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Lösung mit Geschmäckle

Der Protagonist der Heidelberger Bluttest-Affäre verlässt das Uniklinikum, verzichtet auf seinen Beamtenstatus – und beendet so das immer noch laufende Disziplinarverfahren gegen ihn.

Mit dieser Schlagzeile ging es los: Screenshot von der BILD-Website vom Februar 2019.

ES IST DAS vorläufig letzte Kapitel einer Affäre, die das Universitätsklinikum Heidelberg über ein Jahr lang in Atem gehalten hat. Christof Sohn, der geschäftsführende Ärztlicher Direktor der Universitätsfrauenklinik, nimmt seinen Abschied. Aber nicht irgendwie, sondern auf bemerkenswerte Art und Weise. Und alles Andere als frei von Geschmäckle.

 

Das erste Kapitel trug sich am 21. Februar 2019 zu. Es war der Morgen, an dem die BILD-Zeitung die ganz große Story brachte: Eine "Weltsensation aus Deutschland" sei das, die da aus Heidelberg komme. Am gleichen Tag hielt Sohn eine in der Gynäkologen-Szene mittlerweile berühmt-berüchtigte Pressekonferenz ab und verkündete den angeblichen Durchbruch: einen Bluttest, der Brustkrebs erkenne, bevor ihn bildgebende Verfahren sichtbar machen könnten, außerdem sei der Bluttest sicherer als die bisherigen Verfahren und noch dazu besonders treffgenau bei Risikopatientinnen mit genetischer Veranlagung. Über einen "Meilenstein" und eine "neue, revolutionäre Möglichkeit" der Krebsdiagnose jubelte die parallel veröffentlichte Pressemitteilung, herausgegeben vom Uniklinikum. 

 

Was seitdem geschah: Die Legende vom medizinischen Durchbruch löste sich Stück für Stück in Luft auf, die Angaben zu dem revolutionären Test erwiesen sich als unvollständig bis haltlos – bis vor allem einer der größten PR-Skandale einer deutschen Universitätsklinik in den vergangenen Jahrzehnten übrigblieb. Eine unabhängige Untersuchungskommission ermittelte monatelang und bescheinigte dem Universitätsklinikum im vergangenen Sommer in einem Zwischenbericht "Führungsversagen, Machtmissbrauch und Eitelkeit". Auf der übergeordneten Ebene habe falsch verstandene Wissenschaftsfreiheit dazu geführt, dass niemand die Pressekonferenz und die Pressekampagne verhindert habe. 

 

Als mutmaßlicher Hauptverantwortlicher wurde aber Frauenklinikchef Sohn genannt. Er war Teil eines mutmaßlichen Wirtschaftskrimis um die klinikumseigene Beteiligungsgesellschaft tth, einen bekannten Heidelberger Unternehmer und einen chinesischen Pharmakonzern. Sogar Vorwürfe des Aktien-Insiderhandels wurden laut, die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität ermittelte fast ein Jahr lang, stellte das Verfahren dann aber ohne Anklage ein. 

 

Gehen mussten bislang
immer andere

 

Gehen musste wegen des PR-Desasters fast die gesamte Klinik-Führungsriege. Die Klinikums-Vorstandsvorsitzende Annette Grüters-Kieslich trat im Herbst 2019 zurück, der Dekan der Medizinischen Fakultät  Andreas Draguhn bereits im Sommer 2019, ebenso wie die langjährige kaufmännische Direktorin Irmtraut Gürkan. Dem Justizar des Klinikums Markus Jones, der zugleich als tth-Geschäftsführer agierte, wurde zwischenzeitlich sogar fristlos gekündigt, nach einem Güteverfahren zog das Universitätsklinikum seine der Kündigung zugrundeliegenden Vorwürfe gegen Jones jedoch zurück. 

 

Und Sohn? Blieb in Amt und Würden. Setzte sogar gerichtlich durch, dass der Abschlussberichts der Unabhängigen Kommission bis heute nicht veröffentlicht werden durfte, der Grund: Dem Mediziner könnten sonst erhebliche berufliche und auch persönliche Nachteile entstehen – vor allem solange das parallel von der Universität angestrengte Disziplinarverfahren gegen ihn noch nicht abgeschlossen sei. 

 

An diesem Montag dann verschickte das Universitätsklinikum eine überraschende Pressemitteilung: Die Strukturen der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe sollen von 2022 an neu aufgestellt werden. Künftig werde es drei Schwerpunkte und Abteilungen geben, womit man sich an "zukunftsweisenden Strukturen gynäkologischer Spitzenzentren in den USA und Europa" orientiere. "Im Zuge der Umstrukturierung", berichtete das Uniklinikum weiter, komme es auch zu einer personellen Veränderung: Christof Sohn verlasse "auf eigenem Wunsch und im gegenseitigen Einvernehmen ab dem Jahr 2022" das Universitätsklinikum Heidelberg und werde ab 1. Februar 2022 weiterhin als Chefarzt am Krankenhaus Salem der Evangelischen Stadtmission Heidelberg "in seinem medizinischen Kerngebiet tätig sein".

