Das Wissenschaftsbarometer zeigte diese Woche, dass in der Coronakrise das Vertrauen in die Wissenschaft enorm gestiegen ist. Aber wie nachhaltig sind solche Rekordwerte? Und sagen sie womöglich über den Gemütszustand der Befragten mehr als über die Wissenschaft?
DAS VERTRAUEN in Wissenschaft und Forschung ist inmitten der Corona-Pandemie deutlich gestiegen, meldete Anfang der Woche "Wissenschaft im Dialog", und Wissenschaftspolitiker, die derzeit häufig und heftig streiten – etwa über die Studierenden-Nothilfe – zeigten sich unisono begeistert. "In der Corona-Pandemie übernimmt die Wissenschaft weltweit Verantwortung für uns alle – und die Menschen wissen das zu schätzen", lobten etwa die Grünen Anna Christmann und Kai Gehring. Und Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) frohlockte: "Der Rat der Wissenschaft ist gerade in dieser Corona-Krise so wichtig wie nie zuvor."
Tatsächlich sind die Zahlen des bevölkerungsrepräsentativen "Wissenschaftsbarometers Corona Spezial" beeindruckend: Fast Dreiviertel der befragten Bürger gaben an, "eher" oder "voll und ganz" der Wissenschaft zu vertrauen. In den Wissenschaftsbarometer-Umfragen der vergangenen Jahre hatten dies immer rund die Hälfte der Befragten gesagt. Vor allem Ärzte und medizinisches Personal genießen in der Krise großes Vertrauen. 81 Prozent der Umfrage-Teilnehmer waren der Auffassung, dass politische Entscheidungen im Umgang mit Corona auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen sollten.
Bei aller Begeisterung sind allerdings Zweifel angebracht, wie nachhaltig dieser massive Vertrauensgewinn ist. Ebenso sollte man zumindest hinterfragen, ob sich darin, wie Ministerin Karliczek betont, die "gute Wissenschaftskommunikation in Deutschland, die wir seit Wochen stärker denn je erleben", widerspiegelt – oder auch der "wichtige Beitrag" der Wissenschaftsjournalisten beim Einordnen und Bewerten wissenschaftlicher Erkenntnisse.
In der Krise zählen für viele
Autorität und Beständigkeit
Kann stimmen. Denkbar ist indes auch eine andere Erklärung: In der Krise suchen viele Menschen von jeher nach Autoritäten und Beständigkeit. Wissenschaft ist so eine Autorität. Genau wie die Regierung: Parallel zu den steigenden Vertrauenswerten für die Wissenschaft nämlich sind auch die Zustimmungsraten für die Union extrem geklettert. Bei der Sonntagsfrage des " Politbarometers" erreichten CDU/CSU zuletzt 39 Prozent, atemberaubende 13 Prozentpunkte mehr als noch Anfang März. Krisenmanagerin Angela Merkel legte in der persönlichen Beliebtheit ebenfalls stark zu. Auch innerhalb der Wissenschaft hat die Bundesrepublik ihre personifizierte Autorität gefunden: Charité-Virologe Christian Drosten. Wieviel von dieser Zustimmung hat mit Parteien, Forschungseinrichtungen und Personen zu tun, und wieviel mit dem auf sie projizierten Wunsch der Öffentlichkeit nach Orientierung in der Krise?
Mit solchen Fragen soll die Leistung der Wissenschaft, von Forschern und ihrer Kommunikation nicht abgewertet werden. Doch sollten all jene, die angesichts so positiver Umfragezahlen auf das Ende von Wissenschaftsskepsis oder des Infragestellens wissenschaftlicher Erkennisprozesse hoffen, sich nicht täuschen lassen: Vertrauen in Krisenzeiten ist auch ein besonders schnell brüchiges Vertrauen. Wissenschaftsministerin Karliczek hat insofern Recht, wenn sie betont, es sei "auch jenseits der aktuellen Herausforderungen" wichtig, Wissenschaft und Gesellschaft in einen noch engeren Austausch zu bringen. "Ausdrücklich bestärke ich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Fachdisziplinen darin, sich aktiv in gesellschaftliche Diskurse einzubringen."
