Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach über Digitalisierungs-Nothilfen für Berlins Hochschulen, einen bundesweiten Hochschul-Digitalpakt und die Forderungen nach einem "Nicht-Semester".
Steffen Krach. Fotos: Senatskanzlei/Lukas Hofmann.
Herr Krach, der Berliner Senat hat ein Sofortprogramm für die digitale Lehre beschlossen. Zehn Millionen Euro. Sie gehen wohl nicht mehr davon aus, dass es im Sommersemester etwas wird mit Präsenzveranstaltungen?
Noch haben wir den offiziellen Start der Vorlesungszeit lediglich auf den 20. April verschoben. Bis dahin befinden sich Berlins Wissenschaftseinrichtungen im Präsenznotbetrieb. Aber klar ist, dass wir uns darauf einrichten müssen, dass die Krise am 20. April nicht von einem Tag auf den anderen vorbei ist. Unser Sofortprogramm "VirtualCampusBerlin" soll den Hochschulen dabei helfen, mehr Lehre digital anbieten zu können. Da geht es natürlich einerseits um zusätzliche IT-Infrastruktur, entsprechende Softwarelizenzen, aber auch um Unterstützung für die Kompetenzzentren für digitale Lehre an unseren Hochschulen, zum Beispiel bei Schulungen für die Lehrenden.
Online-Schulungen für die Online-Lehre?
Genau. Auch da gibt es, wie wir hören, Nachholbedarf. Es gibt Lehrende, die mit digitalen Lehrformaten sehr gut vertraut sind, und welche, die eine kompetente Unterstützung benötigen. Entscheidend ist, dass wir als Politik das Signal in die Hochschulen senden: Wir haben die verschiedenen Bedarfe verstanden. Wir stehen bei dieser großen, auch didaktischen, Herausforderung an der Seite der Lehrenden und Studierenden.
Apropos Nachholbedarf: Die zehn Millionen in allen Ehren, aber braucht es erst eine Coronakrise, bis Deutschlands Hochschulpolitik aufwacht und die Digitalisierung der Hochschullehre zur Priorität erklärt?
Ganz so ist es ja nicht. Schon in den laufenden Hochschulverträgen stehen 28 Millionen Euro für die Digitalisierung zur Verfügung. Wir fangen also nicht bei Null an, aber richtig ist, dass wir mehr tun und schneller sein müssen. Damit schon im Sommersemester so viele der geplanten Lehrinhalte wie möglich trotzdem zu den Studierenden kommen. Gleichzeitig müssen wir aber auch darauf achten, dass das Geld jetzt nachhaltig investiert wird. Die Digitalisierung der Hochschulen wird durch die Coronakrise dauerhaft einen Schub erhalten.
Steffen Krach, 40, ist SPD-Mitglied und seit 2014 Staatssekretär für Wissenschaft in Berlin.
Ich übersetze: Ja, es brauchte erst die Krise.
Dass wir in den Hochschulen bei der Digitalisierung einen großen Nachholbedarf haben, und das nicht nur in Berlin, kann ich nicht wegdiskutieren. Das ist doch offensichtlich – auch im Vergleich zur Situation in anderen europäischen Ländern.
Was folgt für Sie aus dieser Bestandsaufnahme?
Klar ist, dass die zehn Millionen Euro für Berlin nur ein Anfang sind. Wir fordern
den Bund auf, in dieser bundesweit extrem schwierigen Situation massiv miteinzusteigen. Wir brauchen ein Bund-Länder-Sofortprogramm im Umfang von 350 Millionen Euro für die Jahre 2020 und 2021. Wobei die Länder einen erheblichen Anteil, ich denke 25 Prozent, als Kofinanzierung erbringen sollten.
"Wir brauchen ein Bund-Länder-Sofortprogramm
im Umfang von 350 Millionen Euro"
Also ein Digitalpakt für die Hochschulen?
Wie das Programm am Ende heißt, ist mir eigentlich ziemlich egal. Aber schnell muss es gehen.
