Werden die Hochschulhaushalte Opfer der Coronakrise? Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer über anstehende Verteilungskämpfe, die Diskursmacht von Bildungspolitikern und das Selbstverständnis vieler Hochschullehrer.
Theresia Bauer (Grüne) ist seit 2011 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg. Foto: MWK Baden-Württemberg.
Frau Bauer, da haben Sie ja nochmal Glück gehabt: Kurz bevor die Coronakrise begann, hatten Sie mit den Hochschulen und mit Ihrer Kollegin im Finanzministerium die Hochschulfinanzierung für die nächsten fünf Jahre vereinbart. Hätten Sie die zusätzlichen Milliarden ein paar Wochen später auch noch loseisen können?
Es war ja sogar noch knapper. Als wir die Vereinbarung Ende März endlich unterzeichnen konnten, steckten wir schon mitten in der Pandemie mit ihren Milliarden-Hilfspaketen. Als wir die Verhandlungen vor einem Jahr begannen, konnten wir nicht ahnen, unter welchen Vorzeichen sie enden. Doch die Ziele, die wir uns damals gesteckt haben, konnten wir erreichen. Erstens: Wachstum. Die Hochschulen in Baden-Württemberg erhalten deutlich mehr Grundbudget. Und zweitens: Verlässlichkeit. Die Hochschulen haben über einen längeren Zeitraum finanzielle Planungssicherheit, und sie können ihre Haushaltsgelder von einem Jahr ins nächste mitnehmen. Diese Verlässlichkeit führt dazu, dass die Rektorate ihre Personalplanung viel langfristiger gestalten können, weil sie wissen: Das Grundfundament der Hochschulfinanzierung steht in guten wie in schlechten Zeiten.
Also für die Zeiten, die jetzt kommen?
In der Tat ist vielen in den vergangenen Tagen und Wochen erst so richtig bewusst geworden, dass die Hochschulen nur durch die Steuereinnahmen existieren können, die Land und Bund an sie verteilen, und dass sich die Grundlagen für diese Steuereinnahmen gerade dramatisch verändern. Und natürlich haben einige deshalb darauf gewettet, dass wir auf der Zielgerade der Verhandlungen noch scheitern. Doch das waren mehr Wetten im politischen Raum. Die Hochschulen haben sehr konstruktiv versucht, die letzten noch offenen Sachfragen zu klären. Die Rektorate hatten ein gutes Gespür dafür, in welche Zeit wir hineingehen.
Anders formuliert: Die Verhandlungen wurden am Ende für Sie sogar leichter, weil die Hochschulen sich nichts mehr zu fordern getraut haben?
Der schwierige Teil der Verhandlungen war am Ende der mit der Politik. Kann die Finanzministerin ein solches Hochschulpaket angesichts der sich abzeichnenden Großkrise überhaupt noch guten Gewissens unterzeichnen? Wir hatten auch die Regierungsfraktionen eingebunden, weil wir wussten: Die politische Entscheidung, ein solches Vertragswerk unter Dach und Fach zu bringen, wurde von Tag zu Tag brisanter.
Wieso eigentlich? Wenn Sie ehrlich sind, handelt es sich doch bei der sogenannten Hochschulfinanzierungsvereinbarung um eine durch das Land einseitig aufkündbare Absichtserklärung.
Das ist richtig, war aber auch in der Vergangenheit nie anders. Eine schriftlich hart beurkundete Absichtserklärung entwickelt eine große Kraft dadurch, dass sie zwischen Regierung und Hochschulen und zusammen mit dem Parlament vereinbart wurde. Und ja, sie kann dem Wortlaut zufolge "in einer fundamentalen Änderung der Situation" von der Landesregierung mit Zustimmung des Landtags gekündigt werden, aber die Hürde dafür ist hoch. Und dass das Land sich hier mit dem Wissen um die aufziehende Krise verpflichtet hat, zeigt die große Ernsthaftigkeit der Handelnden.
"Wir haben die Richtung geändert – aber auf
der brüchigen Basis der Ausgangsfinanzierung."
Die Hochschulen, das ist die Botschaft, sollen also dankbar sein. Aber selbst wenn die baden-württembergischen Hochschulrektoren der Neid ihrer Kollegen aus einigen anderen Bundesländern begleiten sollte, trotzdem bleiben auch die Hochschulen im Südwesten unterfinanziert.
