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Überbrückungshilfe als "Lockvogelangebot"?

Noch diese Woche soll das Corona-Paket für notleidende Studierende durch den Bundestag. Doch die Details seiner Ausgestaltung und Finanzierung werfen Fragen auf.

ANJA KARLICZEK MACHT TEMPO. Heute schon soll ihre Corona-Überbrückungshilfe für Studierende im Bundestagsbildungsausschuss behandelt werden, morgen gehen die Beschlussanträge ins Plenum. Unterdessen reißt die Kritik aus Studierendenverbänden und Opposition nicht ab. Auch Bildungsexperten sehen wesentliche Details der Pläne skeptisch.

 

So soll das zinslose Darlehen bei der KfW-Bankengruppe lediglich in der Auszahlungsphase für den Zeitraum von Mai 2020 bis März 2021 zinsfrei sein, für die ausländischen Studierenden, die den Kredit erst später beantragen können, sogar nur von Juli bis März. Im Übrigen bleibt es bei den Regel des ganz normalen KfW-Studienkredits, was bedeutet: Nach Ablauf der Regelstudienzeit und ab 45 Jahren kann kein Darlehen beantragt werden, auch Studierende an (nicht als Hochschulen zählenden) Berufsakademien gehen leer aus. 

 

Hinzu kommt eine weitere Einschränkung, auf welche zuerst die Website Studis Online gestern aufmerksam gemacht hat: Wer bereits einen KfW-Studienkredit am Laufen hat, bekommt für diesen zwar auch die nächsten elf Monate die Zinsen erlassen, kann aber keinen zusätzlichen Notkredit beantragen. Oliver Oist von Studis Online schlussfolgert: "Wer die eigene Studienfinanzierung also auf Jobben und einen KfW-Studienkredit aufgebaut hat, steht dumm da, wenn der Job nun weggebrochen ist."

 

CHE: BAföG-Lösung

wäre besser gewesen

 

Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das auf Bitten des Bildungsausschusses eine Stellungnahme zu den Nothilfe-Plänen vorgelegt hat, warnt angesichts der nur vorübergehenden Zinslosigkeit der Kredite: "Es darf nicht der Eindruck entstehen, der Lockdown würde genutzt, um mit einem kurzfristigen Lockvogelangebot langfristig zahlende Kunden für die KfW zu werben." So formuliert es der CHE-Experte für Bildungsfinanzierung Ulrich Müller. Und weiter: Der Ansatz, eine Überbrückungshilfe über die Studierendenwerke anzubieten und parallel die Aufnahme zusätzlicher Mittel als Darlehen, sei grundsätzlich richtig. "Das zinslose Darlehen sollte aber, wie es die Fraktion von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN und die Fraktion der FDP vorschlagen, in das BAföG-System integrieren werden." 

 

Eine BAföG-Lösung hatte Karliczek wiederholt als "nicht zielführend" und zu langwierig in der Umsetzung abgelehnt. Müller, der beim CHE die politischen Analysen verantwortet, hält dagegen: Das BAföG sei nicht nur deutlich etablierter und akzeptierter als der KfW-Studienkredit, es habe auch wesentlich kulantere und studierendenfreundlichere Rückzahlungsmodalitäten. Zudem gelte bei den BAföG-Darlehensbausteinen eine dauerhafte Nullzins-Politik, denn es reiche angesichts von Verschuldungsängsten vieler Studierender nicht aus, die Zinsfreiheit beim KfW-Studienkredit nur ein Jahr lang zu gewährleisten. "Danach zahlen Studierende ab April 2021 schließlich wieder den üblichen Zinssatz – und zwar bis zum Ende der Rückzahlungsphase."

 

Auch der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), Achim Meyer auf der Heyde, bezeichnet gerade diesen Punkt, die nur kurzfristige Zinsbefreiung, als besonders problematisch. "Das entspricht nicht der nach außen suggerierten Ansage, dass es generell zinslose Darlehen geben soll, sondern es wird eine richtig teure Veranstaltung für die Studierenden." Vergangene Woche noch hatte das DSW in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit Hochschulrektorenkonferenz und DAAD begrüßt, dass die Bundesregierung Studierenden in finanzieller Notlage "nun wirksam" zu Hilfe komme.