In einem Offenen Brief plädieren Professorinnen und Professoren aus ganz Deutschland dafür, das Sommersemester 2020 zum "Nichtsemester" zu erklären – mit der Folge, dass zwar die erbrachten Studienleistungen zählen sollen, aber das Semester selbst formal nicht. Wäre das nicht der ultimative Offenbarungseid der Politik?
Die Bezeichnung "Nicht-Semester" wäre nicht meine Wortwahl, ich würde lieber von einem Kreativ-Semester sprechen, indem alle schauen, was machbar ist. In dem wir versuchen, über Online-Formate möglichst viel möglich zu machen. In dem alle Seiten aber vor allem sehr kulant und fair miteinander umgehen sollten: die Professorinnen und Professoren mit den Studierenden, die Hochschulleitungen mit den Beschäftigten – und die Politik mit allen Beteiligten. Woraus für mich folgt, dass wir allerlei Fristen verlängern müssen, von der Hausarbeit, über Abschlussarbeiten und Prüfungen, bis hin zu Promotionsfristen, Tenure-Track-Verfahren, Forschungsprojekten, und Stipendien. Und da, wo wir mit digitalen Hilfsmitteln an Grenzen stoßen, müssen wir natürlich über Verschiebungen von Lehrveranstaltungen oder Praktika sprechen. Wir werden auch im besten Fall kein normales Semester erleben, und die Folgewirkungen werden in die nächsten Semester hineinreichen. Deswegen haben wir mit den Berliner Hochschulen auch vereinbart, dass die Einstellung von studentischen Hilfskräften und die Vergabe von Lehrauftragen weitergehen muss. Wir werden sie dringend brauchen. Apropos Fairness: Das Prinzip der leistungsbasierten Hochschulfinanzierung haben wir für das Jahr 2020 ausgesetzt.
"Dieses Semester darf beim BAföG
nicht als regulär gewertet werden"
Und was ist dem BAföG? Was ist mit den Begabtenförderwerken?
Bundesministerin Karliczek hat bekräftigt, dass keinem BAföG-Empfänger und keiner Empfängerin durch die Coronakrise ein Nachteil entstehen soll. Ich verlasse mich darauf, dass sich dieses Versprechen auch auf mögliche mittelfristige Nachteile bezieht. Das heißt für mich auch, dass dieses Semester beim BAföG nicht als regulär gewertet werden darf.
Fast alle Länder verschieben die Abiturprüfungen. Was ist, wenn auch die Nachholtermine ausfallen müssen? Wären Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen nicht der fairste Ersatz für die Abiturnoten?
Die Sorgen der jungen Leute sind berechtigt, und wir können jetzt nicht abwarten, ob in einem oder in zwei Monaten die Situation eine günstigere ist. Wir müssen jetzt einen Fahrplan erarbeiten mit je nach Lage unterschiedlichen Optionen für die Hochschulzulassung im Herbst. Deshalb schlage ich eine Adhoc-Arbeitsgruppe der Schul- und Wissenschaftsministerien in der Kultusministerkonferenz vor, die kurzfristig die angemessenen Lösungen vorlegen soll. Die Idee mit den Aufnahmeprüfungen könnte und sollte dann auch diskutiert werden.
In der föderalen Gesundheitspolitik ändern Bund und Länder gerade die Grundlagen ihrer Zusammenarbeit. Auch in Bildung und Wissenschaft ist der Druck zur bundesweiten Koordination groß wie nie. Sollten Bund und Länder, wenn die Krise vorbei ist, ihr Verhältnis in der Bildungspolitik dauerhaft neu definieren?
In Wissenschaft und Forschung haben Bund und Länder das ja längst getan, wie die großen Pakte zeigen, die wir vergangenes Jahr vereinbart haben. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen erhalten dadurch Planungssicherheit bis Ende der 20er Jahre. Es funktioniert also sehr wohl, beides zusammenzubringen: eine bundesweit koordinierte Wissenschaftspolitik und die Möglichkeit, dass jedes Land weiter eigene Akzente setzen kann. Es wäre sicherlich klug zu überlegen, was sich von diesen Erfahrungen auf den Bildungsbereich übertragen lässt.
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