Ich habe immer gesagt: Auch bei uns brechen jetzt keine paradiesischen Zustände aus. Mit unserer ersten langfristigen Hochschulvereinbarung haben wir seit 2015 die ersten spürbaren Schritte in Richtung einer besseren und verlässlicheren Grundfinanzierung getan. Diesen Weg gehen wir jetzt weiter. Aber natürlich müssen wir das Geld, das die Hochschulen zusätzlich erhalten, in Relation setzen zu dem außergewöhnlichen Wachstum in Forschung und Lehre, das sie in den vergangenen 15 Jahren gemeistert haben. In dem Sinne beschließen wir jetzt keine Überausstattung, sondern wir vollziehen ein Stückweit das Mehr an Leistungen nach, das die Hochschulen bereits erbracht haben. Ich sage mit Absicht: ein Stückweit. Die wachsenden Anforderungen an die Digitalisierung an den Hochschulen beispielsweise haben wir mit dem Geld, das die Hochschulen künftig erhalten, längst nicht vollumfänglich abgebildet.
Die Hochschulfinanzierung erodiert also weiter, wollen Sie das damit sagen?
Nein, das sage ich nicht. Wir haben in die richtige Richtung korrigiert. Seit dem Jahr 2000 wurde die Finanzierung der Hochschulen pro Studierendem eklatant zurückgefahren, erst verhalten, dann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts immer massiver, als die Grundfinanzierung stagnierte, obwohl parallel die Zahl der Studienanfänger steil anstieg. Insgesamt zogen sich die realen Kürzungen seit den späten 90er Jahren über 18 Jahre. Wir haben die Richtung geändert, aber natürlich sind wir eingestiegen auf der brüchigen Basis der Ausgangsfinanzierung.
Also sind Sie noch nicht wieder da, wo die Hochschulen 2000 waren?
Nein, das sind wir nicht, aber der Trend geht erkennbar nach oben. Wie lange der Weg ist, zeigt, wie tief das Tal war, aus dem die Hochschulen raus müssen. Aber eines will ich auch klar sagen: Zu den Zeiten, in denen Hochschulen zu 90 Prozent grundfinanziert waren, sollten wir trotzdem nicht zurückkehren. Ich halte es für richtig, dass die Hochschulen einen Teil ihrer Budgets über wettbewerbliche Verfahren einwerben müssen, das begünstigt eine gewisse Beweglichkeit und Fokussierung. Umgekehrt gilt: Ohne eine anständige Grundfinanzierung ist das Ringen um Drittmittel nicht qualitätssteigernd, sondern ruinös.
Was heißt denn "anständige Grundfinanzierung"?
Dass sie nicht unter 60 Prozent des Gesamthaushaltes sinken sollte. Natürlich ist das ein Richtwert, bei drittmittelstarken Technischen Universitäten gilt etwas Anderes als etwa bei Pädagogischen Hochschulen. Man darf da nicht alle über einen Kamm scheren. Wir bewegen uns mit unserer neuen Vereinbarung auf die 70 Prozent zu.
Ist das nicht ein bisschen wieder das alte Linke-Tasche-Rechte-Tasche-Spiel? Sie deklarieren Drittmittel zu Dauergeldern um, melden ein schönes Wachstum bei der Grundfinanzierung – aber insgesamt haben die Hochschulen kaum mehr Geld?
Das stimmt nicht. Richtig ist: In der Zeit der eingefrorenen Grundhaushalte haben allein die Drittmittel des Bundes, die Zweitmittel des Landes und die Studiengebühren die größte Not etwas lindern können, von der Menge her aber reichten sie nicht einmal in Ansätzen aus. Und ich lege Wert darauf, dass wir in unser Hochschulfinanzierungsvereinbarung jetzt transparent beides tun: Wir verstetigen pro Jahr 285 Millionen Euro zusätzlich, die schon bislang im System waren, aber zu schlechteren – eben befristeten – Konditionen. Und wir legen über fünf Jahre kumuliert weitere 1,8 Milliarden Euro oben drauf, ebenfalls als Teil der Grundfinanzierung. Das sind im Durchschnitt 3,5 Prozent mehr Geld pro Jahr.
"Ein Aspekt der Krise
macht mich zuversichtlich."
