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Worüber Professoren sich Gedanken machen

Wie steht es um die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland? Eine Umfrage unter Hochschullehrern fördert spannende Ergebnisse zu Tage. Manche Antworten sind überraschend, andere einfach nur verwirrend.

ALSO WAS DENN NUN? Sollten uns die Ergebnisse der Umfrage, die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und Deutscher Hochschulverband (DHV) da in Auftrag gegeben haben, nun sorgen oder nicht? Und wenn schon sorgen, inwiefern eigentlich? Weil es überhaupt Wissenschaftler gibt, die sich in ihrer Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt fühlen? Oder weil einige dieser Wissenschaftler bemerkenswerte Vorstellungen von dem haben, was alles auf dem Campus erlaubt sein sollte – und was nicht?

 

Zunächst ein paar Daten. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat rund 6000 Hochschullehrer angeschrieben, die meisten davon Professoren, letztere zufällig ausgewählt und damit für die Gesamtheit der Professoren in Deutschland repräsentativ. Gut 1100 der 6000 haben sich befragen lassen: zur von ihnen wahrgenommenen Forschungsfreiheit an deutschen Universitäten, auch im internationalen Vergleich, zum Meinungsklima und zu "Faktoren, die die Forschung erschweren". Bislang liegt nicht die Studie als Ganzes vor, sondern nur eine Präsentation mit ausgewählten Ergebnissen – was die Einordnung erschwert.

 

Den Wissenschaftlern fehlt

die schöpferische Muße

 

93 Prozent der Befragten sagten demzufolge, nach ihrer Einschätzung herrsche in Deutschland "viel" oder "sehr viel" Wissenschaftsfreiheit. Lediglich vier Ländern – der Schweiz, Dänemark, Norwegen und den Niederlanden – bescheinigten sie noch größere Freiheitsgrade, wobei unklar ist, ob aufgrund eigener Erfahrung oder aufgrund einer stereotypen Vermutung. Und: An ihrer eigenen Hochschule schätzen die Hochschullehrer den Zustand der Wissenschaftsfreiheit sogar noch ein bisschen günstiger ein. 

 

Nach diesen allgemeinen Aussagen wollten es die Allensbacher genauer wissen, und damit wird es so richtig interessant. Gefragt nach den Hemmnissen, die die Forschung erschweren, stimmten 75 Prozent der Befragten der folgenden Aussage zu: "Zur Forschung gehört auch die schöpferische Muße. Die fehlt." 68 Prozent fanden, unter dem Zwang zum schnellen Publizieren litten die Forschung und die Lehre. Geklagt wird in der Umfrage auch über die zunehmenden Schwierigkeiten, hochqualifizierte Mitarbeiter zu finden, über die Einflussnahme der Hochschulverwaltung oder die gestiegenen Lehrverpflichtungen. Aber: Gerade mal 13 Prozent wollten dem folgenden, ebenfalls von Allensbach vorgegebenen Satz zustimmen: "Die Political Correctness verhindert es, dass man bestimmten Forschungsfragen nachgehen kann."

 

Nur 13 Prozent. Und denen musste die Sorge um die vermeintlich überbordende "Political Correctness" noch nicht einmal selbst einfallen, sondern sie stand ja bereits in der ihnen von Allensbach präsentierten Liste potenzieller Hemmnisse. Ein Begriff übrigens, den manche als rechtspopulistischen Kampfbegriff verorten. Doch auch wenn man das nicht tut, ist er reichlich schwammig und lässt viele Assoziationen zu. 

 

Debatte ums Meinungsklima:
nur ein Sturm im Wasserglas?

 

Umso erstaunlicher – und erfreulicher? – dass nur 13 Prozent der Befragten sich auf ihn einlassen wollten. Erstaunlich vor allem angesichts gleich einer Reihe prominenter Zwischenfälle zuletzt und all der Klagen vor allem in den Social Media,  das Meinungsklima auf dem Campus sei heute so rau geworden. Also alles nur ein Sturm im Wasserglas?

