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Von wegen 4. Mai

Bundeskanzlerin Merkel sagte, in den Schulen gehe es erst in gut zwei Wochen los. Dabei haben die Regierungschefs etwas Anderes vereinbart – verständlicherweise.

ES SAH NACH der ganz großen Einigkeit aus. Dem Signal föderaler Geschlossenheit im Kampf gegen das Coronavirus, das sich alle gewünscht hatten – die Regierungschefs von Bund und Ländern selbst womöglich am meisten.

 

Vom 4. Mai an, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Pressekonferenz gestern Abend, würden die Schulen schrittweise wieder öffnen. So lässt es sich auch in der Zusammenfassung der Corona-Beschlüsse auf der Website der Bundesregierung nachlesen: "Der Schulbetrieb soll ab 4. Mai schrittweise wieder aufgenommen werden – zunächst prioritär für Abschlussklassen und qualifikationsrelevante Jahrgänge sowie die letzte Klasse der Grundschule." Und so berichteten es anschließend auch die Zeitungen und Online-Medien, auch ich hier im Blog: Bis zum 4. Mai bleiben die Schulen bundesweit zu, dann geht es Stück für Stück wieder los.

 

Minuten später verkündeten die ersten
Ministerpräsidenten: Es geht schon im April los

 

Umso mehr irritierte, dass nur Minuten nach der Berliner Pressekonferenz erste Landesregierungen scheinbar abweichende Fahrpläne verkündeten. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Achim Laschet (CDU) zum Beispiel, der sich in den Tagen zuvor mit Forderungen nach einem möglichst schnellem Unterrichtsbeginn profiliert hatte, teilte mit, dass die Abiturienten schon vom kommenden Montag, also vom 20. April an, in die Schulen kommen werden.

 

Er blieb nicht der einzige. Auch Sachsen gab bekannt: Die Abiturienten können "für Konsultationen" schon am Montag in die Schule kommen. Vom 22. April dann alle Schüler von Abschlussklassen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte, die Abschlussklassen sollten als erstes "an den Start gehen", und zwar am 27. April. Brandenburg: ebenfalls 27. April. Sachsen-Anhalt: ab der kommenden Woche. Auch Rheinland-Pfalz, das Land von KMK-Präsidentin Stefanie Hubig (SPD), lässt die Abiturienten eine Woche vor dem 4. Mai zurückkehren. 

 

Ein Lehrer, der sich die Mühe gemacht hatte, die Zeitpläne der unterschiedlichen Länder noch am Abend zu recherchieren, schrieb mir, der Beschluss der Regierungschefs bedeute offenbar "für die meisten (vielleicht für alle, mal schauen) Bundesländer: Am 27. April, nicht am 4. Mai."

 

Nur war weder vom 27. April noch vom 20. April im Beschluss von Bund und Ländern die Rede, auch Merkel und Söder erwähnten diese Daten nicht – zumindest nicht explizit. Hielt also die vermeintlich so große föderale Einigkeit wieder mal nur ein paar Minuten?

 

Tatsächlich enthält der Bund-Länder-Beschluss
eine Öffnungsklausel

 

Nicht ganz. Die Regierungschefs beschlossen wörtlich: "Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen der Abschlussklassen dieses Schuljahres sollen nach entsprechenden Vorbereitungen wieder stattfinden können." Und erst im nächsten Absatz steht: "Ab dem 4. Mai können prioritär auch die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen und qualifikationsrelevanten Jahrgänge sowie berufsbildenden Schulen, die im nächsten Schuljahr ihre Prüfungen ablegen, und die letzte Klasse der Grundschule beschult werden."

 

Während Merkel und Söder – absichtlich oder nicht – die Aufmerksamkeit auf den 4. Mai lenkten, während auch das Bundespresseamt in seiner Zusammenfassung vom 4. Mai als schrittweisen Start schreibt, enthält der Satz davor in dem gemeinsamen Beschluss von Bund und Ländern die entscheidende Öffnungsklausel. Er ermöglicht es den Kultusministern, die Abiturienten fast so holterdiepolter in die Schulen zurückkehren zu lassen, wie die Schulen Mitte März geschlossen wurden. Denn die "entsprechenden Vorbereitungen", die zuvor gefordert werden, sind so schwammig formuliert, dass sie keine klaren Vorgaben darstellen. 

