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Da bleibt was übrig

Die Zahl der Anträge auf Corona-Überbrückungshilfe geht weiter zurück. Trotz Verlängerung des Zuschusses um einen Monat: Schon jetzt steht fest, dass zig Millionen nicht ausgegeben werden.

IMMER WENIGER STUDIERENDE wollen die Corona-Überbrückungshilfe der Bundesregierung nutzen. Wie das Bundesbildungsministerium vor dem Wochenende an den zuständigen Bundestagsausschuss berichtete, ersuchten in den ersten 25 Tagen des August nur noch 3.133 Studierende um einen KfW-Kredit – gegenüber 5.583 im Juli und sogar 12.052 im Juni. Den rückzahlungsfreien Zuschuss für Studierende in besonderen, durch die Pandemie ausgelösten Notlagen beantragten bis zum 25. August 40.483 junge Menschen – gegenüber 71.555 im Juli und 82.380 im August. Hierbei zählt das BMBF nur die vollständig von den Bewerbern im Online-Tool bearbeiteten und abgeschickten Anträge. Die Zahl der begonnenen, unvollständigen Anträge liegt deutlich höher. Insgesamt hätten im Juni 3,3 Prozent aller Studierenden einen Antrag auf Zuschuss eingereicht, im Juli noch 2,9 Prozent, berichtet das Ministerium von Anja Karliczek (CDU).

 

Parallel zum Rückgang der Anträge auf den Überbrückungszuschuss steigt die Bewilligungsquote. Im Juni lag sie bei 53,3 Prozent (fast 44.000 Zusagen in Höhe von insgesamt 18,5 Millionen Euro), im Juli bei voraussichtlich knapp zwei Drittel (42.146 Zusagen bislang für 18,2 Millionen Euro insgesamt, rund 5000 Anträge sind noch offen). Im August seien bereit mehr als 15.000 Zusagen mit einem Volumen von 6,9 Millionen Euro erteilt worden, teilte das Ministerium weiter mit – ohne zu sagen, wie viele Anträge die Studierendenwerke im August bislang bearbeitet haben. 

 

Studierendenverbände und Oppositionsparteien hatten in den vergangenen Monaten immer wieder Kritik an dem Hilfspaket geübt. Es komme insgesamt zu spät, der nur vorübergehend zinslose KfW-Kredit sei ein "Lockvogel"-Angebot; die Antragsvoraussetzungen für den Zuschuss seien viel zu rigide, seine Höhe und Ausgestaltung entsprächen nicht der studentischen Lebensrealität, außerdem seien seine Beantragung zu kompliziert und die Bearbeitung zu langwierig.

 

BMBF vermutet viele Testanträge
in der Anfangszeit

 

In seinem neuen schriftlichen Bericht an den Bildungsausschuss betont BMBF-Staatsekretär Michael Meister (CDU), alle darin genannten Zahlen seien Momentaufnahmen. Doch ließen sich bereits Trends ablesen: Die "Vollständigkeit und Qualität" der Anträge sei im Juli höher gewesen, was zu der gestiegenen Zusagequote geführt habe. "Daraus lässt sich ableiten, dass es gerade zu Beginn der Maßnahme Studierende gab, die einen Antrag ohne begründete Erfolgsaussichten eingereicht haben – möglicherweise testweise." Dafür spreche auch, dass etwa ein Viertel der 76.339 Antragsteller, zu deren Anträgen die Studierendenwerke Nachfragen hatten, auf diese gar nicht reagiert hätten. Für August sei anhand der vorliegenden Zahlen mit einer Fortsetzung dieses Trends zu rechnen, fügte Meister hinzu.

 

Bei 42 Prozent der abgelehnten Anträge wurde von den Studierendenwerken als Grund angegeben, dass "keine pandemiebedingte akute Notlage" vorgelegen habe, bei 26 Prozent lautete die Begründung "unvollständige/unlesbare Unterlagen", bei weiteren 23 Prozent verstrich die Frist für Nachbesserungen. Nur bei neun Prozent sei der tatsächliche Kontostand höher gewesen als die für eine Zusage erlaubten maximal 500 Euro. 

