Die Servicestelle "uni-assist" bearbeitet jedes Jahr 200.000 Studienplatz-Bewerbungen aus dem Ausland. Schon vor der Coronakrise drohte ihr die Insolvenz. Jetzt endlich verpflichten sich die Hochschulen zur Mitfinanzierung. Gelingt der Neustart?
Screenshot der uni-assist-Website.
"DAS GESICHT DEUTSCHLANDS", nennt die neue Geschäftsführerin "uni-assist", die Arbeits- und Servicestelle für internationale Studienbewerbungen in Deutschland. 203.000 Bewerbungen von knapp 90.000 Studieninteressierten aus der ganzen Welt hat "uni-assist" allein im Wintersemester 2019/20 bearbeitet, dazu 470.000 Anfragen beantwortet, im Namen seiner damals 190 Mitgliedshochschulen. Doch ist die 2003 gegründete Einrichtung in den vergangenen Jahren in eine immer stärkere finanzielle Schieflage geraten – was auch an einem ungewöhnlichen Umstand lag: "uni-assist" ist zwar ein Verein, doch seine Mitglieder haben bislang keinen finanziellen Beitrag geleistet. Ihren regulären Haushalt bestritt die Einrichtung weitgehend aus Gebühren der Bewerber, die 2017 auf 75 Euro pro Erstantrag und 30 für jeden weiteren angehoben worden waren.
Das wird sich jetzt ändern: Anstatt erneut an der Gebühren-Preisschraube zu drehen, stimmten die "uni-assist"-Mitglieder vor dem Wochenende mit der nötigen Mehrheit einem Umlaufbeschluss zu, der ihnen von Juli an Mitgliedsbeiträge abverlangen wird – gestaffelt von wenigen tausend bis zu 85.000 Euro pro Jahr für die größten Hochschulen mit den meisten internationalen Studierenden. Die Servicestelle hofft, mit den Einnahmen eine absehbare Finanzierungslücke von mindestens 3,6 Millionen Euro jährlich zum größeren Teil decken zu können.
Zahlen oder austreten,
lautete die Ansage
Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Mitgliedshochschulen, Vereinsvorstand und Geschäftsführung hatte zuvor in einem gemeinsamen Papier gewarnt, ohne eine verlässliche Basisfinanzierung durch seine Mitglieder drohe "uni-assist" aufgrund der Coronakrise schon 2020 die Insolvenz. Verschärfend kommt hinzu, dass zwei millionenschwere Drittmittelprojekte Ende 2019 ausgelaufen sind. Um die Einrichtung nachhaltig zu sichern, seien die Hochschulen aufgefordert, "sich für das solidarische Verbundmodell zu verpflichten oder aber die Mitgliedschaft zu beenden", verlangte die Arbeitsgruppe.
Tatsächlich haben 13 Hochschulen seit vergangenem Jahr den Verein verlassen, die Zahl der Mitglieder schrumpfte auf zuletzt 177. Ein erster Anlauf des Vorstands, Beiträge einzuführen scheiterte zudem im Herbst 2019. Doch jetzt zeigten die dramatischen Appelle Wirkung: 146 Hochschulen gaben ihre Stimme ab, 102 stimmten zu, wie "uni-assist" mitteilte. Der "uni-assist"-Vorstandsvorsitzende Jens Strackeljan, im Hauptjob Rektor der Universität Magdeburg, spricht von einem "tollen Ergebnis" – erst recht, wenn man bedenke, dass wegen Corona keine reguläre Mitgliederversammlung habe stattfinden können. Lediglich per Videokonferenz habe man den Mitgliedern die Pläne erläutern können. "Doch jetzt können wir die nötigen Reformen vorantreiben."
Reformen braucht die Einrichtung nämlich reichlich. Seit vergangenem Jahr hatte es in der Berliner Geschäftsstelle mehrere Warnstreiks gegeben, mit denen sich die gut 150 fest angestellten Mitarbeiter gegen aus ihrer Sicht immer schlechtere Arbeitsbedingungen, Dauerbefristungen und das Fehlen eines Tarifvertrags zur Wehr setzten. Weitere 291 Arbeitskräfte waren im Wintersemester 2019/20 zeitweise zusätzlich angestellt, um wie jedes Jahr die saisonalen Spitzen im Bewerberaufkommen zu bewältigen, viele von ihnen mit auf sechs Monate begrenzten Saisonverträgen oder mit sogenannten Lückenverträgen, die pro Jahr einige Monate Arbeitslosigkeit vorsehen.
