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Mehr als Schule

Schulen brauchen neue Konzepte. Und sie brauchen die außer-schulischen MINT-Initiativen. Doch die kämpfen in der Corona-Krise
um ihre Existenz. Das dürfen wir nicht zulassen. Ein Gastbeitrag von
Edith Wolf und Ekkehard Winter vom Nationalen MINT Forum.

Ekkehard Winter, 61, ist promovierter Biologe und seit 2005 Geschäftsführer der Deutsche-Telekom-Stiftung. Edith Wolf, 49, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und seit 2016 Vorstand der Vector-Stiftung.  Beide zusammen bilden das Sprecher-Team des Nationalen MINT Forums (NMF). 

DIE KRISE STELLT die Schulen auf eine harte Probe. Sie wird das Bildungssystem nachhaltig beeinflussen. Alle reden darüber, was sich an den Schulen zukünftig verändern muss. Gut so. Allerdings glauben wir, dass in dieser Diskussion ein wichtiger Aspekt zu kurz kommt, der aber insbesondere für die MINT-Bildung von großer Bedeutung ist. Die Schule der Zukunft muss in ihrem Bildungsumfeld gedacht werden und dafür müssen neue Formen der Zusammenarbeit, neue Partnerschaften, Lehrmethoden und Personalkonzepte diskutiert und implementiert werden.

 

Die außerschulischen Lernorte spielen dabei eine Schlüsselrolle, denn sie vermitteln forschendes MINT-Lernen in einer Art und Weise, wie es Schulen häufig nicht anbieten können. Die Zusammenarbeit von Schulen mit diesen Lernorten sollte sich deswegen zukünftig nicht auf gelegentliche Besuche beschränken, wie es eine Studie im Auftrag des Nationalen MINT Forums (NMF) noch zeigt, sondern vielmehr Teil des verbindlichen Unterrichts werden. Politik, Bildungsadministration und Schulen sind hier aufgefordert, neue curriculare Konzepte zu entwickeln. Dazu gehören die Einbindung externer Fachleute, vor allem aber die Kooperation mit außerschulischen Partnern, die SchülerInnen reale Problemstellungen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft näherbringen. Ein Fokus muss dabei auf der spezifischen Förderung von Mädchen und jungen Frauen liegen. Noch gibt es in Deutschland nur wenige Beispiele für eine solche institutionalisierte Zusammenarbeit. Die Aufbauarbeit ist aufwändig, aber sie lohnt sich. 

 

Bildungsinitiativen in Gefahr

 

Die Schulen profitieren besonders dann von der Kooperation mit den außerschulischen Akteuren, wenn sie auf regionaler Ebene zusammenarbeiten. Das zeigen die bundesweit inzwischen 130 MINT-Regionen. Um die außerschulischen MINT-Initiativen dabei zu unterstützen, ihre Arbeit noch qualitäts- und wirkungsorientierter auszurichten, hat das Nationale MINT Forum bereits im vergangenen Jahr die MINT-Qualitätsoffensive vorbereitet und Anfang Mai die Pilotphase gestartet.

 

Wir verfügen in Deutschland über ein vielfältiges Angebot an außerschulischen MINT-Bildungsinitiativen, um das uns Viele in Europa beneiden. Diese Museen und Science Center, Schülerlabore und -forschungszentren sind zurzeit größtenteils geschlossen. Sie nutzen die Zeit, um an ihren Konzepten zu arbeiten, und erweisen sich als sehr flexibel. Doch 80 Prozent von ihnen machen sich Sorgen über ihre Zukunft. Sie fürchten laut einer aktuellen Umfrage in den MINT-Regionen, dass die nationale wie regionale Förderung nach der Krise zurückgeht. 

 

Das dürfen wir nicht zulassen. Bund, Länder und Kommunen sind aufgefordert, in enger Abstimmung bestehende und neue Strukturen bestmöglich zu unterstützen, damit sie die Krise überstehen und danach gemeinsam eine innovative Mischung aus analogen und digitalen Angeboten entwickeln können – idealerweise in der Zusammenarbeit mit den Schulen. 

 

Educational Technologists an die Schulen

 

Unser zweites wichtiges Anliegen: Zukunftskonzepte für die Schulen bedürfen auch neuer Ansätze beim Personal. Allzu fixiert ist die Diskussion insbesondere in den MINT-Fächern auf den Mangel an Lehrkräften und den notgedrungenen Einsatz von Quereinsteigern. In der Corona-Krise verschärft sich die Situation: Die 10- bis 16-Jährigen melden beim Lernen zu Hause in diesen Fächern den meisten Unterstützungsbedarf. Dabei wäre doch gerade hier digital gestützt Einiges möglich. Gut ein Drittel der Lehrkräfte wünschte sich schon 2019 die Einführung eigener Stellen für den technischen und pädagogischen Support.

 

Die Krise bestätigt nun: Der Arbeitsplatz Schule muss endlich zeitgemäßer werden. Dazu gehört, High Potentials aus MINT-Fächern und -Berufen an die Schulen zu holen und gemeinsam mit ihnen multiprofessionelle Teams aufzubauen. Die Verantwortlichen in Verwaltung und Schulen sind aufgefordert, neuartige Personalkategorien wie TechnikerInnen, Educational Technologists oder auch Kooperationsverantwortliche einzuführen, die dabei helfen, rund um die Schule einen vielgestaltigen MINT-Bildungsraum zu schaffen. Dass die Bundesregierung sich bereiterklärt hat, über das Konjunkturpaket IT-Administratoren an den Schulen zu fördern, ist eine gute Nachricht.

 

Für die Öffnung der Schule hin zu einem solchen Bildungsraum brauchen wir insbesondere in den MINT-Fächern nicht nur mehr, sondern auch andere Lehrkräfte. Damit der Beruf vielgestaltiger und damit auch attraktiver werden kann, sind flexiblere Professionalisierungswege gefragt. Im Reißverschlussverfahren müssen wissen-schaftliche und praktische Qualifikationsphasen passgenau verzahnt und eine bedarfsorientierte Personalent¬wicklung ermöglicht werden. Die Verantwortlichen für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften müssen ein integriertes Qualifikationssystem schaffen. Dieses sollte auch den Quer- und Seiteneinstieg für diejenigen möglich machen, die bereits in der betrieblichen Praxis berufstätig waren – in hoher Qualität und ohne aufwändige Sonderprogramme. 

 

Auf unserem diesjährigen Nationalen MINT-Gipfel wollten wir all dies diskutieren unter der Überschrift: "Schule und mehr – gemeinsam die Zukunft der MINT-Bildung gestalten". Die Kernforderungen dazu waren gerade fertig formuliert, da kam die Corona-Krise. Sie erforderte die Absage des Gipfels und bestätigt nun zugleich, dass wir mit dem Thema richtig liegen. Die Schulen standen schon vor der Krise vor einem grundlegenden Wandel in ihrem Selbstverständnis. Die großen Herausforderungen unserer Zeit sollen sie adressieren, Digitalisierung und Inklusion bewältigen und gerade in den MINT-Fächern neue Kernkompetenzen vermitteln – nicht zu vergessen die Sicherung von Bildungs- und Geschlechtergerechtigkeit, die in der aktuellen Krise durch den Rückfall in alte Rollenklischees bei der Kinderbetreuung zu Hause komplett unter die Räder geriet.  Wir brauchen jetzt Konzepte für die Post-Corona-Zeit, die nicht dem Status quo ante entsprechen wird. Das Nationale MINT Forum lässt deshalb nicht ab von der Idee eines MINT-Bildungssystems für das 21. Jahrhundert, das mehr ist als Schule.



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