Die Bundesregierung spricht zu Recht vom "lebensbegleitenden Lernen", doch in der Praxis konzentriert sie ihre Weiterbildungspolitik auf die Förderung von Geringqualifizierten und Engpassberufen. Das wird in der Post-Corona-Zeit nicht reichen. Ein Gastbeitrag von Martin Bastian.
Martin Bastian leitet das Kunstoff-Forschungsinstitut SKZ in Würzburg und ist Präsident der Zuse-Gemeinschaft. Foto: SKZ.
DIE DEUTSCHEN GELTEN als Weiterbildungsmuffel. Im internationalen Vergleich investieren sie deutlich weniger Zeit für Fortbildungen als Arbeitnehmer in anderen Staaten, wie unter anderem eine Studie der Unternehmensberatung BCG zeigte. Diese Zurückhaltung hat Gründe. Da ist zum einen der Begriff des "lebenslangen Lernens", der immer noch zu häufig bemüht wird und bei den Menschen Assoziationen an Zwang und Gitter weckt. Dabei sind Weiterbildungen nicht Belastung, sondern befreiende und bereichernde Elemente im Berufsleben. Nicht umsonst spricht die nationale Weiterbildungsstrategie der Bundesregierung stattdessen vom "lebensbegleitenden Lernen", ein Begriff, der den Anspruch widerspiegelt, Weiterbildung in der Erwerbsbiografie stets mitzudenken.
Kampf um die besten Köpfe zu erwarten
Andererseits konzentriert sich die Weiterbildungs-Politik der Bundesregierung immer noch stark auf gering qualifizierte Arbeitnehmer ebenso wie auf die Förderung klassischer Qualifizierungsinstrumente. Das ist insofern nachvollziehbar, als Geringqualifizierte schon vor der Corona-Krise die am stärksten von Arbeitslosigkeit bedrohte Gruppe waren. Trotz eines Jahrzehnts des Aufschwungs ist der Sockel der Langzeitarbeitslosen hoch geblieben. Jedoch würden gerade sie durch die Teilnahme an Weiterbildungen am stärksten profitieren.
Eine Erfolgsgeschichte ist hingegen das Aufstiegs-BAföG, auch als Meister-BAföG bekannt, mit dem zuletzt rund 167.000 Menschen pro Jahr gefördert wurden, gut ein Drittel davon Frauen. Die Unterstützung ist attraktiv, wie folgende Beispielrechnung zeigt: Der Meister-Lehrgang kostet inklusive der Prüfung 6.000 Euro. Der Bund fördert diesen Betrag über das Aufstiegs-BAföG zu 40 Prozent, macht 2.400 Euro. Über die restlichen 3.600 Euro erhält der Meisteranwärter ein Darlehen. Besteht er die Meisterprüfung, werden 40 Prozent dieses Darlehens erlassen, also 1.440 Euro. In Bayern erhält jeder Meisterabsolvent noch vom Land den Meisterbonus in Höhe von derzeit 2.000 Euro. Übrig bleiben dort tatsächlich nur 160 Euro, die der angehende Meister aus eigener Tasche zahlen muss. Mit einem Meister-Titel sind diese 160 Euro aber mit Sicherheit schnell wieder drin.
Was in der Förderung des Bundes hingegen fehlt, ist ein Fokus auf Fachkräfte, die sich in zeitlich begrenztem Umfang gezielt weiterbilden wollen. Gerade unter den Vorzeichen der Corona-Krise sind derartige Fortbildungen aber essentiell.
Denn die Krise bedroht bislang florierende Unternehmen und Berufsbilder. Mit dem künftig zu erwartenden verschärften Kampf um Marktanteile in bisher stabilen Branchen ist ein schnelles Reagieren auf neue Anforderungen notwendig, für das die gezielte Weiterbildung von Beschäftigten in vielen Fällen die Voraussetzung darstellen wird.
Fehlende Umorientierung
Maßnahmen wie das kürzlich verabschiedete Chancenqualifizierungsgesetz – noch vor der Krise entworfen – gehen mit Blick auf den digitalen Wandel in die richtige Richtung, doch fehlt die konsequente Neu-Orientierung.
