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Auf und zu

Mitten in der heißen Phase der Studienplatzvergabe musste "Hochschulstart.de" das Bewerbungsportal mehrere Tage sperren. Was ist da los?

DIE AUFREGUNG WAR GROSS bei Bewerbern und Hochschulen. Mitten in der entscheidenden Phase der Studienplatzvergabe war das Bewerbungsportal von "Hochschulstart.de" seit Montagmittag plötzlich offline. Dauer: unbekannt. "Aufgrund technischer Verzögerungen", wie die hinter "Hochschulstart.de" stehende Stiftung für Hochschulzulassung auf der Website mitteilte. Weder Bewerber noch Hochschulen konnten bis Mittwochabend auf die Daten zugreifen, und das ausgerechnet in der Phase, in der Bewerber und Hochschulen zueinander finden sollen. In der die Bewerber nach und nach ihre Zulassungsbescheide erhalten. 

 

Seit der Nacht zum Donnerstag ist das Bewerbungsportal plötzlich wieder offen, obgleich der Warnhinweis auf der Startseite von "Hochschulstart.de" zunächst noch da war. Auch die Unsicherheit bleibt. Die potenziellen Studienanfänger fürchten, dass sie, falls die technischen Schwierigkeiten sich wiederholen, nicht rechtzeitig zu ihren Studienplätzen kommen, die Hochschulen, dass spontane Portalsperren die rechtliche Sicherheit des Zulassungsverfahrens gefährden könnten. Und alle ärgern sich, dass die Stiftung sie ihres Erachtens mal wieder nur zögerlich mit Infos versorgt hat, was los war. Und auch nicht, wie lange die Sperre anhalten würde. 

 

Dass dieses Wintersemester für die altersschwache Technik hinter dem Bewerbungsportal zur bislang größten Bewährungsprobe werden würde, war absehbar. Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mussten die Länder die Medizin-Studienplatzvergabe neu regeln – mit massiven Folgen auch für "Hochschulstart.de", das neben den bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen wie Medizin auch viele lokale NC-Fächer koordiniert.

 

Das bewerberärmere Sommersemester 2020 war der Probelauf für die mühsam angepasste Software, das System holperte, aber schaffte die Verarbeitung der 378.000 Bewerbungen auch dank vieler Wochenendeinsätze der Mitarbeiter in der Stiftung. Doch sind fürs Wintersemester siebenmal so viele Bewerbungen eingegangen, wie die Stiftung mitteilte – fast 2,2 Millionen, mehr als je zuvor. Und die soll ein System schaffen, über das der IT-Rat der Stiftung im vergangenen Herbst schonungslos wie nie zuvor geurteilt hatte: Die Software entspreche "nicht mehr dem Stand der Technik". Sie sei "fragil", "schwer wartbar" und "auf Dauer nicht ökonomisch betreibbar". 

 

Das System soll noch vier Jahre
lang durchhalten – irgendwie

 

Da nützt erstmal nicht viel, dass die Wissenschaftsministerien der Länder als Reaktion auf den Bericht des IT-Rates und auf Drängen der neuen Geschäftsführung der Stiftung eine Neuentwicklung in Auftrag gegeben haben – denn die wird erst in vier Jahren fertig sein. Und so lange muss das alte System noch halten – irgendwie. 

 

Am späten Mittwochnachmittag teilte der administrative Geschäftsführer der Stiftung, Oliver Herrmann, mit, die Lage entspanne sich, das Bewerbungsportal könne voraussichtlich in der Nacht zu Donnerstag wieder geöffnet werden. Und er nannte auch den Grund für die Abschaltung des Portals, von der Stiftung euphemistisch "Aufschalten eines Wartungsfensters" genannt. "Die Datenbank", sagt Herrmann, "ist technisch der Masse der Bewerber kaum gewachsen. Es wird alles richtig gerechnet, Bewerber und Hochschulen finden zueinander, aber es dauert viel zu lange." Daraufhin habe man sich notgedrungen entschlossen, das Portal kurzfristig abzuschalten und zu überlegen, wie sich die Datenbank beschleunigen lasse. Das sei jetzt gelungen, sagt Herrmann. "Wir haben eine Lösung gefunden – erstmal."

 

Denn Herrmann will nicht ausschließen, dass es erneut zu Komplikationen kommen kann. Schon am Wochenende soll das System wieder für ein "Wartungsfenster" offline gehen – dann aber vorübergehend und mit Vorwarnung. Die Bewerber werden schon mal auf längere Reaktionszeiten des Portals vorbereitet. Doch Herrmann versichert: Sollte das System jetzt ohne größere Aussetzer weiterlaufen, sei das Zulassungsverfahren in der vorgesehenen Form nicht gefährdet. Auch wenn einzelne Deadlines im Verfahren nach hinten geschoben werden müssten, könnten wie geplant bis zum 30. September alle Zulassungsbescheide erteilt werden – in Medizin und auch in allen anderen Fächern. 