 

Auch zur regionalen Verteilung der Antragsteller äußert sich das Ministerium und berichtet: Die Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern seien "teilweise weit weniger stark ausgeprägt als die Differenz zwischen Studierendenwerken innerhalb eines Bundeslandes". So sei der Anteil der Antragsteller des Studierendenwerks Duisburg-Essen im Juni viermal so hoch gewesen wie der des Studierendenwerkes Münster.

 

BMBF-Auswertungen auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Brandenburg hatten im Juli ergeben, dass sich die Ablehnungspraxis von Bundesland zu Bundesland im Juni deutlich unterschieden hatte, besonders in Brandenburg, Berlin und dem Saarland wurden zu diesem Zeitpunkt viele Anträge abgelehnt.

 

Zu der jetzt angegebenen Quote von etwa drei Prozent Antragstellern unter allen Studierenden bemerkt Meister in seinem Brief an den Bildungsausschuss: Anderslautende öffentlich debattierte Schätzungen zur Zahl der betroffenen Studierenden hätten sich "als Fehlschätzungen herausgestellt".

 

Bislang habe die seit dem 9. Juni geschaltete, vom BMBF finanzierte Fragen-Hotline zum Zuschuss mehr als 11.000 Anrufe beantwortet, auch die Zahl der Anrufer sei im August gegenüber den Vormonaten deutlich zurückgegangen. Meister schließt seinen Bericht mit der Schlussfolgerung: "Die beiden Säulen der Überbrückungshilfe für pandemiebedingt in Notlage geratene Studierende wirken und erreichen diejenigen Studierenden, die Unterstützung benötigen."

 

Noch mindestens 40 Millionen Euro Notfallhilfe
dürften nach August übrig sein

 

Studierendenverbände hatten demgegenüber in den vergangenen Monaten immer wieder kritisiert, viele Studierende berichteten ihnen von ihrer verzweifelten Lage, doch für die Kriterien der Nothilfe kämen sie dennoch nicht in Betracht.

 

Fest steht: Die Studierendenwerke haben die anfangs besorgniserregend niedrige Bearbeitungsgeschwindigkeit deutlich steigern können. Und: Insgesamt hat die Bundesregierung bislang  43,6 Millionen Euro an Studierende bewilligt – weniger als die Hälfte des zur Verfügung stehenden Gesamtvolumens. Weitere acht Millionen Euro dürften (meinen Berechnungen zufolge, siehe unten) noch zur Auszahlung ausstehen, außerdem gehen von dem 100-Millionen-Topf noch die Bearbeitungspauschalen für die Studierendenwerke (25 Euro netto pro Antrag) und sonstige Kosten (vor allem für die Programmierung des Antragstools) ab. Doch schon heute ist absehbar: Nach Ablauf des ursprünglich auf drei Monate beschränkten Antragszeitraums für den Corona-Zuschuss dürften noch rund 40 Millionen Euro übrig sein.

 

Für diese Zahl gibt es keine offizielle Bestätigung von BMBF und dem Studierendenwerke-Dachverband Deutschem Studentenwerk (DSW). Doch hatte Ministerin Karliczek bereits vergangene Woche angekündigt, die Hilfe bis Ende September zu verlängern. Allerdings dürften auch nach dem Extra-Monat noch weit über 20 Millionen Euro im Topf liegen. Und dann? 

 

Ob die Nothilfe dann erneut und über den September hinaus verlängert wird, auch dazu liegt bislang keine Aussage vor. Als sehr wahrscheinlich gilt das indes nicht. Zuletzt zog die Konjunktur wieder merklich an, nach Berichten auch aus den Studierendenwerken ist ein Teil der zwischenzeitlich verloren gegangenen Studentenjobs schon wieder zurückgekehrt. Hinzu kommt: Im Oktober beginnt ein neue Semester, dann ist das Corona-Sommersemester offiziell vorüber.

 

Opposition: Karliczek hat Hilfe so konzipiert, dass
möglichst wenige Studierende sie bekommen

 

Wenn so am Ende tatsächlich zig Millionen übrigbleiben, spricht das dann dafür, dass das Instrument so erfolgreich war, wie Staatssekretär Meister sagt – oder dafür, dass es den Bedarf nicht getroffen hat?

