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Wenn die KMK mal hilfreich sein will

Der Club der Bildungsminister veröffentlichte auf seiner Website eine Liste mit digitalen Bildungsangeboten – und musste nach Protesten zurückrudern.

ES SOLLTE EIN SERVICE sein. Auf der Website der Kultusministerkonferenz (KMK) tauchte vor einigen Tagen eine Liste digitaler Lernangebote  auf – fürs "Lernen von zu Hause" in Zeiten von Corona und geschlossener Schulen. Nach dem obligatorischen Verweis auf die von den Ländern verantworteten Onlineportale und Lernmanagement-Systeme kam der eigentlich spannende Teil: die Aufzählung sonstiger, auch privater, Plattformen und Tools. Mittendrin: Microsoft Teams, Moodle, Jitsi und Google for Education.

 

Da standen sie ein paar Tage – dann entbrannte eine rege, teils empörte Debatte über die "Empfehlung" der KMK, zu Microsoft und Google zu greifen. Einige Kommentatoren in den Sozialen Medien gaben zu denken, dass das ja gar keine Empfehlung seien, sondern lediglich eine Aufzählung. Der Online-Bildungsexperte Jöran Muuß-Merholz kommentierte am 3. April auf Twitter: "Es mag heute nicht so aussehen. Aber das hier ist historisch. Wenn Schule in einen Normalbetrieb zurückkehrt, wird man das nicht wieder zurücknehmen können."

 

Der Bildungsjournalist Christian Füller erwiderte: "Das ist nicht historisch, es ist nicht mal Beschluss der KMK. Diese Liste ist einfach so zusammengeschrieben nach dem Motto: Schaut mal, was es gibt. Würde mich nicht wundern, wenn Microsoft und Google da wieder rausfliegen. (Was richtig wäre)."

 

Füller sollte Recht behalten. Noch am selben Tag waren exakt die von ihm genannten Verweise auf Microsoft und Google von der KMK-Website wieder verschwunden. Ohne jeden Hinweis, dass sie da mal gestanden hatten. Dafür stand da eine Warnung: Die Auswahl erhebe nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Und: "Nutzerinnen und Nutzer sollten vor Verwendung ggf. mit ihren zuständigen Behörden und Einrichtungen oder mit dem Anbieter alle Fragen zur Datensicherheit und zum Datenschutz klären."

 

KMK: "Wir haben verschiedentlich
Hinweise aufgenommen"

 

Was sagt das KMK-Sekretariat selbst zu den Vorgängen? Sprecher Torsten Heil: Bei Übersicht "handelt es sich um eine offen gestaltete Liste in Form eines Informationsangebots des Sekretariats der KMK ohne empfehlenden Charakter." Und: "Wir haben verschiedentliche Hinweise aufgenommen und die Seite noch einmal umgestaltet und ergänzt." Und dann wiederholt Heil nochmal den Disclaimer, die Nutzer müssten selbst mit den zuständigen Behörden klären, was in Fragen Datensicherheit und Datenschutz geht und was nicht.

 

Eine defensive Antwort, die bestimmte Rückschlüsse nahelegt. Erstens: Die Kultusminister haben hier, wie Füller sagt, nichts entschieden. Sondern das KMK-Sekretariat wollte nützlich sein.

 

Zweitens: Entweder haben die KMK-Mitarbeiter die öffentlichen Reaktionen, die eine Empfehlung von Google & Microsoft auslösen würde, unterschätzt – oder die Aufnahme war eine Art Testballon.

 

Drittens: Die üblichen Reflexe in Teilen der Bildungsszene kamen mit leichter Verspätung, aber als die Liste entdeckt worden war,  dann offenbar wie erwartet (oder, siehe Vermutung zwei, sogar stärker als erwartet): Wer garantiert, dass mit den Daten der Lernenden bei US-Plattformen nicht Schindluder getrieben wird? Überhaupt, wieso dieser Kotau vor diesen Spitzenvertretern des amerikanischen Digital-Kapitalismus?

 

Woraufhin viertens:  Das KMK-Sekretariat schleunigst reagierte und die Empfehlungen wieder entfernte. 

 

Die gegenwärtige Bildungsdebatte
ist realitätsfern

 

Eine Staatsaffäre? Sicher nicht. Aber sie zeigt die teilweise Realitätsferne der gegenwärtigen Bildungsdebatte. Natürlich nutzen die engagiertem Lehrkräfte überall im Land alles, was geht, um ihren Schülern trotz der Schulschließungen Lernangebote zu machen, um die Bildungsdefizite so gering zu halten wie nur irgend möglich. Natürlich greifen deshalb auch viele zu Microsoft und Google.

 

Alle wissen es. Doch wenn offizielle Stellen zur Abwechslung diese Realität einmal offensiv benennen, geraten sie sofort unter Druck. Sollen doch die Lehrer und Schüler, wie jetzt der KMK-Disclaimer nahelegt, selbst wissen, was erlaubt ist und was nicht. Und bloß nicht auf öffentliche Stellen hoffen, dass diese ihnen durch programmatische Ansagen den Rücken freihalten.

 

Solange aber weder die öffentliche Lerninfrastruktur noch jene Digitalangebote, bei denen sich alle, aber auch wirklich alle, auf ihre Unbedenklichkeit einigen können, dem Bedarf von Millionen Schülern gewachsen sind, ist das allzu einfach gedacht. Zumal noch nicht mal gesagt ist, dass die Daten bei den staatlich betriebenen und/oder bevorzugten Plattformen und Tools so viel sicherer sind. Fragen Sie mal die Angeklagten, Kläger und Zeugen des Berliner Kammergerichts




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Kommentare: 4
  • #1

    scheppler (Dienstag, 07 April 2020 17:35)

    Von realitätsferne kann gar keine Rede sein. Denn offenbar verkennt der Autor, wie realitätsnah diese Debatte ist.

