Die Coronakrise hat besonders die internationalen Studierenden getroffen. Wie stark, zeigt eine neue Statistik: Fast 70 Prozent der KfW-Corona-Kredite gingen zuletzt an sogenannte Bildungsausländer.
Screenshot der KfW-Website.
DER ANSTIEG ist dramatisch. Im Juni haben 12.052 Studierende das vorübergehend zinslose KfW-Studiendarlehen beantragt. Das sind fast zehnmal so viele wie im April, dem Monat, bevor dieser Teil der von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) verkündeten Corona-Nothilfe in Kraft trat. So berichtete es ihr Ministerium vergangene Woche an den Bildungsausschuss des Bundestages.
Was der Bericht nicht enthielt, war die Geschichte hinter den Zahlen. Denn das drastische Wachstum der Kreditanträge geht zu einem Großteil auf internationale Studierende zurück, die – auch das gehört zum Corona-Paket – sich im Juni erstmals überhaupt um ein KfW-Darlehen bewerben durften.
Konkret: 69,1 Prozent der Antragsteller stammten im Juni und Juli aus dem Ausland, oder in absoluten Zahlen: Zwischen 1. Juni und 21. Juli haben mehr als 11.171 internationale Studierende um einen Kredit nachgesucht, aber nur 4984 deutsche. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Brandenburg hervor. Aber ist das nun eine positive Entwicklung oder eine besorgniserregende?
Zunächst ist der Anstieg vor allem eines: erwartbar. Darauf verweist auch Karliczeks Ministerium. Der Kreis der Antragsberechtigten sei bewusst ausgeweitet worden auf Studierende aus anderen EU-Ländern, die seit weniger als drei Jahren in Deutschland sind, und auf sogenannte Drittstaatsangehörige, sagt eine BMBF-Sprecherin. "Gerade Studierende, die aus dem Ausland extra zum Studium nach Deutschland gekommen sind, haben in der Regel auch keinen Anspruch auf BAföG." Verlören sie in der Pandemie ihre Studentenjobs, könne dies zu "gravierenden finanziellen Notlagen" führen. "Deshalb wurde mit der Zinsverbilligung und der Erweiterung des Antragstellerkreises ein zusätzliches Instrument geschaffen, um auch diesen Personengruppen zu helfen."
Der DAAD warnte
schon Anfang April
Erste Warnungen, dass internationale Studierende in Deutschland besonders unter den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise leiden würden, gab es schon früh. Anfang April hatte etwa Joybrato Mukherjee, Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), von bis zu 100.000 internationalen Studierenden gesprochen, denen die Zuverdienstmöglichkeiten wegbrechen könnten. Dies könne dazu führen, warnte Mukherjee, "dass sie sich ihr Studium und ihren Lebensunterhalt nicht mehr leisten können und ihr Studium abbrechen müssen."
Bedeuten die hohen KfW-Antragszahlen also schlicht, dass Karliczeks Ministerium den Betroffenen erfolgreich geholfen hat?
Das würde freilich voraussetzen, dass es sich bei dem Darlehen um ein wirklich wirksames und der Notlage angemessenes Instrument handeln würde. Doch genau daran haben Experten große Zweifel. Anfang Mai warnte zum Beispiel das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) angesichts der nur vorübergehenden Zinslosigkeit der Kredite: "Es darf nicht der Eindruck entstehen, der Lockdown würde genutzt, um mit einem kurzfristigen Lockvogelangebot langfristig zahlende Kunden für die KfW zu werben."
Ebenfalls Anfang Mai veröffentlichte das Landen-Asten-Treffen NRW eine Beispielrechnung, demzufolge bei einem neu abgeschlossenen
KfW-Kredit mit zwölf Auszahlungen von jeweils 650 Euro die Bundesregierung insgesamt maximal 152,65 Euro Zinsen übernehmen werde. Ein Bruchteil der gesamten Zinslast. Die betrage nämlich bis zur Abzahlung des Kredits inklusive der 18-monatigen Karenzphase bei einer Tilgungsrate von 50 Euro pro Monat insgesamt rund 4100 Euro.
Dass die meisten Studierenden rechnen können und deshalb, wenn es irgendwie geht, das KfW-Darlehen meiden, zeigt der Vergleich mit dem zweiten Teil der Überbrückungshilfe, den das Bundesbildungsministerium aufgelegt hat. Für die Monate Juni, Juli und August können durch die Corona-Pandemie in besondere Not geratene Studierende nämlich auch eine Überbrückungshilfe von bis zu 500 Euro pro Monat beantragen, die sie nicht zurückzahlen müssen. Allein im Juni stellten mehr als 82.000 Studierende dafür einen Antrag – fast siebenmal so viele wie beim Darlehen.
