Haben Sie sich in den von Corona dominierten Wochen auch manchmal gefragt, was eigentlich aus all den Plänen und Vorhaben geworden ist, die eben noch die Debatten in der Bildungs- und Forschungspolitik bestimmt haben? Zeit für eine kleine Serie. Teil 1: "Innovationen in der Hochschullehre". Ein Anruf bei der Töpfer-Stiftung in Hamburg.
Antje Mansbrügge (links) ist Geschäftführerin der Alfred-Toepfer-Stiftung und Leiterin der Programmabteilung; Ansgar Wimmer ist Vorsitzender des Stiftungsvorstands. Fotos: Toepfer-Stifung.
Frau Mansbrügge, Herr Wimmer, im Dezember 2019 hat Ihre Toepfer-Stiftung überraschend den Zuschlag bekommen, die von Bund und Ländern geplante "Organisationseinheit zur Innovation in der Hochschullehre" aufzubauen. Direkt danach haben Sie innerhalb weniger Wochen mehrere Konferenzen auf die Beine gestellt, sogenannte „Thinktanks“ mit Professoren, (Vize-)Rektoren, Studierende und Didaktikexperten aus dem ganzen Land. Und dann kam der Shutdown.
Antje Mansbrügge: Zum Glück haben wir den Großteil der Think Tanks noch durchziehen können. Und seitdem hocken wir im Maschinenraum der Institutionen und arbeiten mit Hochdruck am Aufbau der neuen Organisation.
Ansgar Wimmer: Im Februar haben wir eine erste Stellenanzeige geschaltet, darauf kamen fast 200 Bewerbungen, und wir haben inzwischen mehr als 40 Jobinterviews über Skype geführt. In intensiven Abstimmungen mit Bund und Ländern haben wir gemeinsam eine Satzung ausgearbeitet, eine Geschäftsordnung und ein Vorstandsmodell. Alles, was man in Zeiten von Corona im Maschinenraum machen konnte, haben wir erledigt.
Mansbrügge: Ein Büro für die Stiftung haben wir auch schon gefunden, ganz zentral in der Hamburger Innenstadt.
Für die Stiftung?
Mansbrügge: Ach so, ja. Einen Namen haben wir jetzt auch. "Stiftung Innovation für die Hochschullehre" heißen wir.
Hört sich ganz schön selbstständig an für eine "Organisationseinheit", die auf Wunsch der Länder unselbstständig sein sollte.
Wimmer: Es ist das Modell der unselbstständigen Stiftung, auch Treuhandstiftung genannt, das klingt noch etwas würdiger. Eine Treuhandstiftung unter dem Dach der Toepfer-Stiftung, unselbstständig, aber so ausgestaltet, dass sie unabhängig funktionieren kann.
"Alle Beteiligten haben sich sehr einvernehmlich darauf geeinigt, sich nicht über die Namensfrage zu zerstreiten."
Dafür, dass die neue Organisation Kreativität in der Lehre fördern soll, ist ihr Name allerdings jetzt erstaunlich kreativitätsfrei geraten. Sie hatten doch mal eine spannende Idee eingespielt: Tertium wollten Sie die Stiftung nennen.
Wimmer: Das war der Vorschlag, mit dem wir in die Bewerbung gegangen sind. In den vergangenen Monaten haben wir aber festgestellt, dass es so viele drängende Themen gibt, die die Substanz der Organisation betreffen, dass sich alle Beteiligten sehr einvernehmlich darauf geeinigt haben, sich nicht über die Namensfrage zu zerstreiten.
Gratulation zu dieser diplomatischen Antwort. Sie sind also überstimmt worden von der Politik.
Mansbrügge: Der Name ist wirklich in Ordnung so. Das ist eine Institution, die über die nächsten Jahrzehnte bestehen soll. Wir wissen gar nicht, wohin sich die Debatte über Hochschullehre in 20 Jahren entwickelt haben wird. Aber wir können sicher sein, dass eine Stiftung, die den Begriff "Hochschullehre" im Namen trägt, dann immer noch passt.
Eine unselbstständige Stiftung, die aber unabhängig funktionieren soll: Auch das klingt wie der größtmögliche Kompromiss, fast schon wie die Quadratur des Kreises, weil Bund und Länder so unterschiedliche Auffassungen hatten. Wie spiegelt sich das in der Satzung wider, in der Governance? Wer steuert die Stiftung und wie viele?
