Der Bundestag hat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz flexibilisiert. Doch wird angesichts der Pandemie mehr nötig sein, um junge Wissenschaftler, diese systemrelevante und zugleich höchst vulnerable Gruppe, zu schützen. Ein Gastbeitrag von Hans-Christian Pape.
Der Neurophysiologe Hans-Christian Pape ist seit 2018 Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Foto: AvH/Mario Wezel.
ES GIBT BEGRIFFE, die eigentlich verbrannt sind. "Systemrelevant" ist solch ein Begriff: Geldhäuser, die Milliarden Lasten kumuliert hatten, wurden mit steuerlichen Rettungsschirmen unterstützt. Too big to fail, daher systemrelevant, so lautete die Begründung, auch wenn die "Schieflage" nicht immer nur durch äußere Umstände bedingt war.
In der Coronavirus-Krise erfährt der Begriff nun eine überfällige Umdeutung. Als systemrelevant erkennen wir Menschen, die unser System aufrecht halten, ob als Beschäftigte in der Pflege, an der Supermarktkasse, im Krankenhaus oder in der Wissenschaft. Gerade dort, in Instituten von Forschung und Lehre, leisten wissenschaftliche Nachwuchskräfte Außerordentliches. Sie tragen dazu bei, die Ausbreitung des Virus zu bekämpfen, Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln oder auch die gesellschaftlichen Aspekte der Krise und verordneter Maßnahmen zu erforschen. Und auch in zukünftigen Krisen, gleich welcher Couleur, werden sie derart wichtige Funktionen ausüben.
Dies ist der Moment, systemrelevante Gruppen wie unseren wissenschaftlichen Nachwuchs zu schützen. Schon vor Corona war der Mangel an strukturierten Karrierewegen ein Hauptproblem. Der Karrierepfad mit Qualifizierungs- und Bewährungsstufen – häufig verzweigt, und immer in engen zeitlichen Etappen – erscheint vielen wenig transparent. Befristete Verträge sorgten immer schon für enormen Druck, produktiv zu sein. Dies ist einerseits in einer gesunden Wettbewerbssituation akzeptabel, sofern die Qualität des Produkts – des wissenschaftliches Ergebnisses – gesichert ist. Andererseits ist die Generierung vielbeachteter Ergebnisse auf jeder Station des Karriereweges eine notwendige Voraussetzung für den jeweils nächsten Karriereschritt.
Auch für ausgewiesene Talente droht
die wissenschaftliche Karriere zu scheitern
In der Pandemie aber ist das Erreichen des Etappenziels in der vorgegebenen Zeit oft nicht möglich. Die wissenschaftlichen Ergebnisse sind durch Unterbrechung der Labortätigkeit oder die Unmöglichkeit, zu wichtigen Archiven oder anderen Forschungsquellen zu reisen, gefährdet. Auch für ausgewiesene Talente droht die wissenschaftliche Karriere zu scheitern. Und für diejenigen, die das Glück hatten, zu Beginn der Pandemie genügend Daten für eine Publikation akquiriert zu haben, hält das Homeoffice oft verschärfte Bedingungen bereit: In dieser Situation haben die, die Familienpflichten mit gleichzeitigem Homeschooling und Kleinkinderbetreuung erfüllen – gegebenenfalls verschärft durch Geschlechterrollen – es noch einmal schwerer, ihre Zukunft zu sichern.
In besonderer Weise betroffen sind international mobile Forschende, für die der Antritt eines Stipendiums oder einer neuen Stelle in einem anderen Land durch die Reisebeschränkungen unmöglich wird, oder die aufgrund behördlicher Maßnahmen einen Aufenthalt unterbrechen oder vorzeitig abbrechen müssen. Ihnen fehlt nicht nur die Arbeitsmöglichkeit, sondern "von heute auf morgen" häufig auch das Einkommen für den Lebensunterhalt.
Die jüngst im Bundestag beschlossene Flexibilisierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes schafft eine wichtige Perspektive. Doch mehr wird nötig sein, um diese systemrelevante und zugleich höchst vulnerable Gruppe zu schützen. Vier Monate pauschale Vertragsverlängerung fordern Kongressabgeordnete für postdoktorierte Forschende in den USA. Dies wäre auch in Deutschland eine willkommene Geste.
Eine faire Abfederung der Härten für den wissenschaftlichen Nachwuchs muss aber darüber hinausgehen. Alle befristeten Verträge um sechs Monate zu verlängern wäre die konsequente Umsetzung der Beschlüsse zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Natürlich sind die Ausgaben spürbar. Für die Alexander von Humboldt-Stiftung dürften sie bei 13 Millionen Euro liegen. In vielen Fällen werden Wissenschaftsorganisationen die nötigen Mittel durch interne Umschichtungen aufbringen können, vor allem wenn Personalausgaben in diesem Bereich nur einen kleinen Teil des Budgets ausmachen. Bei anderen Organisationen müsste die öffentliche Hand helfen. Es wäre im Gesamtbild nicht viel für diese systemrelevante Gruppe, deren Existenzsorgen hinter denen von Künstlern und Gastwirten nicht zurückstehen. Dass daneben die ausreichend diskutierten Systemverbesserungen für planbare Karrieren weiter erreicht werden müssen, braucht nicht erneut ausgeführt werden.
Denn die aktuelle Krise macht deutlich, dass wir die Widerstandskraft unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme verbessern und die internationale Zusammenarbeit intensivieren müssen. Die Wissenschaft und den internationalen Austausch zu unterstützen und vor allem unsere wissenschaftlichen Talente zu stärken, ist nicht einfach nur der Ruf nach dem nächsten Rettungsschirm. Es handelt sich um Investitionen in unsere Widerstandsfähigkeit für die Krisen von morgen.
