Die Kultusministerkonferenz gilt als vielstimmig, wenig entscheidungsfreudig, ineffektiv. Doch seit der Coronakrise zeigen die Bildungsminister, dass ihr Club schlagkräftig sein kann. Und werden jetzt ausgerechnet für ihre Einigkeit kritisiert.
Bonner Sitz der Kultusministerkonferenz (KMK) im ehemaligen Straßenbahndepot. Sir James: "2015-02-28 Bonn Graurheindorfer Str 157 KMK Bonn Seitenansicht.JPG", CC BY-SA 3.0.
DIE KULTUSMINISTER beziehen gerade mal wieder viel Prügel. Besonders ihre Entscheidung, die Abiturprüfungen trotz der Coronakrise durchzuziehen, empört viele Abiturienten und deren Familien. Aber auch Bildungsexperten und Lehrkräfte machen dicke Fragezeichen hinter die Entscheidung – nicht nur wegen der emotionalen Belastung der Schüler oder den in der Praxis kaum realisierbaren Hygieneanforderungen. Sondern auch, weil der "Fetisch Prüfung" (Bildungsjournalist Christian Füller) unter Pandemie-Bedingungen so viel Personal bindet, dass der ohnehin knappe Unterricht für die unteren Klassen noch viel knapper wird.
Zugleich ist aber ausgerechnet die ungeliebte Abiturentscheidung Indiz einer für viele vielleicht überraschenden Erkenntnis: Die Kultusministerkonferenz, der vielgescholtene Club der Minister, funktioniert in der Krise so reibungslos wie lange nicht mehr. Normalerweise treffen sich die obersten Beamten der Ministerien, die sogenannten Amtschefs, viermal im Jahr. Seit Beginn der Coronakrise: zweimal die Woche. Per Video- oder Telefonkonferenz. Auch die Kultusminister, die normalerweise dreimal im Jahr zusammenkommen, sehen sich an diesem Montag – virtuell – zum vierten Mal seit Mitte März in großer Runde.
Der Stufenplan zur Öffnung
der Schulen kam von der KMK
Man stimmt sich ab, man schwört sich ein – auch gegen den Druck von außen. Man kann, siehe Abitur, das Ergebnis kritisieren, aber die Handlungsfähigkeit des Bildungsföderalismus in der Krise ist da – und eine Konsequenz, wie sich Beobachter lange gewünscht und für dessen Fehlen sie die Kultusminister oft kritisiert haben.
Gut beobachten ließ sich diese neue Einigkeit auch, als die Regierungschefs von Bund und Ländern Mitte April ihren Stufenplan zur Schulöffnung präsentierten. Kritiker meinten daraufhin, Merkel und die Ministerpräsidenten hätten den Kultusministern die Entscheidung aus der Hand genommen – tatsächlich orientierten sie sich eng an dem, was die KMK ihnen vorher empfohlen hatte.
Und auch das angebliche Chaos seit dem Öffnungsbeschluss – jedes Land macht es etwas anders, einige preschen vor, andere warten ab – ist gar nicht mehr so chaotisch, wenn man genau hinschaut. Das Vorgehen entspricht der in der KMK festgelegten Linie: So gemeinsam wie möglich, aber natürlich müssen Länder mit früheren Abi- und Ferienterminen anders agieren als andere, die später kommen.
Ironischerweise hat die neue Nähe in der KMK, die enge Taktung ihrer Termine, viel mit ihrer größten Niederlage der jüngsten Zeit zu tun. Mitte März einigten sich die Kultusminister in erstaunlicher Ignoranz der politischen Großwetterlage darauf, die Schulen zunächst aufzulassen – und mussten zusehen, wie ihr Beschluss binnen 24 Stunden von einem Regierungschef nach dem anderen kassiert wurde. Selten war der KMK ihre mangelnde Schlagkraft so schmerzlich vor Augen geführt worden. Da kapierten die Minister: So kann das nicht weitergehen.
Auch die Hygiene- und Schutzmaßnahmen
haben sie längst informell abgestimmt
Am heutigen Montag wollen sie das Konzept zu den "Hygiene- und Schutzmaßnahmen" für den Unterricht ab 4. Mai fertigstellen, das die Regierungschefs für ihr nächstes Treffen bestellt haben. Dass da weitgehend drinstehen wird, was viele Minister in den vergangenen Tagen einzeln für ihre Länder vorgelegt haben, heißt nicht, dass das – vermeintlich typisch KMK – ein unverbindliches Fleißpapier wird.
Sondern das, was die einzelnen Landesministerien ihren Schulen vorschreiben, hatten sie, weil die Zeit drängte, schon vorher informell in der KMK abgestimmt – und schreiben es noch mal wie gewünscht für ihre Chefs auf. Und dazu ein paar Vorschläge, wie die nächsten Öffnungsschritte aussehen könnten?
Nicht weniger ironisch ist, dass den Kultusministern das Durchziehen des Abis, für das sie so heftig kritisiert werden, nur möglich war aufgrund ihrer neuen Einigkeit, die doch alle immer von ihnen gefordert hatten. Und dennoch: Wenn und solange die Kultusminister das Gemeinsame am Bildungsföderalismus so ernst nehmen und betreiben, wie seit Beginn der Krise, dann könnte das doch noch etwas werden mit der Reform der angeblich reformunfähigen KMK. Hoffentlich fallen die Minister nach Corona nicht zurück in den alten Trott.
Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will`s Wissen" im Tagesspiegel.
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