 

Der hochschulpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Kai Gehring, wirft Anja Karliczek vor, sie habe die Überbrückungshilfe so konzipiert, dass damit möglichst wenige Studierende unterstützt würden. "Denn die meisten Ablehnungen auf Corona-Überbrückungshilfe sind dem Umstand geschuldet, dass die Not nicht durch Corona hervorgerufen wurde, sondern schon davor bestand. Wenn Karliczek und Große Koalition sich weiter weigern, das Bafög auszubauen und auszuweiten, wird das für viele Studierenden den Studienabbruch bedeuten und das Aus für eine Karriere in der Wissenschaft."

 

Ähnlich äußert sich Jens Brandenburg, Sprecher der FDP für Studium. "Die Bundesregierung rechnet sich die Lage schön. Nur weil eine Studentin die pandemische Ursache ihre finanziellen Notlage nicht schriftlich beweisen kann, ist ihre Not noch lange nicht behoben." So würden offenbar auch Anträge abgelehnt, weil Corona im Kündigungsschreiben des studienfinanzierenden Nebenjobs nicht explizit genannt werde. "Das ist absurd und scheinheilig." Wer coronabedingt keinen neuen Nebenjobs finde und beim Bafög durchs Raster fällt, ist ebenso von der Krise betroffen. "Die Bundesregierung muss endlich genauer aufschlüsseln, wieviele Anträge finanzielle Nöte darlegen konnten, aber an bürokratischen Hürden gescheitert sind."

 

Der grüne Hochschulexperte Gehring ist davon überzeugt, dass der Bedarf an Unterstützung auch nach September groß bleibe. "Das sehe ich an den zahlreichen Rückmeldungen von Studierenden an mich, die finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen." Dafür spreche auch der beginnende Leerstand in den Studierendenwohnheimen. Nicht nur die internationalen Studierenden verlassen die Hochschulen, auch inländische Studierende versuchen Kosten zu sparen und ziehen zurück zu den Eltern, sofern sie nicht schon das Studium abgebrochen haben." 

 

Auch hier Zustimmung von FDP-Politiker: Brandenburg: "Für das kommende Semester gibt Frau Karliczek noch immer keine Planungssicherheit. Die einmalige Verlängerung für den September ist ein weiteres Scheibchen der Salamitaktik einer fahrlässigen Trödelministerin."

 

Beim KfW-Kredit war die Zahl der Antragsteller im Juni zwischenzeitlich auf das Zehnfache des Ausgangswertes von April gestiegen. Dieses drastische Wachstum ging zu einem Großteil auf internationale Studierende zurück, die – auch das gehörte zum Corona-Paket – sich im Juni erstmals überhaupt um ein KfW-Darlehen bewerben durften. Insgesamt stammten 69,1 Prozent der Antragsteller im Juni und Juli aus dem Ausland. Der Rückgang bei den KfW-Anträge im Juni und Juli dürfte entsprechend spiegeln, dass der Run der internationalen Studierenden auf die Darlehensmittel vorbei ist.


Wo die 100 Millionen hingehen

Für den Monat Juli sind laut BMBF noch rund 5000 Anträge zur Entscheidung offen. Setzt man für sie die bisherige Juli-Bewilligungsquote (knapp zwei Drittel) und die durchschnittliche Juli-Zuschusshöhe von gut 430 Euro an, ergibt das weitere Zuschüsse in einer Gesamthöhe von etwa 1,4 Millionen. Für August wiederum lässt sich angesichts des bisherigen Verlaufs mit einer Gesamtzahl von etwa 47.500 eingereichter Anträge rechnen. Schreibt man die Bewilligungsquote von etwa zwei Drittel fort und rechnet um die 450 Euro pro bewilligtem Antrag, ergibt sich für August ein Zuschussvolumen von

vielleicht 13,5 Millionen Euro – von denen 6,9 bereits bewilligt wurden. Womit zu den laut BMBF  zugesagten 43,6 Millionen Euro weitere acht hinzukämen. An die Studierendenwerke gehen bei insgesamt gut 200.000 bearbeiteten Anträgen zwischen fünf und sechs Millionen Euro (noch ist unklar, ob das BMBF Umsatzsteuer zahlen muss), dazu werden maximal eine Millionen Euro für die Entwicklung des Software-Tools und weitere antragsabhängige Kosten fällig. Womit von dem 100-Millionen-Topf insgesamt nach August noch maximal 42 Millionen übrig sein dürften, wahrscheinlich aber nicht weniger als 40 Millionen Euro. 



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