Die nächsten Pandemien drohen, für ihre Bewältigung
brauchen wir die jungen Forscher
Die nächsten Pandemien drohen. Durch den Klimawandel und den Raubbau an der Natur werden sie immer wahrscheinlicher. Aber wie sie aussehen werden, welche Eigenschaften und Folgen die Erreger haben werden – das wissen wir im Vorhinein nicht genau. Und vielleicht ist die nächste weltweite Bedrohung eher klimabedingt? Nur breit aufgestellte und international kooperierende Forschung kann bereithalten, was wir dann brauchen werden. So wie wir nicht wissen konnten, welche Teile der Forschung jetzt Hilfe bringen. Aber sie bringen Hilfe – dies zeigen auch Beispiele aus dem internationalen Forschungsnetzwerk der Alexander von Humboldt-Stiftung, die in der Aktion #ResearchAcrossBorders gesammelt werden.
Wie zum Beispiel die Arbeiten der Humboldt-Professoren Guus Rimmelzwaan und Jens Meiler. Der eine erforscht in Hannover, wie unser Immunsystem SARS-CoV-2 unschädlich machen und ein zukünftiger Schutz vor Viren gelingen kann, die von tierischen Wirten auf den Menschen übergehen können. Der andere arbeitet in Leipzig an Modellen, die zur Entwicklung und zum Testen von Impfstoffen genutzt werden können. Doch ist dies nicht allein die Stunde der Lebenswissenschaften, die direkt zur Bekämpfung des Virus beitragen. Gefragt ist nun auch Expertise aus Soziologie, Ökonomie, Rechtswissenschaft. Wie sollen die finanziellen Folgen der Krise getragen werden? Wer wird besonders belastet? Was bedeutet die Krise für unsere Wirtschaft, für Wachstum, Konsum und Globalisierung? Wie stehen verordnete Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie den Fragen der Menschenwürde gegenüber?
Fragen zur psychischen Gesundheit, zur sozialen Balance, zur Solidarität, zum Miteinander von Alt und Jung in Bildung und Versorgung kommen hinzu. Welche möglichen Folgen der Pandemie müssen wir für Schwellenländer konstatieren? Ist eine humanitäre Katstrophe programmiert? Initiativen wie LifeWithCorona.org, an der die Konstanzer Alexander von Humboldt-Professorin Anke Hoeffler mitwirkt, forschen zu diesem Aspekt und akquirieren Daten für einen internationalen Vergleich der Effekte von Covid-19.
Hochrangige Forscherinnen und Forscher arbeiten intensiv an Antworten auf diese Fragen. Möglich wird ihre Forschung durch die Teams, die hinter ihnen stehen. Der sogenannte akademische Mittelbau, junge Talente, Postdocs, Promovierende und Studierende. Diejenigen, die Umfragen und Testreihen durchführen und auswerten, Experimente aufbauen, Daten akquirieren und aggregieren. Sie haben unsere Solidarität verdient. Als erfahrene Forscherinnen und Forscher müssen und werden wir für unsere Teams einstehen.
Forschungsorganisationen, Hochschulen, Forschungsförderer, aber auch die mittelgebenden Ministerien sind gefordert, dies zu ermöglichen. Wenn es bislang schon nicht gelungen ist, die Frage der Karriereperspektive für junge Forschende zufriedenstellend zu beantworten, dürfen wir jetzt nicht riskieren, dass die Unzulänglichkeit des Systems zum Scheitern einer Generation des wissenschaftlichen Nachwuchses führt.
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Mascha Hansen (Dienstag, 19 Mai 2020 11:01)
Die Pandemie deckt - wie an so vielen Stellen - auch hier die Mängel im System auf. Eine pauschale Verlängerung um ein halbes Jahr ist sicher besser als nichts, aber löst das Problem nicht: es fehlen die Anschlussjobs (wie hier im Blog auch bereits diskutiert). Außerdem würde das bedeuten, dass für ein halbes Jahr kaum neue Stellen entstehen: die Ungerechtigkeit wird damit auf die nächste Generation verlagert. Wir brauchen, da stimme ich voll zu, endlich ein vernünftiges, nachhaltiges System von Karrierewegen an unseren Unis (und außerhalb).
(Und über die Entlastung der Mitarbeiter*innen auf Dauerstellen, die gerade die Hauptlast der Online-Lehre stemmen, sollte auch bald mal diskutiert werden...)
tmg (Dienstag, 19 Mai 2020 21:02)
''Auch für ausgewiesene Talente droht die wissenschaftliche Karriere zu scheitern'' heißt es im Beitrag des Kollegen Hans-Christian Pape. Ist das nicht ein wenig übertrieben? Auch die Aussage von Frau Hansen, dass durch eine pauschale Verlängerung um ein halbes Jahr die 'Ungerechtigkeit' auf die nächste Generation verlagert wird, scheint mir übertrieben zu sein. Ist das Virus 'ungerecht'? Die nächste GENERATION ist betroffen?
Mit etwas weniger Aufregung wäre dem Anliegen der Nachwuchsforscher besser gedient.
GF (Mittwoch, 20 Mai 2020 20:46)
Ein wichtiger Beitrag zur richtigen Zeit - Danke!Ich glaube, damit sprechen Sie vielen aus der Seele.
Dr. JR (Donnerstag, 21 Mai 2020 18:11)
Ich habe aufgegeben. Ab jetzt bin ich nicht mehr Wissenschaftlerin sondern Unternehmerin. Soziale Verantwortung trage ich trotzdem. Aber ich lasse mich nicht mehr durch ein System mit Verträgen abspeisen, die Scheinselbständigkeit sehr ähneln. Bye bye alte Welt.