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Wir brauchen ein breites Bündnis für die Kulturelle Erwachsenenbildung

Die Volkshochschulen und andere Akteure der Erwachsenenbildung haben in der Krise ihren gesellschaftlichen Auftrag weiter erfüllt. Gerade vermeintlich "weiche" Programmsegmente wie die Kulturelle Bildung haben dabei gezeigt, wie systemrelevant sie sind. Sie brauchen endlich die Unterstützung, die ihnen zusteht. Ein Gastbeitrag von Marion Fleige, Wiltrud Gieseke und Steffi Robak.

ANBIETER DER KULTURELLEN ERWACHSENENBILDUNG, vorneweg die Volkshochschulen, haben durch die Corona-Krise Einnahmeausfälle zu beklagen. Die temporären Schließungen haben Teilnehmende und Beiträge wegbrechen lassen. Gleichzeitig haben die Einschränkungen neue digitale Formate entstehen lassen, die in der nächsten Zeit mit den schrittweise wieder beginnenden Präsenzkursen parallel laufen werden. So, wie die Volkshochschulen und weitere öffentlich geförderte Anbieter die Krise hindurch die Grundversorgung in der Erwachsenenbildung aufrechterhalten haben, so sollten sie auch durch die Krise hindurch und darüber hinaus unterstützt werden. 

 

Gerade "weiche" Programmsegmente wie die Kulturelle Bildung sind aber, das lehrt die Erfahrung aus über drei Jahrzehnten, besonders gefährdet. In den 1990er Jahren wurde der Nutzen Kultureller Bildung im Zuge des Neoliberalismus und im Nachklang zur Wiedervereinigung in Frage gestellt. Die Kulturelle Bildung wurde als eine unverständliche Frauenbeschäftigung, allenfalls als eine Freizeitbeschäftigung, die man nicht länger bezahlen wolle, lächerlich gemacht. In harten Auseinandersetzungen konnte der Status, wenn auch angeschlagen, gehalten werden. 

 

Später hat die Kulturelle Bildung eine politische Umdeutung hin zur soziokulturellen Bildung erfahren und war in diesem Sinne von Interesse. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erhielten die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Simon Rattle, die über Musik und Ballett den Austausch mit sozial benachteiligten Jugendlichen suchten und im Leben vieler junger Menschen nachhaltig positive Spuren hinterließen

 

Heute kann die komplexe Antwort auf gesellschaftliche Problemlagen erst Recht Verbindungen zu kulturellen Themen und Aufgaben nicht mehr außen vor lassen. Kulturelle Bildung ist Teil einer gesellschaftlichen Bildungsaufgabe, die in alle Felder hineinwirkt – und dies nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch und gerade für Erwachsene. Beispiele sind die Herausforderungen der Flüchtlingskrise, die sich entwickelnde Migrationsgesellschaft und die sich auf alle Lebensrhythmen auswirkende Digitalisierung. >>>


Steffi Robak ist Professorin für Bildung im Erwachsenenalter an der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität Hannover. Wiltrud Gieseke ist Seniorprofessorin für Erwachsenenbildung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Marion Fleige leitet den Arbeitsbereich Programme und Beteiligung am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung, Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen (von links).


>>> Selbst wem diese gesellschaftlichen Verständigungsprozesse nichts bedeuten, kann nicht übersehen, dass auch die wirtschaftliche Entwicklung und die dabei in Zukunft zu bedenkenden ökologischen Fragen nicht ohne Kreativität auskommen werden. Die Kreativität und die Antworten, die auch und gerade in der Kulturellen Erwachsenenbildung entstehen und die in Institutionen wie den Volkshochschulen komplex bearbeitet werden können. In ihrem Vermögen, die Sinne anzuregen, kreative Prozesse zu unterstützen und inter- und transkulturelle Verständigungs- und Bildungsprozesse anzuregen hat Kulturelle Erwachsenenbildung eine hohe gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung.

