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"Wir wollen das Bildungsabkommen noch dieses Jahr verabschieden"

Haben Sie sich in den von Corona dominierten Wochen auch manchmal gefragt, was aus all den Plänen und Vorhaben geworden ist, die eben noch die Debatten in der Bildungs- und Forschungspolitik bestimmten? Zeit für eine Serie. Teil 3: Die Reform der Kultusministerkonferenz. 
Ein Anruf bei KMK-Präsidentin Stefanie Hubig.

Stefanie Hubig, 51, ist seit 2016 Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz. Vorher war die promovierte Juristin Staatssekretärin im Bundesjustizministerium. Im Jahr 2020 ist Hubig Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Foto: Ministerium/Georg Banek.

Frau Hubig, seit Anfang 2018 arbeitet die Kultusministerkonferenz (KMK) an einem neuen Bildungsabkommen, das mehr Vergleichbarkeit und Transparenz in der föderalen Schulpolitik schaffen soll. Der Entwurf der Vereinbarung war schon im März weit gediehen, bei der KMK-Sitzung im Juni sollte die Vereinbarung beschlossen werden. Und dann kam der Shutdown.

 

Ich bin optimistisch, dass wir trotz Corona die Vereinbarung in diesem Jahr verabschieden werden. Die vergangenen zweieinhalb Monate waren wir in der KMK mit den Auswirkungen der Pandemie auf unser Bildungssystem beschäftigt, wobei die Zeitform Imperfekt eigentlich nicht passt. Im Gegenteil: Die Gleichzeitigkeit des Vielen wächst, je näher die Sommerferien rücken und je intensiver die Planungen fürs neue Schuljahr unter Corona-Bedingungen laufen. Trotzdem haben unsere Ministerien im Hintergrund die Arbeit am Bildungsabkommen fortgesetzt, wie wir auch sonst unser laufendes politisches Geschäft weitergeführt haben. 

 

Hat die Coronakrise die Defizite des Bildungsföderalismus noch deutlicher gemacht – und damit den Druck, beim Abkommen fertigzuwerden, noch größer?

 

Für mich hat die Coronakrise vor allem deutlich gemacht, dass die KMK sehr gut und sehr konstruktiv zusammenarbeiten kann und dass wir Länder, wenn es darauf ankommt, in der Lage sind, unsere Einzelinteressen weitgehend zurückzustellen. Ausnahmen bestätigen die Regel. 

 

Wo hat die Zusammenarbeit konkret besonders gut geklappt?

 

Nehmen Sie das Abitur und die Vereinbarung aller Ministerinnen und Minister, dass alle Abschlussprüfungen stattfinden sollen, wenn es das Infektionsgeschehen zulässt. Alle Länder haben sich daran gehalten, und auch bei den noch ausstehenden Prüfungen gehe ich davon aus, dass das so bleibt. Mich freut auch, dass die allermeisten Abiturientinnen und Abiturienten – ich höre von 95 bis 98 Prozent – die Möglichkeit wahrgenommen haben, gleich den jeweils ersten Prüftermin zu nutzen, auch wenn ihnen freigestellt war, erst zum Alternativtermin zu gehen. 

 

"Einige der knackigen Schlagzeilen lassen sich
bei genauem Hinsehen nicht halten."

 

Und welche Ausnahmen, die Ihres Erachtens die Regel der guten Zusammenarbeit bestätigen, fallen Ihnen ein?

 

Wir hatten uns in der KMK auf ein gemeinsames Hygienekonzept mit klaren Abstandsregeln für die Schulen geeinigt, doch wir sehen, dass einzelne sich entschieden haben, diese gemeinsame Linie nicht weiter zu verfolgen. 

 

Sie meinen etwas Sachsen, Schleswig-Holstein oder Baden-Württemberg und auch Thüringen will seine Kitas und Grundschulen vollkommen öffnen.

 

Nach dem, was ich gehört habe, hat Thüringen aber nicht vor, im Zuge der Öffnung für alle Schüler und an allen Tagen die Abstandsregeln aufzugeben. Sondern diese sollen weiter gelten, genauso wie weitere Schutzmaßnahmen. Einige der knackigen Schlagzeilen, denen zufolge einzelne Länder von gemeinsamen KMK-Regeln abweichen, lassen sich bei genauerem Hinsehen nicht halten – genauso wenig wie Berichte über Fachgesellschaften, die angeblich die bedingungslose Öffnung von Schulen und Kitas gefordert hätten. Die Wirklichkeit ist da differenzierter. 

 

Was wird das Bildungsabkommen bei differenzierter Betrachtung an zusätzlicher Vergleichbarkeit und Transparenz bringen?

