Drei Viertel der Doktoranden waren vor der Krise zufrieden mit ihrer finanziellen Situation, hat eine Studie des DZHW ergeben. Wie passt das zu den Klagen, die man sonst oft hört? Ein Interview mit der Hochschulforscherin Antje Wegner.
Antje Wegner ist Wissenschaftlerin am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Foto: Petra Nölle / DZHW.
Frau Wegner, Kurzzeitverträge und Existenzsorgen belasten Deutschlands Wissenschaftler-Nachwuchs. Die Debatte um das "akademische Prekariat" reißt seit Jahren nicht ab. Sie haben jetzt tausende Doktoranden nach ihrer finanziellen Situation befragt. Wie schlecht ist die Lage wirklich?
Unsere Ergebnisse sind erstaunlich positiv, vor allem vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion. Rund drei Viertel der befragten Doktoranden äußern sich insgesamt zufrieden – sowohl, was die Höhe ihres Einkommens angeht, als auch in Bezug auf die Sicherheit ihres Lebensunterhaltes.
Das war vor der Corona-Krise wohlgemerkt. Trotzdem: Wie passt das zu all den Klagen und Warnungen, die man seit Jahren hört?
Wir reden hier von Doktoranden. Wie prekär die Lage für Postdocs und wissenschaftliche Mitarbeiter nach der Promotion ist, können wir auf der Grundlage unserer Daten nicht sagen. Aber die meisten Doktoranden zumindest sind mit ihren Lebensumständen recht einverstanden. Allerdings: Schaut man genauer hin, ergeben sich große Unterschiede je nach Beschäftigungssituation und den vorhandenen Finanzierungsquellen.
Können Sie das bitte ausführen?
Am besten dran sind die 61 Prozent der Doktoranden, die als wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt sind, sogar wenn sie es nur in Teilzeit sind. Für sie gibt es Tarifverträge, sie erreichen mit durchschnittlich gut 1700 Euro netto ein ordentliches und noch dazu ziemlich einheitliches Einkommensniveau. Müssen Promovierende sich dagegen hauptsächlich über Jobs außerhalb der Wissenschaft finanzieren, was für 13 Prozent gilt, kommt es ganz stark auf den Einzelfall an. Im Schnitt verdient diese Gruppe zwar so viel wie wissenschaftliche Mitarbeiter, aber die Unterschiede innerhalb dieser Gruppe sind gewaltig. Mit am düstersten sieht es für die nur drei Prozent Doktoranden aus, die ihren Lebensunterhalt hauptsächlich über eine selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit bestreiten müssen. Sie kommen nur auf ein paar hundert Euro pro Monat, wobei auch hier die Varianz enorm ist und jeder zehnte Selbstständige mehr als 2000 Euro netto verdient.
Welche Rolle spielen Stipendien?
Das ist interessant. Die politische Ansage bei der Max-Planck-Gesellschaft oder auch bei vielen Helmholtz-Zentren lautet ja seit längerer Zeit, die Zahl der Stipendien zugunsten sozialversicherungspflichtiger Stellen zu verringern, und tatsächlich sieht es im Vergleich mit früheren Promovierendenbefragungen so aus, als sei der Anteil der Doktoranden, die sich hauptsächlich über Stipendien finanzieren, in Deutschland insgesamt zurückgegangen. Aktuell liegt er bei 15 Prozent. Und: Wer auf einer regulären Stelle promoviert, hat heute dank der allgemeinem Gehaltsentwicklung, aber auch dank des gewachsenen Anteils an Vollzeitstellen, real deutlich mehr in der Tasche als noch vor einigen Jahren. Die Einnahmen der befragten Stipendiaten und Stipendiatinnen sind demgegenüber inflationsbereinigt sogar leicht gesunken.
"Die Frage ist, ob die politische Debatte die Situation
der meisten Doktoranden angemessen wiedergibt."
Die Doktoranden finanzieren sich zu einem Großteil über wissenschaftliche Mitarbeiterstellen, und die Gehälter, die sie bekommen, sind kräftig gestiegen. Meckern die meisten Promovierenden also zu Unrecht?
