Karl-Theodor zu Guttenberg hat zum zweiten Mal promoviert. Eine politisch verhängnisvolle Entscheidung – oder ein Beleg seltenen Muts?
Karl-Theodor zu Guttenberg 2009 – als Wirtschaftsminister und noch mit Doktortitel Nr. 1. Foto: K.-T. zu Guttenberg, Pressefoto, CC BY 2.0. DE.
DER MANN HAT NERVEN. Verliert 2011 seinen ersten Doktortitel, weil er die zugrundeliegende
Arbeit aus hunderten Zeitungsartikeln, Textfragmenten und Buchzitaten zusammengekleistert hat, meist ohne Kennzeichnung als Zitate und ohne Angabe von Quellen. Eine von der Universität
Bayreuth eingesetzte Untersuchungs-
kommission befindet damals, Karl-Theodor zu Guttenberg habe "die Standards guter wissenschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vorsätzlich getäuscht". Ein Feuerwerk der Plagiate.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen möglicher Verstöße gegen das Urheberrecht, findet auch nach eigenen Angaben 23 strafrechtlich relevante Passagen und stellt die Ermittlungen
gegen Guttenberg erst
ein, als der eine Zahlung von 20.000 Euro an gemeinnützige Organisationen leistet. Guttenberg, der Shooting-Star der deutschen Politik der späten Nullerjahre, 2009 mit 37 erst jüngster Bundeswirtschaftsminister, dann jüngster Verteidigungsminister aller Zeiten, muss zurücktreten, verlässt nach Verlust von Amt und Dr. jur mit seiner Familie über Jahre das Land, betätigt sich als Berater, Lobbyist und Unternehmenslenker. Und kehrt nur hin und wieder zurück in die bundesdeutsche Öffentlichkeit, um in der Politik und in seiner Partei, der CSU, einen Fuß in der Tür zu halten.
Die meisten Leute hätten danach von akademischen Weihen wohl für alle Zeiten die Nase voll gehabt. Nicht so Karl-Theodor zu Guttenberg. Wie jetzt bekannt wurde, reicht er bereits Ende 2018 an der zur Universität Southampton gehörigen Business School im Süden Großbritanniens eine neue Dissertation ein. Und wird Mitte 2019 ein
Karl-Theodor zu Guttenberg 2017 – inzwischen Berater und Lobbyist ohne Doktortitel Nr. 1, aber schon mit Aspirationen auf Doktortitel Nr. 2. Foto: Michael Lucan, CC BY-SA 3.0. DE.
zweites Mal promoviert, diesmal zum Doktor der Philosophie. Womit feststeht: Der Mann hat nicht nur Nerven. Er will es auch echt wissen.
Denn obgleich die Nachricht von seinem Doktortitel Nr. 2 erst jetzt die Runde macht: dass die Reaktionen der Öffentlichkeit spöttisch bis misstrauisch ausfallen würden, hat er sich bestimmt im Vorfeld ausgerechnet. Was ihn dagegen womöglich selbst kalt erwischt hat: dass Richard Werner, der Professor, bei dem er seine erneute Arbeit eingereicht hat, offenbar in den vergangenen Jahren "etwas abgedreht zu sein" scheint, wie der linke Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi twitterte.
Der Tagesspiegel berichtete mit Berufung auf BBC-Informationen, Werner sei seit 2018, dem Jahr, in dem Guttenberg seine Arbeit einreichte, nicht mehr an der Universität beschäftigt worden, laut Spiegel habe danach ein anderer Wissenschaftler die Betreuung der Dissertation übernommen. Dass Werner die Southampton Business School wegen Diskriminierung seiner Person auf Millionen verklagt habe, wird ebenso berichtet wie von einwandererfeindlichen, teilweise religiös motivierten Verschwörungstheorien.
Verifizierbar sind die Vorwürfe gegen Werner nur zum Teil, doch das Bild, das entsteht, ist Gift für zu Guttenbergs offensichtliche Aspirationen, mit einem sauberen Schnitt den akademischen Neuanfang zu wagen. Und natürlich wird die Geschichte vom offenbar abgedrifteten Doktorvater in Politik und Medien ausführlich aufgegriffen.
Dabei fällt ein wichtiger Aspekt zu Guttenbergs neuerlicher akademischer Unternehmung allerdings häufig unter den Tisch: Der Mann hat nicht nur Nerven. Der Mann will es nicht nur wissen. Der Mann hat auch Courage.
Kaum eine Doktorarbeit dürfte
jetzt so akribisch gelesen werden
Denn eines steht fest: Es wird kaum eine Doktorarbeit jüngeren Datums geben, die so gründlich, akribisch und misstrauisch gelesen werden wird, Satz für Satz, Fußnote für Fußnote, Literaturangabe für Literaturangabe. Der Tagesspiegel schreibt, Guttenbergs Diss sei bereits tausende Male heruntergeladen worden.
Und genau damit dürfte der Dr. Freiherr sehr wohl gerechnet haben. Es trotzdem zu wagen, sich einer so extremen akademischen Durchleuchtung zu unterziehen, muss man mutig nennen. Und es spricht für eine besondere Motivation, zweifellos eine inhaltliche, ganz sicher aber auch getrieben vom Ehrgeiz einer akademischen Rehabilitierung.
Denn egal, ob sein ehemaliger Betreuer Werner nun spinnt oder nicht: Guttenbergs Arbeit wird jetzt für sich und für (oder gegen) ihren Urheber sprechen. Was die Einhaltung der Standards guter wissenschaftlicher Praxis betrifft. Aber auch, was das Vorhandensein akademischer Tiefenbohrungen angeht. "Agents, bills and correspondents through the ages", lautet der Titel von Guttenbergs zweiter Dissertation. Auf die fachlichen Rückmeldungen darf man gespannt sein.
Wenn dem ehemaligen Bundesminister wieder – und seien es auch nur geringfügige – Unregelmäßigkeiten beim Zitieren nachgewiesen werden, war es das mit dem ewigen Fuß in der Tür bundesdeutscher Politik. Doch solange die akademischen Standards eingehalten worden sein sollten, gilt selbst bei ansonsten mittelmäßiger akademischer Flughöhe: Hut ab vor so viel trotzigem "Ich will es nochmal wissen". Dann würde wohl auch in der Politik gelten: Auch ein zu Guttenberg hat eine zweite Chance verdient.
Es sei denn, er macht sie sich mit den zuletzt bekannt gewordenen, teilweise Fragen auslösenden Engagements und Geschäftskontakten, Stichwort Augustus Intelligence und Wirecard, gleich wieder zunichte. Aber da ist eine andere Geschichte.