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Wann ist eng zu eng?

Der Streit um eine angebliche Hausberufung an der Universität Halle-Wittenberg schlägt seit Monaten hohe Wellen. Jetzt beschäftigt sich sogar der Landtag von Sachsen-Anhalt damit.

Das Löwengebäude der Martin-Luther-Universität Halle-Witteberg am Universitätsplatz. Paul Muster: "Martin Luther Universität Halle-Wittenberg - Universitätsplatz - panoramio.jpg", CC BY 3.0.

WAS IST DA PASSIERT an der Philosophischen Fakultät I der Martin-Luther-Universität (MLU)? Ging alles mit rechten Dingen zu bei der Neubesetzung einer Politikprofessur, oder handelt es sich um einen Fall von Vetternwirtschaft?

 

Zuerst schwelte der Ärger unter der Oberfläche, dann bahnte er sich den Weg in die sozialen Medien, inklusive eigenem Hashtag "#HausberufungHalle". Ein Mitbewerber reichte Konkurrentenklage ein, die Landtagsopposition stellte Nachforschungen an. 

 

Jetzt wird der Fall auf Antrag der Linken sogar vor dem zuständigen Ausschuss des Landesparlaments verhandelt: Mit dessen öffentlicher Sitzung heute Morgen ab 10 Uhr erreicht der inzwischen bundesweit beobachtete Streit um ein ungewöhnliches Berufungsverfahren seinen vorläufigen Höhepunkt. 

 

Zuerst das, was feststeht: Im Februar 2018 wurde die Professur "Regierungslehre und Policyforschung", angesiedelt am Institut für Politikwissenschaft der MLU Halle-Wittenberg, öffentlich ausgeschrieben. 31 Bewerbungen gingen ein, sieben Bewerber kamen in die engere Auswahl und durften einen Vortrag halten samt Gespräch mit der Berufungskommission. Zu vier Wissenschaftlern, allesamt Männer, wurden Gutachten eingeholt, am Ende setzte die Berufungskommission alle vier auf die Berufungsliste, diese wurde vom erweiterten Fakultätsrat und Senat bestätigt. Die sogenannte Ruferteilung ging an den Erstplatzierten – und der Ärger begann. Bis zur Entscheidung über die Konkurrentenklage, die im Dezember 2019 eingereicht wurde, ist die Berufung ausgesetzt.

 

Die Vorwürfe: Vetternwirtschaft
und Benachteiligung von Frauen

 

Den Streit öffentlich gemacht hat einer der nicht berücksichtigten Bewerber auf die Professur, Michael Hein. Von ihm stammt auch der plakative Hashtag "#Hausberufung Halle". Die Konkurrentenklage wiederum hat die Nummer 2 auf der Berufungsliste eingereicht, der Politikwissenschaftler Christian Stecker, derzeit Vertretungsprofessor an der TU Darmstadt. Stecker erhob zwei Vorwürfe: Vetternwirtschaft und Benachteiligung von Frauen. 

 

Bei Stecker klingt die Geschichte des Berufungsverfahrens etwas anders: Die bisherige Inhaberin der Professur, Suzanne Schüttemeyer, sei die akademische Mentorin sowohl des auf Platz 1 gesetzten Bewerbers, der seine gesamte wissenschaftliche Karriere bei ihr verbracht habe, als auch eines einflussreichen Mitglieds der Berufungskommission, der aktuellen Dekanin der Fakultät Petra Dobner.

 

Tatsächlich hat der von der Berufungskommission präferierte Kandidat bei der bisherigen Stelleninhaberin seine Diplomarbeit geschrieben, an dem von ihr in Potsdam vertretenen Lehrstuhl als studentische Hilfskraft gearbeitet, mit ihr als Betreuerin in Halle promoviert und habilitiert und dort später als ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet.

 

Und was Petra Dobner angeht, im Juli 2018 als Nachfolgerin Schüttemeyers zur Dekanin gewählt: Sie hat mit Schüttemeyer als Zweitgutachterin promoviert, sich am selben Institut habilitiert, und sie ist mit ihr von Potsdam nach Halle gegangen und dort ihre langjährige Assistentin gewesen.