 

Sohn selbst wird mit dem Statement zitiert, er sehe die Frauenheilkunde "stärker als einheitliches Fach und will dem neu eingeschlagenen Weg der Differenzierung nicht im Wege stehen". Woraufhin der neue Uniklinikums-Vorstandsvorsitzende Ingo Autenrieth "Herrn Prof. Sohn" sogar artig dafür dankte, "dass er das Universitätsklinikum und die Medizinische Fakultät darin unterstützt, diesen zukunftsweisenden Weg zu beschreiten".

 

Warum hat Sohn sich auf
diesen Kuhhandel eingelassen?

 

Das Universitätsklinikum betont, viele klinische Fachbereiche seien bereits in Zentren, sogenannten Departements, strukturiert und hätten "sich damit auf den Weg zur Dezentralisierung und zur Eigenverantwortung begeben", die neuen Strukturen im Bereich der Frauenklinik entsprächen der Empfehlung der gemeinsamen Strukturkommission der Medizinischen Fakultät Heidelberg und des Universitätsklinikums Heidelberg.

 

Was so zukunftsorientiert, einvernehmlich und von Sohn großherzig klingt, hat jedoch zugleich Implikationen im Zusammenhang mit der Bluttest-Affäre: Universität und Universitätsklinikum werden Sohn relativ geräuscharm los. Der wird mit dem Posten als Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus Salem abgefunden, womit er faktisch einen Teil seines bisherigen Jobs behält: Denn aufgrund einer Kooperationsvereinbarung zwischen Klinikum und Krankenhaus hatte Sohn schon seit 2008 die ärztliche Leitung der dortigen Abteilung inne. In all dem kann man angesichts der Dimensionen der Bluttest-Affäre und den  personellen Konsequenzen für viele anderen Akteure, siehe oben, durchaus ein Geschmäckle erkennen. 

 

Trotzdem ist es auf den ersten Blick erstaunlich, warum sich der unkündbare Beamte Sohn auf den Kuhhandel eingelassen hat. Denn, wie die Universität Heidelberg auf Nachfrage bestätigt, Sohn scheide damit zum 31. Januar 2022 auch aus der Medizinischen Fakultät, vor allem aber aus dem Beamtenverhältnis aus. Womit er, siehe geltendes Beamtenrecht, wohl auch seine Pensionsansprüche verlieren wird und deutlich weniger üppig in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert werden muss. Sohn zahlt also offenbar einen hohen Preis für seinen angeblich freiwilligen Wechsel. Dazu allerdings machte die Universität auch auf Nachfrage keine Angaben.

 

Und es wird noch bemerkenswerter. In der Pressemitteilung hatte das Klinikum mitgeteilt, dass Sohn seine Tätigkeit am Universitätsklinikum bis Ende 2021 fortsetzen werde, "um so einen reibungslosen Übergang in die neuen Strukturen sicherzustellen". Auch Nachfrage ergänzt die Universität jedoch: Sohn habe bereits jetzt um seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten. "Dem ist entsprochen worden und er hat am Freitag, 7. August 2020, seine Entlassungsurkunde entgegengenommen."

 

Das, bestätigt die Universität, hat eine sofortige Folge: "Das gegen ihn laufende Disziplinarverfahren wurde eingestellt. Auf Grund seiner Entlassung aus dem Dienst ist die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme nicht mehr angezeigt."

 

Kann der Untersuchungsbericht jetzt
doch noch veröffentlicht werden?

 

Womit Sohns Entscheidung, auf Beamtenstatus und wohl auch auf seine Versorgungsansprüche zu verzichten, plötzlich in einem ganz anderen Licht dasteht. Alles Weitere ist Spekulation und wird nun, nachdem das Verfahren eingestellt wurde, nicht mehr disziplinarisch geklärt werden. Doch der bittere Anschein eines Kuhhandels bleibt. 

 

Heißt das wenigstens im Umkehrschluss, dass jetzt endlich der ausstehende Abschlussbericht der Untersuchungskommission veröffentlicht werden kann? Noch heißt es aus dem Wissenschaftsministerium von Theresia Bauer (Grüne): "Aufgrund eines Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. Januar 2020 war es bislang leider nicht möglich, den Abschlussbericht der unabhängigen Kommission zu veröffentlichen und zu diesem sowie zu sich daraus ergebenden Verantwortlichkeiten öffentlich Stellung zu nehmen." Auf die Nachfrage, ob sich die Sachlage nicht jetzt geändert habe, nachdem das Disziplinarverfahren beendet worden ist, antwortet Bauers Ministerium: "Wir haben weiterhin ein großes Interesse daran, dass die Erkenntnisse veröffentlicht werden und prüfen, in welcher Form dies jetzt möglich ist."

 

Nach dem angekündigten Abgang Sohns Ende vergangener Woche sagte Bauer noch zurückhaltend, sie freue sich, "dass am Universitätsklinikum Heidelberg eine so gute und vor allem zukunftsweisende Lösung gefunden wurde, die auch einen Neuanfang ermöglicht." Mit dem Neuanfang war vermutlich der Abschied von Sohn gemeint. Zu einem vollständigen Neuanfang fehlt allerdings noch ein ganzes Stückchen Transparenz. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 13 August 2020 16:06)

    @Kenner: Vielen Dank für Ihre spannenden Anmerkungen! Leider kann ich sie in der Form nicht freischalten. Ich würde mich aber gern einmal mit Ihnen persönlich austauschen. Mögen Sie mir eine Mail schicken? Vielen Dank und viele Grüße! Ihr J-M Wiarda