Auch dafür ein Beispiel: Laut der Novelle sinkt die Mindestdauer geförderter Weiterbildungen von bislang mehr als 160 auf nur noch mehr als 120 Stunden. Das heißt: Eine Weiterbildung muss, umgerechnet auf eine Vollzeitstelle statt vier künftig nur noch mindestens drei Wochen in Anspruch nehmen. Gleichzeitig bleiben damit aber immer noch zahlreiche modular aufgebaute, hochwertige Weiterbildungsprogramme von der Bundesförderung ausgeschlossen. Dabei besteht gerade ein zunehmender Bedarf an zeitlich begrenzten, kompakt aufgebauten Fortbildungen, die flexibel auf sich wandelnde Anforderungen in einer digitalisierten Arbeitswelt eingehen. Das zeigen die Erfahrungen an den Instituten der Zuse-Gemeinschaft mit ihren schon vor der Corona-Krise stark nachgefragten Weiterbildungen mit Schwerpunkten unter andere beim digitalen Wandel.
Weiterbildung und Berufsbild verzahnen
Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis findet bundesweit an diesen Instituten Jahr für Jahr in Hunderten zertifizierten Kursen, Seminaren und Modulen statt – seit der Corona-Pandemie zunehmend online. Ob in rein digitalen Angeboten, klassischen Präsenz-Terminen oder Hybridformaten: Der zu erfüllende Anspruch ist der gleiche: fundiertes lebensbegleitendes Lernen verankern. Weiterbildung sollte daher verzahnt sein mit der Erwerbstätigkeit der Beschäftigten, ohne direkt an den aktuellen Job angedockt sein zu müssen.
Eine solche Verzahnung, die fachlich oft geboten ist, darf kein Ausschlusskriterium für eine Förderung sein. Im Gegenteil: Für die sich fortbildenden Menschen wie auch für Branchen ist es gut, wenn Wissenstransfer aus den Labors und von den Rechnern der Forscherinnen und Forscher in die unternehmerische Praxis einfließt, zum Beispiel in Tages- oder Mehrtages-Modulen, die ineinandergreifen und aufeinander aufbauen. So können Kenntnisse und Fähigkeiten in unterschiedlicher Tiefe und Breite erworben werden, je nach Erfordernissen an den Märkten und individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten. Trotzdem gibt es für solche Fortbildungen häufig aus unterschiedlichen Gründen keine Fördergelder. Dabei wäre dies angebracht, wenn die Kurse über klassische Unternehmensschulungen hinausgehen.
Denn es sollte förderwürdig sein, wenn Arbeitnehmer sich nach ihren Neigungen und Bedürfnissen orientiert weiterbilden – auch wenn diese Weiterbildung nicht direkt zu einer größeren Bildungsmaßnahme gehört oder einem Abschluss wie dem Meister-BaföG dient.
Wir brauchen eine neue Definition von Weiterbildung
Auch das Arbeit-von-Morgen-Gesetz fördert solchen Wissenstransfer nur unzureichend. An die Stelle der Substitutionsgefährdung muss daher eine kompetenzorientierte Definition von Weiterbildung treten, die es Arbeitnehmern und Unternehmen erlaubt, Schulungs- und Qualifizierungsformate in Anspruch zu nehmen, die das Innovationspotential ihrer Branche und auch verwandter Wirtschaftszweige fördern. Teil dieser kompetenzorientierten Definition muss der Wissenstransfer von der Forschung in die Arbeitswelt sein. Dann kann Deutschland ein Land der Innovationen bleiben – und sich vom Image des Weiterbildungsmuffels verabschieden.
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Bernd Käpplinger (Donnerstag, 18 Juni 2020 23:52)
Vielen Dank für den interessanten Beitrag.
Hierzu:
"Denn es sollte förderwürdig sein, wenn Arbeitnehmer sich nach ihren Neigungen und Bedürfnissen orientiert weiterbilden – auch wenn diese Weiterbildung nicht direkt zu einer größeren Bildungsmaßnahme gehört oder einem Abschluss wie dem Meister-BaföG dient."
Dazu gibt es ja aber durchaus verschiedene Gesetze wie Bildungszeit, Bildungsurlaub oder Bildungsfreistellung in fast jedem deutschen Bundesland. Allerdings wurden und werden solche Gesetze von Medien und Arbeitgebern massiv diffamiert und vor die deutschen Gerichte gezerrt mit dem Mythos des "Töpferkurs in der Toskana". Vielleicht sind nicht die deutschen Bürgerinnen und Bürger Weiterbildungsmuffel, sondern große Teile der Medien, der Arbeitgeber und somit auch Bildungsadministration haben ein sehr enges Verständnis von Weiterbildung als Anpassungsmaßnahmen, die kurzfristig bei Problemlagen helfen und sofort nützlich sein sollen?