Der Deutsche Akademische Austauschdienst verkündet heute
eine Reihe von Maßnahmen, um der Coronakrise zu begegnen.
Was bedeutet der internationale Shutdown für den wissenschaftlichen Austausch? Ein Interview mit DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee.
Joybrato Mukherjee, 46, ist seit Januar 2020 Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD). Foto: Kay Herschelmann.
Herr Mukherjee, der DAAD steht für den persönlichen Austausch und die Überwindung internationaler Grenzen. Was wir weltweit erleben, sind geschlossene Schulen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen, Social Distancing und Nationalstaaten, die sich im Kampf gegen das Coronavirus abschotten. Was bedeutet das für die weltweit größten Förderorganisation des internationalen Austausches von Studierenden und Wissenschaftlern?
Das ist eine massive, die massivste denkbare Einschränkung unseres Kerngeschäfts. Die Förderung internationalen Austausches ist ohne internationale Mobilität nicht möglich. Deshalb konzentrieren wir unsere Kräfte jetzt darauf, nicht den Austausch zu fördern, sondern diejenigen, die bei uns im Land und weltweit unterwegs sind, die Geförderten und Stipendiaten, die nicht in ihre Heimat können, maximal zu unterstützen.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie konkret?
Wir setzen für den Sommer eine Reihe von Austauschprogrammen aus, die einen Start im Sommersemester vorgesehen hätten. Dazu gehören Forschungspraktika, Sommerkurse. Auch sämtliche Gruppenreisen aus und nach Deutschland haben wir abgesagt. Mit den Hochschulen reden wir darüber, wie sie die von uns bereits bewilligte Austauschprojekte verschieben oder durch digitale Formate ersetzen können.
Was ist mit den deutschen Studierenden, die zum Beispiel mit einem Erasmus-Stipendium irgendwo in Europa sind und nicht zurückkommen?
Als für Erasmus zuständige Nationale Agentur sind wir froh über das, was die EU-Kommission bereits zugesagt hat: Wenn Stipendiaten ihren Auslandaufenthalt abbrechen oder gar nicht erst antreten können, bekommen sie die Kosten bis zur Höhe des ursprünglich verliehenen Stipendiums erstattet. Das gilt für die deutschen Studierenden im Ausland, für die wir zuständig sind, genauso wie für die europäischen Studierenden im Rahmen von Erasmus+ in Deutschland. Alle Erasmus-Studierenden müssen sich dazu an ihre Heimathochschulen wenden. Im DAAD haben wir entschieden, für unsere eigenen deutschen wie internationalen Stipendiatinnen und Stipendiaten, die nicht in ihr Heimatland zurückreisen können, die Stipendien bis zur Rückreise zu verlängern.
"Wir müssen davon ausgehen, dass unsere Stipendiaten
über Wochen nicht in ihre Heimat zurückkehren können"
Das Finanzielle ist das eine. Brauchen die Betroffenen nicht auch emotionale Unterstützung?
Das zählt zu unseren wichtigsten Aufgaben im Moment. Wir müssen davon ausgehen, dass die Stipendiatinnen und Stipendiaten über Wochen nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Wir müssen nur von unserem eigenen mulmigen Gefühl, das wir alle angesichts der aktuellen Situation haben, auf andere schließen. Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich zusätzlich noch in einem fremden Land, in einer fremden Kultur und wissen nicht, was noch an Einschränkungen des Alltags auf Sie zukommt. Um diese Menschen müssen wir uns kümmern. Natürlich müssen wir als DAAD aber auch unsere Kräfte bündeln. Wir haben 145.000 Geförderte in Deutschland und in aller Welt, unsere Stipendiatenabteilung erreicht zurzeit eine Unmenge an Anfragen, wir müssen priorisieren. Im Ausland betreiben wir in 70 Ländern Büros, deren Mitarbeiter unseren Stipendiaten mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und ich bin sicher, dass unsere Stipendiaten sich in der Zeit ihres Aufenthaltes ein Netz an sozialen Kontakten aufgebaut haben, das ihnen ebenfalls hilft.