Für deutsche Studierende sei der KfW-Kredit
die "ultima ratio", sagt die FDP
Doch die Überbrückungshilfe ist bei 100 Millionen Euro gedeckelt, und die Bewilligung der Zuschüsse wurde bislang rigide gehandhabt. Laut Ministerium wurden im Juni nur rund die Hälfte der Anträge angenommen, bei etwa sechs Prozent steht die Entscheidung immer noch aus. Wie viele internationale Studierende den Zuschuss erhalten, kann das BMBF nicht sagen, bei der Auswertung könne "leider nicht nach der Nationalität der Antragstellenden unterschieden werden". Das Deutsche Studentenwerk (DSW), dessen Mitgliedseinrichtungen im Auftrag des Ministeriums die Vergabe der Nothilfe administrieren, berichtet jedoch von einem ebenfalls "hohen Anteil" internationaler Studierender unter den Antragstellern.
Weichen viele von ihnen in ihrer Not deshalb auf das KfW-Darlehen aus, während deutsche Antragsteller, die den Zuschuss nicht bekommen, doch eher noch über andere Möglichkeiten verfügen? Der
FDP-Politiker Brandenburg, Sprecher seiner Fraktion für Studium, berufliche Bildung und lebenslanges Lernen, sieht es jedenfalls so: "Der bisherige Ladenhüter des KfW-Kredits mit schon
im Frühjahr wieder hohen Zinsen bleibt offenbar vor allem für inländische Studierende die ultima ratio." Internationale Studierende in Deutschland, die einen Nebenjob verlören, hätten dagegen
oftmals keine andere Alternative als einen teuren Kredit. "Ihre Eltern sind in vielen Heimatländern härter von der Krise betroffen als hierzulande, da soziale Sicherungssysteme und
Kurzarbeitergeld fehlen." Es dürfte ausländischen Studierenden schwerer fallen, fügt Brandenburg hinzu, einen der wenigen vorhandenen Nebenjobs zu erhalten, wenn sie mit inländischen
Studierenden konkurrierten. "Einige inländische Studierende haben sich bei Verwandten oder Freunden vorübergehend Geld geliehen. Auch diese Option haben internationale Studierende nicht."
Von den rund 300.000 sogenannten Bildungsausländern (junge Menschen ohne deutschen Schulabschluss) unter den Studierenden in der Bundesrepublik sei jeder dritte auf Nebeneinkünfte angewiesen, sagt DAAD-Präsident Mukherjee. Der DAAD habe deshalb stets betont, "dass aus unserer Sicht eine starke Zuschusskomponente innerhalb des Hilfspaktes – gerade für internationale Studierende – unerlässlich ist". Bei insgesamt 2,9 Millionen Studierenden, von denen rund 40 Prozent auf Nebeneinkünfte angewiesen seien, "müsste ein umfängliches Hilfspaket eigentlich mit einem Zuschussvolumen im Milliardenbereich arbeiten." Tatsächlich veranschlagt Karliczeks Ministerium für Zuschuss und KfW-Kredit insgesamt nur etwa 160 Millionen Euro.
Dass ausgerechnet die internationalen Studierenden, die besonders stark von der Krise betroffen sind, sich jetzt besonders häufig um einen langfristig Tausende Euro teuren Studienkredit bemühen, ist also weniger Ausdruck der Attraktivität des KfW-Darlehens, sondern des unzureichenden Hilfsangebots insgesamt.
Das BMBF zitiert seitenweise
Statistiken von 2018
Und noch etwas fällt an der insgesamt 23 Seiten langen Antwort der Bundesregierung auf Brandenburgs parlamentarische Anfrage auf: wie wenig die Politik über die Situation der internationalen Studierenden in der Krise tatsächlich weiß. Die jüngsten Zahlen von EU-Kommission und Statistischem Bundesamt, wie sich Deutschlands internationaler Austausch entwickelt hat, stammen von 2018, aus ihnen zitiert die vom parlamentarischen Staatssekretär im BMBF, Michael Meister, unterschriebene Antwort seitenlang, Tabelle um Tabelle. Schön anzusehen, doch in der aktuellen Situation komplett nutzlos. FDP-Politiker Brandenburg kritisiert deshalb: "Die Bundesregierung tappt völlig im Dunkeln. Wie will sie auf aktuelle Entwicklungen in der internationalen Studierendenmobilität reagieren, wenn ihre neusten Erkenntnisse zwei Jahre alt sind?"
Das BMBF verweist unter anderem auf eine DAAD-Umfrage unter den Hochschulen im April, derzufolge mindestens 20.000 bis 30.000 deutsche Studierende ihren Auslandsaufenthalt vorzeitig beendet hätten. Umgekehrt hätten rund 80.000 internationale Studierende Deutschland verlassen.
Ein erster Schritt für Karliczeks Ministerium, um mehr über die Lage der internationalen Studierenden herauszufinden, wäre, ihren Anteil auch unter den Antragstellern der Corona-Nothilfe zu kennen – also dem Teil der Überbrückungshilfe, der nicht zurückgezahlt werden muss. Dass, wie das BMBF schreibt, "leider nicht nach der Nationalität der Antragstellenden unterschieden werden" könne, stimmt so nämlich offenbar nicht. Vom Deutschen Studentenwerk ist zu hören, eine solche Auswertung sei sehr wohl "möglich, gleichwohl aufwändig". Das BMBF könnte sie also jederzeit in Auftrag geben.
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