Die EU-Kommission kürt die zweite Gruppe der "European Universities". Deutschlands Hochschulen schneiden stark ab. Einige kleine Länder sind proportional allerdings noch deutlich häufiger vertreten in den Netzwerken. Ein erster Überblick.
ES IST EIN ZEICHEN, dass Europa in Zeiten der Corona-Pandemie das Miteinander nicht verlernt hat. Die EU-Kommission hat heute das Ergebnis der zweiten Ausschreibungsrunde zu den "European Universities" bekanntgeben, und die Zahlen lesen sich beeindruckend: 24 neue Netzwerke, bestehend aus insgesamt 165 Hochschulen aus 26 EU-Staaten, aus der Türkei, aus Island, Norwegen, Serbien und Großbritannien. 62 Allianzen hatten sich beworben.
Vor genau einem Jahr waren die ersten 17 Netzwerke gekürt worden, damit gibt es jetzt European Universities mit rund 280 Mitgliedern, die sich über den gesamten Kontinent verteilen.
Warum ich den englischsprachigen Begriff benutze: weil die deutsche Version – "Europäische Universitäten" es nicht trifft. Denn es können ja auch Fachhochschulen mitmachen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) spricht deshalb von "Europäischen Hochschulen", die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) von "Europäischen Hochschulnetzwerken". In der Realität sind es dann dann aber doch fast nur Universitäten, dazu später mehr.
Deutschland stellt 20 der 165 heute ausgewählten Netzwerkpartner – mehr als jedes andere europäische Land, weshalb Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) kommentierte: Sie freue sich sehr, dass die deutschen Hochschulen "gemeinsam mit ihren Partnerinstitutionen in der zweiten Runde so hervorragend abgeschnitten haben und nun eine führende Rolle in der europäischen Vernetzung übernehmen werden".
DAAD-Präsident: Hochschulen als
"Stabilitätsanker für Europa"
Das gute Abschneiden der deutschen Hochschulen ist auch Folge einer zusätzlichen DAAD-Förderlinie für jene deutschen Hochschulen, deren Netzwerk-Bewerbungen in der ersten Runde nicht zum Zug kamen. Sie sollten sich mit dem Geld fitmachen für die nächste Runde – allerdings nur, wenn ihre Bewerbungen trotz Ablehnung eine gute EU-Bewertung bekommen hatten. DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee sprach heute von einem großen Gewinn für Deutschland, "dass sich erneut so viele unserer Hochschulen in europäische Hochschulallianzen einbringen können. Europas intellektuelles Zentrum sind seine Hochschulen." Der gemeinsame europäische Hochschulraum sei ein "Stabilitätsanker für Europa".
Was die so hochgelobte deutsche Bilanz ein wenig relativiert: Tatsächlich sind eine Reihe kleinerer Staaten proportional deutlich stärker vertreten als Deutschland. Die Niederlande etwa stellen neun beteiligte Hochschulen; Rumänien sieben; Österreich, Belgien, Finnland, Ungarn und Irland jeweils sechs. Was insofern logisch ist, weil die Idee der European Universities beinhaltet, dass jedes Netzwerk mindestens drei Hochschulen aus mindestens drei Erasmus+-Staaten umfassen muss – darunter auf jeden Fall auch mindestens jeweils eine Hochschule aus Süd- und aus Osteuropa.
Die Netzwerke sind deshalb erneut mit knapp sieben Partnern pro "European University" wie in der ersten Runde weitläufig. Was das große Interesse belegt, dabei zu sein. Allerdings zeigt das Auswahlergebnis auch, dass der Enthusiasmus für die europäische Idee derzeit – vorsichtig formuliert – regional stark unterschiedlich ausgeprägt ist. Nur vier britische Universitäten machen in einer der erfolgreichen Allianzen mit, aber 16 französische. Irland mit knapp fünf Millionen Einwohnern ist sechsmal dabei, Polen mit 38 Millionen Einwohnern nur fünfmal.
Auffallend ist zudem, dass west- und nordeuropäische Länder, deren Hochschulsysteme in den internationalen Rankings meist vordere Plätze belegen, zwar bei den "European Universities" ebenfalls häufig vertreten sind – aber dass einige süd- und osteuropäische Staaten gleichfalls stark abgeschnitten haben. So das bereits erwähnte Rumänien (sieben), aber auch Ungarn oder die baltischen Staaten, die bei insgesamt rund sieben Millionen Einwohner auf sieben Netzwerkpartner kommen. Was eben dann doch nicht nur mit besagter Vorgabe zusammenhängt, immer auch Partner aus dem Süden und Osten Europas dabei zu haben. Zum Vergleich: Hochschulen aus Tschechien, Kroatien, Serbien oder Slowenien sind jeweils an nur einer Allianz beteiligt.
Ein Problem bleibt die mäßige
Finanzierung der Netzwerke
Das Ziel der Kommission, mit den "European Universities" die Vernetzung und breite Konsortien zu fördern, anstatt eine Art europäische Exzellenzinitiative aufzulegen, geht also auf, was den theoretisch offenen Charakter der Initiative angeht. Doch die Offenheit bedeutet bislang nicht, dass sich die Hochschulen aus allen Ländern gleichermaßen angesprochen fühlen. Womöglich zeigen sich hier dann doch die Grenzen des gegenwärtigen europäischen Miteinanders, auch wenn DAAD-Präsident Mukherjee betont, an den Hochschulen in Europa werde die europäische Idee "in besonderer Weise gelebt".