Wimmer: Da gilt der schöne Satz: form follows function. Die Stiftung wird drei Aufgaben haben: die finanzielle Förderung von Projekten innovativer Hochschullehre, die Vernetzung der Szene und drittens den Wissenstransfer. Entsprechend ist die Leitungsebene organisiert: Mit einem Geschäftsführenden Vorstandsmitglied, das vor allem die Förderverfahren verantwortet, diese Stelle haben wir gerade in der ZEIT ausgeschrieben. Dazu ein ein Vorstandsmitglied "Wissenschaft", das die Hochschulen und ihre Interessen repräsentiert und idealerweise gleichzeitig in seiner Hochschule verankert bleibt. Und drittens ein Vorstandsmitglied "Innovation", das voraussichtlich wir als Stiftung beisteuern dürfen und das die Vernetzung und den Wissenstransfer organisieren wird.
Ein geschäftsführendes Vorstandsmitglied, das immer das letzte Wort hat – oder drei Chefs, die immer erst alles ausdiskutieren müssen?
Wimmer: Es wird klar umrissene Zuständigkeiten geben, das ist auch das Ergebnis der Erfahrung aus vielen Jahren Stiftungsarbeit. Außerdem installieren wir Konfliktlösungsmechanismen, so dass sich da keiner gegenseitig blockiert, sondern ein Maximum an Konsens entsteht.
Mal ehrlich: Der Konfliktlösungsmechanismus heißt doch: Im Zweifel entscheidet die Politik?
Wimmer: Diese Sorge teile ich nicht nach den Erfahrungen der vergangenen Monate. Es gibt ein Bund-Länder-Aufsichtsgremium, das die Geschicke der Stiftung begleitet und das sich unter Corona-Bedingungen schon als handlungsfähig erwiesen hat. Da sitzen 18 Leute aus den Landesministerien und dem BMBF drin, die alle ein Interesse am Gelingen der Stiftung haben. Das mag Sie womöglich erstaunen, ist aber unsere Erfahrung.
"Es wird darum gehen, was sich von den neuen digitalen
Konzepten in den Betrieb nach Corona mitnehmen lässt."
Als Sie Ihre Bewerbung schrieben, stand der Name Corona für eine Biermarke. Jetzt leben wir in einer völlig anderen Welt, die Hochschulen haben in Windeseile komplett auf digitale Lehre umgestellt. Können Sie Ihr Konzept jetzt wegschmeißen und müssen komplett neu denken – weil die Wirklichkeit Sie überholt hat?
Mansbrügge: Was die Hochschulen innerhalb der letzten zwei Monate geleistet haben, hätte man in normalen Zeiten nicht in zwei Jahren geschafft. Ich habe einen enormen Respekt für alle, die da gerade 50 Wochenstunden und mehr in die Zukunft der Lehre investieren. Natürlich muss darauf auch diese Institution reagieren. Wenn die Hochschulen hoffentlich nächstes Jahr aus dem Krisenreaktionsmodus rauskommen, müssen wir gemeinsam mit Ihnen reflektieren und weiterdenken, welche Aufgaben daraus für die Stiftung Hochschullehre entstehen. Vor allem wird es darum gehen, was sich von den neuen digitalen Konzepten, die jetzt überall entstehen, in den Regelbetrieb nach Corona mitnehmen lässt, in Form neuer Blended-Learning-Formate zum Beispiel.
Das ist mir noch etwas zu abstrakt. Beschreiben Sie mir doch mal, wie ein typischer Tag in der Stiftung im Jahr 2021 oder 2022 aussehen wird.
Mansbrügge: Dann werden die ersten Förderlinien stehen, die ersten Projekte werden bewilligt sein, und während sich das Fördergeschäft einpendelt, werden wir als Stiftung im nahen Kontakt mit den Lehrenden sein, mit den geförderten Projekten und solchen, die es werden wollen, wir werden beraten und Ansprechpartner sein, wir werden auf bestehende Hochschullehre-Netzwerke und Verbünde zugehen und schauen, wie sie von uns am besten unterstützt und gestärkt werden können.
Die Think Thanks, mit denen sie gestartet sind, kamen extrem gut an in der Szene. Wollen Sie die weiterführen?
