Die Kultus- und Jugendminister haben Pläne vorgelegt, wie es in Schulen und Kitas in den nächsten Wochen der Corona-Pandemie weitergehen könnte. Doch werden die Regierungschefs von Bund und Ländern bei ihrem Treffen heute wohl keine konkreten Termine für die nächsten Schritte beschließen. Ändern sie dafür ihre Rhetorik?
Anruf aus dem Kanzleramt: Heute Nachmittag telefoniert Angela Merkel mit ihren Kollegen aus den Ländern. Martin Falbisoner: "Bundeskanzleramt at Night.JPG", CC BY-SA 4.0.
HEUTE UM 14 UHR ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut zur Telefonkonferenz mit den Ministerpräsidenten verabredet, doch haben die Beteiligten schon im Vorfeld alles getan, um die Erwartungen an das Spitzengespräch zu dämpfen. Für weitere Lockerungen sei es zu früh, weil die Auswirkungen der am 15. April beschlossenen Schritte erst noch abgewartet werden müssten.
So durften Geschäfte bis zu 800 Quadratmeter Fläche sowie unabhängig von der Verkaufsfläche Autoläden, Fahrradhändler und Buchhandlungen bereits wieder öffnen. In einigen Bundesländern haben bereits die Abschlussprüfungen in den Schulen begonnen, seit dem 27. April laufen darüber hinaus Konsultationen für Abschlussklassen, und am 4. Mai soll der teilweise Präsenzunterricht für die ersten Jahrgangsstufen wieder starten. Auch Friseurbetriebe dürfen vom 4. Mai an öffnen. Soweit die wichtigsten vor zwei Wochen vereinbarten Lockerungen – wobei ihre Umsetzung und Interpretation je nach Bundesland durchaus unterschiedlich gehandhabt wurde. So kündigte etwa NRW an, schon vom 1. Mai an Gotteshäuser wieder für Gottesdienste zu öffnen – obwohl die Regierungschefs besprochen hatten, religiöse Feierlichkeiten und Veranstaltungen sollten "zunächst weiter nicht stattfinden".
Und auch wenn die Erwartungen für heute niedrig gehängt werden und die bestehenden Kontaktbeschränkungen offenbar zunächst bis zum 10. Mai verlängert werden sollen – ein paar interessante – und womöglich kontroverse – Hinweise, welche Corona-Strategie die Regierungschefs in den nächsten Wochen fahren wollen, könnte es dennoch geben.
Was sagen die Regierungschefs zum
Schulöffnungskonzept der Kultusminister?
Wie etwa verhalten sie sich etwa zum Schulöffnungskonzept, das die Kultusminister ihnen wie beauftragt vorgelegt haben? Besonders interessant ist, ob die Regierungschefs auf die zentralen Botschaften der Bildungspolitiker am Ende eingehen – also auf den Teil, den sie von ihren Ministern gar nicht gefordert hatten. Werden auch die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten sich zu dem Ziel bekennen, dass vor den Sommerferien möglichst alle Schüler zumindest tage- oder wochenweise wieder zur Schule gehen sollen? Und werden die Regierungschefs, wenn schon noch keinen Zeitplan für die Rückkehr der nächsten Klassenstufen, dann doch zumindest einen Zeitplan für einen Zeitplan vorlegen?
Noch spannender ist, ob Merkel & Co bei den Kitas nun auch rhetorisch eine Kehrtwende machen. Am 15. April war es neben allgemeinem Bedauern vor allem auf eine Botschaft hinausgelaufen, die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wenig empathisch so formulierte: "Die Kitas und Grundschulen bleiben erstmal zu." Als dann erste Länder verkündeten, die Kitaschließungen gleich bis zum August fortsetzen zu wollen, folgte ein Sturm der Entrüstung vieler Eltern, Pädagogen und Bildungswissenschaftler – und die Politik steuerte nach. Die Jugend- und Familienministerkonferenz und das Bundesfamilienministerium beschlossen Anfang dieser Woche eine Empfehlung "für einen behutsamen Wiedereinstieg in die Kindertagesbetreuung in vier Phasen". Von der aktuellen Notbetreuung (Phase 1) über eine erweitere Notbetreuung (Phase 2) und einen eingeschränkten Regelbetrieb (Phase 3) bis zurück zum "vollständigen Regelbetrieb" (Phase 4).
