiv agieren, wie das im Rahmen der ExStra-Auswahlentscheidung möglich war. Das war großartig, richtungsweisend und ein großer Gewinn für alle.
Und einen Satz an die Adresse der Hochschulen?
Dass bei ihnen der Mut wächst, nicht alles nach ein- und demselben Muster machen zu müssen. Es gibt nicht nur Spitzenforschung, es gibt auch Spitzenlehre, Spitzentransfer und vieles mehr. Jede Hochschule sollte für sich herausfinden, was sie besonders gut kann, und sich dann darauf konzentrieren. Dazu gehört auch, dass wir gemeinsam ein Wissenschaftssystem schaffen, das Institutionen, die erfolgreich einen eigenen Weg gehen, nicht dafür abstraft, sondern vielmehr honoriert werden.
Und wie geht jetzt Ihr persönlicher Weg weiter, Frau Brockmeier?
Ich freue mich sehr auf meine Professur in Hohenheim; ich freue mich aber auch, dass ich für meine Zeit im Wissenschaftsrat und die Anliegen, die mir dort wichtig waren, gerade in letzter Zeit viel Wertschätzung erfahren habe. Manche der Ideen, Vorhaben und Anfragen, die zurzeit an mich herangetragen werden, reizen mich schon sehr. Ich bin also selbst sehr gespannt, wie es weiter gehen wird.
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