Ein Problem bleibt die mäßige Finanzierung der Netzwerke, die schon nach der ersten Runde kritisiert wurde. Zwar hat die EU das Budget pro Allianz von fünf auf sieben Millionen Euro aufgestockt, die über insgesamt drei Jahre fließen sollen. In der ersten Runde fielen pro Netzwerk-Mitglied zunächst knapp 250.000 Euro pro Jahr ab, jetzt sind es etwa 340.000 Euro. Noch deutlich mehr Geld, so heißt es seit längerem, soll es geben, wenn die Pilotphase der zwei Ausschreibungen vorbei ist und die "European Universities" eine reguläre Förderlinie des künftigen Erasmus+-Programms werden. HRK-Präsident Peter-André Alt sagte denn auch heute: "Auch wenn die Ansätze vielversprechend sind, wird es wesentlich darauf ankommen, dass die Europäische Union die Investitionen in die Netzwerke weiter erhöht und sie nachhaltig auf ihrem Weg unterstützt." Soll heißen: Mehr als ein Appetizer sind die paar Millionen, die noch dazu nur drei Jahre abdecken, bisher nicht. Der Aufbau wirklich tragfähiger europäischer Hochschulnetzwerke fordert ein Vielfaches davon.
Dass das Ministerium von Anja Karliczek die deutschen Hochschulen wie schon zur ersten Ausschreibungsrunde über ein zusätzliches nationales Begleitprogramm, abgewickelt über den DAAD, unterstützt, ist einerseits gut. Andererseits führen solche Zusatzprogramme, solange die "European Universities" selbst nicht hinreichend finanziert sind, doch wieder zu einer Schieflage zwischen reicheren und weniger reichen europäischen Ländern.
Was tragfähige Netzwerke neben mehr Geld auch erfordern würden: eine wirkliche Hochschultypen-Offenheit. Zumindest, was die deutschen Hochschulen angeht, scheint diese immer noch zu fehlen. In der ersten Runde war gar keine deutsche Fachhochschule zum Zuge gekommen, in der zweiten jetzt gerade mal zwei. Womit von den insgesamt 35 deutschen "European-Universities"-Hochschulen 33 Universitäten sind. Die EU-Kommission muss sich fragen lassen, woran das liegt. Die deutschen Fachhochschulen allerdings auch.
Folgende deutsche Hochschulen waren an heute erfolgreichen Netzwerken beteiligt:
Universität Siegen (Advanced Technology Higher Education Network Alliance – ATHENA)
Universität Duisburg-Essen (Aurora Alliance)
Humboldt-Universität zu Berlin (Circle U. European University)
Friedrich-Schiller-Universität Jena (European Campus of City-Universities – EC2U)
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (European Engineering Learning Innovation and Science Alliance – EELISA)
Universität Mannheim (The European University engaged in societal change – ENGAGE.EU)
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Technische Universität Berlin (European Universities of Technology Alliance – ENHANCE)
Georg-August-Universität Göttingen (European University Network to promote Equitable Quality of Life, Sustainability, and Global Engagement through Higher Education Transformation – ENLIGHT)
Universität Konstanz (European Reform University Alliance – ERUA)
Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (EUNICE – European University for Customised Education)
Universität zu Köln (European University for Well-Being – EUniWell)
Hochschule Mittweida, Technische Universität Bergakademie Freiberg (The European University Alliance on Responsible Consumption and Production – EURECA-PRO)
Technische Universität München (EuroTeQ Engineering University – EuroTeQ)
Hochschule Darmstadt (European University of Technology – EUT)
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (European University of Brain and Technology – NeurotechEU)
Universität des Saarlandes (Transform4Europe – T4E: The European University for Knowledge Entrepreneurs)
Ruhr-Universität Bochum (The European University of Post-Industrial Cities – UNIC)
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (European Space University of Earth and Humanity –UNIVERSEH)
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Karl (Donnerstag, 09 Juli 2020 23:09)
Bevor sich die EU-Kommission wirklich fragen muss, ob sie die deutschen HAWs benachteiligt hat, wäre zunächst einmal zu fragen, ob sich letztere überhaupt in signifikanter Zahl beworben haben? Gleiches gilt auch für die Einschätzung des Erfolgs der deutschen Bewerbungen: Wie hoch liegt denn die Bewilligungsrate gemessen an den deutschen Anträgen insgesamt? Dies schiene mir, auch mit Blick auf einen internationalen Vergleich, der hier ja nur auf Einwohnerzahlen hin gerechnet wird, aussagekräftiger.
Jan-Martin Wiarda (Freitag, 10 Juli 2020)
@ Karl: Völlig richtig. Deshalb meine ich, dass beide sich fragen lassen müssen. Tatsächlich hatten sich schon in der letzten Runde offenbar relativ wenig Fachhochschulen(HAWs) beworben, siehe meinen oben verlinkten Artikel aus dem August 2019. Diesmal hatten allerdings einige angekündigt, erstmals an den Start zu gehen. Außerdem ist schon auch die Frage, wenn sich weniger bewerben und wenige erfolgreich sind, was das a) mit den Hochschulen selbst, aber auch b) mit den Ausschreibungsbedingungen zu tun hat. Die These, Fachhochschulen/HAWs seien grundsätzlich weniger interessiert an "European Universities", ist eine Möglichkeit. Allerdings meines Erachtens keine sehr wahrscheinliche.
Jan-Martin Wiarda (Freitag, 10 Juli 2020 07:53)
PS: Was die Zahl der deutschen Bewerbungen insgesamt angeht: Da ist auch was dran. Allerdings geht es mir hier gar nicht so sehr um die individuelle Performance einzelner Hochschulen (=Erfolgquoten der Bewerbungen), sondern um das Interesse/das Engagement der Hochschulen eines europäischen Landes insgesamt, zu einer "European University" zu gehören.