 

Erkämpft über mehrere Jahrzehnte, ist Kulturelle Erwachsenenbildung dem rechtlichen Status nach Aufgabe der öffentlich geförderten und nach den Weiterbildungsgesetzen der Länder geregelten Grundversorgung der Erwachsenenbevölkerung – und all ihrer sozialen Gruppen – mit Bildungsangeboten. Zu dieser Grundversorgung, in deren Rahmen öffentliche Gelder über die Kommunen, zumeist als Ko-Finanzierung von Unterrichtsstunden, zugewiesen werden, gehören die Kulturelle Bildung und die Berufliche Bildung genauso, wie die Gesundheitsbildung und die Fremdsprachen dazu, die Politische Bildung, die Grundbildung, das Nachholen von Schulabschlüssen und vielfältige Überbrückungsangebote.

 

Die Kulturelle Erwachsenbildung ist zum Treiber
gesellschaftlicher Transformation geworden

 

Volkshochschulen, konfessionelle, gewerkschaftliche, wohlfahrtsorientierte und weitere zivilgesellschaftliche Träger von Weiterbildung teilen sich diese Aufgabe und stimmen für sie spezifische Programmschwerpunkte untereinander ab. Für die Kulturelle Bildung kommen weitere Akteure und Anbieter hinzu, deren eigentliche Aufgabe nicht die Bildung ist: Museen zum Beispiel, Vereine, Theater, Opern- und Konzerthäuser, Bibliotheken. Sie alle spielen eine wichtige Rolle, doch Rückgrat der Kulturellen Erwachsenenbildung sind und bleiben stabil finanzierte Weiterbildungseinrichtungen mit ihrem breiten und umfassenden Angebot. In der Realität allerdings sind Programmbereichsleitende für Kulturelle Bildung häufig bereits für einen weiteren Programmbereich zuständig, was zulasten der Planungsspielräume für die Kulturelle Bildung geht. 

 

Analysen zu Strukturen und Schwerpunkten der Kulturellen Erwachsenenbildung seit Beginn der 2000er Jahren belegen, wie diese selbst zum Treiber gesellschaftlicher Transformation wird, sei es durch ihre Angebote für Menschen mit Migrationsbiografie, durch einführende Seminare in kulturelle Praktiken wie Essen bis hin zu musikalischen und literarischen Angeboten. Oder auch durch Kurse für diejenigen, die sich für den interkulturellen Dialog interessieren, für die Einordnung von Religionen, aber auch dafür, wie grundsätzlich mit Fremdheit umzugehen ist oder was Entwurzelung und Heimatverlust bedeuten.

 

Auch intergenerationelle Themen spielen eine Rolle. Im Bereich der digitalen Kulturellen Bildung geht es um das kulturelle Miteinander in technologischen Umwelten. Und auch direkt politisch relevante Themen wie Rassismus, Diskriminierung und Menschenrechte, deren Bearbeitung etwa in der Theater- und Filmarbeit einen Ausdruck finden, haben hier eine große Bedeutung. Programmanalysen und darauf bezogene Theoriebildung belegen dieses breite Spektrum.   

 

Eine konstante und zugleich flexible Programmentwicklung
braucht auch die nötige Ausstattung

 

Die Bildungsbedarfe und -bedürfnisse für die Bevölkerung reichen von der Erweiterung von Wahrnehmung und künstlerischem, kulturellem, kulturhistorischem Wissen über die Verfeinerung von Techniken bis hin zu komplexem Lernen über interkulturelle Zusammenhänge. Auch Muße und Rekreation erwarten sich die Adressat*innen und Teilnehmenden, um hinterher wieder über kreative Prozesse neue Kraft zu haben für ihre beruflichen und privaten Anforderungen.