Was macht Sie eigentlich so sicher, dass in den nächsten Jahren nicht doch Begehrlichkeiten entstehen, an die Vereinbarung heranzugehen? Welche Rolle spielt die von Ihnen angeführte "große Ernsthaftigkeit der Handelnden" bei der Unterzeichnung, wenn das Defizit in den öffentlichen Haushalten explodiert?
Die bisherigen Prioritäten zu verteidigen, wird eine Riesenanstrengung. Ich werde meinerseits alles dafür tun, dass das stabile Fundament der Hochschulfinanzierung dann nicht angetastet wird. Zum Glück waren die Finanzministerin und der Ministerpräsident immer eingebunden. Im Übrigen macht mich ein Aspekt der Krise zuversichtlich: Wir erleben gerade in einer Weise, die wir uns noch vor kurzem nicht hätten vorstellen können, wie die Menschen Tag für Tag auf die neuesten Meldungen aus der Forschung hinfiebern, welche Neuigkeiten es zu möglichen Therapien und Impfstoffen gibt. Mit einem Mal wird uns die tägliche Relevanz von Wissenschaft in einer nie da gewesenen Deutlichkeit vor Augen geführt, so dass den meisten Leuten klar wird: Die größten Herausforderungen, die sich uns als Menschheit stellen, können wir nur meistern mithilfe einer Wissenschaft, die gut aufgestellt ist und die, wenn es darauf ankommt, vorbereitet ist dynamisch zu agieren. Kaputtsparen in der Krise ist deshalb keine Lösung, sondern beschwört die nächsten Krisen herauf, sei es beim Klimawandel oder bei der Transformation der Mobilität, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Wollen Sie sagen: Vielleicht wird durch Corona also die Argumentation für eine vernünftige Wissenschaftsfinanzierung gar nicht schwieriger, sondern sogar leichter?
Ich bin da ganz optimistisch. Auch im Regierungshandeln in diesen Tagen erleben wir einen ganz neuen Schulterschluss zwischen Politik und Wissenschaft. Unser Kabinett lässt sich regelmäßig und direkt von Wissenschaftlern über den Stand der Pandemie und die wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu berichten. Wir suchen nach gesichertem Wissen, um möglichst evidenzbasiert entscheiden zu können. Nur durch diese vertrauensvolle Zusammenarbeit ist es übrigens gelungen, innerhalb von nur einer Woche eine wissenschaftliche Studie an unseren Universitätsklinika über Kinder im Kontext von COVID-19 auf den Weg zu bringen, weil auch die Wissenschaftler klar erkannt haben, wie wichtig diese Erkenntnisse sind, wenn wir über die nächsten Schritte der Öffnung entscheiden.
Die Realität der Hochschulfinanzierung sieht allerdings so aus, dass einige Ihrer Wissenschaftsminister-Kollegen schon vor der Krise Probleme dabei hatten, die Kofinanzierung beim Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm "Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken" zu sichern.
Für Baden-Württemberg zumindest teile ich diese Sorgen nicht, zumal wir auch beim Hochschulpakt unsere Kofinanzierung geleistet haben. Dass es für diejenigen Länder, die bislang Sonderkonditionen erhielten oder sogar vereinzelt, ich sage mal vorsichtig: kreative Kofinanzierungsmodelle verfolgt haben, nicht leichter wird, stimmt aber sicherlich. Ich vermute, dass einige meiner Kollegen jetzt noch stärker werden müssen. Ich wünsche ihnen gutes Gelingen und viel Kraft dabei.
Warum eigentlich ist es den Bildungspolitikern selbst in Boom-Zeiten nie gelungen, ihre Haushalte auch nur analog zum Wachstum der Steuereinnahmen zu steigern? Und das trotz der angeblichen gesellschaftlichen Priorisierung von Schulen und Hochschulen.
Was Baden-Württemberg und den Wissenschaftsbereich angeht, muss ich Ihnen widersprechen. Der Anteil unseres Ressorts am Gesamthaushalt ist gewachsen, auch der relative Anteil an den Steuereinnahmen.
"Es ist doch kein Zufall, dass wir zunehmend erschöpft
über eine Aufhebung des Kooperationsverbots debattieren."
Ich rede nicht von dem Budget für Forschung und Entwicklung, das deutschlandweit die Drei-Prozent-Marke an der Wirtschaftsleistung überschritten hat, sondern über die Ausgaben für Unterricht und Lehre, für Bildung in allen Altersstufen, die immer noch unter dem Schnitt der OECD-Staaten liegen.
