So politisch waren junge Leute schon lange nicht mehr. Die "Generation Greta" könnte die Regierungsparteien an den Rand ihrer Existenz treiben. Ein Gastbeitrag von Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht.
Klimastreik am 01. März 2019. Karin Desmarowitz/campact / flickr - CC BY-NC 2.0.
MIT DER KLIMABEWEGUNG fing es an, aber diese ist erst der Anfang. Einmal politisch sensibilisiert, artikulieren die heute meist unter 20 Jahre alten Angehörigen der jüngsten Generation ihre Interessen in Zukunft auch in Schule, Berufsausbildung, Betrieb, Medien und Freizeit klar und deutlich. Dabei schrecken sie vor radikalen Forderungen nach einem schnellen Wandel des Lebensstils nicht zurück. Auffällig ist dabei das hohe Engagement der jungen Frauen.
Das sind die zentralen Ergebnisse unserer Analyse der jüngsten Generation in Deutschland. Zu ihr zählen im Wesentlichen die nach der Jahrtausendwende Geborenen. Sie werden gemeinhin als "Generation Z" tituliert, weil die vorangehenden Generationen als "X" (für rätselhaft, unsicher) und "Y" (für Warum, fragend und sondierend) bekommen hatten. Wir verlassen das Alphabet, weil das "Z" keine symbolische Aussage macht.
Greta Thunberg prägt die Einstellungen
und Mentalitäten der "Post-Millenials"
Wir bezeichnen die "Post-Millennials" metaphorisch als "Generation Greta", weil die schwedische Schülerin und Umweltaktivistin Greta Thunberg mit der von ihr initiierten Klimabewegung "Fridays for Future" prägenden Einfluss auf Einstellungen und Mentalitäten der meisten von ihnen ausübt und bisherige Gewohnheiten und Gewissheiten radikal in Frage stellt.
In unserem Buch schildern wir die Gedanken- und Gefühlswelt der Generation Greta anhand von aktuellen Jugendstudien und zahlreichen Gesprächen, die wir mit jungen Menschen geführt haben. Das Buch baut auf intensiven, mehrjährigen wissenschaftlichen und journalistischen Recherchen auf. Es ist für ein breit interessiertes Publikum geschrieben. Es erhebt den Anspruch, ein authentisches Portrait der jungen Generation zu zeichnen. Es räumt mit vielen Vorurteilen auf und bietet Eltern, Pädagogen, Ausbildern und Politikern die Chance, die Stärken und Schwächen der jüngsten Gesellschaftsmitglieder unvoreingenommen zu verstehen.
Klaus Hurrelmann ist Sozialwissenschaftler und Professor an der Hertie School of Governance in Berlin. Erik Albrecht ist freier Journalist und Berater in der Medien-Entwicklungshilfe in Berlin.
Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht:
Generation Greta. Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist.
Weinheim: Beltz. 19,95 Euro.
Unsere Prognose: So politisch waren junge Leute schon lange nicht mehr. Sie artikulieren lautstark ihr Interesse an gesellschaftlichen Reformen und kritisieren die älteren Generationen für Stillstand und Trägheit. Dennoch droht kein Konflikt zwischen jüngeren und älteren Bevölkerungsgruppen. Die Generation Greta nimmt die Gestaltung der Zukunft zwar selbst in die Hand, sucht aber den Schulterschluss mit der Generation ihrer Eltern und Großeltern. Mit ihnen will sie dringend notwendige Veränderungen gemeinsam anstoßen.
Schon lange nicht mehr ist eine junge Generation in Deutschland aus gesellschaftlichen Motiven auf die Straße gegangen. Die 1968er waren es zuletzt, die nachhaltig für eine Öffnung der verkrusteten Gesellschaft und für die Rechte von Frauen, Schwulen oder Lesben kämpften.
Die Babyboomer setzten dieses Engagement auf ihre Weise durch Umwelt- und Frauenbewegungen
fort. Die Generationen X und Y aber, die heute zwischen 20 und 50 Jahre als sind, waren politisch kaum aktiv.
Mit den meist noch unter 20 Jahre alten Schülerinnen und Schülern der jüngsten Generation hat sich das deutlich geändert. Die Klimastreiks von Fridays for Future (FFF) tragen etwas Neuartiges auf die Straße. Die 1968er begehrten gegen ihre Eltern auf, um neue Freiheiten zu erkämpfen. Die heutige junge Generation will – wie die Klimaaktivisten Luisa Neubauer und Alexander Repenning es ausdrücken – ihre Eltern "zu einem bewussten Lebensstil erziehen". Es geht ihr nicht darum, neue Freiheiten zu erschließen, sondern umweltschädigende Freiheiten einzuschränken. Konsum, Energieverbrauch, Verkehr – überall habe unsere Gesellschaft schon viel zu lang weit über ihre Verhältnisse gelebt. Nun gehe es um nachhaltiges Handeln.
Wie unsere Analyse zeigt, sprechen die jungen Leute aber keinesfalls nur mit einer Stimme. Vielmehr ist ein sehr breites Spektrum von politischen Meinungen mit unterschiedlichen Werten und Zielvorstellungen für Leben und Zukunft typisch. Je nach Bildungsgrad und sozialer Herkunft denken die jungen Leute unterschiedlich über Einwanderung, Heimat, Europa, soziale Gerechtigkeit, Bildung und Ausbildung, und haben ihre jeweils eigenen Gefühle bei Glauben, Partnerschaft und sexueller Identität.