 

Doch nicht nur die Erwartungen sind derart gefächert und ausgerichtet, sondern auch Nutzen und Wirkungen, welche Teilnehmende nach und zum Teil schon während der Teilnahme hierzulande und in Europa bei sich feststellen. Dabei werden Bildungsinteressen vielfältig über den Lebenslauf entwickelt und mitgeführt und kommen dann häufig in der nachberuflichen Phase zur Entfaltung. Seniorinnen und Senioren sind dabei aber nicht nur in der Vorbereitung auf ein Ehrenamt lernende Bildungsteilnehmende, sondern auch im Hinblick auf ein selbstbestimmtes und erfülltes Drittes und Viertes Lebensalter. Gleichermaßen hat die Kulturelle Bildung eine enorme Bedeutung für die mittleren Lebensalter und für die Formung der Lebensentwürfe von Frauen – also derjenigen Bevölkerungsgruppe, die gerade in der Corona-Pandemie-Krise als tragende Multi-Tasking-Säule der Gesellschaft entdeckt und auch völlig selbstverständlich verbraucht wird. 

 

Erwachsenenbildung und Weiterbildung insgesamt und die Kulturelle Bildung im Speziellen sind systemrelevant. In der Corona-Pandemie-Krise wird dies durch die artikulierten Bedarfe der Bevölkerung nach Kunst und Kultur besonders deutlich. Um hier die passenden Angebote zu machen und diese Angebote am Puls der Zeit und diesem voraus weiterzuentwickeln, benötigen die Einrichtungen hauptamtliches pädagogisches Personal mit entsprechender Bezahlung, mit räumlicher und technischer Ausstattung. Erst dadurch wird eine konstante und zugleich thematisch flexible Programmentwicklung nötig – die Voraussetzung,  um den öffentlichen Bildungsauftrag im Sinne der Weiterbildungsgesetzgebung erfüllen zu können. Nötig wäre ein breites gesellschaftliches Bündnis unter Einbindung der Kulturpolitik, um diesem Anliegen das verdiente Gehör zu verschaffen.


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Kommentare: 2
  • #1

    Antonia Rötger (Donnerstag, 02 Juli 2020)

    Absolut. Wie arm und langweilig wäre das Leben, wenn man nicht weiter lernen und sich entwickeln dürfte. Und das ermöglichen die VHS. Gerade wenn nichts mehr stattfindet, was sich konsumieren lässt, ist man darauf zurück geworfen, was man selber tun kann - ob es malen oder schreiben ist. Insofern führt die Corona-Krise hoffentlich dazu, solche Angebote noch mehr wert zu schätzen. Die VHS Berlin hat großartige Angebote gemacht, teilweise kostenlos, weil sie die Online-Plattformen noch testen. Dafür sind meine Töchter und ich sehr dankbar.

  • #2

    Prof. Dr. Ronald Deckert (Montag, 13 Juli 2020 11:49)


    Sehr geehrte Autorinnen,

    sehr gern unterstütze ich Ideen, die von der VHS aus der Zukunft unserer Gesellschaft "eine Bühne bieten" und helfen, erfolgreich Wege in die Zukunft zu beschreiten.

    Meine Themen sind hierbei gekennzeichnet durch die Verbindung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung verankert in Denken, Fühlen und Handeln (https://www.springer.com/de/book/9783658305840), Strategische Mensch-Maschine-Partnerschaft #StratMMP (https://www.springer.com/de/book/9783658308179) , persönlicher Entfaltung in Gemeinschaft (https://www.springer.com/de/book/9783658238469) sowie #BEKBEE (Bewegung, Ernährung, Konsum, Besitz, Energie und Engagement).

    Meinen Lebenslauf finden Sie hier https://orcid.org/0000-0002-7329-8755 mehr von mir. Und einen meiner kürzlichen Vorträge hier https://www.slideshare.net/ProfDrRonaldDeckert/digitalisierung-und-gesellschaftlicher-wandel-hochschule21-7-november-2019.

    Sehr gern beteilige ich mich an Aktionen wie bspw. große Online-Konferenzen, die Ihre Gedanken voranbringen; wenn Sie mögen.

    Kommen Sie gern jederzeit mit Ideen und Gedanken auf mich zu unter ronald.deckert@hamburger-fh.de.

    Herzliche Grüße
    Ronald Deckert
    Dekan Fachbereich Technik
    HFH Hamburger Fern-Hochschule