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Das Bekenntnis

Über Wochen haben die Kultusminister die Schulen nur in kleinen Schritten wieder geöffnet. Damit, sagen sie, ist es jetzt vorbei: Bald sollen wieder alle Schüler täglich zur Schule gehen können. Die Kehrtwende hatte sich angedeutet.

JETZT IST ES OFFIZIELL: Die Kultusministerkonferenz (KMK) will geschlossen und so schnell wie möglich zum Regelbetrieb an den Schulen zurückkehren. Die KMK sei sich einig, sagte ihre Präsidentin Stefanie Hubig heute Nachmittag: "Unsere Schülerinnen und Schüler haben ein Recht auf Bildung. Und dieses Recht kann am besten in einem möglichst normalen Schulbetrieb umgesetzt werden."

 

In ihrer Telefonschalte am Dienstagabend hatten die Kultusminister die Kehrtwende bereits vollzogen, doch die nach der Sitzung entstandene Beschlussfassung hatte erst mit etwas Verzögerung die Zustimmung aller Minister gefunden. Während es also bis heute dauerte, dass Hubig den KMK-Beschluss mitteilen konnte, haben in den vergangenen Tagen zahlreiche Länder bereits die Schulöffnungen verkündet, zuletzt heute das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen, das seine Grundschulen schon ab 15. Juni wieder täglich für alle Kinder öffnen wird – obwohl schon zwei Wochen später die Sommerferien starten. "Wenn es um die Bildung geht, zählt jeder Tag", sagte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). 

 

Das Recht auf Bildung  soll auch
im Angesicht der Pandemie gelten

 

Die starke Betonung des Rechts auf Bildung, wie sie in den aktuellen Statements Hubigs, Gebauers und weiterer KultusministerInnen enthalten ist, kann man als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins deuten, mit der sich die Bildungspolitiker einer rein epidemiologischen Abwägung von Schulschließungen entgegenstellen. In den Worten von KMK-Präsidentin Hubig, die zugleich SPD-Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz ist, liest sich das so: Die Corona-Krise habe "noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass Schule so viel mehr ist als Unterricht, es ist ein sozialer Raum, den Kinder und Jugendliche dringend brauchen. Deshalb ist es für unsere Schülerinnen und Schüler und ihre Familien jetzt wichtig, dass wir so schnell wie möglich zu einem Regelbetrieb zurückkehren."

 

In ihrem gemeinsamen gefassten Beschluss bekennen sich die Kultusminister ausdrücklich zu ihrer "Verantwortung für die Gewährleistung des Rechts auf Bildung von Kindern und Jugendlichen." Schule bündele als Lern- und Lebensort für Kinder und Jugendliche Funktionen, die so kein anderer Lebensbereich übernehmen könne. "Deshalb streben die Bildungsministerien der Länder im Interesse der Schülerinnen und Schüler so schnell wie möglich eine Wiederaufnahme des schulischen Regelbetriebs an, sofern das Infektionsgeschehen dies zulässt", heißt es in dem Beschluss. 

 

Mittlerweile haben fast alle Kultusminister einen konkreten Zeitpunkt für den Wiederbeginn des Regelbetriebs zumindest an den Grundschulen genannt. Neben NRW starten auch Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Bremen und Thüringen noch vor den Sommerferien, Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) hatte die Kitas und Grundschulen im Freistaat schon am 18. Mai für alle Kinder und an jedem Tag geöffnet. Damals warfen ihm einige seiner Kultusministerkollegen dies noch als "Vorpreschen" vor. 

 

Weitere Länder haben den Regelbetrieb für direkt nach den Sommerferien angekündigt – wobei die Bezeichnung "Regelbetrieb" aus mehreren Gründen mit Vorsicht zu genießen ist und in Wahrheit Einschränkungen bleiben (siehe hierzu meine Artikel vom Dienstag und Mittwoch). Doch allen Ländern gemein ist, dass die Schüler wieder jeden Tag zur Schule gehen sollen und dass zu diesem Zweck die Abstandsregel an den Schulen aufgehoben wird. Trotzdem soll es weiter strenge Hygieneregeln geben, die diesbezüglichen Richtlinien werden angepasst. Zu den Kernelementen der neuen Konzepte werden feste, voneinander möglichst getrennte Lerngruppen bzw. Klassen gehören – in normaler Größe. Die meisten Länder (und perspektivisch offenbar alle) wollen parallel eine Attestpflicht für Lehrkräfte einführen, damit die Kollegien – abgesehen von den nachgewiesenen Risikogruppen – zu einem möglichst großen Teil für den Präsenzunterricht eingesetzt werden können. 