 

Nicht eindeutiger wird die Sache dadurch, dass in der Umfrage an anderer Stelle rund 30 Prozent (bei den Medizinern in Bezug auf ihre Forschung sogar 40 Prozent) angaben, sie fühlten sich durch formelle oder informelle Vorgaben zur "Political Correctness" stark oder etwas eingeschränkt in ihrer Forschung oder Lehre. Vielleicht liegen die so starken Abweichungen je nach Fragestellung aber ja auch genau daran, dass jeder eine andere Vorstellung davon hat, was "Political Correctness" bedeutet, und der Begriff daher nicht wirklich taugt. 

 

Die Allensbach-Leute hakten weiter nach.  Sie fragten – apropos Klima auf dem Campus – was nach Meinung der Hochschullehrer alles an einer Universität erlaubt sein sollte. Und waren die Ergebnisse der Umfrage bis zu diesem Punkt interessant, erstaunlich, nicht eindeutig, so werden sie an dieser Stelle richtiggehend verwirrend. Dass 84 bzw. 79 Prozent der Befragten meinen, es solle erlaubt sein, einen Rechts- bzw. Linkspopulisten zu einer Podiumsdiskussion einzuladen: gut so. Spricht für den Freiheitsdrang der meisten Hochschullehrer. Ebenso, dass 72 Prozent finden, es müsse erlaubt sein, sich der gendergerechten Sprache zu verweigern, und 43 Prozent, den Klimawandel zu bestreiten. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, was die Befragten selbst für richtig halten. Sondern nur darum, was ihres Erachtens erlaubt sein sollte.  

 

Verstören kann freilich der Umkehrschluss. 25 Prozent der deutschen Hochschullehrer wollen die Nichtnutzung gendergerechter Sprache auf dem Campus verbieten. Und 53 Prozent finden, Klimaleugner hätten an der Universität nichts zu suchen. Soll heißen: Offenbar sind viele Hochschullehrer selbst diejenigen, die die Meinungsfreiheit auf dem Campus eingegrenzt sehen wollen. Nicht irgendwelche Aktivisten von außen. Insofern ist es wiederum folgerichtig, dass nur relativ wenige über "Political Correctness" klagen.

 

22 Prozent finden, Rassenforschung
solle erlaubt sein an der Uni 

 

Womöglich ist das aber auch gar nicht so schlimm? Vielleicht ist ja, siehe oben, der Begriff das wahre Problem? Gebietet es nicht der Anstand, bestimmte Dinge abzulehnen? Und sollte man diesen Anstand nicht vorschnell und pauschal als "Political Correctness" abqualifizieren? 

 

Nochmal zur Umfrage: 20 Prozent sagen, es solle erlaubt sein, Israel als Staat abzulehnen. Ist es ein Problem oder am Ende vielleicht sogar eine gute Nachricht, dass 75 Prozent der Befragten das nicht erlauben wollen? Sieben Prozent, also jeder 16. deutsche Hochschullehrer, sagen, es sollte an einer Universität erlaubt sein, das Grundgesetz abzulehnen. Wenn gleichzeitig 89 Prozent das verbieten wollen, sollten wir uns darüber freuen oder die Schere im Kopf beklagen? Und schließlich: Wenn 22 (!)Prozent der Befragten für das Recht plädieren, Rassenforschung an der Uni zu betreiben, sollte man sich darüber erschrecken, dass 73 Prozent nicht für ein solches Recht einstehen wollen – oder sich ernsthaft Sorgen machen wegen der 22 Prozent, die dies nach den Erfahrungen der Nazi-Zeit tun? 

 

Einen ziemlich feinen Seismograph beweisen die Hochschullehrer bei der Frage, mit welchen Verhaltensweisen man an einer Universität auf Widerstand bei Studenten oder Hochschulleitungen stoßen würde. 80 Prozent sagen: mit Rassenforschung. 63 Prozent: Mit dem Leugnen des Klimawandels. 46 Prozent meinen: wenn sie für die Rüstungsindustrie forschen würden (was gleichzeitig 58 Prozent erlaubt sehen wollen). Die größte Kluft zwischen eigener Meinung, was erlaubt sein sollte, und befürchteten Widerständen, wenn jemand es täte, öffnet sich bei der Frage nach der Einladung von Rechtspopulisten auf dem Campus auf. Nur 18 Prozent wollen sie verbieten, aber 74 Prozent meinen, eine solche Einladung würde Widerstand auslösen.