Sie meckern ja gar nicht, wie unsere Umfrage zeigt. Die Frage ist, ob die politische Debatte die Stellen- und Einkommenssituation der meisten Doktoranden angemessen wiedergibt. Hinzu kommt, dass diese aggregierten Zahlen natürlich die enormen Unterschiede in den Fächerkulturen verwischen. In den Geistes- und Lebenswissenschaften zum Beispiel haben viel weniger Promovierende eine Uni-Stelle, während das in den Natur- und Ingenieurwissenschaften der Normalfall ist. Erstere sind übrigens auch die Fächer, die von der Umwidmung von Stipendien in neue Stellen eher weniger profitiert haben dürften. In den Geistes-, Sozial- und Lebenswissenschaften muss sich dagegen auch ein spürbar höherer Anteil der Promovierenden als Selbstständige oder mit familiärer Unterstützung durchschlagen.
Die typische Germanistin finanziert ihre Promotion also prekär, der typische Maschinenbauer dagegen auf einer komfortablen Uni-Stelle sitzend?
Das ist jetzt sehr zugespitzt formuliert, weil am Ende viele Doktorandinnen und Doktoranden ihren Lebensunterhalt über einen Mix unterschiedlicher Quellen bestreiten, das kann zugleich ein Stipendium, eine selbstständige Tätigkeit oder auch eine Unterstützung durch die Eltern sein. Und natürlich können Sie auch zufällig eine Germanistin treffen, die auf einer hochdotierten Mitarbeiterstelle promoviert. Aber in der Tendenz haben Sie Recht, dass Geisteswissenschaftler weniger Geld zur Verfügung haben, seltener eine Uni-Stelle und häufiger ein Stipendium.
Und dann kommt nochmal oben drauf, dass junge Wissenschaftlerinnen weniger verdienen als junge Wissenschaftler?
Ob es ein Gender Pay Gap bei den Doktoranden gibt und wie ausgeprägt es auch innerhalb der Fachbereiche ist, haben wir noch nicht ausgewertet. Aber die Frage ist spannend – zumal sich ja bereits zeigt, dass die bei Männern beliebten Fächer oft zu den Fächern mit vielen Mitarbeiterstellen zählen.
"Die Arbeitsverträge erreichen in vielen Fällen
nicht einmal das Minimum von drei Jahren."
Vorhin haben Sie gesagt, dass die meisten Doktoranden auch mit ihrer finanziellen Perspektiven, also auch mit den Laufzeiten von Verträgen und Stipendien zufrieden sind. Hat sich denn hier etwas zum Positiven verändert?
Vielleicht sollte ich sagen: Die meisten jungen Wissenschaftler sind mit ihrer mittel- bis langfristigen beruflichen Perspektive zufrieden. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass ihre Arbeitsverträge sehr viel länger laufen als noch vor ein paar Jahren. Vertragslaufzeiten zu analysieren ist ein komplexes Thema. Was wir bereits sagen können: Im Schnitt sind die wissenschaftlichen Stellen auf 27 Monate befristet, sie erreichen also in vielen Fällen nicht einmal das Minimum von drei Jahren, das die meisten unter idealen Bedingungen für eine Promotion ansetzen würden. Und jeder vierte Vertrag läuft sogar nur maximal zwölf Monate lang.
Wer ist von den kurzen Verträgen besonders betroffen?
Hier kommt es nicht so sehr auf das Fach an, sondern auf die einzelnen WissenschaftlerInnen. Auffällig ist, dass es häufig immer wieder die Gleichen trifft. Wir beobachten, dass gerade Doktoranden die nur ein Kurzzeit-Verträge haben, häufig auch im Anschluss wiederum nur einen Verträge mit einer recht kurzen Laufzeit erhalten.
Greift die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das die Laufzeiten verlängern sollte?
Genaueren Aufschluss wird hier sicherlich die anstehende Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes geben. In unserer Studie können wir aber durchaus beobachten, dass Vertragslaufzeiten länger sind, wenn in den Arbeitsverträgen die Promotion als Qualifikationsziel verankert steht. Der Effekt ist allerdings nicht besonders stark und der Anteil an Kurzzeit-Verträgen auch dann noch recht hoch – leider.
"Ich will die Lage nicht überdramatisieren,
aber die Disparitäten nehmen zu."
Wie erklären Sie sich dann diese große Zufriedenheit?