Wahrscheinlich sind die Gründe dafür ziemlich banal. In den Landeshaushaushalten gehen allein 40 Prozent für Personalausgaben weg. Und weil in den vergangenen Jahrzehnten kaum Rücklagen gebildet worden sind für Pensionen, wächst dieser Kostenanteil merklich. Im Bundeshaushalt wiederum fließt ein immer größerer Teil in die sozialen Versorgungssysteme, vor allem in die Rente, erst recht nach den jüngsten Paketen wie der Mütterrente. Die vorhandenen Spielräume sind also selbst in wirtschaftlich guten Zeiten klein, um die gleichzeitig stark wachsenden Aufgaben in den Kitas, Schulen und Hochschulen angemessen zu finanzieren. Die Tatsache, dass diese Aufgaben so stark wachsen, hätten dazu führen müssen, dass man in den Haushalten massiv umsteuert. Das ist aber nicht geschehen.
Weil immer neue Sozialleistungen finanziert wurden?
Vor allem weil die Länder in Zeiten wachsender Bildungssysteme substanziell mehr gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernommen haben, diese Entwicklung aber gleichzeitig nicht durch eine angemessene Verlagerung der Steueranteile in die Länder kompensiert worden ist. Es ist doch kein Zufall, dass wir seit Jahren und zunehmend erschöpft über eine Aufhebung des Kooperationsverbots debattieren, dass nun aber finanziell kaum etwas kommt. Ob man eine Aufhebung nun systematisch falsch findet oder nicht: Wo ist denn in den vergangenen Jahren überhaupt mal systematisch Steuergeld in die Länder verlagert worden zugunsten der Bildung?
Immerhin hat der Bund den Ländern bei der Reform des Länderfinanzausgleichs zehn Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich gegönnt – allerdings nicht explizit für die Bildung.
In der Tat: Es müsste eine andere politische Festlegung zugunsten der Bildung geben. Wenn künftig mehr Geld in die Länder verschoben wird, müsste es direkt an die Bildung gebunden werden.
Wieso sind Sozialpolitiker so viel erfolgreicher in ihrer Lobbyarbeit als die Bildungsleute, Frau Bauer?
Es ist noch nicht lange her, dass Bildung – so wie Frauen – im politischen Raum eher zum "Gedöns" zählte. Die Zeiten sind zum Glück vorbei, inzwischen kann man mit Bildung Wahlen verlieren. Vielleicht ist auch ein Teil des Problems der Wissenschaftsseite, dass die Ressorts nicht immer wirklich glücklich zugeschnitten werden, so dass die Schwergewichte oft andere Ressorts sind. Und viele vermeintlich gewiefte Wahltaktiker glauben immer noch, dass es sich für Parteien eher auszahle, in Renten zu investieren anstatt in die nächste Generation. Wobei ich bezweifle, dass das so stimmt. Die meisten Menschen haben schon ein Gespür dafür, was für den Wohlstand von morgen wirklich zählt.
"Dass ausländische Studierende erst ab Juli Förderung
beantragen können, ist für mich nicht nachvollziehbar."
Wie bewerten Sie eigentlich das von Bundesministerin Karliczek vorgelegte Modell für die Corona-Studierendenhilfe?
Ich bin sehr froh, dass der Bund endlich seiner Verantwortung nachkommt und die Studierenden nicht im Regen stehen lässt – das war längst überfällig! Ich halte die Aufstockung der Nothilfefonds der Studierendenwerke für richtig und auch eine Ausweitung des Überbrückungskredits für ausländische Studierende für wichtig. Dass diese jedoch erst ab Juli 2020 und nicht, wie inländische Studierende, ab Mai Förderung bei der KfW-Bank beantragen können, ist für mich nicht nachvollziehbar. Aber besser spät als nie. Nachdem der Bund so lange nicht in die Puschen gekommen war, haben wir in Baden-Württemberg bereits mit einem eigenen Nothilfefonds für Studierende vorgelegt. Die Abwicklung übernehmen bei uns die Studierendenwerke, und darüber bin ich sehr dankbar.
Studierendenverbände kritisieren Sie dafür, dass Sie trotz der Krise an den Studiengebühren für internationale Studierende festhalten. Wie passt es zusammen, dass Sie vor der Not besonders der internationalen Studierenden durch Corona warnen und gleichzeitig die Studiengebühren nicht vorübergehend aussetzen?
