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"Die Bereitschaft zu helfen ist wirklich bemerkenswert"

Frank Wissing vom Medizinischen Fakultätentag über Medizinstudenten im Kampf gegen das Coronavirus, den Streit um die Verschiebung des Staatsexamens und die Forderung nach mehr Studienplätzen.

Frank Wissing ist Generalsekretär des Medizinischen Fakulätentages (MFT) in Berlin. Foto: MFT.

Herr Wissing, Deutschland kämpft gegen die Corona-Pandemie, Tausende Medizin-Studierende haben sich freiwillig gemeldet. Wo werden sie eingesetzt? 

 

Die Dinge entwickeln sich so schnell, dass uns an vielen Stellen der genaue Überblick fehlt. Es gibt regionale und nationale Online-Portale, wo sich Studierende und potenzielle Einsatzstellen registrieren können. Allein bei den medizinischen Fakultäten haben sich über 17.000 Freiwillige gemeldet, auch der Bundesverband der Medizinstudierenden spielt bei der Vermittlung eine herausragende Rolle. Wer wie und wo helfen kann – in Kliniken, in Arztpraxen, bei Corona-Beratungsstellen, an Telefonhotlines – hängt auch von den Vorerfahrungen neben dem Studium ab. Einer Zusatzausbildung zur Rettungskraft zum Beispiel oder den Pflegepraktika im Krankenhaus. Insgesamt aber kann man nur sagen: Die Bereitschaft zu helfen ist wirklich bemerkenswert.

 

"Für die Studierenden gelten dieselben
strengen Sicherheitsvorgaben."

 

Deutschlandweit fehlt es an Schutzkleidung und Schutzmasken. Gehen die Helfer selbst ein Risiko ein?

 

Wo immer es um den direkten Kontakt mit Menschen geht, gelten für Studierende dieselben strengen Sicherheitsvorgaben wie für das übrige Personal auch: Ohne ausreichenden Selbstschutz darf keiner an die Patienten. Aber genau das führt dazu, dass nicht so viele Studierende zum Beispiel in Arztpraxen eingesetzt werden, wie zur Verfügung stünden – weil es dort mitunter schon schwierig ist, die eigenen Leute angemessen auszustatten. Allerdings haben wir auch über diesen Mangel und seine Dimensionen nur anekdotisches Wissen. Wir hören zum Beispiel davon, dass teilweise die Atemfilter und die Schutzmasken gereinigt und wiederverwendet werden müssen. Auch scheint die Versorgungssituation lokal sehr unterschiedlich zu sein. Systematische Erhebungen dazu kenne ich nicht. 

 

Medizinstudierende, die heute ihr Studium unterbrechen, um zu helfen, fehlen morgen als Ärzte.

 

Die fakultären Vermittlungsplattformen, die ich überblicken kann, versuchen alle, das zu berücksichtigen. Es geht darum, Wege zu finden, wie die Hilfseinsätze als praktische Studienleistungen angerechnet werden können. Weil die Präsenzlehre am Patienten ohnehin ausgesetzt ist, es also keinen Unterricht am Krankenbett gibt, läge es nahe, den freiwilligen Coronadienst als eine Art Blockpraktikum anzuerkennen. Die Studierenden sollten sich da im Vorfeld genau informieren. Im Übrigen drängen wir darauf, dass es für jeden Einsatz eine klare vertragliche Grundlage gibt, schon damit alle Freiwilligen entweder als Studierende oder als Mitarbeiter durch alle nötigen Versicherungen abgesichert sind.  

 

Auf Initiative von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Bundeskabinett vergangene Woche eine Verordnung beschlossen, derzufolge das Mitte April geplante zweite medizinische Staatsexamen (M2) um ein Jahr verschoben werden soll – unter anderem damit die Studierenden schneller in die Krankenhäuser kommen. Nach Rücksichtnahme auf ihre Belange klingt das nicht. 

 

Die Verordnung ergibt sich aus dem Bevölkerungsschutzgesetz, das ebenfalls Ende März beschlossen wurde. Wir sind froh, dass wir medizinischen Fakultäten gegenüber dem ersten Entwurf noch bedeutende Änderungen erreichen konnten. Ursprünglich war im Gesetz sogar von Zwangsrekrutierungsmaßnahmen für ärztliches Personal und für Studierende die Rede. 