 

Alle genannten akademischen Stationen des Bewerbers wie auch der heutigen Dekanin lassen sich in deren Lebensläufen nachvollziehen, was – verbunden mit angeblichen Unregelmäßigkeiten im Berufungsverfahren selbst – viele in Halle und darüber hinaus erregt und zumindest ein genaueres Hinschauen nahelegt. "Es gibt wegen des Berufungsverfahrens überregional ein lautes Rumoren bei den Politikwissenschaftlern", sagt die linke Landtagsabgeordnete Kristin Heiß. "Mit unserem Selbstbefassungsantrag im Landtag wollen wir klären, ob es bei den Verfahren zu den in der Öffentlichkeit behaupteten Unregelmäßigkeiten kam."

 

Das Berufungsverfahren sei nicht
zu beanstanden, sagt der Unirektor

 

Der Rektor der MLU, Christian Tietje, zeigt sich indes in seiner Stellungnahme für den Landtagausschuss davon überzeugt, dass das Verfahren nicht zu beanstanden sei. Dass der von der Berufungskommission Ausgewählte "einen Teil seiner wissenschaftlichen Laufbahn" bei Schüttemeyer verbracht habe, rechtfertige nicht den Vorwurf der Vetternwirtschaft, da letztere sich in keiner Weise an dem gesamten Auswahlprozess beteiligt habe. "Die öffentlich kolportierte Unterstellung, Frau Schüttemeyer haben einen wie auch immer gearteten Einfluss auf das Verfahren genommen, ist in keiner Weise durch Tatsachen untermauert und läuft auf eine Verleumdung der handelnden Personen hinaus." 

 

Auch gegen das Hausberufungsverbot verstoße die Entscheidung der Berufungskommission nicht, da der auf Platz 1 gesetzte Kandidat zur Zeit des Berufungsverfahrens schon seit zwei Jahren nicht mehr an der Uni beschäftigt gewesen sei. 

 

Die öffentliche Diskussion um die angebliche "Hausberufung"" so der Rektor, laufe auf die Forderung heraus, das diesbezügliche Verbot „auch

auf Personen anzuwenden, die aktuell nicht mehr an der Universität beschäftigt sind, dies jedoch zu einem früheren Zeitpunkt waren. Hierzu besteht aus Sicht der Universität nicht nur keine Verpflichtung, sondern dies wäre rechtlich unzulässig.“

 

Auch Susanne Schüttemeyer äußert sich im Vorfeld der Landtagsanhörung erstmals öffentlich. Sie sagt: "Es ist irreführend, allein aus Daten und Orten eines Lebenslaufes Abhängigkeiten und Vorwürfe zu konstruieren." Die Realität sei, wenn man genau hinschaue, an vielen Stellen anders gewesen. "Zum Beispiel war der Erstplatzierte in Potsdam bereits studentische Hilfskraft in einem Projekt, das mein Vorgänger angestoßen und auch nach seinem Weggang weitergeführt hatte. Und er ist mir auch nicht direkt nach seinem Diplom nach Halle gefolgt, sondern hat extern promoviert und erst nach fünf Jahren in der Unternehmensberatung als Habilitand an meinem Lehrstuhl angefangen." Und dies seien nur zwei Beispiele vieler – wie sie es ausdrückt – öffentlich fälschlich dargestellter Verbindungen zwischen ihr, Schüttemeyer, dem Erstplazierten und Petra Dobner, der jetzigen Dekanin. 

 

Tatsächlich hatte der ausgewählte Bewerber zwischendurch einen Ruf an eine Fachhochschule erhalten, eine Gastprofessur in den USA, er hat eine Fachhochschulprofessur vertreten und als Unternehmensberater gearbeitet.

 

Eine "klarere Schülerberufung" könne es
nicht geben, findet der Professorenkollege

 

Also doch alles gut? Mitnichten, sagt Johannes Varwick. Auch er soll heute eine Stellungnahme vor dem Landtagsausschuss abgeben. Was besonders pikant ist: Denn er ist selbst Professor am besagten MLU-Institut für Politikwissenschaft und damit direkter Kollege von Dobner und ehemals auch von Schüttemeyer. 

 

Er ist der Meinung: "Eine klarere Schülerberufung kann es nicht geben." Auch wenn es sich formaljuristisch tatsächlich nicht um eine Hausberufung handle: "Sinn und Zweck des Hausberufungsverbotes ist es jedoch, dass Bewerber an verschiedenen Orten und in verschiedenen Zusammenhängen ihre wissenschaftliche Eignung unter Beweis stellen – die rein rechtliche Argumentation trägt hier mithin nicht." Auch habe der Erstplazierte nicht einen Teil, sondern seine gesamte akademische Qualifikationsphase bei Schüttemeyer verbracht. 