Die wirklich spektakuläre Nachricht, was die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft angeht, war diese Woche eine andere: Gestern haben sich die Chefs der vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen in einer gemeinsamen Stellungnahme zur Corona-Datenlage positioniert. Die Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft stützten sich dabei auf die Ergebnisse mathematischer Analysen, die Wissenschaftler aller vier Organisationen zusammengetragen hatten – zur bisherigen und prognostizierten Ausbreitung der COVID-19-Erkrankungen und zu möglichen Bewältigungsstrategien. Helmholtz & Co begründeten ihre ungewöhnliche Kommunikationsallianz mit der "großen öffentlichen Bedeutung einer objektiven Faktenlage zum Infektionsgeschehen".
Bemerkenswert war dabei nicht so sehr, was die Chefs präsentierten, sondern wie sie es taten: gemeinsam eben. Offenbar wollten sie einen Kontrapunkt setzen zu, apropos brüchiges Vertrauen, einer öffentlichen Debatte, in der, wie Hanno Charisius heute in der Süddeutschen Zeitung schrieb, "vor allem einzelne Forscher immer wieder zitiert" würden und "Politiker sowie andere Meinungsstarke" sich jeweils die Stimme herauspickten, "die gerade zur eigenen Haltung passt." Mit ihrem Papier übten die vier Forschungsorganisationen den Schulterschluss gegen verzerrte Darstellung wissenschaftlicher Fakten und ihrer Interpretation, der dem Diskurs nur guttun könne, schrieb Charisius.
In der Vergangenheit klappte der Schulterschluss
vor allem, wenn es ums Budget ging
Deutet sich hier eine Wandel im grundsätzlichen Selbstverständnis von Wissenschaftseinrichtungen in der öffentlichen Debatte an? Fest steht: Einen Schulterschluss hatten die Organisationen in der Vergangenheit vor allem dann hinbekommen, wenn um die Sicherung ihrer eigenen Haushalte ging – und deutlich seltener, wenn es auf das inhaltliche Mitmischen im gesellschaftlichen Diskurs ankam.
Am Ostermontag war die Helmholtz-Gemeinschaft, repräsentiert durch ihren Präsidenten Otmar D. Wiestler, schon einmal mit einem auch zeitlich punktgenau gesetzten, politisch hochrelevanten Papier an die Öffentlichkeit getreten – und hatte Empfehlungen für den weiteren Umgang mit der Corona-Krise veröffentlicht. Dabei forderten die Forscher pünktlich zum Treffen der Regierungschefs von Bund und Ländern eine möglichst konsequente Fortführung des gesellschaftlichen Shutdowns, um die Reproduktionszahl des Virus dauerhaft unter den Schwellenwert 1 zu drücken. Sie widersprachen damit der Leopoldina-Nationalakademie, die weitgehendere Lockerungsmaßnahmen für vertretbar gehalten hatte.
Apropos Leopoldina: Auch die pflegte zuletzt eine deutlich aktivere und schnellere Form der Politikberatung; einen Strategiewechsel, den sie bereits vor der Coronakrise vollzogen hatte, der aber durch die Coronakrise viel offensichtlicher wurde.
Wenn die Forschungsorganisationen die eingeschlagene Richtung der öffentlichen Kommunikation auch nach Corona weiter verfolgen – es wäre eine wirklich nachhaltige Veränderung im Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Und dann stiege die Wahrscheinlichkeit, dass das Wissenschaftsbarometer auch nach der Krise Rekordwerte ausweist.
Offenlegung: Ich war zwischen 2013 und 2015 Kommunikationschef der Helmholtz-Gemeinschaft.
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