Auch hier müssen wir wieder genau hinschauen. Es gibt ja eine große Gruppe von Doktoranden, die recht lange Vertragslaufzeiten haben, das sind noch dazu die mit den guten Einkommen, und die sind zu Recht zufrieden, könnte man sagen. Das Viertel mit den extrem kurzen Vertragslaufzeiten belastet ihre Situation schon, und diese Unsicherheit kann sich auf den Promotionserfolg auswirken. Ich will die Lage nicht überdramatisieren, aber die Disparitäten nehmen zu. Und nicht immer sind diejenigen mit den vermeintlich niedrigsten Einnahmen diejenigen mit den größten Sorgen.
Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie die gut 14 Prozent Doktoranden, die teilweise oder überwiegend von der Unterstützung durch Eltern, Verwandte oder Lebenspartner leben. Die haben im Schnitt keine besonders hohen Nettoeinnahmen, aber häufig trotzdem ein hohes subjektives Sicherheitsgefühl. Wobei wir nochmal genau schauen müssen, ob es da Selektionseffekte gibt. Wenn Sie aus einer gut situierten Familie stammen, über ein belastbares soziales Netzwerk und gute Zukunftsaussichten verfügen, sorgt Sie ein niedriges Einkommen viel weniger, als wenn sie selbst Kinder zu ernähren haben und in einer Stadt mit hohen Mieten leben. Auch legen beispielsweise die Promovierenden-Befragungen der Max-Planck-Gesellschaft nahe, dass wir der Finanzierungsituation internationaler Promovierender mehr Beachtung schenken sollten, denn die waren in der Vergangenheit seltener in sozialversicherungspflichtigen Anstellungen beschäftigt.
Aber bei allen Disparitäten: Den meisten Doktoranden geht es gut – besser, als man gemeinhin denkt?
Im Durchschnitt kann man das bei aller Differenziertheit so sagen, ja. Ihre soziale Lage ist weder nach objektiven Kriterien noch nach ihrer eigenen subjektiven Wahrnehmung besonders schwierig. Ich sage keineswegs, dass es sich um Spitzenverdiener handelt, die auf sicheren Jobs sitzen, aber sie sind größtenteils in der Lage, ihren Lebensunterhalt ausreichend zu sichern und die Mehrheit sorgt sich auch nicht besonders um ihre Absicherung.
"Bestimmte Gruppen drohen
durchs Raster zu fallen."
Was vielleicht daran liegt, dass ihr Vergleichsmaßstab das studentische Leben ist?
In der Tat, darum betonen wir das in unserer Studie auch immer wieder. Wir sprechen hier über Promovierende, die sich biografisch in einer Zwischenphase befinden. Die Frage, ob die Gehälter in der Wissenschaft konkurrenzfähig sind mit Berufen außerhalb der Hochschulen, bewegt die meisten noch nicht wirklich. Sie sind zufrieden mit ihrer Lebenssituation im Hier und Jetzt – vor allem weil sie sich ausgiebig ihrer Forschungsarbeit widmen können.
Das Hier und Jetzt wandelt sich gerade dramatisch. Wie wird sich die Corona-Pandemie auf die Promovierenden auswirken?
Das ist die Frage, die alle zurzeit umtreibt. Die Politik hat reagiert und die Höchstbefristungsdauer für wissenschaftliche MitarbeiterInnen in der Qualifizierungsphase verlängert, auch bei den Stipendien gibt es teilweise recht großzügige Regelungen. Die Frage ist natürlich, ob die dadurch geschaffenen Spielräume tatsächlich ausgeschöpft werden. Das ist noch nicht überall absehbar. Auch drohen bestimmte Gruppen wie zum Beispiel die EU-finanzierten Doktoranden durchs Raster zu fallen. Im Ergebnis wird für einige Promovierende die Krise zunächst also kaum spürbar werden, während andere ihre Doktorarbeit nicht werden abschließen können. Völlig offen ist auch, woher das Geld, das nicht kostenneutrale Verlängerungen kosten, herkommen wird. Es besteht die Gefahr, dass man die zusätzlichen Ausgaben durch Einsparungen bei künftigen Stipendien und Doktorandenstellen kompensieren könnte. Fest steht: Wir werden es in ein paar Jahren in unseren Daten sehen.
Die aktuellen Ergebnisse aus der National Academics Panel Study finden Sie in einem aktuellen DZHW Brief.