 

Suzanne Schüttemeyer selbst habe ihm gegenüber 2016 in einem persönlichen Gespräch erklärt, dass sie sich den später Erstplazierten eines Tages als ihren Nachfolger wünsche. "Sie begründete das damit, dass ihre Art der Politikwissenschaft bzw. Parlamentsforschung in Halle singulär sei und dieses Feld dauerhaft so bestellt werden solle", berichtet Varwick. "Dies mag man so oder so sehen."

 

Das Zitat an sich bestreitet Schüttemeyer nicht. Aber sie sagt: "Ich habe schon Jahre vor meiner Pensionierung im Oktober 2018 meinen Kollegen am Institut versprochen, dass ich mich in keiner Weise in die Besetzung meiner Nachfolge einmischen werde. Daran habe ich mich immer gehalten. Allerdings habe ich auf die besorgte Nachfrage, ob es überhaupt genügend qualitativ arbeitende Parlamentarismusforscher gebe, auch den Erstplatzierten genannt."

 

Handelt es sich auch um einen
Fall persönlicher Animositäten?

 

Dekanin Dobner sagt in ihrer Stellungnahme vor dem Landtagsausschuss, Hauptmotiv des Institutsvorstands in dem Berufungsverfahren sei gewesen, die grundsätzliche Ausrichtung der Professur auf die qualitative Parlamentarismusforschung beizubehalten, um den überaus großen Erfolg des Masterstudienganges nicht aufs Spiel zu setzen. Genau das sei auch bei der Beurteilung der Passfähigkeit der Bewerber ein zentrales Kriterium gewesen.

 

Varwick dagegen sagt, das Berufungsverfahren weise "mehrere schwerwiegende Mängel" auf. 

 

Handelt es sich hier auch um einen Fall persönlicher Animositäten zwischen Kollegen? Dass es um die Atmosphäre zwischen den Beteiligten nicht zum Besten steht, lässt sich aus vielen – auch informellen – Äußerungen ableiten. 

 

Allerdings teilen auch viele einflussreiche Politikwissenschaftler außerhalb Halles die Kritik am Verfahren. Die Präsidentin der Europäischen Vereinigung für Politikwissenschaft, Vera Troeger, schrieb von "einem absoluten Skandal". Armin Schäfer ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Münster und Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW). Auch er hat eine Stellungnahme für den Landtag verfasst. 

 

Er könne sich nicht zu internen Abläufen äußern, da er an dem Berufungsverfahren nicht beteiligt gewesen sei, schreibt Schäfer darin. Als Politikwissenschaftler und DVPW-Vorsitzender verfolge er jedoch mit großer Aufmerksamkeit die rechtliche und hochschulpolitische Auseinandersetzung. Zahlreiche DVPW-Mitglieder hätten ihn darauf angesprochen, "und die Wahrnehmung scheint weit verbreitet, dass das Verfahren in Halle nicht den Ansprüchen genügt, die im Fach vorherrschen. Zu befürchten ist, dass nicht nur der Ruf der Universität, sondern auch des ausgewählten Bewerbers – ohne eigene Schuld – Schaden nehmen wird."

 

Streit um Drittmittelanträge, Publikationslisten
und sogar den Ausschreibungstext

 

Inwieweit das Verfahren nicht genügt haben könnte? Die Vorwürfe beginnen bei der Zusammensetzung der Berufungskommission. Varwick sagt, er wäre gern dabei gewesen, sei jedoch "mit fadenscheinigen Gründen" aus dem Gremium herausgehalten worden. 

 

Worauf der Zweitplatzierte Stecker hinweist: Die 2018 erschienene Festschrift zur Verabschiedung Schüttemeyers von ihrem Lehrstuhl, laut Editorial gestaltet von "Freunden und Weggefährten", enthält nicht nur einen Beitrag des später Erstplazierten, sondern auch von nicht weniger als vier Mitgliedern der Berufungskommission und einem der beiden externen Gutachter. "Natürlich haben Wissenschaftler Netzwerke", sagt Stecker. "Ein derart enger Klub um Schüttemeyer, der ein kleines politikwissenschaftliches Institut usurpiert hat und klientelistisch ausnutzt, ist aber skandalös."

 

Dann der Text der Ausschreibung: Die erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln, in den vergangenen fünf Jahren fast immer Bestandteil von MLU-Ausschreibungen, ist laut Sitzungsprotokoll herausgestrichen worden. Tatsächlich haben alle auf die Berufungsliste gesetzten Wissenschaftler teilweise umfangreiche und vor allem eigenständige Einwerbungen von Drittmitteln vorweisen können, der Erstplatzierte konnte dagegen nur die "Mitwirkung" an Drittmittelanträgen angeben.