Auch die internationalen Studierenden profitieren von unserem BW-Nothilfefonds wie auch vom nun aufgelegten Fonds des Bundes. Wir haben gemeinsam mit den Hochschulen des Landes entschieden, dass das Sommersemester weitestgehend online stattfindet. Hierfür wird das Studien- und Prüfungsangebot je nach Möglichkeit digitalisiert, zeitlich verschoben, gerafft oder gestreckt oder durch alternative Formen ersetzt. Dies gilt auch für die internationalen Studierenden – sofern sie hier studieren können. Da das Lehr- und Prüfungsangebot folglich auch im Sommersemester bereitsteht, ist ein genereller Erlass der Gebühren nicht angebracht. In den Fällen, in denen die internationalen Studierenden aus gegebenen Gründen nicht studieren können, soll es Möglichkeiten geben, die Gebühren zu erlassen, zurückzuerstatten oder mit dem nächsten Semester zu verrechnen. Internationale Studierende, die nicht einreisen können, brauchen selbstredend die Gebühren nicht zu bezahlen. Bei Studierenden, die jetzt ihr Studium unterbrechen müssen und im nächsten Semester weiter studieren, wird dies verrechnet. Studierende, die auf Online-Angebote nicht zugreifen können, weil sie von dort, wo sie sich gerade aufhalten, keinen Zugriff haben, müssen ebenso die Möglichkeit bekommen, dass die Gebühren erlassen werden. Wir haben unsere Hochschulen entsprechend informiert.
Welche Rollen können und sollten Studiengebühren grundsätzlich spielen, wenn es darum geht, die Hochschulen besser zu finanzieren?
Ich habe da keine grundsätzlichen Vorbehalte, sofern sie sozialverträglich gestaltet wären, das stimmt. Nur so wäre unsere Gesellschaft vielleicht auch bereit, Studiengebühren zu akzeptieren. Das ist aber nicht das Hauptproblem. Die Öffentlichkeit wurde an einer ganz anderen Stelle nicht überzeugt. Es gibt viele Menschen, die nicht wirklich einverstanden sind damit, dass die Hochschulen so massiv mehr Studierende haben als früher. Wie oft schlägt mir die Frage entgegen: "Sind nicht schon längst zu viele Leute an den Hochschulen, die da nicht hingehören?" Die Botschaft, wenn so gefragt wird, ist klar: Verringert doch die Zahl der Studierenden, dann haben die Hochschulen auch genug Geld.
"Wir Bildungspolitiker haben es nicht geschafft,
den gesellschaftlichen Konsens herzustellen."
Hat die Bildungspolitik beim Erklären der Veränderungen versagt?
Versagt ist vielleicht zu stark. Aber wir haben es nicht geschafft, den gesellschaftlichen Konsens herzustellen: den Konsens, dass die Expansion im Bildungsbereich richtig und wichtig war – und deshalb auch finanziell Priorität hat. Dass die Kitas um ein Vielfaches gewachsen sind, dass die individuelle Förderung von Schülern besonders im Ganztag erstrebenswert ist, dass die Schulen endlich eine vernünftige digitale Ausstattung brauchen – sind wir sicher, dass wir zu solchen Entwicklungen und Zielen in relevanten Teilen der Bevölkerung ausreichend Zustimmung finden? Es gibt immer noch viele Menschen, auch viele Politiker, die sagen: Pseudomoderner Schnickschnack das alles. Und denken nicht ziemlich viele Leute bis heute, die Kinder wären bei Mama daheim besser aufgehoben als in der Kita?
Ist da Selbstkritik, die Sie da gerade formulieren?
Auch ich habe unterschätzt, wie wenig offen gesellschaftliche Debatten solche Vorbehalte abbilden. Der Widerspruch ist da, aber er wird verdruckst oder ganz im Verborgenen ausgetragen. Kaum jemand traut sich so direkt wie Julian Nida-Rümelin, den vermeintlichen "Akademikerwahn" so offensiv in Frage zu stellen, aber viele stimmen ihm insgeheim zu. Bildungsgerechtigkeit und gute Bildung für alle sind gut für Sonntagsreden, aber wenn es hart auf hart kommt, scheinen andere Themen schnell wichtiger zu werden. Was mich zurück zu Ihrer Frage nach Studiengebühren bringt: Ich bezweifle, dass wir den Mangel an Wertschätzung für Bildung dadurch beseitigen, dass wir eine finanzielle Eigenbeteiligung an ihrer Finanzierung einfordern. Es könnte sogar passieren, dass wir dann die notwendige Debatte über die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung nicht mehr in der ausreichenden Schärfe führen.