An der Universität Gießen, deren Präsident Sie sind, hatten Sie seit Dezember Ausnahmezustand wegen eines Hackerangriffs. Hilft es Ihnen, dass Sie persönlich schon für den Krisenmodus warmgelaufen waren?
Manches ist ähnlich, die Sitzungen der Krisenstäbe. Da können wir einige Routinen beim DAAD übernehmen. Aber wir erleben jetzt eine ganz andere Tragweite, das ist keine Krise einer einzigen Universität, sondern der Gesellschaft als Ganzes, weltweit.
Man bekommt den Eindruck, in der Krise handelt jeder Staat für sich, von internationaler Kooperation bleibt wenig übrig. Stimmt das?
Na ja, die Situation ist auch von Land zu Land unterschiedlich. In China, besonders in der Provinz Wuhan, war die Lage schon im Februar so, wie sie jetzt bei uns ist. Aber natürlich haben Sie Recht, wir müssen ja nur vor unserer eigenen Haustür schauen. Man hätte sich sicherlich von Anfang an eine stärkere Abstimmung zwischen den EU-Staaten gewünscht, immerhin wird diese Koordination jetzt Stück für Stück nachgeholt. Wir müssen also nicht über die große weite Welt sprechen, wenn wir über Lehren aus der Krise reden. Es reicht schon, sich das Miteinander in der EU anzusehen.
"Das wird nicht das New Normal
unserer Gesellschaft sein"
Viele sagen, die schnelle Ausbreitung des Virus sei auch eine Folge der globalisierten Welt und offener Grenzen. Was antworten Sie denen?
Dieses Wort "Globalisierung" ist schon vor der Krise ein bisschen zu einem Kampfbegriff geworden. Ich bedaure das, denn grundsätzlich bedeutet "Globalisierung" nichts Anderes, als dass wir uns global vernetzen. Um an dieser Stelle an die Klimadebatte zu erinnern, die uns bis vor kurzem und zu Recht so beschäftigt hat: "Globalisierung" bedeutet auch anzuerkennen, dass wir alle gemeinsam auf einem Planeten leben, den wir gemeinsam zerstören, aber auch gemeinsam gestalten können. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir uns grenzüberschreitend austauschen und kennenlernen, und das wird auch durch die Coronakrise nicht falsch. Trotzdem werden wir Lehren ziehen. Zum Beispiel, dass man bei der internationalen Mobilität die angezeigten medizinischen Sicherheitsvorkehrungen stärker beachten sollte als bislang.
Jürgen Kaube von der FAZ schrieb, dass wir nicht sicher sein könnten, "die gesellschaftliche Normalität, wie sie sich uns darstellte,
zurückzubekommen". Gilt das auch für den internationalen Austausch?
Möglicherweise ja, aber aus einem anderen Grund. Ich habe die Klimadebatte gerade erwähnt. Wir waren schon vor Corona aufgefordert, uns ernsthaft zu fragen, ob die physische Mobilität die einzig seligmachende Form der interkulturellen Erfahrung und des internationalen Austausches ist. Es kann auf Dauer ohnehin keine Lösung sein, dass wir immer mehr Millionen Studierende und Wissenschaftler in Flugzeuge setzen. Die aktuelle Krise verstärkt dieses Umdenken. Es geht darum zu entscheiden, welche Reisen wirklich notwendig sind, an welcher Stelle virtuelle Formate sie ersetzen können – und ob man den internationalen Austausch nicht insgesamt so organisieren kann, dass weniger Leute sich auf den Weg durch die Welt machen. Ich möchte aber noch etwas sagen: Die Geschäfte schließen, in einigen Ländern gibt es Ausgangssperren. Wir sollten deshalb aber nicht denken, dass diese einmalige Krisensituation, die wir gerade erleben, das New Normal der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft wird. Wir kommen da durch, der Ausnahmezustand wird vorbeigehen.
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