In der Corona-Krise drohen hunderttausenden Honorarkräften massive Einnahmeausfälle. Politik und Gesellschaft müssen sich jetzt fragen, was ihnen Bildung und Kultur wert sind. Ein Gastbeitrag von Bernd Käpplinger.
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WIR ERLEBEN EINE außergewöhnliche Situation. Das soziale Leben kommt zum Erliegen. Social Distancing ist das neudeutsche Gebot der Stunde. Dies betrifft auch den Bildungsbereich. Aktuell stehen die Schulschließungen im Mittelpunkt des Interesses. Die meisten Hochschulen haben durch die vorlesungsfreie Zeit noch relativ wenig akuten Handlungsbedarf, wenngleich Klausuren und mündliche Prüfungen teilweise verschoben worden sind. Was ist aber mit anderen Bildungsbereichen wie der Weiterbildung?
Laut der einschlägigen Studie "Personalmonitor" handelt es sich bei rund 70 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in der Weiterbildung um selbständige Arbeit in Form von Honorar- und Werkverträgen. Experten zählen 945.917 Verträge dieser Art, die sich jährlich auf die insgesamt rund 700.000 Beschäftigten in der Branche verteilen.
Auch an hunderten Volkshochschulen und Bildungsstätten
wird die Bildungsarbeit ausgesetzt
An hunderten öffentlichen wie privaten Tagungshäusern, Bildungsstätten oder Volkshochschulen wird nun auch die Bildungsarbeit ausgesetzt. Einnahmen brechen massiv weg, doch die laufenden Kosten können oft nur begrenzt reduziert werden. Die Honorarausgaben werden so wie in jeder Krise zu einem der zentralen Streichposten. Freiberuflerinnen und Freiberufler haben die schwächste Position von allen Beschäftigten. Zwar sind ganz sicherlich nicht alle Freiberufler als prekär Beschäftigte einzustufen. Auch gehört es zur unternehmerischen – auch zur kleinunternehmerischen – Verantwortung, Rücklagen für Krisenzeiten zu bilden. Allerdings ist die Problemlage offensichtlich, wenn man zum Beispiel an eine alleinerziehende Dozentin denkt, die freiberuflich Lehrverträge auf Mindestlohnhöhe bekommt, sich privat kranken-und rentenversichern muss und der nun plötzlich die Aufträge wegbrechen. Ähnliches gilt für den gesamten Kulturbereich.
Bernd Käpplinger ist Professor für Weiterbildung an der Universität Gießen und Vorsitzender der Sektion Erwachsenenbildung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Foto: A. Schaal.
Die Politik verweist auf Kurzarbeitergeld als Maßnahme des Krisenmanagements, wo bereits Anpassungen vorgenommen wurden. Vielleicht gibt es ja schon noch weitergehende Pläne, aber bislang gilt dieser Anspruch nur für versicherungspflichtig Beschäftigte. Freiberufler bekommen kein Kurzarbeitergeld bzw. nur dann, wenn sie selbst erkrankt sind oder unter Quarantäne gestellt werden. Das sieht das Bundesgesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten vor. Die Höhe der Entschädigungssumme für die Zeit der Quarantäne bemisst sich an den letzten Jahreseinnahmen laut Steuerbescheid.
Es zeigt sich eine Förderlücke, bei der man sich fragen muss, was der Gesellschaft und Politik Bildung und Kultur sowie die dort Beschäftigten wert sind. Es ist zu hoffen, dass die Rechtslage der schnell verändernden
Situation angepasst wird und keine Beschäftigten ohne Überbrückungshilfe bleiben.
Einige sehen in der weiteren Digitalisierung die Antwort auf die aus der Coronakrise resultierende Bildungskrise. Tatsächlich sollten nun alle digitalen Möglichkeiten genutzt werden, um Präsenztermine zu ersetzen. Gelingt das, könnte die aktuelle Ausnahmesituation ein Motor sein, um die Digitalisierung des ganzen Bildungssystems, einschließlich der Weiterbildung, weiter zu befördern.
In ländlichen Regionen ist der Ausgang des erzwungenen
Digitalisierungsexperiments schon absehbar
Allerdings müssen dafür sowohl die technischen Voraussetzungen als auch die sozialen Rahmenbedingungen stimmen. Es wird ein spannendes Experiment mit offenem Ausgang werden, wenn jetzt von heute auf morgen jeglicher Unterricht von Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland in großen Teilen per Videos, Plattformen und Streaming erfolgen soll. Der Energieverbrauch dürfte enorm ansteigen, und die Bedenken sind groß, ob das die IT-Netze wirklich stemmen können. In ländlichen Regionen mit den oft langsamen und schlecht ausgebauten Netzten ist der (negative) Ausgang des Experiments schon absehbar. Und einen Digital-Crash durch Virusangriffe ähnlich wie in Gießen seit Dezember 2019 dürfte es nicht geben, wobei in Bayern aktuell eine Schulplattform bereits gehackt wurde. Virale Gefahren gibt es real und virtuell.