 

Wenn jetzt jedes Land seinen eigenen Weg für den Wiedereinstieg der Abschlussklassen wählt, wenn der 4. Mai nur scheinbar als gemeinsamer Startpunkt bleibt, dann bedeutet das also nicht, dass die Länder ihren eigenen Beschluss gleich wieder aufgeweicht haben. Nein, im Gegenteil, der Beschluss war von Anfang an windelweich von den Terminvorgaben her. Doch wollten das die Regierungschefs offenbar nicht so kommunizieren – hätte es doch zu sehr nach dem Kompromiss ausgesehen, der sich dahinter verbirgt. Verbirgt, um nach außen Einheitlichkeit zu suggerieren, auch Einheitlichkeit im Umgang mit den mindestens bis 3. Mai geltenden Ausgangsbeschränkungen.

 

Inhaltlich ist der frühere
Einstieg stimmig

 

Inhaltlich ist der frühere Einstieg dabei sogar stimmig, ja in der Logik der beschlossenen Abiturtermine notwendig – wie sonst sollten die Abiturprüfungen, die je nach Bundesland schon am 20. April beginnen, stattfinden? Oder, wenn noch ein paar Tage (oder gar Wochen) Zeit sind, muss man den Abiturienten nicht so schnell wie möglich ermöglichen, zumindest im Ansatz so etwas wie eine Betreuung bei der finalen Prüfungsvorbereitung zu erhalten? 

 

Die schrittweise Öffnung der Schulen beginnt also nicht am 4. Mai, sondern am 20. April. Neun Tage, bevor die Kultusminister den Regierungschefs ein Konzept für weitere Schritte vorlegen sollen, "wie der Unterricht unter besonderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen, insbesondere unter Berücksichtigung des Abstandsgebots durch reduzierte Lerngruppengrößen, insgesamt wieder aufgenommen werden kann". Auch das klingt nach einem größeren Widerspruch, als es tatsächlich ist. Die Vorbereitung der Abiturienten zuvor wird eben nicht als "Unterricht insgesamt" verstanden. Und unter welchen Bedingungen die Abiturprüfungen laufen sollen, hatten die Kultusminister schon vor der Schalte ihrer Chefs vereinbart.

 

Klar sei jedoch, zitiert die Allgemeine Zeitung KMK-Präsidentin Hubig: "Der Unterricht bis zu den Sommerferien wird nicht mehr wie vor Corona sein." Über die möglichen Unterrichts-Szenarien, die die Kultusminister jetzt ausarbeiten sollen, hatten sie schon vergangene Woche in der KMK gesprochen. Vor allem über den Stufenplan der Rückkehr der einzelnen Klassenstufen, wie ihn die Ministerpräsidenten jetzt auch so in Ansätzen vorgegeben haben – was im Übrigen zeigt, dass so ganz machtlos die Kultusminister dann bei der gestrigen Bund-Länder-Entscheidung doch nicht waren. Auch  alternative – oder ergänzende – Überlegungen hatte die KMK bereits angestellt, etwa dass bis zu den Sommerferien Schulklassen jeweils in halber Stärke nach einem Rotationsprinzip beschult werden könnten, abwechselnd in Präsenz und im Fernunterricht, um die Gruppengrößen zu verringern. 

 

Die Kultusminister müssen
noch viele Fragen klären

 

Doch müssen die Kultusminister bis zum Bericht an die Regierungschefs am 29. April noch viele Fragen klären: Wie könnte zum Beispiel bei einem Rotationsprinzip die Beförderung der Schüler auf dem Land funktionieren? Wie viele Schulbusse zusätzlich bräuchte man, damit die Kinder nicht zu eng aufeinander sitzen, und wo sollten diese Busse herkommen? Wie viele Lehrkräfte zählen zu den Risikogruppen und werden deshalb ganz sicher in den nächsten Wochen nicht unterrichten können? Nach welchen Kriterien genau kann man überhaupt solche Risikogruppen definieren? Was bedeutet das absehbare Fehlen sehr vieler Lehrer für das Aufstellen möglicher Rumpfstundenpläne? Was sind überhaupt angemessene Gruppengrößen für den Unterricht?