 

Die Wissenschaftler leiden unter Zeitnot –
und sparen bei der Lehre

 

Viel mehr zu beschäftigten scheint die Wissenschaftler derweil ihre alltäglichen Arbeitsbedingungen. 71 Prozent sagen, es koste zu viel Zeit und Aufwand, sich für Forschungsmittel zu bewerben. 63 Prozent berichten, der eigene Instituts- oder Universitätsetat gebe zu wenig oder gar keine Forschungsmittel her. 46 Prozent sagen, man bekomme kaum gute Mitarbeiter für die Forschung, weil die Stellen auf zu kurze Zeit befristet seien. Und immerhin 25 Prozent meinen, die Ökonomisieren mache unabhängiges Forschen kaum noch möglich. 12 Prozent sagen: Unternehmen, die Forschung finanzieren, versuchten häufig, auf die Forschungsergebnisse Einfluss zu nehmen. Allerdings berichten auch 63 Prozent derjenigen, denen schon mal ein Forschungsprojekt durch Unternehmen finanziert wurde, sie hätten sich dabei frei gefühlt. 

 

41 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen die befragten Wissenschaftler nach Selbstauskunft inzwischen mit Bürokratie, mit dem Schreiben von Anträgen und Gutachten und mit der akademischen Selbstverwaltung. Bei einer ähnlichen Umfrage 1976/77 lag dieser Wert noch 15 Prozentpunkte niedriger. Frappierend ist, dass unter dieser Explosion vor allem dessen, was in der Umfrage mit "Anderes" tituliert wird, nicht die Forschung gelitten hat, ihr Anteil am Zeitbudget stieg sogar leicht von 23 auf 25 Prozent. Was in den Keller ging, war das Engagement für die Lehre: von 42 auf 27 Prozent, während parallel das formale Lehrdeputat stieg und die Zahl der Studenten nach oben schoss. Unter Druck scheint sich nochmal deutlicher zu zeigen, wo die wahren Prioritäten der meisten Hochschullehrer liegen. Es ist eine der wirklich Besorgnis erregenden Erkenntnisse der Umfrage – allerdings dürfte diese in der Berichterstattung meist untergehen.

 

Doch selbst all diese wahrgenommenen strukturellen und organisatorischen Hemmnisse ändern nicht an der Einschätzung der meisten deutschen Hochschullehrer, die Wissenschaftsfreiheit an ihrer Hochschule befinde sich in einem ausgezeichneten Zustand. Hochschulverband und Adenauer-Stiftung formulierten die Überschrift ihrer gemeinsamen Pressemitteilung zur Umfrage denn gestern auch so: "Die Forschung in Deutschland ist frei, aber". Die Sorgen um die Diskussionsfreiheit auf dem Campus verbannten sie in den letzten Absatz.

 

Hinweis: Gestern wurden die ersten Ergebnisse der Umfrage in einer gemeinsamen Veranstaltung von KAS und DHV vorgestellt. Ich habe dort als Moderator mitgewirkt.

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Kommentare: 20
  • #1

    bregalnica (Donnerstag, 13 Februar 2020 17:04)

    Wie passt das damit zusammen, dass Hochschullehrende stets beklagen, sie hätten kaum noch Zeit für die Forschung? und de facto sind aber sie Anteile für die Lehre massiv zurückgegangen?

    und eine Rückfrage: Bezieht sich die Studie nur auf Unis? Denn Profs an HAWs machen ja wesentlich mehr Lehre selbst.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 13 Februar 2020 17:05)

    @bregalnica: Gute Frage. Zur Rückfrage: Nur Uniprofs und -wissenschaftlerInnen.

    Viele Grüße!
    Ihr J-M Wiarda

  • #3

    Martin (Donnerstag, 13 Februar 2020 17:36)

    Wenn von 6000 zufällig ausgewählten nur noch 1100 antworten – also etwas mehr als ein Sechstel –, darf man dann noch von Zufällig ausgehen? Wenn von 6 Befragten zu Wissenschaftsfreiheit nur der eine antwortet, der*die hierzu Zeit hat und sich berufen fühlt, eine Meinung abzugeben?

    Bin gespannt auf eine hoffentlich stattfindende Veröffentlichung der Daten.

