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Wann wieder Schule ist? Das wüssten auch die Kultusminister gern

Erst müssen die Regierungschefs nächste Woche sagen, wie es mit dem Shutdown weitergeht, dann sind die Bildungspolitiker an der Reihe. Ihre Antwort soll möglichst einheitlich ausfallen.

Ist hier bald wieder etwas los? Ein Schulhof in Deutschland (Symbolbild). Foto: Turmi: "Oberer Schulhof der Grundschule Yorckstraße in Solingen", CC BY-SA 4.0.

DIE KULTUSMINISTER spüren den Druck. Am 19. April gehen in vielen Bundesländern die Osterferien zu Ende – und dann? Das fragen sich in diesen Tagen Millionen Schüler, Eltern und Lehrer. 

 

Dass sich die Bildungspolitiker für heute zu einer Telefonkonferenz verabredet hatten, um die Lage zu sondieren, war in den vergangenen Tagen bereits durchgesickert. Die Minister telefonierten – und waren sich einig, dass sie im Moment auch nicht viel mehr tun können als abzuwarten und Fragen zu stellen. 

 

Abwarten müssen sie vor allem die Videokonferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern, die ursprünglich für den Dienstag nach Ostern geplant, nun aber auf Mittwoch verschoben wurde. Dann wollen Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten über eine mögliche Lockerung des deutschlandweiten Shutdowns beraten – auf der Grundlage aktueller Infektionszahlen und deren Bewertung durch die Experten vom Robert-Koch-Institut und weiteren Einrichtungen. Zuletzt mehrten sich die Anzeichen, dass die Politik angesichts der abflachenden Kurve der Corona-Neuinfektionen, wenn der Trend sich so fortsetzt, zu einem allmählichen Einstieg in den Ausstieg aus den drastischsten Eindämmungsmaßnahmen bereit sein könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach heute laut dpa von "Anlass zu vorsichtiger Hoffnung". 

 

Die Kultusminister hoffen auf eine
klare Ansage der Gesundheitsexperten

 

Aber Anzeichen sind nicht Gewissheit, und so warnte auch Merkel, man werde noch "auf längere Zeit in und mit dieser Pandemie leben müssen“. Und selbst wenn die Lockerung kommt, wissen die Kultusminister noch nicht, wann genau bei einer stufenweisen Lockerung sinnvollerweise die Schulen an der Reihe sein sollten. Diese Frage könnten nicht sie als Bildungspolitiker beantworten, da waren sich die Minister Teilnehmern zu folge bei ihrer Telefonschalte einig, sondern sie erwarten dazu Anhaltspunkte von der Wissenschaft, vor allem aber von ihren Kollegen in den Gesundheitsministerien – und vor allem von den Regierungschefs persönlich.


Bitte öffnen!

Wer fordert, wegen Corona müssten die Schulen geschlossen bleiben, macht es sich zu einfach. Ihre schrittweise Öffnung, die die Leopoldina fordert, ist angemessen – und für die Gesellschaft insgesamt die sicherste Option. Ein Plädoyer vor dem Treffen der Regierungschefs.

 

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Das Verhältnis zwischen Kultus- und Gesundheitsseite ist derzeit nicht ganz spannungsfrei, um es vorsichtig zu formulieren: Die Gesundheitsminister gelten als die treibende Kraft hinter der sehr plötzlichen und weitgehend umkoordinierten Entscheidung der Ministerpräsidenten Mitte März, die Schulen fast überall von einem Tag auf den anderen (mit nur einem Wochenende dazwischen) dichtzumachen. Viele Bildungsminister hatten hier bis zuletzt auf ein behutsameres Vorgehen gesetzt, waren jedoch überstimmt worden. Jetzt sagen sich die Kultusminister offenbar: Wenn die Gesundheitsminister schon eine treibende Kraft bei der Schließung der Schulen waren, dann sollen sie uns jetzt auch klare Antworten und Parameter an die Hand geben, ob und wie wir wo Schulen – und in welchem Umfang –wieder öffnen können. 