 

Der DVPW-Vorsitzende Schäfer verweist in seiner Stellungnahme – ausdrücklich ohne direkten Bezug zum aktuellen Fall – auf Drittmittel und Publikationen als "wichtige Maßstäbe im Bereich der Forschung, durch die ein herausragender und in der Regel auch international sichtbarer, akademisch wie auch gesellschaftlich relevanter Beitrag zum Fach bzw. der jeweiligen Teildisziplin geleistet wird.“

 

Was die Publikationen des Erstplatzierten angeht, so stammten sieben der neun in seiner Bewerbung genannten Zeitschriftenveröffentlichungen aus der "Zeitschrift für Parlamentsfragen"– bei der Schüttemeyer Chefredakteurin und der Erstplatzierte selbst seit 2013 Redaktionsmitglied war, "also selbst mitentschieden hat über die Veröffentlichung", sagt Christian Stecker.

 

Eine entscheidende Abstimmung
musste wiederholt werden

 

Die Vorwürfe gehen weiter mit der Kandidatenauswahl und der Tatsache, dass keine einzige Frau zum Vortragen eingeladen worden sei: Sollte so verhindert werden, dass aus Gleichstellungsgründen später die Reihenfolge der Berufungsliste geändert wird? 

 

Schließlich die Berufungsliste selbst: Der Vorschlag der Berufungskommission habe in einer ersten Abstimmung im Fakultätsrat keine Mehrheit erhalten. Diese Abstimmung sei dann mit Hinweis auf Verfahrensfehler annulliert und ein paar Wochen später wiederholt worden – dann erfolgreich im Sinne einer Bestätigung der Liste. Dabei, sagt zumindest Varwick, sei von der eigens hinzugekommenen Prorektorin Druck auf die Fakultätsratsmitglieder ausgeübt worden. 

 

Was demgegenüber die Stellungnahme von Rektor Tietje betont: Als feststand, dass sich auch ein früherer Schüler Schüttemeyers unter den Bewerbern befand, habe der Berufungskommissionsvorsitzende den zuständigen Personalreferenten der MLU kontaktiert, dieser habe "auf die rechtlichen Vorgaben und Restriktionen im Zusammenhang mit dem Thema Hausberufung und auf mögliche Befangenheitsgründe in Anlehnung an die entsprechenden Regelungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft" hingewiesen. 

 

Zudem hätten auch die beiden externen Gutachter den später Erstplatzierten einmal auf Platz 1, einmal auf Platz 2 gesetzt. Außer der Zustimmung durch den erweiterten Fakultätsrat und Senat hätten auch weder der wie bei jedem Berufungsverfahren vom Senat bestellter Berichterstatter noch die Berufungsprüfungskommission des Senats Anlass zu Beanstandungen am Verfahren gesehen. Und: Die Nichtberücksichtigung der sechs Bewerberinnen sei allein aus fachlichen Gründen erfolgt, „wobei vielfach die fehlende inhaltliche Passfähigkeit zur ausgeschriebenen Professur maßgeblich war“. 

 

Was die Veröffentlichungen in der "Zeitschrift für Parlamentsfragen" angeht, sagt Suzanne Schüttemeyer, weil der Erstplatzierte Redaktionsmitglied sei, seien wie immer in solchen Fällen seine Beiträge sogar noch rigoroser auf ihre Publikationstauglichkeit geprüft worden. 

 

Die Dekanin betont, dass mehr als 100 Personen mitentschieden oder geprüft hätten

 

Besonders umstritten sind die Vorgänge im Fakultätsrat. Die Dekanin Dobner hat sich dazu in ihrer Stellungnahme für den Landtagsausschuss ausführlich geäußert. Die Rede ist von zunächst unvorbereiteten Fakultätsratsmitgliedern, die sich von einem engagierten Listen-Gegner zu zahlreichen Enthaltungen hätten treiben lassen. Eine Nachfrage beim Unikanzler habe dann ergeben, dass die seit Jahren gängige Praxis offener Abstimmungen nicht rechtskonform gewesen sei – weshalb sie wiederholt werden musste. Was all jene, die Vetternwirtschaft vermuten, allzu praktisch vorkommt.