Wer fängt denn dann mal an, diese Debatte zu führen?
Wir tun es doch gerade. Und noch ein zweites Beispiel: Mit der Erfahrung der Coronakrise müssen wir künftig ganz anders über die Notwendigkeit einer vernünftigen digitalen Ausstattung in Schulen und Hochschulen reden. Wir zahlen jetzt für die Versäumnisse von viel zu zaghaften Schritten im vergangenen Jahrzehnt. Wir sehen, dass die mangelnde digitale Ausstattung die soziale Spaltung in den Schulen und Hochschulen vertieft. Spätestens jetzt wird klar: Die technische Infrastruktur, die nötige Software und vernünftige digitale Lerninhalte haben nichts mit dem Luxus zu tun, dass unsere Kinder dadurch ein bisschen mehr Spaß am Lernen haben. Sondern wir stehen vor einer neuen sozialen Frage. Vielleicht können wir auch diese soziale Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung hochwertiger digitaler Bildungsangebote nach Corona neu diskutieren.
Brauchen die Hochschulen einen eigenen Digitalpakt, ähnlich wie die Schulen ihn – viel zu spät – bekommen haben?
Wir brauchen zumindest die politische Anerkennung, dass auch in den Hochschulen die digitale Bildung eine viel größere Rolle spielen muss als bisher. Aktuell wird überall geackert und improvisiert. Dieses ungewöhnliche digitale Sommersemester bietet den Studierenden auch die ungewöhnliche Gelegenheit, sich beim Improvisieren Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Aber das kann natürlich nicht das Ziel sein. Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir nicht immer abstrakt nach Geldern zur Digitalisierung der Schulen und Hochschulen rufen, sondern dass wir klarmachen: Es geht hier um die Bedürfnisse von jungen Menschen, es geht darum, dass sie erfolgreich ins Leben starten. Diese Diskussion möchte ich gern führen: Welche Kompetenzen müssen unsere Hochschulen heute vermitteln, um ihre Absolventen bereit zu machen für die Welt von heute und für die Welt von morgen? Und wie müssen die Hochschulen dafür ausgestattet sein?
"Die These vom Niveauverlust der
Hochschulbildung hat schon Bismarck vertreten."
Und was meinen Sie, was sind das für Kompetenzen?
Es sind Kompetenzen für eine kompliziert und komplex gewordene Welt. Um darin klar zu kommen, muss man in großen Zusammenhängen und in langen Linien denken können. Wer heute ein Auto baut, braucht nicht nur ein Verständnis für technologische Zusammenhänge, sondern auch für die Formen und die Auswirkungen von Mobilität in der Gesellschaft als Ganzes. In den Pflegeberufen ist es genauso: Da geht es nicht mehr um Handgriffe, es geht um Wissen und Können auf einem ganz anderen wissenschaftlichen und sozialen Niveau.
Weshalb jetzt zum Beispiel die Gesundheitsberufe zwangsläufig akademisiert werden müssen? Viele Leute sehen darin eine Entwertung der dualen Ausbildung.
Die duale Ausbildung wird eine wichtige Stütze bleiben. Wir sehen aber auch, dass sich die duale Ausbildung selbst fortentwickelt und Segmente wie das Duale Studium und die Duale Hochschule herausbildet. Wer glaubt, eine Gesellschaft werde mit einer Elite-Hochschulausbildung für zehn oder 20 Prozent durchkommen, der negiert die technologischen und sozialwissenschaftlichen Anforderungen einer komplexen Welt.
Aber haben nicht diejenigen Recht, die bei einer Studienanfängerquote von 50 Prozent und mehr eines Altersjahrgangs automatisch von einer Niveauabsenkung ausgehen?