 

Der Text des Staatsvertrags bzw. der Ländervereinbarung – welche Rechtsform es genau wird, steht ja noch nicht fest – ist in seinen Grundzügen fast fertig, also das Hauptdokument. Die eigentliche Musik spielt bei der Frage der politischen Vorhaben, die begleitend zur Vereinbarung ausformuliert und vereinbart werden. Und da gibt es in der Tat noch einige Punkte, mit denen sich nicht nur die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre intensiv beschäftigen, sondern bei denen wir auch als Ministerinnen und Minister noch einmal genau draufschauen sollten. Das Ziel ist, ein Mehr an Vergleichbarkeit zu erreichen, die alle zu Recht einfordern.

 

Auch hier steht das Abitur mit im Mittelpunkt. Vergangenen Sommer lieferten sich Bildungspolitiker eine heftige Debatte über die Vorteile und Gefahren eines angeblich bevorstehenden Bundeszentralabiturs, wobei es sich in einem föderalen System wohl nur um eine begriffliche Verwirrung handeln konnte. Was wäre Ihrer Meinung nach ein zukunftsfähiges Modell für ein bundesweit vergleichbares Abitur, und wieviel davon wird sich in der Ländervereinbarung wiederfinden?

 

Die bestehenden Bildungsstandards sind für mich da die wichtigste Bezugsgröße. Sie prägen schon heute die zentralen Elemente in den Abiturprüfungen, und wir haben beschlossen, diese zentralen Elemente auszuweiten, auf die Prüfungen in den Naturwissenschaften. Wenn wir unser eigenes Ziel von mehr Vergleichbarkeit ernstnehmen, kommt Weiteres hinzu, etwa, dass die Abituraufgaben aus dem gemeinsamen Topf nicht mehr von Land zu Land verändert werden dürfen. Für das Abkommen müssen wir aber auch klären, welche Leistungsanforderungen in den Schuljahren vor dem Abitur wir zusätzlich vereinheitlichen sollten, anders gesagt: welche unterschiedlichen Kurse wie gewichtet eingebracht werden können. Die Debatte um das sogenannte Zentralabitur wird immer reduziert auf die schriftlichen und mündlichen Abschlussprüfungen, doch die Abiturnote setzt sich aus viel mehr zusammen. Das alles heißt nicht, dass wir am Ende ein bundesweites Zentralabitur haben werden oder haben sollten. 

 

"Ich halte es für unrealistisch, dass die Schulformen in Deutschland am Ende überall gleich heißen werden." 

 

Eine häufige Klage über den Bildungsföderalismus ist auch die verwirrende Vielzahl an Schulbezeichnungen. Wie notwendig ist, dass die Kultusminister sich hier auf eine gemeinsame Systematik einigen?

 

Mir ist wichtig, dass Eltern beim Umzug von einem Bundesland ins andere eine klare Orientierung erhalten, was dort das Äquivalent zu der Schulart ist, die ihr Kind bislang besucht hat. Ich halte es aber für unrealistisch, dass die Schulformen in Deutschland am Ende überall gleich heißen werden. Denn wenn man hinschaut, unterscheiden sich nicht nur die Bezeichnungen voneinander, sondern die Schularten selbst. Das liegt am Föderalismus, das liegt aber auch an der historisch unterschiedlichen Entwicklung in den verschiedenen Ländern. 

 

Und damit wollen Sie sich zufriedengeben?

 

Wir haben schon viel geschafft durch die Bildungsstandards und die regelmäßigen Ländervergleiche der Schülerleistungen. Vom Inhaltlichen her sind die Schulen bundesweit heute stärker vergleichbar – und wir arbeiten weiter daran. Wenn wir es zusätzlich schaffen, für Eltern sowie Schülerinnen und Schüler mehr Transparenz der Schularten beim Schulwechsel von Bundesland zu Bundesland herzustellen, ist das eine Menge in einem föderalen System. 

 

Wenn die Kultusminister sich auf ein gemeinsames Regelwerk verständigen wollen, müssten sie zu dessen verlässlicher Umsetzung nicht auch ihre gemeinsame Organisation, die Kultusministerkonferenz, schlagkräftiger machen und umbauen?

 

Wir Ministerinnen und Minister legen längst einen stärkeren Fokus auf die Entscheidungsabläufe in der KMK. Im vergangenen Dezember hatten wir zum Beispiel zum ersten Mal einen Kaminabend am Vortag der offiziellen Ministersitzung. Das war sehr hilfreich, um am nächsten Tag gute Ergebnisse zu erzielen. Ich bin dafür, auch andere KMK-Verfahren, die sich über Jahre oder Jahrzehnte aus sicherlich guten Gründen etabliert haben, noch einmal zu hinterfragen. In der Vergangenheit war es bei vielen Entscheidungen so, dass sie vom Schulausschuss erarbeitet, von den Staatssekretären abgestimmt und dann quasi schon fertig zu uns Ministerinnen und Ministern durchgereicht wurden. Als Spitzen unserer Häuser wollen wir künftig selbst mehr Impulse setzen und auch in den Sitzungen der KMK tagesaktuell politische Entwicklungen besprechen und auf sie reagieren. Das hat, finde ich, bei den letzten Sitzungen im Dezember und März schon gut funktioniert.