  • #4

    Interessierter (Donnerstag, 13 Februar 2020 18:59)

    Gibt es zu dieser Studie auch eine Aufschlüsselung nach Fachgebieten? Die gezeigten Durchschnitte könnten unterschlagen, dass es hier Unterschiede gibt, was aufgrund der unterschiedlichen Fachspezifika auch fast zu vermuten wäre. In Anbetracht der Stichprobengröße sollte dies auch valide sein.

  • #5

    Klaus Diepold (Donnerstag, 13 Februar 2020 20:43)

    Da gäbe es sicher einige Ergebnisse der Umfrage zu verdauen und zu kommentieren, ich möchte mich aber auf eine Aussage fokussieren:

    "Was in den Keller ging, war das Engagement für die Lehre: von 42 auf 27 Prozent, während parallel das formale Lehrdeputat stieg und die Zahl der Studenten nach oben schoss. Unter Druck scheint sich nochmal deutlicher zu zeigen, wo die wahren Prioritäten der meisten Hochschullehrer liegen."

    Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, auch wenn mich die Aussage an sich nicht überrascht. Dabei möchte ich feststellen, dass Profs primär für die Lehre aus Steuergeldern alimentiert werden. Immerhin heisst die Berufsbezeichnung für Uni-Profs "Hochschullehrer". Irgendwie geht die Entwicklung in die falsche Richtung, oder?

  • #6

    Andreas Beer (Freitag, 14 Februar 2020 10:25)

    Die spekulative Schlussfolgerung "Offenbar sind viele Hochschullehrer selbst diejenigen, die die Meinungsfreiheit auf dem Campus eingegrenzt sehen wollen" mag aus einer Unschärfe im Design der Umfrage resultieren: Wurde dort zwischen "Meinung" und "Erkenntnis" unterschieden?
    Die grundgesetzliche Meinungsfreiheit ist eine positive Freiheit, jede Person darf (fast) alles öffentlich sagen, was sie "meint". Aber im akademischen Umfeld sollten Erkenntnisse verbreitet werden, und dafür ist die grundgesetzliche Wissenschaftsfreiheit zuständig. Diese ist aber eine "einschränkende" Freiheit: Als Erkenntnis sollte nur gelten, was bestimmten (wissenschaftlichen) Kriterien genügt. Wenn Forschende dann meinen, dass z.B. Klimawandel "auf dem Campus" nichts zu suchen haben, machen sie damit stark, dass es hier um das Verhandeln von Erkenntnisse geht, und eine Leugnung im akademischen Umfeld einfach nicht mehr "state of the art" und damit ausschlussfähig ist.
    Zugespitzt, vielleicht überspitzt formuliert also: Ja, Meinungen sind im akademischen Umfeld eingeschränkt, wenn sie nicht plausibilisiert und verifiziert/falsifiziert werden können, also Teil von Erkenntnisprozessen sind.

  • #7

    Dr. med. Wurst (Freitag, 14 Februar 2020 11:40)

    Ist in der Befragung tatsächlich von "Klimaleugnern" die Rede (die 53 % von der Uni verbannen wollen), oder doch eher von Leugnern (und Leugnerinnen) des Klimawandels, besser noch, von Leugnung der (mindestens Mit-) Verursachung des Klimawandels durch den Menschen ?
    Dies soll keine Wortklauberei oder Rechthaberei darstellen, es macht tatsächlich einen Unterscheid, auch und gerade in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung.
    Wenn jemand tatsächlich ernsthaft die Existenz des Klimas bzw. mehrerer, vieler verschiedener Klimata (oder doch Klimas? zu Deutschkenntnissen vgl. letzter Blog-Beitrag) leugnen wollte , bräuchte und sollte man ihm den Mund auch nicht (zu) verbieten, das erledigt sich von selbst.
    Gerade ein wiarda-typisch genau unterscheidender und daher zu begrüßender Artikel sollte hier klarer formulieren.

  • #8

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 14 Februar 2020 11:51)

    @Dr. med. Wurst: Das mit dem "wiarda-typisch" nehme ich mal als Kompliment. :) Sie haben Recht, ich hätte den Begriff "Klimaleugner" so nicht benutzen sollen. Er war eine ungeschickte Kurzfassung für das, was ich ein paar Sätze vorher formuliert hatte: "den Klimawandel zu bestreiten". Darum ging es auch in der Umfrage. Viele Grüße!