 

Aus den Hochschulen wird bestätigt, dass es schon vor Montag zu massiven technischen Probleme gekommen sei. Teilweise habe das Laden der Seiten im Portal 90 Sekunden in Anspruch genommen. Außerdem seien Bewerber und Hochschulmitarbeiter bereits am Wochenende von einem "Wartungsfenster" überrascht worden, das nicht angekündigt gewesen sei und laut Bewerbern dazu führte, dass eine Annahme des gewünschten Studienangebots nicht möglich gewesen sei. Nach Ende des Wartungsfensters hätten die von der Hochschule gewünschten Bewerbungen dann plötzlich im Status "ausgeschieden" gestanden. Seit der erneuten Portalsperre meldeten sich immer mehr wütende Bewerber, berichten die Hochschulen, die wiederum nicht recht wussten, was sie den Bewerbern sagen sollten. 

 

Holger Burckhart ist Rektor der Universität Siegen und zugleich Vorsitzender des Stiftungsrats, in dem Vertreter von Hochschulen und Wissenschaftsministerien gemeinsam die Aufsicht über die Stiftung führen. Er sagt, er könne alle Sorgen der Bewerber und Hochschulen verstehen und auch ihren Frust. "Doch das oberste Ziel ist eine rechtssichere Vergabe von Studienplätzen, dem ist alles andere untergeordnet, und sei es, dass wir dafür Portalsperren in Kauf nehmen müssen, um das technisch abzubilden."

 

Die Versäumnisse der Vergangenheit
holen die Stiftung ein

 

Die Zahl der Bewerbungen ist im Vergleich zum Vorjahr um mehrere hunderttausend gestiegen, was wegen der Zunahme an Mehrfachbewerbungen auch mit der Medizin-Reform zusammenhängt, ebenso wie die gestiegene Zahl der sogenannten Überbuchungen durch die Hochschulen. Und doch: Dass es überhaupt so schlimm kommen konnte, hat weniger mit dem Medizin-Urteil des Verfassungsgerichts zu tun als mit jahrelangen Versäumnissen in der Stiftung und der verschleppten Reform von "Hochschulstart.de" durch die Politik. Die sogenannte "Dialogorientierte Studienplatzvergabe" (DOSV), vor zehn Jahren gepriesen als die Zukunft, hat die in sie gesetzten Erwartungen nie erfüllt. Genauer sollte man sagen: Die Stiftung hat die Erwartungen nie erfüllt. Weil sich die Politik trotz der Probleme – oder gerade wegen der Probleme – lange Zeit vermieden hat, sich ernsthaft mit der Stiftung zu befassen. 

 

Erst in den vergangenen Jahren und vor allem auf Betreiben einer umtriebigen ehemaligen Wissenschaftsstaatsekretärin aus Brandenburg, Ulrike Gutheil, wurde die SfH grundlegend umstrukturiert, der langjährige Geschäftsführer musste gehen. Seitdem kommuniziert "Hochschulstart.de" die Versäumnisse der Vergangenheit offener –  muss aber auch einräumen, dass die Abhilfe dauert. Und bei der Versorgung von Bewerbern und Hochschulen mit zeitnahen Informationen, wenn das System hakt, hapert es trotz offensichtlicher Transparenz-Bemühungen immer noch. 

 

Geschäftsführer Herrmann sagt, ihm sei durchaus bewusst, dass Hochschulen und Bewerber umfangreiche Informationen erwarteten, erst recht wie im aktuellen Fall einer plötzlichen Portalsperre. "Allerdings konnte die Ursache des technischen Problems erst durch das Wartungsfenster ermittelt werden und eine weitergehende frühzeitige Information am Montag war dadurch faktisch nicht möglich."

 

Zu den wichtigsten Versäumnissen der alten Geschäftsführung gehörte, dass sie sich eng an einen einzigen IT-Dienstleiter gebunden hatte – mit dem Ergebnis, dass man, anstatt Schluss zu machen mit der alten Software, immer weiter versuchte, an ihr herumzudoktern. Das verschlang Zeit, viel Geld und funktionierte am Ende doch nicht richtig. 