 

"Den Ländern, die jetzt trotzdem Examen schreiben
wollen,
kann ich nur die Daumen drücken."

 

Viele Studierende protestieren dennoch gegen die Verschiebung des M2 – weil sie sich zum Teil seit vielen Wochen darauf vorbereitet haben. Zumal jetzt die Verwirrung pur herrscht: Einige Länder wollen den Vorgaben Spahns offenbar nicht folgen und das Staatsexamen trotzdem durchziehen. 

 

Viele Studierende hätten das Examen lieber ganz ausfallen lassen. Aber es war klar, dass die Gesundheitsministerien da nicht mitgehen würden, daher unser Vorschlag zu verschieben. Ich weiß, dass Bayern und Baden-Württemberg flächendeckend ins nächste Jahr gehen wollen, während andere Länder versuchen, wie geplant Mitte April zu schreiben. Denen kann ich nur die Daumen drücken und viel Erfolg wünschen. Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen: Die infektionshygienischen Anforderungen sind so hoch, ich hoffe nicht, dass wir doch noch kurzfristige Absagen erleben werden.  

 

Sie haben wenig Verständnis für die Studierenden, die sich über die Verschiebung ärgern?

 

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich würde mich auch freuen, wenn jetzt alle das M2 schreiben würden. Denn natürlich ist es eine Zumutung, zweimal lernen zu müssen und dafür weniger Zeit als sonst zu haben. Aber das Durchführungsrisiko ist hoch. Und mindestens ein Fünftel der Studierenden gibt uns die Rückmeldung, dass sie aus Sorge um ihre Gesundheit dieses Jahr auf keinen Fall gezwungen sein wollen, die Prüfungen zu absolvieren.  

 

Und was bringt die Verschiebung im Kampf gegen Corona?

 

Das Bevölkerungsschutzgesetz lässt jetzt für maximal sechs Monate eine Abweichung von der geltenden Approbationsordnung zu. Den Plan, das Staatsexamen anders als normalerweise nicht vor dem anstehenden Praktischen Jahr, sondern direkt im Anschluss und in reduzierter Form zu machen, halten wir vom MFT für einen vertretbaren Kompromiss. Es entsteht praktisch kein Zeitverlust für die Studierenden, gleichzeitig können sie aber schon jetzt unter einigermaßen kontrollierten Bedingungen in die Krankenhäuser.

 

"Möglicherweise gewinnen wir so
die entscheidenden Wochen."

 

Und das alles für ein paar Wochen?

 

Möglicherweise für die entscheidenden paar Wochen! Jetzt können die Studierenden noch halbwegs normal eingearbeitet werden. Für Mai erwarten die Epidemiologen den Höhepunkt der Erkrankungswelle, wir wissen nicht, was dann in den Krankenhäusern los ist. Ich finde es richtig, dass das Bundesgesundheitsministerium hier für das Worst-Case-Szenario plant.  

 

Die Finanzierung der Universitätskliniken war schon vor der Krise enorm unter Druck. Ermöglicht Corona, die Debatte über die Unterfinanzierung der sogenannten Maximalversorger neue aufzurollen?

 

Was im Augenblick jedenfalls sehr deutlich wird: Die Verzahnung von Krankenversorgung und Forschung, wie sie nur die Unikliniken leisten können, ist von zentraler Bedeutung für den jetzt nötigen schnellen Erkenntnisfortschritt – auch und gerade in der Verknüpfung mit anderen universitären Disziplinen. Wir brauchen in dieser Krise nicht nur die Mediziner, wir brauchen auch die Ethiker, die Wirtschaftswissenschaftler, die Soziologen und die Psychologen in unseren Universitäten. Hinzu kommt, dass die Unikliniken einen großen Teil der intensivmedizinischen Versorgung verantworten und damit auch die meisten Daten erheben, zum Verlauf von Covid-19 und der Pandemie insgesamt. Wie viele Patienten müssen beatmet werden? Wie viele brauchen eine intensivmedizinische Versorgung? Wie lassen sich Infektionsketten in den Krankenhäusern unterbrechen? Solches Wissen ist essentiell, um diese Pandemie zu bewältigen und für künftige vorbereitet zu sein. Und wir generieren es zum großen Teil in den Unikliniken.

 

"Solange die systemrelevante Rolle der Unimedizin nicht
in ihrer Finanzierung abgebildet ist, haben wir ein Problem."