  • #9

    David J. Green (Freitag, 14 Februar 2020 12:02)

    @Klaus Diepold: Das, was man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte, ist eher die Tatsache, dass diese Herabstufung der Lehre offensichtlich politisch gewollt ist. Heute ist das Fegen von Schornsteinen nur ein nachrangiger Bestandteil der Arbeit eines Schornsteinfegers, und bei Hochschullehrenden ist etwas ähnliches passiert. Denn die Entscheidung, WER als Hochschullehrer oder Hochschullehrerin alimentiert wird – und erst recht die Höhe dieser Alimentation – hängt fast ausschließlich von den Leistungen in der Forschung und in der Drittmitteleinwerbung ab. Die Einheit von Forschung und Lehre verkommt zum Glaubensartikel, dass hervorragende Forschung automatisch zu passabler Lehre qualifiziert. Wechselt man sein Blick von Einzelpersonen auf Hochschulen, so sieht es nicht anders aus: Alle Zuverdienstmöglichkeiten legen eine kompromisslose Ausrichtung auf Forschungserfolg nahe, selbst Programme für die Lehrqualität prämieren eher die ErFORSCHUNG neuer Lehrmethoden. Dagegen werden keine Mittel für die auskömmliche langfristige Finanzierung erfolgreicher Lehrmethoden bereitgestellt, egal ob diese neu entwickelt oder bereits seit Platon bekannt sind: Offensichtlich sollte eine äußerst dürftige Grundfinanzierung als hinreichende Motivation für exzellente Lehre herhalten. Die Politik bekommt jenes Hochschulwesen, das sie mit den von ihr gesetzten Anreizen bestellt hat.

    Ansonsten: Tatsächlich ein sehr interessanter Bericht. Eine weitere Frage, die mich interessiert hätte: In welchem Umfang sind die Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen zuversichtlich, dass sie Rückendeckung durch deren Hochschulleitung erfahren würden, wenn ihre Wissenschaftsfreiheit in Gefahr wäre?

  • #10

    McFischer (Freitag, 14 Februar 2020 12:20)

    Vielen Dank für die Darstellung der Ergebnisse und die gekonnte Analyse!
    Zwei Anmerkungen:
    1.) Die quantitative Sozialforschung/Umfrageforschung leidet m.E. immer darunter, dass die Ergebnisse sehr von der Art der Fragestellung und - wie hier gut gezeigt ('Political Correctness') - Wortwahl abhängen. Es gibt einfach Begriffe, die sehr positiv oder sehr negativ besetzt sind und gegen die man kaum argumentieren kann.
    2.) Erstaunlich ist immer, dass Bürokratie und Verwaltung so hoch anteilig und negativ gewertet wird, nur als etwas, was eine Professorin/einen Professor vom Eigentlichen (= Forschung, manchmal auch Lehre) abhält. Denn gleichzeitig steigt das Prestige mit jedem Mitarbeiter, mit der Doktorandin etc. - damit ist man natürlich auch Chef/-in, vorgesetzte Person, Führungsperson. Wenn man das nicht will, sollte man alleine im Kämmerlein sitzen und forschen (was natürlich faktisch nicht mehr möglich ist).

  • #11

    Klein (Freitag, 14 Februar 2020 15:36)

    JW schrieb: "Nicht irgendwelche Aktivisten von außen. Insofern ist es wiederum folgerichtig, dass nur relativ wenige über "Political Correctness" klagen. "

    Da nur aktive Professoren und Profesorinnen befragt wurden, sind diese Ergebnisse erwartbar. Diese Menschen sind seit langer Zeit in der öffentlich finanzierten Wissenschaft tätig und haben diese zum einen mitgestaltet und somit dazu beigetragen, dass sie so ist, wie sie jetzt ist. Und zum anderen sind sie diejenigen, die sich mit den dort vorherrschenden Denkweisen arrangieren können - Andersdenkende würden sich eher nach anderen Tätigkeiten umschauen. Mehr Aufschluss bringen würde daher eine Befragung derjeningen, die die Wissenschaft verlassen haben, insb. hinsichtlich der Frage, ob das politische Klima der Wissenschaft zu ihrem Austritt beigetragen hat.

    Zur "Political Correctness"-Frage. Was sind "informelle Vorgaben?" Kann es so etwas überhaupt geben?