 

Nach der Grundsatzentscheidung
geht der Blick nach vorn

 

Unterschiedlich gehen die Länder bei den weiterführenden Schulen vor: Während zum Beispiel Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern auch diese jeden Tag für alle Schüler öffnen wollen, wollen Baden-Württemberg und weitere Länder die älteren Schüler vorerst weiter in einem Wechsel aus Präsenz- und Fernunterricht beschulen. Von dem KMK-Öffnungsbeschluss, der nicht zwischen Primar- und Sekundarstufe unterscheidet, wäre die tägliche Rückkehr aller Schüler bundesweit gedeckt.

 

Nach der Grundsatzentscheidung der KMK geht der Blick nach vorn, denn die Kultusminister wissen um die Fragilität ihrer Pläne im Angesicht der Pandemie. Besonders wichtig ist ihrer Meinung nach deshalb die weitere Erforschung des Infektionsgeschehens bei Kindern und in Schulen – und der gegenseitige Austausch bei neuen Erkenntnissen. Entsprechend hat die Länder auch beschlossen, "sich über die Ergebnisse bereits vorliegender wissenschaftlicher Studien sowie über jeweils in Auftrag gegebene und geplante wissenschaftliche Gutachten und Studien und deren Zwischenergebnisse fortlaufend gegenseitig informieren". In den Niederlanden veröffentlichen Forscher eine neue Corona-Kinderstudie, ihre laut SPIEGEL-Bericht wichtigste Aussage: "Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass Kinder eine wichtige Rolle bei der Covid-19-Epidemie spielen." 

 

Trotzdem müssen die Kultusminister Pläne auch für den Fall entwickeln, dass doch regional wieder Schulschließungen nötig werden. Sie müssen Standards für den Fernunterricht und den Wechsel zwischen Präsenz- Distanzlernen entwickeln, sie müssen die digitale Ausstattung der Schüler, Lehrkräfte und Klassenräume vorantreiben. Sie müssen die mittelfristig nötigen Hygienestandards auch mit den nötigen Ressourcen für die Schulen hinterlegen, inklusive eventueller kurzfristiger Umbaumaßnahmen. Und all das ist nur eine Auswahl der anstehenden Herausforderungen.

 

Bei ihrer turnusmäßigen Sitzung am 18. Juni wollen sie führende Bildungswissenschaftler einladen, um mit ihnen über die Planung und Gestaltung des Schuljahrs 2020/21 einzuladen, darunter dem Vernehmen nach den Direktor des DIPF | Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Kai Maaz. Der Bildungsforscher leitete kürzlich eine 22-köpfige Expertenkommission, die organisiert von der Friedrich-Ebert-Stiftung Empfehlungen für das neue Schuljahr unter Corona-Bedingungen vorgelegt hatte. 




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Kommentare: 1
  • #1

    Gerd Faulhaber (Samstag, 06 Juni 2020 13:22)

    Es ist sehr zu hoffen, dass die KMK bei ihrer nächsten Sitzung die Empfehlungen der von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Expertenkommission als Grundlage für ihre Überlegungen nimmt. Diese Empfehlungen sind in großen Teilen sehr hilfreich. Es gibt allerdings eine Schwachstelle, die die KMK beheben sollte. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Lernvoraussetzungen, sollte es zum einen um die Frage gehen, mit welchen Formaten Schülerleistungen im Fernunterricht rechtssicher erbracht bewertet werden können, und zum anderen um die Frage, wie diese Formate rechtssicher in die im Präsenzunterricht erbrachten Leistungen einfließen können.