 

Ist das ein Plädoyer in Richtung Politik?

 

Ich sage immer: Mit den Universitätskliniken ist es wie mit unserem Immunsystem. Wir sollten es dann pflegen, wenn es uns gut geht, und nicht erst dann, wenn wir uns einen Infekt eingefangen haben. Also: ja. Solange die systemrelevante Rolle, die die Universitätsmedizin hat, nicht auch in der Finanzierung unseres Gesundheitssystems abgebildet ist, solange die Unikliniken gleichgestellt sind mit allen anderen Krankenhäusern, haben wir ein Problem. 

 

Und was ist mit dem Ärztemangel? Ist der nicht auch hausgemacht durch die niedrige Zahl an Medizin-Studienplätzen? Steigen Sie da in Nachverhandlungen mit der Politik ein?

 

Wir sollten in der momentanen Lage alle vorsichtig sein mit unseren Forderungen. Medizin-Studienplätze sind schon jetzt teuer, und durch die Reform des Medizinstudiums werden sie absehbar noch deutlich teurer. Gleichzeitig steht unsere Gesellschaft durch Corona auch wirtschaftlich und finanzpolitisch vor enormen Herausforderungen. Daher verzeihen Sie mir meine Zurückhaltung. Natürlich kann man sich immer mehr Studienplätze wünschen, aber noch mehr wünsche ich mir, dass wir als Gesellschaft in einem halben Jahr, wenn das Schlimmste hoffentlich vorbei ist, einen Kassensturz machen und sehen, was überhaupt noch finanzierbar ist. Und dann müssen wir gemeinsam ans Priorisieren gehen.



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Kommentare: 2
  • #1

    Michial (Mittwoch, 15 April 2020 14:13)

    Ich möchte, als Student einer baden-württembergischen, medizinischen Fakultät im derzeit 10. Semester, etwas zu der derzeitigen Thematik beitragen.
    Es geht dabei um die Passage zur Verschiebung des M2 sowie die Gesamtkonstellation, die sich uns Studenten momentan bietet.

    Wie sieht die studentische Hilfsbereitschaft aus?
    Die Fakultäten Baden-Württembergs haben aus dem Boden Online-Tools geschaffen, wo sich Studierende eintragen können. Der Mannheimer morgen schrieb am 07.04 dazu: "In Ulm meldeten sich 690 Studenten, in Mannheim 590, in Tübingen 1200, in Heidelberg 1140 und in Freiburg 1408."
    Das sind immense Zahlen. Einige haben bereits Arbeitsverträge unterschrieben. Ich stimme zu, dass die Nachfrage noch nicht so groß ist und nicht alle eingesetzt werden können. Die Bereitschaft ist aber da! Und umindest bekommen die Studenten auch einen angemessenen Lohn dafür.

    Was ist das M2, was kommt danach?
    Das M2 ist das Zweite Medizinische Staatsexamen. Es findet normalerweise nach dem 10. Semester, d.H. entweder im Frühjahr oder Herbst, d.H. zwei Mal pro Jahr statt. Dort wird an drei Tagen medizinisches Wissen fallbasiert als Prüfung abgefragt. Für das M2 werden Lernpläne von etwa 100 Tagen angesetzt. Da das diesjährige M2 vom 15.-17.4 stattfinde(n) soll, haben sich Prüfungskandidaten seit Weihnachten darauf vorbereitet.
    Nach dem M2 schließt sich das Praktische Jahr an. Dort werden die Studenten vier Monate in Innerer Medizin, vier Monate in der Chirurgie und vier Monate in einem ausgesuchten Wahlfach eingesetzt (40h/Woche). Berufschancen in kleineren Fächern steigen, wenn man sein Wahlfach dort absolviert (z.B. Haut- oder Augenarzt). Das PJ bietet zudem die Möglichkeit, bestimmte Teile im Ausland zu absolvieren und damit in einem sehr verschulten Studium über den Tellerrand hinauszublicken. Ansonsten arbeitet man halt.
    Bis dato besteht kein gesetzlicher Anspruch auf eine Vergütung im PJ, da dies nichts mit den Online-Tools zu tun hat. An vielen Orten wird gar nichts gezahlt. Ansonsten existieren z.B. in Ba-Wü Varianten von 200-400, in Einzelfällen gehts mal bis 500-600 Euro hoch.