Mansbrügge: Sicherlich werden wir das Format fortsetzen und zu einzelnen Aspekten innovativer Hochschullehre vertiefen. Eines will ich an der Stelle klar sagen: Wir sehen die neue Stiftung nicht als Veranstaltungsmaschine. Natürlich wird es auch mal eine Tagung geben, aber das Organisieren großer Konferenzen können die Hochschulen selber viel besser. Wenn ich etwas gelernt habe in den vergangenen Jahren, dann dies: Es sind die kleinen und zielorientierten Formate, von denen sich viele an den Hochschulen mehr wünschen und die den Ideenaustausch wirklich fördern können.
Gleichzeitig wecken Sie damit die Erwartungen an einen Grad der Partizipation, den Sie mit Bund und Ländern im Rücken womöglich gar nicht erfüllen können.
Mansbrügge: Das ist zu allererst eine stilistische Frage. Im Bund-Länder-Gremium fragen sie doch genauso, welche Bedarfe es an den Hochschulen gibt und was daraus für die Stiftung folgt. Das lässt sich, glaube ich, sehr gut zusammenbringen. Wenn wir den Anspruch haben, schon 2021 möglichst viel von den 150 Millionen Euro jährlich an die Hochschulen zu bekommen, müssen wir schnell agieren und nah dran sein an den Hochschulen und den Geldgebern.
Was meinen Sie damit?
Mansbrügge: Wir können jetzt keine Förderlinie auflegen, die von den Hochschulen das monatelange Erarbeiten von Antragskonzepten erfordert. Sonst haben wir bis Ende 2021 kaum einen Euro ausgegeben. Umgekehrt muss das Geld maximal wirkungsvoll eingesetzt werden. Da müssen wir uns was einfallen lassen, und das wird sich demnächst konkretisieren.
"Wir müssen sicherstellen, dass alle Hochschulen gute
und erfolgversprechende Anträge stellen können."
Anja Karliczek hat schon eine Idee, wie Sie die 150 Millionen loswerden. Sie will den im Koalitionsvertrag versprochenen Wettbewerb zur Förderung "digital innovativer Hochschulen oder Hochschulverbünde" über die neue Stiftung laufen lassen. Damit wäre dann schon mal ein Großteil Ihres Geldes verplant, oder?
Mansbrügge: Solange es um didaktische Fragen der Digitalisierung geht, passt das tatsächlich in die Institution. Ansonsten gibt es aber ja auch schon Stimmen da draußen, die einen Digitalpakt für die Hochschulen fordern, und das ist, glaube ich, auch gut so.
Die neue DFG-Präsidentin Katja Becker empfahl neulich im Interview, die neue Stiftung Hochschullehre sollte auf jeden Fall "auf die hohe Qualität der geförderten Projekte achten wie insgesamt auf die Qualitätssicherung aller Prozesse."
Mansbrügge: Das ist ein wichtiger Punkt. Nur wenn die Institution auf die hohe Qualität der geförderten Projekte achtet, wird sie im Wissenschaftsbetrieb Anerkennung finden. Gleichzeitig müssen wir sehen, dass die Hochschulen sehr, sehr unterschiedlich sind. Da ist die große Forschungsuniversität mit einer eigenen Forschungsabteilung, wo die Hochschulleitung nur einen Auftrag ins System geben muss und, zack, ist ein ausgeklügelter Antrag fertig. Es gibt aber auch die kleine Musik- oder Kunsthochschule oder selbst größerer Fachhochschulen, die solche Ressourcen nicht haben. Wir müssen als Stiftung sicherstellen, dass sie alle die Möglichkeit erhalten, gute und erfolgversprechende Anträge zu stellen.
Über die Vergabe von Forschungsgeldern werden Hierarchien verstärkt: Einige Professoren werden zu Drittmittel-Königen, wissenschaftliche Mitarbeiter geraten in noch größere Abhängigkeiten. Wird die Drittmittel-Förderung in der Lehre ähnliche Effekte haben?
Mansbrügge: Beim Qualitätspakt Lehre (QPL) haben wir eine solche Konzentration nicht erlebt. Es waren zwar oft Professorinnen und Professoren, die Anträge abgezeichnet haben, ansonsten aber hat die QPL-Förderung zu einem Mehr an Diversität geführt, zu dezentraleren Budgets und zu einer höheren Sichtbarkeit des Mittelbaus, der ja den Großteil der Lehre trägt. Eigentlich wäre es im Bereich der Lehre sogar wünschenswert, dass die Professorinnen und Professoren sich stärker einbringen, anstatt vieles, was mit Lehrentwicklung zusammenhängt, weiter in den Mittelbau abzuschieben.