 

Ihre vielkritisierte Vergabepraxis
will die Stiftung endlich ändern

 

Die Neuentwicklung des Systems soll jetzt so ausgeschrieben werden, dass keine Abhängigkeit der Stiftung mehr von "von einem oder mehreren IT-Dienstleistern entsteht", wie es im Plan der Geschäftsführung heißt, es müsse jederzeit auf einen Alternativanbieter ausgewichen werden können, gerade "bei schlechter Leistung".

 

Ein Ziel des neuen Vergabeverfahrens formuliert der wackere neue SfH-Geschäftsführer in dem Vorschlag an die im Stiftungsrat sitzenden Hochschulen und Wissenschaftsministerien auch bemerkenswert offen: "Die negative Berichterstattung in der Presse zur Vergabepraxis des SfH" solle "in eine positive Berichterstattung umgewandelt werden", von wegen: echter Wettbewerb statt allzu enges Geschiebe mit einem einzigen Anbieter, der die bisherigen technischen Probleme zumindest nicht hat verhindern können. 

 

Allerdings heißt es, dass ausgerechnet der Geschäftsführer Herrmann nur noch begrenzte Zeit in der Stiftung bleiben wird. Und: Live gehen soll das sogenannte DoSV 2.0 erst zum 1. Oktober 2024. Bis dahin kann und wird vermutlich noch viel schiefgehen. Die SfH-Mitarbeiter sind nicht zu beneiden, sie werden noch viele Sonderschichten schieben müssen, die Folge der jahrelangen Versäumnisse sind. Auch das Zittern bei Bewerbern und Hochschulen wird bis dahin immer mal wiederkommen. Genau wie die Fragen, was das mit der Rechtssicherheit des Verfahrens macht. Positiv ist, dass die Stiftung jetzt einen Plan hat und ihn verfolgt. Und dass zumindest der Stiftungsratsvorsitzende Burckhart bis 2023 an Bord bleiben will, wenn, wie er sagt, "dies gewünscht ist". Fest steht aber auch: Mit der überwiegend positiven Berichterstattung wird es insofern wohl noch etwas dauern. 


Unionsfraktion will 5000 zusätzliche Medizin-Studienplätze

Die Unions-Bundestagsfraktion fordert 5000 zusätzliche Medizin-Studienplätze. In einem gestern beschlossenen Positionspapier heißt es: Zwar verfüge Deutschland über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, das habe die Krise der vergangenen Monate gezeigt, aber über zu wenige Ärzte.

 

Vor dem Hintergrund der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, neuen Arbeitszeitmodellen und der alternden Gesellschaft werde der Bedarf an zusätzlichen Ärzten offensichtlich. Der Mangel sei vor allem auf dem Land spürbar. Zudem müsse jetzt bereits Vorsorge getroffen werden für 2030, wenn die Ärztegeneration der Babyboomer in den Ruhestand gehe. Gleiches gelte für alle weiteren Bereiche des Gesundheitswesens. Die Folgerung: "Wir wollen die Medizinstudienplätze mittelfristig um 5000 aufstocken." 

 

Eine ambitionierte Forderung, die auf eine Steigerung um fast die Hälfte hinausliefe bei derzeit rund 11.000 Studienplätzen. Wie genau das gehen soll, sagt die Unionsfraktion in ihrem Positionspapier nicht – auch über die Finanzierung schweigt sie sich aus. 

 

Berlins SPD-Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach twitterte, mehr Studienplätze in der 

Medizin fände er gut. "Aber wieso hat das CDU-geführte BMBF es dann bei den Bund-Länder-Verhandlungen bisher kategorisch abgelehnt, dies mit aufzunehmen und zusätzlich zu finanzieren?"

 

Tatsächlich streiten Bund und Länder seit Jahren um die Finanzierung zusätzlicher Studienplätze. Krach etwa hatte während der Verhandlungen um den Zukunftsvertrag "Studium und Lehre" vorgeschlagen, im Rahmen des neuen Hochschulpakts eine Kommission zur bundesweiten Ermittlung des Fachkräftebedarfs einzurichten, auch für Medizin, inklusive einer neuen Bewertung in Sieben-Jahres-Abständen. Was damals von Bund und Ländern abgelehnt worden war.

 

Die grüne Obfrau im Gesundheitsausschuss des Bundestages, Kirsten Zappert-Gonther, sagte, es sei zu kurz gesprungen, zur Bewältigung des Mangels einseitig auf die Schaffung neuer Medizinstudienplätze zu setzen. "Die Bundesregierung muss nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen endlich Aufgaben und Tätigkeiten übertragen, die ohnehin schon längst Teil ihrer Ausbildung sind." Die zunehmende Akademisierung der Heilberufe berge hier ungehobene Schätze.