Es gehört zu einem Tabu in der Digitalisierungsdebatte: Diskussionen über ihre ökologische wie ökonomische Nachhaltigkeit werden wenig geführt, doch den Ressourcenverbrauch bei Gedrucktem betonen Digitalisierungsfans gern. Vor Corona war der Energieverbrauch aller Server in Frankfurt am Main schon größer als der des dortigen internationalen Flughafens.
Zurück zu den prekär beschäftigten Dozenten in der Bildung. Es ist mehr als fraglich, diese nun mal schnell in die digitalisierte Lehre umsteigen können – und ob sie dafür eine Bezahlmodell etablieren können angesichts der vielen kostenfreien Digitalangebote. Crowdfunding oder Pay-per-View hat im Journalismus bislang ökonomisch nicht richtig in der Breite überzeugt. Warum sollte das im Bildungsbranche besser gelingen?
Wie reagiert die Nationale Weiterbildungsstrategie
agil auf die neue Situation?
So kann die Digitalisierung nur einen kleinen Teil zur Lösung beitragen. Viel wichtiger ist es, die aktuell besonders prekäre Situation von Freiberuflerinnen und Freiberufler in Bildung und Kultur gleichermaßen wahrzunehmen und im Rahmen des Möglichen zu lindern. Dies kann private Hilfe meinen. Vielleicht könnten Spendenaktionen gestartet werden? Wäre es denkbar, dass es Solidarität zwischen den pädagogischen Berufsgruppen gibt? Könnten verbeamtete Lehrende in Schulen und Hochschulen mit krisenfestem Gehalt nicht in einen Fonds spenden?
Doch auch dann wird es ohne weitere staatliche Maßnahmen nicht gehen. Es ist überfällig, das Freiberuflerinnen und Freiberufler besser sozial abgesichert werden. Temporär könnte die Bundesregierung eine große steuerliche Entlastung für freie Berufe mit geringen Einkommen beschließen. Wie reagiert die Nationale Weiterbildungsstrategie agil auf die neue Situation?
Krise bedeutet etymologisch nicht Niedergang, sondern Entscheidung. Wie entscheiden wir hier über die Zukunft unseres Bildungssystems?
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Loui (Dienstag, 17 März 2020 21:56)
Ich kann dir nur zustimmen! Lasst uns, wie schon mehrfach angedacht, €35/UE anstreben und seid solidarisch!
Thomas Küster (Mittwoch, 18 März 2020 09:20)
Ich kann Ihnen nur zustimmen. Wenn wir als freie Dozenten dem Diktat zum Gemeinwohl unterliegen die Arbeit ruhen zu lassen, wäre es nur fair zum wohl der Diktierten zu agieren und diese mit zu berücksichtigen.
Erdmute Schlusnus (Mittwoch, 18 März 2020 12:25)
Ich stime dem voll zu, dass es laengst ueberfaellig ist, dass Freiberufler sozial abgesichert werden.
Holger Kühne (Mittwoch, 18 März 2020 15:03)
Vollkommen richtig! Außerdem gibt es wichtige Bereiche im Angebot der Volkshochschulen, die zumindest nicht in der Masse digitalisiert werden können, zum Beispiel die Gesundheitsbildung oder Kulturelle Bildung.
Birgit Scheltmann (Mittwoch, 18 März 2020 21:29)
So ist es!
Aktuell habe ich „Urlaub“, weil zwei meiner Kurse wegen Covid 19, zunächst bis zum 19.April ausgesetzt wurden. Vier Wochen, in denen ich keine Einnahmen habe. 35 Euro pro Stunde wären angemessen, allein wegen der unbezahlten Unterrichtsvorbereitung im „Homeoffice“.
ANA (Mittwoch, 18 März 2020 23:37)
Guten Abend an Alle.
Aktuell habe ich seit dem 13.03.2020 und bis zum 30.04.2020 "Ferien"; Alle meine Kurse sind wegen Covid 19, ausgesetzt wurden. Danach steht auch nicht wie es weiter gehen ssoll. Also mind. 6 Wochen, in denen ich "0" Einnahmen habe. 35 Euro pro Stunde wären - das Minimum - als angemessen zu sehen: die Unterrichts - vorbereitung im „Homework“ ist nicht inbegriffen.