    Denn genau mit diesem Druck auf derartige "Hinweise" ohne "Empfehlungscharakter" reagieren Lehrkräfte deswegen auch so energisch, weil sich darin das permanente Alleinlassen der Schulen exemplarisch abbildet. Auch der "Disclaimer" ist doch wieder der Hinweis darauf, dass die Verantwortung alleine auf die Schulen - womöglich sogar die einzelne Lehrkraft - abgewälzt werden soll. Existiert da tatsächlich die Vorstellung, dass eine Lehrkraft oder eine schule in bilaterale Verhandlungen mit Microsoft oder Google treten möge, um zu prüfen, ob die Datenverarbeitung legitim und im Sinne der Grundrechte der Schüler*innen und Lehrer*innen erfolgt?

    Das ist die Realitätsferne, die der KMK vorzuwerfen ist - und eben nicht denjenigen, die genau diese wirkmächtige Institution auffordert, nicht einfach bewerbende Hinweise auf die eigene Homepage zu setzen. Sondern die Schulen erwarten, dass es die KMK als Bündelung der 16 Bildungsministerien ist, die in eben in jene Verhandlungen mit den Weltkonzernen eintritt, die offenbar notwendig ist, um denen beizubringen, wie mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung umzugehen ist.

    Und letztlich kann doch auch nur so der Druck auf die jeweiligen Bildungsministerien aufrecht erhalten werden, die Schulen beim Finden von legitimen Lösungen zu unterstützen oder ihnen gar eine eigene Lösung zu schaffen (staatlich kontrollierte Infrastruktur auch im Digitalen für staatliche Schulen). Wenn die KMK das tatsächlich - wie vom Autor optional vermutet - lanciert, um zu schauen, wie die Großwetterlage gegenüber den Konzernen ist, wäre das tatsächlich jeden Aufschrei wert.

    Und natürlich haben wir derzeit keine ausreichende Lerninfrastruktur. Aber wessen Verschulden ist das denn? Etwa dasjenige der Lehrer*innen, die nun auch noch die Arbeit der Prüfung auf Konformität hinsichtlich der Grundrechte der Betroffenen - mal eben neben dem Erstellen von Arbeitsblättern - leisten sollen? Während die KMK als Bündelung der 16 zuständigen Ministerien eine Werbeliste mit Tools rausgibt, die Landesdatenschutzbeauftragte zuvor schon für problematisch erklärt haben? Und dann sollen sich die Lehrkräfte für so viel Pragmatismus auch noch bedanken?

    Das halte ich wiederum für zu einfach gedacht.

  • #2

    Edith Riedel (Mittwoch, 08 April 2020 21:03)

    Der Datenschutz und die Datensicherheit werden, wie so oft, vorgeschoben, um zu verschleiern, dass man keine Lösungen hat und auch weder die Kompetenz noch die Motivation, welche zu suchen oder gar zu finden. Das ist ein absolutes Armutszeugnis, gerade in diesen Zeiten. Die Lehrer*innen arbeiten in einem unterfinanzierten, rückständigen System, um Bildung möglich zu machen, und werden selbst in einer Notsituationen wie dieser alleine gelassen.

  • #3

    Christian Füller (Montag, 20 April 2020 18:24)

    @Frau Riedel, ich darf ihnen gerne mal übersetzen, was Datenschutz meint. Es geht darum, die informationelle Selbstbestimmung der Schüler zu achten und zu schützen. Ein Grundrecht erkennt man daran, dass es sich in der Verfassung befindet. Das Grundrecht auf Inform- Selbstbestimmung ist hoch angesiedelt. Und ein solches entzieht sich Abstimmungen (und seine es noch so viele, die es abschaffen wollen) und es richtet sich auch nicht danach, ob eine Plattform oder ein Tool besonders fluffig ist. Hier ein Film, er kurz erklärt, worum es geht. https://pisaversteher.com/2020/04/20/empfiehlt-die-kmk-microsoft/

  • #4

    besorgtervater (Donnerstag, 10 September 2020 10:24)

    Was die KMK da gemacht hat ("Empfehlung" von Lösungen, die Datenschutzexperten zur Verzweiflung bringen), ist schlichtweg skandalös. Es gibt eine ganz klare Rechtslage im Bereich Datenschutz. Und nicht genug, dass diese von den Schulträgern weitgehend ignoriert wird - selbst die Kultusministerien scheinen sich darum nicht ernsthaft kümmern zu wollen.
    Wenn Firmen so fahrlässig mit dem Datenschutz umgingen, müssten sie unter Umständen Millionenstrafen zahlen - und das völlig zu recht.
    Und die Kultusministerien? Ziehen sich aus der Verantwortung zurück!
    Wenn eine solche Liste veröffentlicht wird, muss die Datenschutzkonformität vorher geprüft und bestätigt werden. Das würde wirklich helfen!
    Und was mich wirklich aufregt: es stimmt einfach nicht, dass es keine Alternativen zu Microsoft und Co. gibt, die gut sind und gleichzeitig datenschutzkonform. Man muss die nur suchen (wollen) und sich nicht von den Marketingversprechen der großen US-Konzerne einlullen lassen.