 

Ob sie diese klaren Antworten bis Mitte nächster Woche erhalten werden? Da sind die Kultusminister anscheinend selbst skeptisch. Und auch die Virologen weichen aus: Einen fundierten Rat könne er zur Schulöffnung derzeit nicht geben, zitierte der Spiegel gestern Hendrik Streeck, Direktor des Bonner Instituts für Virologie.  Es gebe noch keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie oft Kinder ihre Eltern oder Großeltern unbemerkt ansteckten. "Wenn wir die Schulen zu früh wieder öffnen, schaffen wir womöglich einen Multiplikator für das Virus, der dann wieder gefährlich sein kann." 

 

Am 15. April müssen auch die Kultusminister
sagen, wie es weitergeht

 

Was die Kultusminister dafür genau wissen: Spätestens wenn die Regierungschefs von Bund und Ländern am Mittwoch mit ihrer Telefonschalte durch sind, müssen auch sie der Öffentlichkeit einen Plan vorlegen, wie genau es vom 20. April an in den Schulen weitergeht. Und weil sie wissen, wie groß der Erwartungsdruck wird, haben sie sich heute geschworen, dann möglichst einheitlich zu handeln. 

 

Fest steht dabei eigentlich nur, dass die Kultusminister unter möglichst allen Umständen die Abitur- und Abschlussprüfungen durchziehen wollen, das hatten sie schon Ende März nach einigem Hin und Her so vereinbart. Zwar haben sie heute auch Pläne für den Fall besprochen, dass die Pandemie das Ablegen aller Prüfungen in einzelnen oder mehreren Ländern doch unmöglich machen sollte. Denn selbst in einer solchen Situation wollen die Ministerien auf keinen Fall als chaotischer Haufen dastehen.

 

Zugleich aber wollen die Ressortchefs, auch wenn es jetzt diese Pläne gibt, möglichst gar nicht über sie reden. Ihre Botschaft soll angesichts von Petitionen und Protesten, das Abi ausfallen zu lassen, eindeutig und stark sein: Die Prüfungen finden statt – vielfach später als geplant, mit strengen Hygienevorkehrungen, jeder Menge Sonderregelungen für gesundheitsbeeinträchtigte Schüler, mit besonders vielen Nachholterminen als Puffer – aber sie finden statt. Und das Abflachen der Infektionskurve hat dieser großen Entschlossenheit der Kultusminister in den vergangenen Tagen weiteren Auftrieb gegeben. 

 

Sehr wahrscheinlich ist auch, dass die meisten Länder selbst im günstigsten Falle nicht gleich am 20. April wieder anfangen werden, den sonstigen Unterricht hochzufahren. Da brauche man etwas mehr Vorwarnzeit, ist zu hören, mindestens eine Woche, soll wohl heißen: Vor Ende April wird außer Abschlussprüfungen nicht viel passieren. Und wenn doch, so sind es die zuerst die Abschlussklassen, die in die Schulen gehen sollen, damit sie auf ihre Prüfungen vorbereitet werden können. 

 

Stufenpläne, Rotationsverfahren
und jede Menge Fragezeichen

 

Das war es dann aber auch schon mit dem, was Stand heute sicher oder wahrscheinlich erscheint. Zwar haben die Kultusministerien im Vorfeld der Telefonschalte über verschiedene Wiedereinstiegs-Szenarien verhandelt, unter anderem mit einem Stufenplan, in welcher Reihenfolge welche Klassenstufe und Schulform an der Reihe sein könnte, oder alternativen Überlegungen, man könnte Klassen bis zu den Sommerferien jeweils in halber Stärke nach einem Rotationsprinzip abwechselnd in Präsenz und im Fernunterricht beschulen. Doch auch wenn die Minister den Stufenplan favorisieren: Sie waren sich heute einig, dass derart konkrete Abfolgen mit dem aktuellen Wissen nicht sinnvoll zu beschließen sind. Und dass am Ende ohnehin die Regierungschefs die Richtung vorgeben.

 

Zu zahlreich sind zudem die Fragezeichen. Wie sollte zum Beispiel bei einem Rotationsprinzip die Beförderung der Schüler auf dem Land funktionieren? Wie viele Schulbusse zusätzlich bräuchte man, damit die Kinder nicht zu eng aufeinander sitzen, und wo sollten diese Busse herkommen? Wie viele Lehrkräfte zählen zu den Risikogruppen und werden deshalb ganz sicher in den nächsten Wochen nicht unterrichten können? Nach welchen Kriterien genau kann man überhaupt solche Risikogruppen definieren? Was bedeutet das absehbare Fehlen sehr vieler Lehrer für das Aufstellen möglicher Rumpfstundenpläne?