Die Tarifverhandlungen
stecken fest
Zwischenzeitlich hatte "uni-assist" in einer Verhandlungssitzung mit Verdi im Februar ein Angebot für einen Tarifvertrag vorgelegt, doch die Tarifkommission der Gewerkschaft lehnte nach einem entsprechenden Votum der organisierten Beschäftigten ab. Die Verhandlungen liegen laut Strackeljan seitdem auf Eis. "Wir wollen aber noch dieses Jahr abschließen", bekräftigt der Vorstandsvorsitzende fast trotzig. Doch bleiben grundsätzliche Streitpunkte: Vor allem forderten die Arbeitnehmervertreter neben Entfristungsregelungen, als Grundlage den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst auf Bundesebene (TVÖD) zu nehmen, "uni-assist" bietet das weniger üppige Landespendant – weil Hochschulmitarbeiter ja auch nach diesem bezahlt würden. "Wenn es ein faires Gesamtpaket gibt und sich bei der Überleitung keiner schlechter stellt, wären wir zu einem Kompromiss durchaus bereit", sagt jedoch Verdi-Verhandlungsführerin Jana Seppelt. "Entscheidend ist vor allem auch, dass wir eine Regelung zu den Befristungen bekommen." Berlins Staatssekretär Steffen Krach (SPD) hatte auf der "uni-assist"-Mitgliederversammlung im Herbst die Einführung der Mitgliedsbeiträge gefordert. Auf Anfrage begrüßte er die Entscheidung als "gutes Signal", der Verein verdiene verlässliche Rahmenbedingungen. "Jetzt muss es aber auch einen ordentlichen Tarifvertrag für die Beschäftigten geben."
Zweite große Baustelle bei "uni-assist" ist die Digitalisierung. Bis 2015 gab es in der Geschäftsstelle keine eigene IT-Abteilung, die verwendete Bewerbungssoftware wurde von den Mitarbeitern größtenteils selbst gestrickt – und kam spätestens Mitte der 10er Jahre an ihre Grenzen. Die Bundesregierung gab über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) 4,9 Millionen Euro für eine Neuentwicklung. Die ist zwar soweit fertig, inklusive einer neuen Plattform für die Online-Bewerbung, läuft dem Vernehmen nach aber noch nicht wirklich rund. Und die Finanzspritze des Bundes ist aufgebraucht.
Noch kritischer ist, dass nach wie vor jedes Zeugnis und jedes Bewerbungsdokument regulär händisch geprüft werden muss – einer der Gründe, warum überhaupt die hohe Zahl an Saisonkräften nötig ist. "Uni-assist braucht jetzt eine kritische Analyse seiner inneren Strukturen", sagt Vorstandsvorsitzender Strackeljan. "Das ist ein in großen Teilen komplett analoger Verwaltungsbetrieb, wir müssen untersuchen, welche Rolle etwa Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen bei der Bearbeitung der Bewerbungen spielen können." Das "Vertrauensvotum" der Mitgliedshochschulen, sagt Strackeljan, mache jetzt "Mut und Lust", das noch entschiedener in Angriff zu nehmen.
Drohen bis zu 80 Prozent
weniger Bewerber?
Das Mitgliedervotum ist für den Verein auch deshalb so lebenswichtig, weil die Folgen der Coronakrise für den "uni-assist"-Haushalt beträchtlich sein dürften. "Wir wissen noch nicht, ob wir mit 10, 20, 50 oder gar 80 Prozent weniger internationalen Studienbewerbern rechnen müssen", sagt der stellvertretende Generalsekretär des DAAD, Christian Müller, der für das Gründungsmitglied im "uni-assist"-Vorstand sitzt.
Klar ist: Jede Bewerbung weniger schlägt unmittelbar auf den "uni-assist"-Haushalt durch, was umso schmerzhafter ist, weil Ende 2019 ein weiteres über den DAAD abgewickeltes, bundesfinanziertes Millionenprogramm auslief: Mit 5,3 Millionen Euro war die Gebührenbefreiung für über 30.000 Geflüchtete finanziert worden, die sich über "uni-assist" an deutschen Hochschulen beworben hatten. Derzeit liege das Antragsaufkommen bei 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt, heißt es aus der Geschäftsstelle, die Kernabteilungen befänden sich seit Anfang Mai in Kurzarbeit, vorangegangen waren 20 Kündigungen von Saisonkräften während der Probezeit.
Möglicherweise, hofft Christian Müller, werde der Rückgang bei den internationalen Studienanfängern aber auch gar nicht so dramatisch ausfallen wie befürchtet, weil sich Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bislang recht gut in der Pandemiebekämpfung geschlagen habe. Der DAAD-Mann will die Entscheidung für das Beitragsmodell insofern auch als "Bekenntnis der Hochschulen zur Internationalisierung in schwierigen Zeiten" verstehen.
