Der ehemalige KMK-Präsident Henry Tesch bereitet seine Schule
auf mögliche Corona-Ferien vor – und hat einen faszinierenden Plan. Ein Interview.
Henry Tesch, 57, ist Lehrer für Deutsch und Geschichte und Schulleiter des Gymnasiums Carolinum in Neustrelitz. 2006 bis 2011 war er für die CDU Bildungsminister von Mecklenburg-Vorpommern und 2009 KMK-Präsident. Foto: privat.
Herr Tesch, Sie waren Kultusminister und KMK-Präsident. Im Hauptberuf sind Sie aber Lehrer und leiten das Gymnasium Carolinum in Neustrelitz. Während alle über mögliche Corona-Schulferien diskutieren, planen Sie für ihre Schule eine "Bildungsquarantäne". Was genau haben Sie vor?
Wir befinden uns in einer schwierigen Lage. Die Leute sind verunsichert durch die bislang getroffenen Maßnahmen. Mich rufen Eltern an und fragen, wann wir dichtmachen. Die Politik verbietet Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern, wir sind aber eine Schule mit über 1000 Schülern auf engstem Raum, und wir fragen uns: Was heißt das für uns?
Und Ihre Antwort?
Bis 24. Februar hatten wir Ferien, unsere Schüler waren in aller Herren Länder: in Ägypten, Italien, Österreich, wir könnten also bereits das Virus in der Schule haben. Wenn Experten fordern, wir sollten den Unterrichtsbetrieb wie bisher offenhalten, damit die Eltern arbeiten gehen können, bedeutet dass, dass sie tagsüber hier viele Stunden auf engstem Raum zusammenhocken, das Virus weitergeben und abends ihre Eltern anstecken könnten. Umgekehrt ist eine Schulschließung im ländlichen Raum viel folgenschwerer als in der Stadt. Hier gibt es kaum Breitband, mit dem wir den Unterricht online abhalten könnten. Daher mein Vorschlag: Alle Schüler der oberen Klassen ziehen in die Schule, wir schließen uns für zwei, drei Wochen ein und machen Unterricht in freiwilliger Quarantäne. Dann sind die Jugendlichen sogar noch besser aufs Abitur vorbereitet als normalerweise.
Meinen Sie das ernst?
Und ob. Wir müssen das Abitur sichern, wenn Schulschließungen angeordnet werden sollten, und es gäbe genug Lehrer bei uns, die bereit wären, mitzumachen. Normalerweise haben wir gut 1000 Schüler, wenn die Hälfte von ihnen dabei wäre, hätten wir genug Schlafplätze, die Sanitäranlagen sind da, und der Nachschub mit Verpflegung wäre auch gesichert.
Und dann?
Dann bilden wir Lerngruppen, veranstalten Lesenächte, schalten Netflix frei. Ehemalige Schüler haben sich schon gemeldet und gesagt, sie wollen uns helfen. Beim Unterricht – und abends wollen sie dann auflegen und Disco machen. Die Alternative wäre ein wochenlanger Unterrichtausfall. Denn in der Krise wird deutlich, wie sehr die Digitalisierung im ländlichen Raum verschlafen wurde. Wo ist das schnelle Internet in den Dörfern und Kleinstädten, wo die meisten unserer Schüler wohnen? Wo sind die digitalen Lernstrukturen, die wir seit zehn Jahren hätten aufbauen können? Deshalb sind wir auf die Idee mit der Bildungsquarantäne gekommen. Deshalb sagen wir: Kommt in die Schule. Wir haben alles hier.
Glauben Sie, Sie werden ernstmachen müssen?
Ich glaube, dass die Politik weiter unter Handlungsdruck steht. Nur haben die bisherigen Entscheidungen die Lage eben nicht beruhigt, im Gegenteil. Jetzt sagen die Ämter sogar Sitzungen mit nur fünf Teilnehmern ab. Währenddessen verfolgen die Eltern die Nachrichten und fragen uns: Warum tut ihr nichts? Dieser Aktionismus ist kontraproduktiv, wir wollen mit vernünftigen Maßnahmen gegenhalten. Unsere Idee würde übrigens zu anderen sinnvollen Schritten passen, die es ja auch gibt, den Abstrichzentren zum Beispiel, die jetzt überall eingerichtet werden. Das könnte man doch mit der Bildungsquarantäne verknüpfen.
Kennen Sie Schulleiter anderswo, die ähnliche Ideen haben?
Was die Idee angeht, sich mit den Schülerinnen und Schülern freiwillig einzuschließen: bislang nein. Aber Kollegen, die überlegen, den Unterricht online zu machen: eine ganze Reihe.
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