Andere Staaten haben es schon getan. Sollen die Kultusminister auch Deutschlands Schulen wegen Corona dichtmachen? Es gibt gute Gründe, die dagegen sprechen. Trotzdem wird es vermutlich so kommen. Ein Vorschlag, wie es unter den Umständen am besten funktionieren könnte.
AUCH EINE FORM von Eskapismus: Das neue Coronavirus breitet sich in Europa aus, und die Deutschen schimpfen über ihr Bundesstaatsprinzip. Das gehört ohnehin zu ihren liebsten Hobbys; über die Unzulänglichkeiten des Föderalismus lässt es sich immer gut aufregen – natürlich auch, wenn es um den Kampf gegen ein Virus geht. Und nebenbei hat man sich ein bisschen abgelenkt.
Im Ernst: Auffällig ist, dass in einer Reihe anderer Staaten, ob zentralistisch oder nicht, drastischere Maßnahmen beschlossen wurden als hierzulande. Die Schulen, Kitas und Kindergärten in der Region Madrid bleiben für zunächst zwei Wochen zu. Tschechiens Ministerpräsident hat die Schließung der Schulen im ganzen Land angeordnet – bis auf Weiteres. Österreichs Bundeskanzler untersagt den Hochschulen im Land von Montag an alle Präsenz-Lehrveranstaltungen, die Schulen und Kitas, sagt Sebastian Kurz, würden vermutlich bald folgen. Und die US-Eliteuni Harvard hat ihre Studierenden aufgefordert, bis zum Sonntag den Campus zu räumen.
Bayern hat die Semesterferien
schon verlängert
Doch auch in Deutschland beginnen Bundesländer mit Verboten. Bayerns Staatsregierung hat Veranstaltungen mit über 1000 Personen untersagt, weitere Landesregierungen sind dem Schritt bereits gefolgt. Auch sonst geht Bayern bislang am weitesten und hat auch sämtliche Theater-, Konzert- und Opernaufführungen in staatlichen Häusern bis Ostern abgesagt und den Beginn der Vorlesungszeit für Fach- und Musikhochschulen vom kommenden Montag vorerst auf den 20. April verschoben. Überall in Deutschland handeln Universitäten derweil auch eigenständig und lassen Veranstaltungen mit vielen Menschen ausfallen. Mehr ist derzeit nicht nötig, weil an den meisten Orten noch Semesterferien sind.
Doch die vielleicht wichtigste Bildungs-Frage ist in Deutschland bislang unbeantwortet: Werden auch hierzulande bald Schulen und/oder Kitas generell und bundesweit geschlossen? Nein, antworten bislang die Kultusminister, und KMK-Präsidentin Stefanie Hubig (SPD) sagt wiederholt, sie halte es "aktuell" nicht für nötig, landesweit Schulen zu schließen. Die Virologen waren sich über die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme in den vergangenen Tagen ebenfalls uneinig. Alexander Kekulé von der Universität Halle plädierte für 14-tägige "Corona-Ferien", Christian Drosten von der Berliner Charité dagegen sagte gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung, die Idee sei zwar "gut", aber dafür sei es noch zu früh. "Das ist eine Maßnahme, die wir der Gesellschaft nur einmal zumuten können."
Morgen treffen sich die Kultusminister zu ihrer turnusmäßigen Frühjahrskonferenz, und noch immer verweigern sie sich zumindest öffentlich der Debatte um generelle Schulschließungen. Doch natürlich werden sie intern darüber sprechen. Zunächst aber wollen sie klären, wie in der gegenwärtigen Situation die anstehenden Abschlussprüfungen in den Schulen, unter anderem das Abitur, erfolgreich über die Bühne gehen kann.
Bundesweite "Notfallstrategie"
fürs Abitur?
Von einer "bundesweiten Notfallstrategie" ist die Rede. KMK-Präsidentin Hubig sagte der Funke Mediengruppe: "Das betrifft die schriftlichen Prüfungen mit den zentralen Elementen, sowie die Termine für das mündliche Abitur." Die Bemühungen der Länder um mehr Vergleichbarkeit bei den Prüfungen hat dazu geführt, dass sie in den Abitur-Kernfächern bundesweit am selben Tag stattfinden: Deutsch am 30. April, Mathe am 5. Mai. Entsprechend müssen auch die Maßnahmen der Kultusminister im Zusammenhang mit dem Coronavirus und der Umgang mit etwaigen Quarantäne-Fällen koordiniert werden. Kleine Randnotiz: So schlecht scheint der Föderalismus an der Stelle also doch nicht zu funktionieren.
Klar scheint indes: Lange werden die Kultusminister auch dem Thema Schulschließungen nicht mehr ausweichen können. Nicht weil diese, siehe Drosten, zwangsläufig sinnvoll sind zum jetzigen Zeitpunkt. Sondern weil der öffentliche Erwartungsdruck, symbolpolitisch bedeutsame Entscheidungen zu treffen, so enorm ist zurzeit – wovon man halten kann, was man will.