Der gemeinsame Begriff überdeckt die enormen Widersprüche innerhalb Generation Greta
Das Meinungsspektrum reicht von den weltoffenen, ökologisch orientierten Anhängern von Fridays for Future aus den gutbürgerlichen Elternhäusern über leistungsmotivierte, aber eher an Wohlstand und Freizeit orientierte aus den Mittelschichten bis hin zu sozial Abgehängten und sich ausgegrenzt fühlenden jungen Leuten in prekärer Lebenslage.
Ein Generationsbegriff überdeckt leicht die enormen Widersprüche innerhalb einer Generation. Der Kampf gegen die Klimakrise ist eindeutig das Thema, mit dem der besonders engagierte Teil der jungen Generation Akzente in der politischen Debatte setzt. Hier hat Greta Thunberg ihre unauslöschlichen Spuren hinterlassen. Aber zur Generation Greta gehören auch andere Gruppen. Nach der jüngsten Shell-Jugendstudie sind einige Gruppen in der Generation Greta gegen autoritäre und nationalistische Aussagen alles andere als immun.
Zwar finden es mehr als die Hälfte der 15- bis 25-Jährigen gut, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Doch gleichzeitig sagen 68 Prozent, man dürfe in Deutschland nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne als Rassist beschimpft zu werden. Eine knappe Mehrheit glaubt zudem, dass die Regierung der Bevölkerung die Wahrheit verschweige, und fast ebenso viele sagen, dass der Staat sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche kümmere. Nur Botschaften, die gegen den Islam und die EU gerichtet sind, finden keine Mehrheit.
Die junge Generation ist in sich gespalten. Je besser sie sozial situiert und je höher der angestrebte oder schon erreichte Schulabschluss ist, desto eher neigt die Generation Greta zu kosmopolitischer Weltoffenheit und gesellschaftlicher Toleranz. Wer ein relativ armes Elternhaus und eine geringe Bildung hat, der findet eher Sympathie an nationalen und autoritären Positionen und spricht sich gegen Zuzug von Menschen aus anderen Kulturen aus.
Das Abitur macht
den Unterschied
Schon das politische Interesse hängt entscheidend vom Schulabschluss ab. Politik ist Schülerinnen der Gymnasialen Oberstufen und Studierenden am wichtigsten. Unter ihnen interessieren sich doppelt so viele für Politik wie im Rest der Generation. Am wenigsten Begeisterung löst sie bei Schülern mit einem Hauptschulabschluss aus.
Das Abitur macht den Unterschied. Der Erfolg in der Schule macht Abiturienten selbstbewusst. In der Oberstufe haben sie gelernt, faktenbasiert zu argumentieren. Nun nutzen sie ihre Fähigkeiten für ihren Aktivismus. Sie können es sich auch buchstäblich leisten, ihre Energie in den Kampf gegen ein Phänomen wie den Klimawandel zu stecken, das sich nur mittelbar auf ihr eigenes Leben auswirkt. Mit ihren Schulabschlüssen brauchen sie sich bei der derzeitigen Konjunktur keine Sorgen um ihre Zukunft zu machen. Das macht ihren Blick frei für die existentielle Frage der Klimakrise. Gleichzeitig bringen sie das soziale Kapital mit, das nötig ist, um sich Gehör zu verschaffen.
Ganz anders sieht es für die Jugendlichen aus, die nur einen niedrigen oder gar keinen Schulabschluss schaffen. Zwar sind auch ihnen Umweltfragen wichtig. Doch außer dem Klimawandel beschäftigen sie auch noch andere Themen. An erster Stelle stehen Ausbildung, Beruf und Geld verdienen. Sie können sich längst nicht so sicher sein, eine passende Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Gleichzeitig fürchten sie sich vor steigenden Preisen für Wohnung, Energie und Lebensmittel.
Was alle Jugendlichen eint, ist das
Misstrauen gegenüber den Regierenden
Was alle Gruppen der Jugendlichen eint, ist das Gefühl, den regierenden Politikerinnen und Politikern und ihren Parteien nicht vertrauen zu können. Von der Bunderegierung wird erwartet, dringende Weichen für die Zukunft zu stellen. Stattdessen verliert sie sich nach Einschätzung der jungen Generation im Kleinklein des täglichen Regierens und fährt ohne jede weitere Perspektive auf Sicht. Deshalb geht die Mehrheit der jungen Leute auf kritische Distanz zu den beiden Regierungsparteien CDU und SPD und wendet sich immer stärker den Oppositionsparteien zu, vor allem Programmparteien wie Die Grünen oder Alternative für Deutschland (AfD). Diese Haltung übernehmen allmählich auch die älteren Bevölkerungsgruppen.
Wenn CDU und SPD auch weiterhin die Themen und den Politikstil der jungen Generation missachten, werden sie nach unserer Analyse immer mehr an Einfluss verlieren. Jugendforschung ist nun einmal immer auch Zukunftsforschung. Lange bevor Entwicklungen die gesamte Gesellschaft erfassen, sind sie schon aus Jugendstudien herauszulesen. Das gilt auch für die Umbrüche in der Parteienlandschaft, die CDU und SPD an den Rand ihrer Existenz treiben können, wenn sie auch weiter nicht auf die Stimme der jungen Generation hören.
Kommentar schreiben