 

Auch widerspricht Dobner in ihrer Stellungnahme deutlich dem Vorwurf, sie habe Fakultätsratsmitglieder zu einer Zustimmung gedrängt. Und was ist mit der Darstellung, die Prorektorin habe bei der Wiederholung der Abstimmung Druck ausgeübt? Zumindest im Protokoll der Sitzung ist ihr Wortbeitrag recht knapp und nüchtern dargestellt.

 

Dobner sagt, dass insgesamt mehr als 100 Personen in unterschiedlichen Gremien beteiligt gewesen seien, außerdem hätten alle entscheidenden Gremien und Prüfinstanzen der Universität ihre Zustimmung erteilt. Wie da eine einzige nicht am Verfahren beteiligte Person – gemeint ist Schüttemeyer – all diese Gremien und Menschen über Monate hätte manipulieren können, sei ihr schleierhaft. Allerdings hat Dobner, die hier die Vielzahl der beteiligten Personen betont, vorher selbst die kritische Uninformiertheit von Fakultätsratsmitgliedern erwähnt.

 

So steht Darstellung gegen Darstellung. Verdachtsmomente und eindeutige Indizien – oder doch eher ungerechtfertigte Verdächtigungen und "Verleumdungen"? Kann ein Kandidat außergewöhnlich nah dran am Institut sein und trotzdem der Beste?

 

Ist der Fall Halle typischer, als die
Wissenschaft es sich eingestehen will?

 

Rektor Tietje schreibt in seiner Stellungnahme für den Ausschuss, "im Übrigen" sei das laufende Konkurrentenklageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Halle der richtige Ort, um die Rechtmäßigkeit prüfen und feststellen zu lassen. Juristisch stimmt das. 

 

Doch politisch ist die heutige Anhörung im Landtag hochbrisant. Und gerade angesichts der Vielzahl beruflicher und menschlicher Verbindungen zwischen ehemaliger Lehrstuhlinhaberin, Berufenem und Berufenden stellt sich die Frage: Ist dieser Fall tatsächlich so außergewöhnlich oder am Ende, unabhängig von seiner Justiziabilität und auch von den handelnden Akteuren, typischer, als die Wissenschaft es vor sich selbst eingestehen will? Gibt es diese persönliche Nähe nicht in vielen Verfahren und Fächern? Und auch die offensichtlichen Rivalitäten und traditionellen Feindschaften? Und was ist mit der Rolle der Hochschulleitungen und Ministerien? Wie aktiv sollten sie sein? Wann nachhaken? Und unter welchen Umständen einschreiten?

 

Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang zum Beispiel, dass Rektor Tietje noch im Frühjahr auf Nachfrage sagte, es gebe keine persönlichen Verflechtungen der Karrieren Dobners und Schüttemeyers. Später räumte er ein, dass es diese gebe, sie jedoch nicht erheblich seien für die Bewertung des Sachverhalts.

 

Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD) sagt, das Ministerium könne nur die Einhaltung der rechtlichen Standards prüfen, was auch erfolgt sei. 

 

Die erste Anhörung im Landtag
platzte kurzfristig

 

Für die Linken-Politikerin Kristin Heiß reicht die "Causa Halle" über den konkreten Fall hinaus. Sie sagt: "Mit dem – gegen unsere Stimmen – geänderten Hochschulgesetz sind die Hochschulen in Sachsen-Anhalt nun allein für die Berufungen zuständig. Sie müssen sich dabei an hohe Standards wie Bestenauslese, Drittmittel und Erhöhung der Frauenquote halten. Wenn diese Kriterien augenscheinlich nicht eingehalten werden, ist es auch Aufgabe der Politik, hier gegenzusteuern."

 

Minister Willingmann hält gegen: "Das Verfahren ist komplett nach altem Hochschulrecht gelaufen und hat insofern gar nichts mit der Reform zu tun, denn die trat erst in Kraft, als das Verfahren schon längst innerhalb der Universität und des Ministeriums abgeschlossen war." Insofern sei Heiß‘ Position eher Ausdruck eines generellen Misstrauens ins akademische Selbsterneuerungsprozesse. "Dieses Misstrauen teile ich nicht." Im Übrigen könne auch laut neuem Hochschulgesetz vom Ministerium interveniert werden, wenn dies erforderlich werde.  

 

Eigentlich wollte der Landtagsausschuss schon im Juni zu dem Streit tagen. Doch der Termin platzte kurzfristig, weil trotz Antrags weder Rektor Tietje noch Dekanin Dobner eingeladen worden waren. Heute sind sie es. Es dürfte spannend werden in Magdeburg.