Tatsächlich hat das Mauern der Kultusminister nämlich sehr gute Gründe, und die sind am wenigsten bildungspolitisch motiviert. Sie wissen: Wenn die Schulen und Kitas schließen, müssen auch die Eltern der Kinder zu Hause bleiben. Ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung. Darunter unzählige Ärzte, Pflegekräfte, Mitarbeiter in Apotheken, Supermärkten und Speditionen, in der staatlichen Verwaltung, in der Lebensmittelindustrie und so weiter. Eine Schließung der Schulen und Kitas würde das Funktionieren des Staates, der öffentlichen Einrichtungen und der Wirtschaft insgesamt also empfindlich einschränken – und das in einer Zeit, in der die Gesellschaft sogar mehr als sonst darauf angewiesen ist, dass sie reibungslos arbeiten.
Auch dieses sollten jene im Blick haben, die jetzt grundsätzliche Schließungen fordern. Die Kultusminister haben es – und trotzdem ist absehbar, dass die die Linie nicht werden durchhalten können.
Die Kultusminister sollten handeln, solange sie
noch das Heft in der Hand haben
So fragwürdig das Mittel Schulschließungen ist, so unvermeidlich erscheint vor diesem Hintergrund jedenfalls das Folgende: Die Ressortchefs sollten, solange sie noch eigenmächtig entscheiden können, bei ihrer KMK-Sitzung ein Vorziehen der Osterferien beschließen – zu einem bundesweit einheitlichen Termin.
Regulär beginnen die Osterferien in den ersten Ländern am 30. März, in vielen weiteren am 6. April. Pragmatisch und am ehesten zu verkraften wäre es, wenn die KMK festlegt, dass der Freitag nächste Woche (20. März) der vorerst letzte Schultag ist. Damit hätten die Eltern und ihre Arbeitgeber ein wenig Vorwarnzeit, um zu reagieren. Und zugleich wäre der Schaden relativ gering, weil für die folgenden regulären Osterferienwochen von den Eltern schulpflichtiger Kinder ohnehin schon Vorkehrungen getroffen wurden. Für nachweisbare Härtefälle und in der Krise dringend benötige Arbeitskräfte sollten vor Ort Betreuungsmöglichkeiten eingerichtet werden. Die Frage, wie unter solchen Umständen Abschlussprüfungen stattfinden können, haben die Kultusminister ja schon in der Bearbeitung.
Wird die Maßnahme helfen? Das können nur Virologen sagen. Doch immerhin könnten die Kultusminister, wenn sie jetzt entschieden handeln, die bildungspolitischen, vor allem aber gesellschaftlichen Folgen von Schulschließungen begrenzen. Um sie herum kommen werden sie absehbar ohnehin nicht.
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Th. Klein (Mittwoch, 11 März 2020 09:30)
"Auch sonst geht Bayern bislang am weitesten und hat ... den Beginn der Vorlesungszeit für Fach- und Musikhochschulen vom kommenden Montag vorerst auf den 20. April verschoben." - Die ist übrigens - nach derzeitigem Sachstand - eher eine Verschiebung des Semesters als eine bloß Verlängerung der Semesterferien. Denn nach Aussage des Wissenschaftsministeriums darf der Unterricht im Sommersemester nicht gekürzt werden, der Umfang der Lehre bleibt bestehen. Ob dies mit einer Verlängerung nach hinten einhergehen wird oder an Wochenenden aufgeholt werden muss, bleibt noch zu erörtern. Aber bis zum 20.4. gibt es wahrscheinlich ohnehin wieder eine neue Sachlage.
Klaus Diepold (Mittwoch, 11 März 2020 11:24)
In den bayer. Universitäten ist Vorlesungsbeginn am 20.4. - richtig.
Allerdings gibt es dort z.T. auch bereits vor Beginn der regulären Vorlesungszeit (Block-)Kursangebote. Momentan ist nicht klar, ob die ausfallen oder stattfinden sollen ...
Heike Brand (Mittwoch, 11 März 2020)
Ich glaube viele haben die Dynamik der Entwicklung noch nicht verstanden.
Wenn ich mir eine einfache Excelrechnung mache, und mit einem Faktor für die Ausbreitungsrate von 1,3 rechne, dann passt dies ungefähr für die vergangenen 10 Tage.
Mo 2. März 170 Infizierte
Di 10. März 1386 Infizierte
= 170* 1.3^9, da 9 Tage vergangen
Rechne ich dies nun für 21 Tage weiter (also prognostizierte Werte für 31. März) , so erhalte ich
342541 =1386*(1,3^21)
Rechnet man nur mit einener Ansteckungsrate von 1,2, d. h. dass einer nur 2 Leute ansteckt, so hat man immer noch 63763 Infizierte =1386*(1,2^21)
Ich denke, am 30. April wird man wichtigeres zu tun haben, als Abitur zu schreiben, sofern wir weitermachen wie bisher.
K. Pohl (Donnerstag, 12 März 2020 14:26)
Liebe Frau Brand, für Abiturienten ist diese Frage sicherlich schon relevant. Für viele hängt vom Abitur ihr weiterer Lebensweg ab, so dass eine jetzt zu treffende Regelung sehr sinnvoll ist.