 

Und so gehen die Fragen weiter: Was sind angemessene Gruppengrößen für den Unterricht? Und was ist denn nun mit den ganz Kleinen, den Grundschülern? Bei ihnen stellt sich die Betreuungsfrage am dringendsten, gleichzeitig sind sie selbst kaum durch Covid-19 gefährdet. Aber heißt das auch, wie eine viel beachtete neue Studie nahelegt, dass sie auch für andere kaum eine Gefahr darstellen? Oder werden sie krank und merken es bloß nicht? Was wiederum ihre Familien und Lehrkräfte besonders gefährden würde. Soll man also die Grundschulen besonders früh öffnen oder eher besonders spät?

 

Die Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen Regionen mit vielen Infizierten und solchen mit wenigen, zwischen Grund- und Oberschulen, zwischen Klassen, die vorm Abschluss stehen und solchen, bei denen der Unterrichtsstart aus pädagogischen Gründen nicht ganz so dringend ist, all das erfordert Differenzierung und macht die schrittweisen Schulöffnungen komplex.

 

Alle zerren an
den Kultusministern

 

Gleichzeitig wird von allen Seiten an den Kultusministern gezerrt: von denjenigen Lehrkräften und Eltern, die aus Angst vor einer Ansteckung die Schulen am liebsten bis zu den Sommerferien geschlossen halten würden. Von denjenigen Eltern, die an der Frage verzweifeln, wie sie die Betreuung der Kinder neben dem Job organisieren sollen und deshalb inständig auf die sofortige Öffnung hoffen. Von den Experten, die die zunehmende häusliche Gewalt während des Shutdowns, auch die Gewalt gegen Kinder, fürchten. Und von den Bildungsforschern, die vor der massiven Bildungsbenachteiligung von Kindern aus ärmeren oder bildungsfernen Familien während des Homeschoolings warnen. 

 

Und doch muss Mittwoch, der 15. April irgendwie zum Tag der Wahrheit für die Schulen werden – und auch für die Kitas, bei denen eigentlich auch nur feststeht, dass der Regelbetrieb am 20. April sicherlich nicht wieder beginnen wird. 

 

Zumindest das Ziel der Kultusminister ist damit klar: Sie wollen bundesweit einheitliche Regeln, Parameter und Kriterien, die nicht zur Folge hätten, dass es an allen Schulen und in allen Regionen gleichzeitig und im gleichen Umfang wieder losgehen würde. Aber dass die Entscheidung, ob und wie geöffnet wird, einem vergleichbaren Raster folgt – das auch für die Betroffenen nachvollziehbar ist. Genau das wollen sie auch ihren Regierungschefs sagen.


Die komplizierte Empirie der Epidemie

Wie kompliziert die Empirie der Epidemie und ihrer Eindämmung ist, wurde zuletzt an den Ergebnissen mehrerer Studien deutlich.

 

Das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation teilte mit, eine Modellrechnung habe die Wirksamkeit der seit dem 22. März geltenden bundesweiten Kontaktsperre bestätigt. Sie habe die exponentielle Ausbreitung der Corona-Infektionen gebrochen. Schon die zuvor am 8. und 16. März beschlossenen Einschränkungen, zu denen die Schließungen von Kitas und Schulen gehörten, habe den Verlauf der Epidemie abgeschwächt – aber eben noch stark genug.Die Göttinger Simulation zeige aber auch, berichtet die Max-Planck-Gesellschaft:"Um die Corona-Epidemie in den Griff zu bekommen, müssen wir soziale Kontakte noch etwa zwei Wochen auf ein Minimum beschränken."

 

Welche Bedeutung einzelne Maßnahmen gehabt haben, können die Forscher freilich nicht sagen. "Es ist schon schwierig genug, die Effekte der Maßnahmenpakete einzuschätzen, ganz zu schweigen von den einzelnen Maßnahmen", wird die Max-Planck-Forscherin Viola Priesemann zitiert. Womit auch unklar bleibt, welchen Anteil die Schließung von Kitas und Schulen am Abflachen der Kurve hat. 