Währenddessen kann man darüber streiten, ob viele Kitas sich nicht längst in Phase 2 befinden, nachdem mehrere Bundesländer bereits den Zugang zur Notbetreuung ausgeweitet haben auf weitere Berufe, Alleinerziehende oder auch Kinder, die beengt aufwachsen oder einen besonderen pädagogischen Bedarf haben. Genau die Erweiterungen also, die die Jugendminister auch in ihrem Beschluss für die zweite Phase aufgeschrieben haben.
Je nach Einrichtung, Stadt und Bundesland ist der Anteil der betreuten Kinder bereits wieder auf ein Viertel, ein Drittel oder mehr gestiegen – während anderswo weiter nur wenige Kinder in die Kitas gehen. Die Familienminister verweisen auf die großen regionalen Unterschiede bei der Verbreitung des Virus – weshalb auch die Lockerungen vor Ort logischerweise unterschiedlich stark ausfallen. Die WELT berichtete heute allerdings von einer Modellrechnung eines der größten deutschen Kitaträger, der Fröbel-Gruppe, derzufolge aufgrund der nötigen kleinen Gruppengrößen, der vorhandenen Räumlichkeiten und des risikogruppenbedingten Ausfalls von etwa 20 Prozent der Erzieherinnen überhaupt nur zwischen 33 und 50 Prozent der Kinder wieder zur Kita kommen könnten – bevor die Kapazitäten erschöpft seien.
Giffey fordert klare Aussage zu
den nächsten Kita-Schritten
Trotzdem bekräftigt Bundesfamillienministerin Franziska Giffey (SPD) :"Jedes Kind soll so bald wie möglich wieder seine Kita besuchen können – wenn auch unter den nötigen Einschränkungen." Die Familien erwarteten nun "zeitnah konkrete Aussagen darüber, wann die nächsten Schritte erfolgen können."
Den letzten Satz Giffeys kann man getrost an die Adresse der Regierungschefs gerichtet verstehen – die sich ja am 15. April die Festlegung und Terminierung der konkreten Stufen für die schrittweise Öffnung der Kitas und Schulen explizit vorbehalten hatten. Weswegen weder das KMK-Schulöffnungskonzept noch der Kita-Stufenplan konkrete Daten für den Übergang zur nächsten Lockerungsstufe enthalten.
Aber wann ist mit den nächsten Daten zu rechnen? Frühestens voraussichtlich erst am 6. Mai, wenn sich die Regierungschefs erneut treffen. Doch solle der Kita-Stufenplan, wie Giffey und ihre Kollegen betonen, schon in die heutigen Gespräche einfließen – womöglich in Form eines grundsätzlichen – und dieser Form überfälligen – gemeinsamen Bekenntnisses der Regierungschefs zu den Belangen der Kinder? Die Minister geben jedenfalls schon mal die rhetorische Richtung vor: Sie seien sich einig, "dass die gegenwärtigen Beschränkungen einen schweren Einschnitt für die Kinder darstellen".
Zugleich wissen die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten allerdings, dass ein anderer – beträchtlicher – Teil der Bevölkerung die Öffnung von Kitas und Schulen mit Sorgen und Ängsten begleitet, dadurch könnte die Ausbreitung des Virus wieder beschleunigt werden. Egal, wie sich die Regierungschefs also heute äußern – die kontroverse Debatte dürfte sich fortsetzen.
Während die Kinder voraussichtlich weiter auf einen
Zeitplan warten müssen, könnte der Fußball ihn bekommen
Womöglich kann zur Versachlichung beitragen, dass die Jugend- und Familienminister betonen, das Infektionsgeschehen müsse bei "einem behutsamen Wiedereinstieg in die Kindertagesbetreuung... kontinuierlich beobachtet und neu bewertet werden". Auch laufen zurzeit Studien, die endlich die noch unklare Rolle von Kindern in der Verbreitung des Virus näher erforschen sollen. Erste Ergebnisse einer großen baden-württembergischen Untersuchung könnten möglicherweise schon zum 6. Mai vorliegen.
Während die meisten Kinder und Jugendliche und ihre Familien also wahrscheinlich weiter gedulden müssen, bevor sie eine zeitliche Perspektive aufgezeigt bekommen, haben ausgerechnet die Fußball-Bundesligavereine bessere Karten. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hat Bund und Länder ein Konzept vorgelegt, um den Spielbetrieb im Mai vor leeren Rängen wieder aufnehmen zu können – was zum Beispiel vom SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach als "verheerendes Signal" abgelehnt wird. Doch die DLF warte nun auf "ein klares Signal" der Regierungschefs, heißt es – und könnte es womöglich schon heute bekommen. Soll nochmal einer sagen, dass die Politik keine Prioritäten setzen kann.
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