    Kurios auch der Befund, dass nur 56% der Befragten finden "Gotteslästerung" solle an Universitäten erlaubt sein.

  • #12

    Steffen Prowe (Freitag, 14 Februar 2020 15:48)

    Interessant. Aber würde man die FH-Profs fragen, sähe das Bild sicherlich nochmals deutlich anders aus. Der HLB.de hat daher ja die Initiative 12+1 gestartet: https://www.erfolg-braucht.de , denn hier treffen sich überbordende Bürokratie, gute Lehre und Forschung noch ungünstiger.

  • #13

    JTK (Freitag, 14 Februar 2020 18:38)

    41 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen die befragten Wissenschaftler nach Selbstauskunft inzwischen mit Bürokratie [...] Bei einer ähnlichen Umfrage 1976/77 lag dieser Wert noch 15 Prozentpunkte niedriger. [...] Was in den Keller ging, war das Engagement für die Lehre: von 42 auf 27 Prozent"

    Der Mehraufwand für Bürokratie (u.a. Drittmittelanträge, Gutachten) wird also dadurch kompensiert, dass im entsprechenden Ausmaß in der Lehre "gekürzt" wird.

    Überrascht dies irgendjemanden beim gegenwärtigen Incentivesystem des Wissenschaftsbetriebes?

  • #14

    Klaus Diepold (Montag, 17 Februar 2020 22:04)

    Die von David J. Green und JTK angesprochene Schieflage bei den Anreizsystemen bzgl. Lehre für Hochschullehrer lässt in mir die Frage aussteigen, in wie weit die geplante Organisation, deren Namen wir noch nicht kennen, überhaupt einen wirksamen Hebel für die Verbesserung der Lehre in Deutschland finden kann. Was sollen ein paar Innovationen, wenn die meisten Profs überhaupt keine Lust haben, sich hinreichend für die Lehre zu engagieren? Die Frage ist doch, wodurch sich diese Entwicklung umdrehen ließe?

  • #15

    Liberaler (Dienstag, 18 Februar 2020 14:29)

    @ Klaus Diepold: Gute Frage. Ich halte diese neue Organisation für ein weiteres Alibi-Projekt des BMBF. Sie ist so konzipiert, dass sie gar nicht funktionieren kann, aus den genannten Gründen. Aber sie wird für eine Weile Rufe danach in Schach halten, was tatsächlich funktionieren könnte: Drastische Strukturreformen. Und zwar nicht nur an den Unis, sondern auch und vor allem im BMBF, wo man sich viel zu lange an regelmäßiges Scheitern gewöhnt hat. In London wird gerade versucht, diese organisierte Fakery zu beenden, mit besonderem Fokus auf der Suche nach neuen Wegen in der Innovationsförderung: Man verfolge einmal die Bemühungen von Dominic Cummings, die von Sir Mark Sedwill (Chef von Whitehall, d.h. des Beamtenapparats der britischen Regierung) unterstützt werden. Manches dort ist "over the top"; aber wenigstens wird gezielt frisches Denken gefördert. In Deutschland dagegen: Fehlanzeige. Und private wissenschaftsfördernde Stiftungen, z.B. Volkswagen oder Toepfer, machen dieselben Fehler wie das BMBF: Man setzt auf Showeffekte, anstatt die Übel an der Wurzel zu packen. Und verbrennt dabei Milliarden.

  • #16

    Klaus Diepold (Dienstag, 18 Februar 2020 17:23)

    @Liberaler
    Mag sein, dass die Voldemort-Organisation nicht die erhofften Ergebnisse zeitigen wird. Time will tell. Allerdings können die Ergebnisse, die der Stifterverband mit seinem Förderprogramm erzielt hat schon als Fingerzeig gelten. Dabei ging es nie um Systemänderungen, weil das nicht im Rahmen der Möglichkeiten des Stfterverbandes oder auch der Toepferstiftung liegt. Aber man kann schon die Wirkung von alternativen Anreizsystemen prüfen, wenn auch nur in kleinem, da privaten Rahmen.

    Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass wir an den Hochschulen wieder über Lehre sprechen und diskutieren. Das ist nicht viel, aber schon mal ein Schritt vorwärts.

    Das BMBF muss sich bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für gute Lehre an Hochschulen auch nichts vorwerfen lassen, das ist immerhin Sache der Länder.