 

Die britisch-australische Forschergruppe, die ihre Forschungsergebnisse in der Zeitschrift "Lancet Child Adolesc Health 2020" veröffentlicht hat, würde sagen: jedenfalls keinen großen. In ihrer Meta-Auswertung von 16 internationaler Studien kommen sie zu dem Ergebnis, dass Schulschließungen allein nur zwischen zwei und vier Prozent der COVID-19-Todesfälle verhinderten – "viel weniger als andere Formen des Social Distancings". 

 

Die Ergebnisse, schreiben die Forscher weiter, stellten Politiker vor ein Dilemma: Einerseits hätten sie mit den Schulschließungen ein (öffentlichkeitswirksames?) Instrument an der Hand, bei dem der gesunde Menschenverstand nahelege, dass es große Wirkung in der Eindämmung von Infektionen haben müsste. Doch zugleich gebe das die Datenlage so nicht her – während die sozialen und wirtschaftlichen Folgen langwieriger Schließungen unbestritten sehr hoch seien. 

 

Und noch eine Studie wird voraussichtlich nächste Woche bei den Regierungschefs – und damit auch bei den Kultusministern – eine 

Rolle spielen. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck und sein Team haben heute erste Zwischenergebnisse ihrer Studie aus dem Corona-Hotspot Gangelt im Kreis Heinsberg vorgelegt. Für Gangelt sei diese repräsentativ.

 

Demzufolge haben dort wahrscheinlich bereits 15 Prozent der Bevölkerung eine Covid-19-Erkrankung hinter sich – dreimal mehr als vermutet. Womit auch die Mortalitätsrate (also die Zahl der Toten durch die Zahl der Erkrankten insgesamt) mit 0,37 Prozent deutlich niedriger liege, als es die deutschlandweit verfügbaren Statistiken (1,98 Prozent) derzeit nahelegen.

 

Die Heinsberger Studie lässt vermuten, dass die Dunkelziffer hinter den deutschlandweit offiziell 114.300 Infektionen (Stand am 09. April um 19 Uhr) ein Vielfaches betragen könnte – was einerseits für seine weitaus höhere Verbreitung spräche, andererseits sein Gefährdungspotenzial abseits der Risikogruppen deutlich geringer erscheinen ließe. Für konkrete Schlussfolgerungen, warnen Virologen, sei es jedoch noch zu früh.

 

Derweil sind sich die Kultus- und Jugendminister einig, dass sie bis zur Rückkehr zum Normalbetrieb an den Kitas und Schulen besondere Maßnahmen zum Schutz der benachteiligter Kinder und Jugendlicher treffen müssen. Dazu gehört die Ausweitung der Notbetreuung auf einen größeren Personenkreis, ein engerer Kontakt mit den Eltern, die Versorgung ärmerer Kinder mit digitalen Leihgeräten oder unter Umständen auch die Möglichkeit, in der Schule zu lernen, wenn zu Hause der Rückzugsraum fehlt. Viele Bundesländer haben längst solche und ähnliche Maßnahmen ergriffen. 

 

Und selbst wenn die Schulen erst allmählich geöffnet werden sollten und damit der normale Vollbetrieb bis zum Schuljahresende nicht mehr erreicht würde, wehren sich die Kultusminister gegen Forderungen, die Sommerferien zu verkürzen oder gar zu verschieben.

 

"Wir alle wollen, dass das Schuljahr 2020/2021 plangemäß starten kann", sagte KMK-Präsidentin Stefanie Hubig dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Es könne sein, dass einzelne Abiturprüfungen in einzelnen Ländern in den Beginn der Sommerferien hineinreichen würden, "insgesamt wollen wir aber, dass unsere Lehrkräfte, unsere Schülerinnen und Schüler wie geplant in die Ferien starten können."




Kommentare: 4
  • #4

    Nadine (Mittwoch, 15 April 2020 08:52)

    Unsere Kinder brauchen auch wieder mal soziale Kontakte .

  • #3

    Nevio (Dienstag, 14 April 2020 00:42)

    Es is viel zu gefährlich jetzt die Schulen zu öffnen!!!!!

  • #2

    Sandra (Montag, 13 April 2020 09:30)

    Denke auch das es zu früh ist die Schulen wieder zu öffnen. !

  • #1

    Sisi (Samstag, 11 April 2020 20:23)

    Nein die schulen sollen zu bleiben!!! es ist zu gefährlich wenn die schulen aufgemacht werden werden sich Noch mehr Menschen anstecken