Viele Schulen fühlen sich von der Politik allein gelassen. Sie müssen den Unterricht neu organisieren und Lernrückstände aufholen. Aber wie soll das gehen? Auf jeden Fall nur, wenn sie mit der Wissenschaft zusammen- arbeiten. Ein Gastbeitrag von Beatrix Busse und Myrle Dziak-Mahler.
KAUM EINE POLITISCHE ENTSCHEIDUNG fällt in der Corona-Pandemie, ohne dass nicht mit Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse oder die Meinung eines Forschers oder einer Forscherin argumentiert wird. In den Medien erfahren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Aufmerksamkeitsboom. Wissenschaftliche Experten treten in Talkrunden auf, Wissenschaftspodcasts sind gefragter denn je.
Auch in der Frage von Kita- und Schulschließungen stützten sich die Regierungen von Bund und Ländern auf Expertenmeinungen, vor allem auf ein Gutachten der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina. Die Leopoldina sah darin notwendige Funktionen von Schule außer Kraft gesetzt und plädierte für eine schrittweise Öffnung der Schulen. Ein anderes Gutachten, das vier Professoren der Helmholtz-Gemeinschaft vorlegten, warnte hingegen vor einer verfrühten Öffnung.
Schauen wir uns die Lage an den Schulen genauer an. Viele Schulen fühlen sich bei der Umsetzung der politischen Entscheidungen, sowohl der überstürzten Schließungen als auch den stufenweisen Wiederöffnungen, von der Politik im Stich gelassen. Sie müssen den Unterricht neu und digital organisieren, Prüfungen unter Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen abhalten und Lernrückstände aufholen. Aber wie soll das gehen? Auf jeden Fall nur, und das ist unser dringender Rat, wenn die Schulen mit der Wissenschaft und der Universität transdisziplinär zusammenarbeiten.
Beatrix Busse ist Prorektorin für Lehre und Studium und Professorin für englische Sprachwissenschaft der Universität zu Köln.
Foto: Monika Nonnenmacher.
Myrle Dziak-Mahler hat bis 2004 als
Lehrerin gearbeitet und leitet das Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln
Foto: Merle Hettesheimer.
In den Universitäten liegt nicht nur Expertise, sondern auch eine gewinnbringende Ressource, die in der Neuorganisation digitaler (schulischer) Bildung zu Corona-Zeiten in der politischen wie medienöffentliche Debatte wenig berücksichtigt und kaum genutzt wird. Allein die Universität zu Köln bildet rund 13.000 Lehramtsstudierende für alle Schulformen aus und gehört damit zu den Big Playern in der LehrerInnenbildung. Wie andere Hochschulen hat sie Forschung, Lehre und Management zu großen Teilen auf digitale Prozesse umgestellt. Davon könnten die Schulen profitieren.
Ein Beispiel: Von den Schulschließungen sind auch die Lehramtsstudierenden betroffen. Sie können ihre Praxisphasen, die sie normalerweise an den Schulen absolvieren, nicht antreten. Das Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln entwickelte daher einen umfassenden Onlinekurs, der Studierende anleitet, eine digitale Unterrichtssequenz im Rahmen ihres Praxissemesters zu entwickeln. Vier bis sechs Schulstunden lassen sich damit bestreiten. Die erste Unterrichtssequenz haben die Studierenden schon fertig. Mit ihr können Schülerinnen und Schüler zum Beispiel lernen, was Fake News sind und wie man sie erkennt. Als Gegenstand der Fake News hatten die Studierenden das Thema Corona gewählt.
Lernmodule, Plattformen
und Verbünde
Einige Universitäten haben eigene Lernmodule entwickelt oder sich zu Verbünden zusammengeschlossen, um die Digitalisierung in der LehrerInnenbildung voranzutreiben. Wäre es nicht gewinnbringend, wenn diese Universitäten den Schulen bei der Unterrichtsentwicklung zur Seite stehen würden? Zum Beispiel die Online-Plattform digiLL_NRW (Digitales Lehren und Lernen in der LehrerInnenbildung) der Universitäten Bochum, Dortmund, Duisburg-Essen, Münster und Köln: Sie stellt Studierenden, Lehramtsanwärtern und Lehrkräften digitale Lehr- und Lernangebote zur Verfügung, die hochschulübergreifend entwickelt werden. Vieles davon ließe sich sofort in Schulen nutzen – und wird bereits genutzt.
Jetzt macht sich der strukturell enge Austausch zwischen Schulen und lehrerbildenden Universitäten bezahlt. Das Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln etwa baute – unter anderem gefördert durch die Qualitätsoffensive Lehrerbildung des Bundes und der Länder – vor zwei Jahren ein Schulnetzwerk auf, das den Austausch zwischen der Universität und den rund 800 Schulen der Ausbildungsregion unterstützt. Das Schulnetzwerk bietet regelmäßig Fortbildungen für Schulen an und stellte diese mit Schließung der Schulen auf ein digitales Angebot um. Einmal in der Woche lädt es nun zum "Teaching Tuesday" ein, ein Format, das Lehrerinnen und Lehrern, Lehramtsanwärtern und Studierenden Einblick in digitale Unterrichtsmöglichkeiten vermittelt. So profitieren nicht nur die Lehramtsstudierenden, sondern auch die Schulen und Lehrkräfte davon, dass die Universitäten überall im Land schnell auf die Corona-Krise reagiert haben.
Die vielen Beispiele machen deutlich, wieviel Potenzial an den Universitäten und im Zusammenspiel aller Akteure vorhanden ist. Es könnte und sollte vor allem in drei Bereichen noch viel häufiger gehoben werden.
Erstens: Es lohnt sich ein Blick auf die Lehramtsstudierenden. Sie haben vielfach eine hohe digitale Affinität und bringen aktuelle Lehrkonzepte aus ihrer Hochschule mit. Damit können sie sofort als digitale Vermittlerinnen und Vermittler an den Schulen agieren. Universitäten könnten ihre Studierenden also zur Unterstützung – und damit Entlastung – an den Schulen einsetzen. Gleichzeitig können auf diesem Weg neue Ausbildungskonzepte für Studierende entwickelt werden, wie das Beispiel der Digitalen Unterrichtssequenzen zeigt.
Zweitens haben die Hochschulen schnell Fortbildungen für Lehrkräfte bereitgestellt. Nun kommt es darauf an, gemeinsam mit den Schulen und ihren LehrerInnen neue Lehr- und Lernformate zu entwickeln und dabei die beiderseitige Expertise auf Augenhöhe einfließen zu lassen. Sogenannte Co-Creation-Formate, für die es bereits erprobte digitale Werkzeuge gibt, in denen Lehrkräfte, Studierende und WissenschaftlerInnen gemeinsam an zukunftsorientierten Konzepten für zeitgemäße Bildung arbeiten und diese dann auch gemeinsam in Schule und LehrerInnenbildung umsetzen, sind dabei unerlässlich.
Und drittens sollten Schulen und Universitäten weiter und gerade jetzt an gemeinsamen Forschungsfragen zur Digitalisierung, aber auch zur Bildungsgerechtigkeit, Inklusion oder weiteren Themen arbeiten, die sich in der Krise abzeichnen. Von einem weiteren partizipativen Angang an Schulforschung können beide Seiten profitieren. Denn dann ist auch gewährleistet, dass sich Forschung am realen Bedarf der Schulen orientiert. Die Corona-Krise kann zum Katalysator werden, um solche Ideen und Projekte zu etablieren. Denn eines hat sie mehr als deutlich gemacht: wie schnell wir in der Bildung neue und nachhaltige Konzepte brauchen.
Kommentar schreiben