 

Wobei die Kultusminister nach der Märzsitzung doch reichlich von den Ereignissen überrollt wurden und die von ihnen am Vortag noch abgelehnten Schulschließungen von den Ministerpräsidenten beschlossen wurden. Aber abgesehen davon: Muss sich nicht auch das KMK-Sekretariat selbst als Behörde verändern und agiler werden?

 

Das KMK-Sekretariat macht meiner Meinung nach sehr gute Arbeit, was beweist, dass es gut aufgestellt ist, so, wie es ist. 

 

"Wir wollen den Bund im Bildungsrat
angemessen beteiligen"

 

Sie haben gerade den Kaminabend im Dezember als leuchtendes Beispiel erwähnt. Tatsächlich gingen die Kultusminister komplett zerstritten rein, nachdem vorher Baden-Württemberg und Bayern den mit dem Bund geplanten Nationalen Bildungsrat abgeschossen hatten…

 

…und kamen mit einem sehr guten Ergebnis, wie ich finde, wieder raus. 

 

Dem Kompromiss, einen Bildungsrat ohne Bund einzurichten, von dem aber zunächst nicht viel mehr bekannt war, als dass es ihn in irgendeiner Form geben soll. Was können Sie uns heute dazu sagen?

 

Auch hier befinden wir uns noch mitten in den Verhandlungen. Ich kann Ihnen aber sagen, wofür wir uns auf der SPD-Seite ausgesprochen haben: Wir wollen ein Gremium, das im Unterschied zum von Bayern und Baden-Württemberg aufgekündigten Nationalen Bildungsrat allein von den Ländern eingesetzt wird, bei dem der Bund aber in angemessener Weise beteiligt wird.

 

Angemessen beteiligt, aber nicht gleichberechtigt?

 

In welcher Form die Beteiligung genau die Beteiligung erfolgen soll, das besprechen wir derzeit. Auf jeden Fall sollte es sich um ein Gremium handeln, das nach unseren Vorstellungen insgesamt kleiner wird als ursprünglich gedacht. Und das ausschließlich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht, die unabhängig arbeiten und bereit sind, den Finger in die Wunde zu legen und Perspektiven für die Bildungspolitik aufzuzeigen. Die Wissenschaftler können uns Kultusministern bei der Vorausplanung künftiger Entwicklungen und Zukunftsfragen helfen, sie können uns dabei beraten, wie wir besser mit bestimmten Defiziten umgehen – etwa in drängenden Fragen wie der Förderung sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler. Und sie können uns dabei helfen, die im Länderabkommen niedergelegten Ziele, vor allem mehr Vergleichbarkeit und Transparenz, zu erreichen. 

 

Den Finger in die Wunde legen, wie passt das damit zusammen, dass der Bildungsrat jeweils von der Politik beauftragt werden soll?

 

Es ist wichtig, dass das Gremium unabhängig arbeiten kann, ohne jeglichen inhaltlichen Einfluss, mit eigener Geschäftsstelle. Auch ihre Empfehlungen beschließen und verantworten die Wissenschaftler allein. Doch zugleich hilft es wenig, wenn sich die Forscher losgelöst im luftleeren Raum mit Themenkomplexen beschäftigen würden, die aus unserer Sicht weniger Priorität haben. 

 

Anders formuliert: Die Bildungspolitik muss die Bereitschaft signalisieren, sich überhaupt mit einer Frage zu beschäftigen zu wollen? 

 

Naja, mit "wollen" hat das weniger zu tun, als vielmehr mit Priorisierung. Es ist wichtig, dass Politik und Wissenschaft ein Vorschlagsrecht haben, welche Themen behandelt werden sollten, und man sich dann gemeinsam auf bestimmte Fragestellungen einigt, die von der Wissenschaft frei von Weisungen bearbeitet werden. Diese Verzahnung von Bildungsrat und Kultusministerkonferenz halte ich für grundlegend, vielleicht in Form eines offenen Austausches etwa alle sechs Monate. 

 

Wenn Sie sagen, in dem neuen Gremium sollen nur Wissenschaftler drinsitzen, keine Politiker, keine Personen des öffentlichen Lebens wie beim Wissenschaftsrat – wieviel Vielfalt wollen Sie bei den wissenschaftlichen Disziplinen zulassen?

 

Auch das ist ein Gesichtspunkt, über den wir uns noch zwischen den Ländern verständigen müssen. Persönlich finde ich wie so oft, dass man diese Frage vom Ende her denken muss. Und ich bin davon überzeugt, dass ein Perspektivenreichtum, eine gewisse Interdisziplinarität der Qualität der Diskussionen in dem Gremium und seinen Empfehlungen guttun wird.

 

Weitere Teile der Serie:

Teil 1: "Innovationen in der Hochschullehre". Ein Anruf bei der Töpfer-Stiftung in Hamburg. >>>

Teil 2: "Die Bundesagentur für Sprunginnovationen". Ein Anruf bei SPRIND-Chef Rafael Laguna. >>>




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