    Was beinhaltet die transiente Änderung der Approbiationsordnung durch Spahn?
    1. Das M2-Examen wird nun ein Jahr auf April 2021 verschoben und ca. einen Monat vor dem M3-Examen stattfinden.
    2. Das PJ startet statt Mitte Mai am 20.04 und endet Ende Februar. Für das Examen bleiben damit statt 100 Lerntage 6 Wochen - Wenn man zwei Wochen Urlaub am Ende nutzt 8 Wochen (56 Tage).
    3. Die Wahlfächer dürfen von den Unis der epidemiologischen Lage angepasst werden. Es besteht keine Garantie, überhaupt sein Wahlfach absolvieren zu dürfen.
    4. Auslandstertiale sind per se nicht verboten, aber durch die Situation unmöglich.
    5. Die Änderung der APPO sieht weiterhin keine flächendeckende Aufwandsentschädigung vor.

    Das ist für den entsprechenden Jahrgang eine Katastrophe. Keine Garantie fürs Wahlfach, kein Geld, eingeschränkte Mobilität - dafür ein zusammengestauchter Lernplan fürs M2-Examen plus Doppelbelastung mit M3-Examen. Der Schock sitzt tief.

    Wobei, eine Sache habe ich vergessen:
    6. Die Bundesländer können abweichend die alte Regelung mit den alten Zeiten und Daten nutzen, sofern sie das M2 durchführen wollen.

    Dafür wurde schon im Vorfeld gekämpft. BVMD, Fachschaften, Studiendekane - es war ein Krimi, dem ich live beigewohnt habe. Mindestens drei Wochen Psychoterror für den jetzigen M2-Jahrgang während der Lernphase. Die Mehrheit wollte ganz klar schreiben! Es ist m.E nicht nachvollziehbar, diese Studierende als Minderheit zu deklarieren. Wenn eine Gruppe über Hygiene Bescheid weiß und Verantwortung übernehmen kann, dann wir Mediziner. In der Klinik stecken wir uns womöglich sowieso an. Und es hatte bei vielen Bundesländern Erfolg. Das M2-Examen findet fast überall statt. Chapeau an NRW, die sich dafür eingesetzt haben. Andere sind nachgezogen. Nur Baden-Württemberg und Bayern, die das Groß der Unis stellen, wollten nicht. Es halfen keine Statements vom Marburger Bund oder Hartmannbund, keine Konferenzen der Dekane. Ein Schreiben aller Fachschaften Baden-Württembergs und Bayerns mit den Unterschriften der Studiendekane, die alle auf unsere Seite waren, das M2 stattfinden zu lassen, es verpuffte einfach. Man hat es nicht mal versucht. Damit war die Katastrophe komplett.
    Die PJ-Zeiten im Süden sind damit einheitlich komplett anders. Damit fällt auch die Inlandsmobilität zum Rest des Landes weg. Gleichzeitig gibt es die klare Anweisung, dass man doch bitte an seiner Heimatuniversität und deren Lehrkrankenhäuser bleiben soll. Kein Anspruch auf Vergütung. Und nein, das ist keine Zwangsverpflichtung, aber ein rabenschwarzer Tag für jeden Medizinstudenten aus Ba-Wü und Bayern.

  • #2

    Michial (Mittwoch, 15 April 2020 14:14)

    Noch einen kurzen Nachtrag (Bitte den anderen Kommentar zuerst lesen)

    Die weitere Entwicklung sieht nun so aus, dass das verschobene M2-Examen mit dem nachfolgenden Jahrgang geschrieben werden soll - mit den exakt gleichen Fragen. Es werden zwar angepasste Lernpläne kommen, aber das war's auch schon mit der inhaltlichen Adaptation. Das dafür zuständige IMPP hat eine entsprechende Analyse hochgeladen, die dieses Vorgehen relativiert und Chancenungleichheiten abweist. Man sei gesetzlich dazu gezwungen, eine einheitliche Prüfung zu stellen. Über den Ansatz, pro und contra, kann sich ja jeder selbst eine Meinung bilden. Wenn in dem Statement aber schon die Rede ist, dass Studierende ihren sämtlichen Urlaub am Ende des PJs nehmen würden bzw. sollen, weiß man, wie sehr dieser Jahrgang gerade leidet.