Die These, dass es zu viele und vor allem zu viele unfähige Studierende an den Hochschulen gebe, hat schon Bismarck vertreten – als es darum ging, das Studium für Frauen zu öffnen. Das akademische Niveau an einer Hochschule hat viel mit der Bereitschaft einer Institution zu tun, auf neue Zielgruppen angemessene Antworten zu finden. Ein erfolgreiches Hochschulstudium, das anspruchsvolle wissenschaftliche Arbeiten hängt ab vom Durchhaltevermögen, vom Fleiß und von vielem mehr, was jemand mitbringt. Auch von der Intelligenz, keine Frage. Aber unterschätzen Sie nicht die Bedeutung der anderen Faktoren. Unsere Hochschulen mögen Probleme haben, aber ich gehöre nicht zu denen, die glauben, das läge daran, dass die falschen Studierenden hingingen.
Womit wir wieder bei der unzureichenden Hochschulfinanzierung angekommen wären?
Ja, aber nicht nur. Es geht auch um die Kultur an den Hochschulen, um die Einsicht, dass ein qualitativ hochwertiges Studium zwar keine Fortsetzung der Schule sein darf, aber trotzdem und vor allem am Anfang viel Betreuung erfordert. Eigenständiges kritisches Denken ist das Ziel, aber der Weg dorthin führt auch über Anleitung und Orientierung.
"Nicht am Korrekturaufwand der Lehrenden orientieren,
sondern am Benefit der Studierenden."
Ist das eine Kritik am Selbstverständnis vieler Hochschullehrer?
Auch das. Diese Auffassung: "Lasst sie ins kalte Wasser springen, und wer es nicht gleich allein schwimmen kann, der ist für ein Studium nicht geeignet", die finden sie auch in der Hochschulcommunity immer wieder.
Die Professoren müssen ja auch all die von Fehlern strotzenden Klausuren korrigieren, Sie nicht!
Die Klausuren scheinen dabei das kleinere Problem dazustellen als die Hausarbeiten. Weshalb der Trend zu mehr bloßer Abfrage von Wissen geht und das eigenständige Erarbeiten neuer Materie eine immer geringere Bedeutung bekommt. Das darf aber nicht so sein. Darüber wird zu reden sein, wie die geforderten Leistungsnachweise für ECTS-Kreditpunkte sich nicht am Korrekturaufwand der Lehrenden orientieren, sondern am Benefit der Studierenden.
Wie kann das gelingen?
Seitdem die Grundfinanzierung so stark abgesenkt wurde, herrscht an den Hochschulen eine neue Agenda des Wettbewerbs. Das ist im Grunde auch nicht schlecht. Doch gefährlich wird es, wenn dieser Wettbewerb zu selbstbezogen wird. Wenn er zum Beispiel über die Abwertung der Konkurrenz läuft. Wenn darunter die Fähigkeit zur Kooperation leidet – zum Beispiel, bei dem Versuch, die digitale Lehre gemeinsam neu zu denken. In der Forschung gilt das übrigens genauso. Bei den großen Fragestellungen und Herausforderungen zählt nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit von Forschenden und ihren Institutionen, sondern ihre Kooperationsfähigkeit: Wo gibt es Einrichtungen, die auf einem bestimmten Forschungsgebiet schon viel geleistet haben? Können wir gemeinsam ein Projekt aufsetzen? Diesen Willen zur Zusammenarbeit muss die Politik durch ihre Förderprogramme unterstützen, statt nur die Konkurrenz unter den Hochschulen anzufachen.
So, wie Sie reden, müssten Sie eigentlich ein großer Fan des Berliner Exzellenz-Verbundes sein.
Wenn es denn ein echtes Netzwerk wird und keine Beutegemeinschaft. Da traue ich mir kein Urteil zu. Wenn die Berliner es schaffen, wirklich tragfähige Kooperationen, gemeinsame Strategien und eine entsprechende Governance zu entwickeln, haben sie meinen höchsten Respekt, das wäre grandios. Es muss aber gar nicht immer nur um lokale Netzwerke gehen. Auf der deutschen und europäischen Ebene ist auch viel mehr an Kooperation vorstellbar. Zum Glück bewegt sich derzeit einiges in die richtige Richtung.
Plädieren Sie für eine gemeinsame Exzellenzuni-Bewerbung baden-württembergischer Hochschulen in der nächsten Runde?
Ich würde mich da nicht festlegen wollen: lokal, regional, institutionell zusammenzuarbeiten, in lockeren Forschungsverbünden oder in nationalen Netzwerken mit Knotenpunkten wie bei den Deutschen Gesundheitszentren: Vieles ist für mich vorstellbar. Aber dass man als einzelne Wissenschaftseinrichtung heute nicht ganz allein exzellent sein kann, das steht für mich fest.
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