Weil Sie den QPL ansprechen: Welche Hoffnungen können sich die Projektmitarbeiter auf eine Verlängerung machen?
Mansbrügge: Bund und Länder haben eine Regelung beschlossen, dass QPL-Projekte in einer Übergangsphase bis Ende März 2021 verlängert werden können. Das ist natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein für viele Betroffene. Ansonsten gilt die Ansage, dass der Zukunftsvertrag Studium und Lehre die Möglichkeit der Weiterfinanzierung beinhaltet. Die Hochschulen müssen sich, sobald klar ist, wieviel sie daraus erhalten, Gedanken machen, welche Projekte sie damit fortführen wollen.
"Wir wollen ein Team, das nicht vorrangig aus Häuptlingen
besteht oder solchen, die sich dafür halten."
Sie schieben die Verantwortung also Richtung Hochschulleitungen?
Mansbrügge: Die Verwaltungsvereinbarung zur Stiftung Hochschullehre ist da ganz klar. Natürlich können auch bisherige QPL-Projekte Förderanträge stellen, aber wir sind für die ganze Breite der Hochschulen da, es handelt sich um den Neustart in einer Institution und nicht um eine Fortführung des Qualitätspakts Lehre.
Sie haben die 200 Bewerbungen erwähnt, die Sie schon hatten. Was werden das für Leute sein, die in der Stiftung arbeiten?
Mansbrügge: Mein Anliegen ist, ein Team mit möglichst unterschiedlichen Perspektiven zusammenzustellen: mit Leuten, die die Hochschulen von innen kennen, und zwar Universitäten genauso wie Fachhochschulen und andere Hochschularten. Mit Profis aus der Forschungsförderung, die die entsprechenden Verfahren kennen, weil es eine entsprechende Lehrförderung bislang ja nicht gab. Auch eine disziplinäre Breite ist uns wichtig. Konkreter kann ich noch nicht werden, nur so viel: Die ersten drei Arbeitsverträge befinden sich gerade in der Ausarbeitung.
Wimmer: Wir sind übrigens auch weiter offen für Leute, die sich initiativ bewerben wollen. Wir wollen ein Team, das nicht vorrangig aus Häuptlingen besteht oder solchen, die sich dafür halten, sondern aus hochmotivierten Leuten mit hoher Professionalität, die miteinander loslegen wollen.
Von wie vielen Leuten sprechen Sie?
Mansbrügge: Wir könnten für die Übergangsphase in diesem Jahr bis zu 20 Personen einstellen, aber das halte ich nicht für realistisch, so schnell hochzuzoomen. Ich rechne erstmal mit 15 Leuten.
Die Erwartungen an die Stiftung sind nicht nur gewaltig, was die Partizipationsmöglichkeiten angeht. Es gibt viele Menschen in den Hochschulen, die seit Jahren für die Hochschullehre brennen und für ihr Engagement nie die Anerkennung bekommen haben, die ihnen zusteht. Müssen Sie angesichts der Verantwortung, die da auf Sie zukommt, manchmal schlucken?
Mansbrügge: Die neue Organisation wird ja nicht die regulierende Krake im Geschehen, sondern sie passt sich ein in eine bestehende Landschaft mit vielen weiteren sehr aktiven Institutionen. Ganz sicher werden wir nicht – hex, hex – die Hochschulen ändern können, das müssen die Hochschulen schon selbst tun. Wir sind dazu da, sie in diesem Kulturwandel zu fördern, sie zu motivieren und an ihrer Seite zu stehen.
Wimmer: Als kleine Toepfer-Stiftung sind wir mit Demut in die Ausschreibung um die neue Organisation gegangen, mit Demut und Überraschung haben wir unsere Auswahl zur Kenntnis genommen. Das ist jetzt nicht nur irgendein Habitus, sondern das meine ich ganz ernst: Wir möchten wirklich gute Arbeit leisten, aber als Heilsbringer taugen wir nun wirklich nicht.
Teil 2 der neuen Serie folgt nächste Woche: Die Agentur für Sprunginnovationen.
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tom (Freitag, 15 Mai 2020 11:36)
wie wird es mit lehre hoch n und den lehrefellows weitergehen?