 

Ein Bündnis von Studierendenorganisationen, darunter der bundesweite Studierendenverband fzs, erneuerte zuletzt die Forderung, Karliczek müsse zurücktreten. "Die nun angekündigte Darlehenslösung zeigt, dass die Ministerin und das BMBF schon lange jegliche Wahrnehmung der studentischen Lebensrealität und realen Studienfinanzierungssituation verloren haben", sagte etwa Jonathan Wiegers, Sprecher der Brandenburgischen Studierendenvertretung. Einer heute präsentierten Beispielrechnung des Landen-Asten-Treffen NRW zufolge würde der Bund bei einem jetzt abgeschlossenen KfW-Kredit mit zwölf Auszahlungen von jeweils 650 Euro insgesamt maximal 152,65 Euro Zinsen übernehmen. Die Zinslast bis zur Abzahlung des Kredits, inklusive der 18-monatigen Karenzphase, betrage jedoch bei einer Tilgungsrate von 50 Euro pro Monat insgesamt rund 4100 Euro. 

 

Das Geld für ihr Notpaket muss Karliczek
im eigenen Haushalt einsparen

 

Ernüchternd ist auch, wie die CDU-Bundesbildungsministerin Karliczek ihr Notpaket finanzieren muss: aus Einsparungen im eigenen Haushalt. Bis zu 65,6 Millionen Euro in diesem Jahr für das KfW-Darlehen, dazu die 100 Millionen Euro, die dieses Jahr einmalig in die Nothilfefonds der Studierendenwerke fließen sollen. Das hat die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Bettina Hagedorn (SPD), der grünen Haushaltspolitikerin Ekin Deligöz mitgeteilt, die schon vor zwei Wochen eine Berichtsanforderung an die Bundesregierung geschickt hatte.

 

Die Opposition und auch Karliczeks Koalitionspartner SPD hatten immer mit den 900 Millionen Euro im Jahr 2019 nicht verausgabten BAföG-Mittel argumentiert, die ihres Erachtens zur Finanzierung eines weitaus größeren Hilfspakets, etwa zur vorübergehenden Öffnung des BAföG für alle notleidenden Studierenden, hätten genutzt werden können. Doch wie die Bundesregierung den Grünen mitteilt: Diese – genau genommen – 916,6 Millionen wurden zum kleineren Teil (knapp 300 Millionen Euro) fürs Zinszuschüsse, Tilgungen und die Erstattung von Darlehensausfällen beim BAföG eingesetzt; der Rest, gut 617 Millionen Euro, floss zurück ans Finanzministerium.

 

Die grüne Haushaltspolitikerin Deligöz nannte das Vorgehen der Bundesregierung "unerhört". Sie sagte: "Mit dem gemeinsam von Karliczek und Scholz ausgearbeiteten "Unterstützungspaket" werden notleidende Studierende eiskalt über den Tisch gezogen!" Von Ministerin Karliczek sei sie ganz besonders enttäuscht. "Von den weiterhin 620 Millionen Euro an nicht verausgabten BAföG-Mitteln, also dem Geld, was sowieso für Studierende vorgesehen war, soll kein einziger Cent in die Unterstützungsmaßnahmen für Studierende fließen. Stattdessen geht das BAföG-Geld zurück ans Bundesfinanzministerium." Indem die geplanten Maßnahmen an anderer Stelle im laufenden BMBF-Haushalt eingespart werden müsse, werde "auf dem Rücken der Studierenden Sparpolitik betrieben". 

 

Noch drastischer formulierte es Deligöz Fraktionskollege, der grüne Bildungspolitiker Kai Gehring: Union und SPD hätten einen "Pakt gegen die junge Generation" geschlossen. Sie dokterten "erneut ein bisschen an den Zuverdienstregeln beim Bafög herum, blasen dem Ladenhüter KfW-Studienkredit neues Leben ein und versprechen Einmalzahlungen aus Nothilfefonds, die es vielerorts gar nicht gibt. Das ist nicht die notwendige schnelle Unterstützung für Studierende, sondern die Coronakrise droht für viele zu Bildungskrise und Studienabbruch zu führen."



Nachtrag am 06. Mai, 15.15
In der Sitzung des Bildungsausschusses gab Michael Meister (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, erste Details zur Vergabe der 100-Millionen-Nothilfe über die Studierendenwerke bekannt. Demnach sollen in Not geratene Studierende pro Monat maximal 500 Euro und das für maximal drei Monate erhalten können. Rechnerisch würde dies bedeuten, dass bis zu 66.666 Studierende den vollen Zuschuss erhalten könnten. Sollten die tatsächlich ausgezahlten Summen im Schnitt niedriger liegen, würde sich die Zahl der Studierenden, die zum Zug kommen können, entsprechend erhöhen. 

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