    Ein Fehler in diesem Kontext mag sein, dass Hinz und Kunz glaubt, dass mehr Professoren für ein wichtiges Thema bedeutet, dass die dann dort auch mehr Innovationen (im Sinne von kommerzialisierbarer und wettbewerbsfähiger Technik) erzeugen.

    Ich werde mir, Ihrer Empfehlung folgend, gerne ansehen, was da in UK unternommen wird.

  • #17

    Klaus Diepold (Dienstag, 18 Februar 2020 17:54)

    @Liberaler
    Nach einem ersten Blick auf die Person Dominic Cummings und dessen, war dieser Herr so von sich gibt, bin ich nicht der Meinung, dass wir uns mit Blick auf die weitere Entwicklung unseres Bildungssystems in Dtld. an diesem "Boris Johnson"-Berater unbedingt orientieren sollten. Für meinen Geschmack geht das weit über "frisches" Denken hinaus und klingt meist nach übler Pöbelei. Not Like.

  • #18

    Liberaler (Dienstag, 18 Februar 2020 19:50)

    @Klaus Diepold

    "Aber man kann schon die Wirkung von alternativen Anreizsystemen prüfen, wenn auch nur in kleinem, da privaten Rahmen."

    Wirklich? Wissenschaftler wechseln häufig die Universität und sollen das auch tun. Wer sich an "kleine, private" (will sagen: bloß lokale) Änderungen anpasst, riskiert viel.

    "Das BMBF muss sich bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für gute Lehre an Hochschulen auch nichts vorwerfen lassen, das ist immerhin Sache der Länder."

    Die Anreizsysteme für Forschung, Lehre, Karrieren und vermeintliche "Exzellenz" sind interdependent. Und ist die Toepfer-Aktion etwa kein Bund-Länder-Projekt?

    "Für meinen Geschmack geht das weit über "frisches" Denken hinaus und klingt meist nach übler Pöbelei."

    Natürlich polarisiert Cummings und geht manchmal zu weit. Aber wenn man echte Sprunginnovationen will, anstatt solche nur zu simulieren (wie das allenthalben in Deutschland geschieht), braucht man auch und gerade solche Leute, eben Anecker. Mark Sedwill, der den gesamten englischen öffentlichen Dienst leitet, hat das begriffen. In Deutschland wird das grundsätzlich nicht verstanden; hier kippt man lieber Konsens- und Beteiligungssoße über die Probleme (und reichlich Reklame dazu). Ausnahmen wie Thomas Sattelberger bestätigen die Regel.

  • #19

    Liberaler (Dienstag, 18 Februar 2020 21:38)

    @Klaus Diepold

    "Ein Fehler in diesem Kontext mag sein, dass Hinz und Kunz glaubt, dass mehr Professoren für ein wichtiges Thema bedeutet, dass die dann dort auch mehr Innovationen (im Sinne von kommerzialisierbarer und wettbewerbsfähiger Technik) erzeugen."

    Volle Zustimmung. Forschung wird mit Innovation verwechselt. Input mit Output. Innovationsforscher mit innovativen Forschern. Entrepreneurship-Forscher mit unternehmerischen Forschern. Und so fort. Alles elementare Fehler. Aber leider bezeichnend für das Niveau, auf dem staatliche wie private Innovationsförderer in Deutschland arbeiten.

  • #20

    Klaus Diepold (Mittwoch, 19 Februar 2020 10:08)

    @Liberaler
    die irrtümliche Assoziation zwischen Wissenschaft und Innovation ist kein typisch deutsches Phänomen. Die ganze EU-Förderung hängt an dieser Vorstellung, inkl. UK und inkl. Sattelberger.

    Ich schätze durchaus die Wirkung, die konstruktive Querdenker erzeugen können (siehe Gunter Dueck). Was ich nicht gut heisse sind Querulanten (wie Cummings), die primär viel "Umstürzlerisches" von sich geben, aber weder in der Lage noch Willens sind dafür Verantwortung zu übernehmen. Ich wünsche mir auch mehr Mut bei Veränderungsprozessen, habe aber auch lernen müssen, dass Menschen in der Masse keine (sprunghaften) Veränderungen wollen. Am Ende ist das auch eine Geschmacksfrage.