Bund und Länder haben ihr Laptop-Sofortprogramm besiegelt. Es soll armen Schülern helfen. Doch die ausgehandelte Vereinbarung ist vor allem eine Finanzspritze für die Länder. Nötig wäre eine Dauerlösung mit klaren Regeln.
ANJA KARLICZEK sprach von einem "sehr schlanken Verfahren". So kann man es natürlich auch nennen, was Bund und Länder heute als Zusatzvereinbarung zum Digitalpakt Schule besiegelt haben. 500 Millionen Euro überweist das Bundesbildungsministerium an die Länder, von dem Geld kaufen die Schulen digitale Endgeräte, Laptops oder Tablets, um sie an bedürftige Schüler auszuleihen. Das ist es dann fast schon. Auf Mitspracherechte im Gegenzug für das Geld verzichtet der Bund fast vollständig.
"Auf Wunsch der Länder", sagte die CDU-Bundesbildungsministerin, fließe das Geld nach dem sogenannte Königsteiner Schlüssel, also nach dem Prinzip Gießkanne. Und das, obwohl der Anteil armer Familien sich in Deutschland je nach Region und Bundesland beträchtlich unterscheidet.
Auch wie das Geld auf die Schulen verteilt wird, wie sichergestellt wird, dass es seinen Bestimmungszweck erfüllt, regeln die Länder – die die maßgeblichen Entscheidungen offenbar wiederum den Schulen überlassen werden. Die Situation sei von Schule zu Schule unterschiedlich, sagt Karliczek. "Deswegen können die Schulen am besten entscheiden, wie die Geräte eingesetzt werden. Das gilt sowohl für soziale Bedarfe wie auch für pädagogische Erfordernisse." Die Länder würden nun schnell Landesregelungen erlassen, "nach denen die Endgeräte beschafft und dann von den Schulen vor Ort nach eigenem Ermessen an Schülerinnen und Schüler ausgeliehen werden können."
Bis Ende 2020 soll das
Geld ausgegeben sein
Nach ihrer Unterschrift heute könne die Bund-Länder-Vereinbarung schon morgen in Kraft treten, sagte Karliczek vor der Presse, "und dann kann das Geld fließen." Bis Ende 2020 soll alles Geld ausgegeben sein. Die Länder müssen mindestens zehn Prozent oben drauflegen. Zum Jahresende müssen sie erstmals über die Verwendung der Bundesgelder berichten.
Tatsächlich werden jedoch weniger als 500 Millionen Euro Bundesgeld in die Leihgeräte gehen. Denn, wie Karliczek es heute formulierte: "Wenn Schulen Hardware- und Software für die Erstellung von Online-Lerninhalten benötigen, können die Mittel auch dafür eingesetzt werden." Die Schulverantwortlichen sollten die Mittel flexibel und nach konkreten Bedarfslagen nutzen. "Wir wollen so zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen."
Der Wille ist das eine, die Wahrscheinlichkeit, dass dies mit dem vorliegenden Vertragswerk gelingt, das andere. Zwar ist es laut Verwaltungsvereinbarung möglich, dass der Bund bei nicht zweckentsprechender Verwendung Geld von den Ländern zurückfordern kann, aber da den Ländern zugleich so viel Spielraum gegeben wird, ist es unwahrscheinlich, dass dies passieren wird.
Nicht einmal die Verpflichtung, dass alle Schüler künftig auf digitale Endgeräte für den Unterricht zurückgreifen können müssen, enthält die heute geschlossene Abmachung. Ziel ist nur "in der Zeit der coronabedingten Schulschließungen einen möglichst hohen Anteil" der Schüler mit der nötigen Technik (übrigens ausdrücklich keine Smartphones) auszustatten. Womit das heute besiegelte Programm vor allem eine – sicher sinnvolle – Finanzspritze für die Bildungshaushalte der Länder ist, aber zugleich bei der Verfolgung seines eigentlichen Hauptziels auf halbem Wege stehen bleibt.
Apropos halber Weg: Das Sofortprogramm hätte zugleich der Auftakt für ein dauerhaftes Commitment der Politik sein müssen. Es ist gut und richtig, in der Corona-Krise in einem kurzfristigen Kraftakt digitale Endgeräte für bedürftige Schüler anzuschaffen. Aber auch nach der Pandemie, wenn keine Schulschließungen mehr drohen, wird es keine Rückkehr mehr zum Unterricht vor Corona geben. Viele Schulen erfahren gerade den lange überfälligen Digitalisierungsschub. Zum Recht von Kindern und Jugendlichen auf Bildung und Teilhabe wird künftig und ohne Befristung das Recht auf eine digitale Lernmittel-Grundversorgung hinzugehören.
Zum unbefristeten Recht auf digitale Teilhabe
passt kein einmaliges Sofortprogramm
Zu diesem unbefristeten Recht ein befristetes Programm aufzulegen, das passt nicht. Bereits vor über zwei Jahren, als die Digitalpakt-Verhandlungen in die Endphase gingen, habe ich geschrieben, dass dieser scheitern werde, wenn für die Anschaffung von Endgeräten "nicht gleichzeitig eine sozial verträgliche, einfache und moderne Lösung für Kinder und Jugendliche aus finanzschwächeren Familien gefunden wird." Zum Digitalpakt gehöre ein grundlegend erweitertes Bildungs- und Teilhabepaket, schrieb ich damals, "zwangsläufig."
2018 hatte es aus dem Sozialministerium von Hubertus Heil, selbst ein über Jahre geschätzter SPD-Bildungspolitiker, auf meine Nachfrage nur recht allgemein geheißen, man werde ja dem Koalitionsvertrag folgend demnächst noch einmal ans Bildungs- und Teilhabepaket gehen. Und doch: Zwei Jahre später und nach dem heutigen Sofortprogramm ist die Erweiterung des Bildungs- und Teilhabepakets drängender denn je. Denn im Gegensatz zu den 500 Millionen, die für die Anschaffung von genau einer Gerätegeneration reicht und pro Gerät für ein, vielleicht zwei Ausleihvorgänge, wäre diese Erweiterung zielgenau und dauerhaft.
Berlin hat neulich eine entsprechende Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht, ausgerechnet heute steht er als TOP 71 auf dessen Tagesordnung, sein Wortlaut: "Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sicherzustellen, dass bei Schülerinnen und Schülern im Leistungsbezug zukünftig die Anschaffung eines digitalen Endgerätes berücksichtigt wird." Kinder von Sozialleistungsbeziehern sollen also die Anspruchsberechtigten sein. Weiter führt der Berliner Senat aus: Es lägen inzwischen mehrere Urteile von Sozialgerichten vor, die Laptops oder Tablets für leistungsberechtigte Schülerinnen und Schüler als notwendigen Bedarf anerkennen. Dies müsse jetzt auch gesetzlich klargestellt werden.
Bei aller Anerkennung für den Antrag aus der Hauptstadt: Auch diesen hätte man schon lange vor der Corona-Pandemie stellen können. Lobende Worte finden die Berliner übrigens für die heute geschlossene Digitalpakt-Zusatzvereinbarung. Aber: "Ein solches Hilfspaket kann gleichwohl den individuellen Anspruch der leistungsberechtigten Schülerinnen und Schüler nicht ersetzen." So ist es.
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