Gelingt die Reform auch
ohne existentiellen Druck?
Oliver Günther ist Präsident der Universität Potsdam, zuletzt beim Neujahrsempfang seiner Hochschule hat er
die Universitäten "als Orte der Integration, der internationalen, interkulturellen und interreligiösen Verständigung" hervorgehoben – und die Beschlussvorlage jetzt trotzdem abgelehnt. Er sei nicht grundsätzlich gegen die Einführung von Mitgliedsbeiträgen, sagt er, auch das vorgeschlagene Staffelmodell gehe in Ordnung und einen Tarifvertrag begrüße er ausdrücklich. Doch für eine dauerhafte Einführung von Mitgliedsbeiträgen reiche die Informationslage noch nicht. "Ich hätte mir zunächst eine Übergangszeit von zwei Jahren gewünscht, mit einer auskömmlichen Brückenfinanzierung für den Verein. In diesen zwei Jahren hätte die Geschäftsführung die versprochenen Reformen erstmal liefern können." Ein Misstrauen gegenüber den seit Jahren kriselnden, bei manchen als bürokratisch-langsam verschrienen Verein, den durchaus viele von Günthers Rektorenkollegen teilen. Unterlagen gingen schon mal verloren, ist zu hören, die Bewerber blieben oft lange im Unklaren oder würden unvollständig informiert.
Wird jetzt der Reformdruck vom "uni-assist" genommen? Hauke Heekeren, Vizepräsident der Freien Universität Berlin, widerspricht. "Aus unser Sicht leistet uni-assist längst sehr gute Arbeit." Deshalb habe die FU dem Beschlussvorschlag zugestimmt. Heekeren hat neulich mal eine Berechnung angestellt, wie viele Mitarbeiterstellen es für seine Hochschule bedeuten würde, die 9000 teilweise unvollständigen Bewerbungen internationaler Studierenden jährlich selbst zu bearbeiten, inklusive der Überprüfung aller Dokumente und Zeugnisse, dem Zahlungsverkehr, der Beantwortung von Rückfragen und dem Nachhaken, wenn Unterlagen fehlen. "Das wäre ein Mehrfaches von dem, was uns der Höchstbetrag von 85.000 Euro pro Jahr kosten wird. Zumal man eine solche Expertise, wie sie bei "uni-assist" aufgebaut wurde, nicht einfach mal so einkauft." Verbesserungsbedarf sieht freilich auch Heekeren, die Bearbeitung der Anträge müsse transparenter, vor allem für die Bewerber. "Das wird aber die neue Online-Plattform, wie ich höre, leisten." Dann könne jeder Bewerber jederzeit den aktuellen Stand seiner Bewerbung verfolgen und damit schneller einen Überblick erhalten, sagt Heekeren. Soweit zumindest der Plan – denn, wie erwähnt, die IT offenbar hat noch ihre Macken.
"Wir sind uns der Verantwortung sehr
bewusst", sagt die Geschäftsführerin
Alles ändern wird sich freilich nicht. Christian Müller vom DAAD sagt: "Es wäre zum Beispiel unehrlich zu behaupten, dass "uni-assist" künftig ohne Saisonkräfte auskäme." Wenn die Digitalisierung voranschreite, würden allerdings vermutlich weniger gebraucht. Gleichzeitig dürfte die Zahl der festen Mitarbeiter weiter leicht steigen – solange der coronabedingte Rückgang bei den internationalen Bewerbern nur eine Delle bleibt. Denn auch künftig sollen die Gebühreneinnahmen zwei Drittel des rund 13,6 Millionen Euro umfassenden Budgets ausmachen.
Dchi-Young Yoon ist seit vergangenem November Geschäftsführerin von "uni-assist". Seitdem, sagt sie, habe sie nach einer neuen Perspektive für den Verein gerungen. "Die Einführung von Mitgliedsbeiträgen bietet diese Perspektive", sagt Yoon. "Aber wer glaubt, wir würden uns deshalb jetzt zurücklehnen, irrt." Im Gegenteil, die Mitglieder würden jetzt noch genauer hinschauen, was "uni-assist" tue – weil es das jetzt mit ihrem Geld tue. "Wir sind die erste Anlaufstelle für viele jungen Menschen, die sich für ein Studium bei uns interessieren. Der Verantwortung, das Gesicht Deutschlands zu sein, sind wir uns sehr bewusst."
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