 

Und wann dürfen die kleineren Grundschüler unterhalb der 4. Klassen, die in den meisten Ländern auch am 4. Mai kommen sollen, zurückkehren? Dazu sagt der Beschluss der Regierungschefs nichts. Söder sagte gestern nur:  "Die Kitas und Grundschulen bleiben erstmal zu." Was heißt "erstmal"? Und wie können die Kultusminister nach einheitlichen Kriterien vorgehen und dabei zugleich zwischen Regionen mit wenigen und solchen mit vielen Infizierten differenzieren?

 

Gestern Abend äußerten sich viele Kultusminister erstmal einzeln. Eine gemeinsame Stellungnahme nach der Ansage ihrer Chefs gaben sie nicht ab. Ist vielleicht auch besser so. Das, was sie sagen, muss dann auch sitzen. Und möglichst auf dem ersten Blick eindeutig sein – anders als der Beschluss der von Kanzlerin und Ministerpräsidenten zum 4. Mai.


Nachtrag am 16. April, 13 Uhr:

 

Jetzt hat die Kultusministerkonferenz sich mit einer offiziellen Erklärung ihrer Präsidentin zu Wort gemeldet. Der Beschluss der Regierungschefs bringe Klarheit, sagte Stefanie Hubig (SPD): "Die KMK – deren Vorüberlegungen in den Beschluss eingeflossen sind – hat den Auftrag erhalten, den Weg hin zu einer schrittweisen Öffnung der Schulen zu beraten." Hubig verwies auf die Telefonkonferenz der Bildungsminister gestern Abend direkt nach den Beschlüssen von Bund und Ländern und betonte: "Wir werden diesen Weg verantwortungsvoll, mit allen Beteiligten und mit dem nötigen Vorlauf gestalten. Der Gesundheitsschutz steht dabei für uns alle an erster Stelle."

 

Das gemeinsame Ziel der Kultusminister sei, bundesweit möglichst einheitlich vorzugehen. "Natürlich gilt es, dabei länderspezifische Fragen zu berücksichtigen und klare Leitplanken aufzuzeigen." Diese würden im für den 29. April von den Regierungschefs angeforderten Konzept zur Wiederaufnahme des Unterrichts insgesamt enthalten sein. 

 

Auch zur Terminfrage äußerte sich Hubig noch einmal und verwendete dabei ähnlich verklausulierte Formulierungen wie die Regierungschefs gestern. Bundesweit würden die Schulen "frühestens zum 4. Mai 2020 schrittweise wieder geöffnet", teilte die rheinland-pfälzische Bildungsministerin mit, um im nächsten Satz zu relativieren: "Schon mit Beginn der kommenden Woche können die Schülerinnen und Schüler der diesjährigen Abschlussklassen starten." Sie stünden wegen der unterschiedlichen Prüfungs- und Ferienzeiträumen in den einzelnen Ländern "bereits jetzt unmittelbar vor einer Prüfung, etwa mit dem Ziel des Ersten Allgemeinen Schulabschlusses (ehemals Hauptschulabschluss), des Mittleren Schulabschlusses oder des Abiturs."



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Kommentare: 1
  • #1

    kaum (Donnerstag, 16 April 2020 09:36)

    Das kässt mich echt zweifelnd zurück. So gut ich die Argumente der Epidemiologen verstehe, so wenig kann ich mit dieser schrittweisen Öffnung und den Distanzregeln anfangen. Der Aufwand für die Einhaltung in den Schulen sind so groß, dass der Kosten-Nutzen-Effekt echt zu bezweifeln sind. Zumal ja nur dort angesteckt werden kann, wo auch Infizierte vorhanden sind. D.h. ich fände es viel konsequenter nur die Schulen zu öffnen, bei den in allen Haushalten der Schüler_innen/Lehrer_innen/Verwaltungs- und technischem Personal keine aktuell Infizierte Person gemeldet ist. Sobal in einem dieser Haushalte ein positiver Befund oder meinetwegen ein Verdachtsfall auftritt (z.B. über die Tracing-App) dann wird die eine ganze Schule geschlossen.

    Vor allem, da es keinerlei Evidenz für die schüler_innen als Virenschleuder gibt.