BMBF-Chefin Anja Karliczek ist stolz auf das Laptop-Sofortprogramm. Wie die Länder die 500 Bundesmillionen an die Schulen verteilen, weiß sie allerdings nicht genau.
GIBT DIE BUNDESREGIERUNG eine Menge Geld aus und erfährt erst mit vielen Monaten Verzögerung, was die Länder damit machen? Und – noch schlimmer – hat sie die Kontrolle auch noch freiwillig aus der Hand gegeben? So sieht es zumindest die grüne Bildungspolitikerin Margit Stumpp.
Sie hatte im Rahmen einer kleinen parlamentarischen Anfrage wissen wollen, wieviel von den 500 Millionen Euro für Schüler-Endgeräte schon in den Schulen angekommen sind. Der GroKo-Koalitionsausschuss hatte das Sofortprogramm Ende April beschlossen, zur Umsetzung hatten Bund und Länder eine Zusatzvereinbarung zum Digitalpakt ausgehandelt, die Anfang Juli in Kraft trat. Mit dem Geld sollen die Schulträger Laptops und Tablets anschaffen und sie an Schüler verleihen, deren Familien ihnen nicht selbst ein Gerät kaufen können.
Der parlamentarische Staatssekretär im BMBF Thomas Rachel (CDU) teilte nun in der Antwort der Bundesregierung mit: Sie kennt den genauen Stand der Umsetzung des Programms nicht. Zwar müssten die Länder Richtlinien zur Verwendung ihres Anteils erstellen, doch sei "aus Gründen der Beschleunigung des Mittelabflusses" darauf verzichtet worden, dass die Länder ihre Richtlinien vor Veröffentlichung mit dem Bund abstimmen. Mit dem Ergebnis, dass das BMBF offenbar nur auf inoffiziellem Weg und möglicherweise nicht vollständig mitbekommt, welche Länder bereits Regelungen erlassen haben. Als Länder, die nach Kenntnissen der Bundesregierung Richtlinien erlassen hätten, nennt Rachel Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen. Der BMBF-Staatssekretär betont: Die Detailbestimmungen oblägen bei Finanzhilfen nach Artikel 104 des Grundgesetzes "nicht der Kontrolle oder Bewertung durch den Bund".
Margit Stumpp, Sprecherin ihrer Fraktion für Bildungspolitik, wirft Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) vor, sie mache es sich zu einfach, "indem sie das Geld, das ohne ihr Zutun vom Koalitionsausschuss bereitgestellt wurde, an die Länder weiterreicht und sich danach nicht für zuständig erklärt." Ein solches Verhalten sei in Zeiten einer Pandemie und eines Schulnotstandes "einer Bundesministerin unwürdig". Zudem belege auch die Regierungsantwort auf ihre Anfrage, dass der aktuelle Bildungsföderalismus "weder krisenfest noch zukunftsfähig" sei.
Offizielle Zahlen gibt es
erst im Frühjahr 2021
Handelt es sich wirklich um ein bewusstes Verhalten der Ministerin, oder sind Karliczek vom Grundgesetz her schlicht die Hände gebunden?
Fest steht: Wie wenig das BMBF zum Thema schulische Endgeräte weiß, zeigen auch die weiteren Antworten Rachels auf die Anfrage. So schreibt der Staatssekretär, über die Zahl der benötigen Endgeräte lägen der Bundesregierung keine Daten vor, obgleich es in einzelnen Ländern entsprechende Bedarfsabfragen gegeben habe. Und konkrete Angaben über Mittelabflüsse müssten die Länder gemäß Vereinbarung erst zum 31. Dezember 2020 machen, sie würden dem Bundestag dann bis zum 15. März 2021 gemeldet.
Tatsächlich legen Berichte aus verschiedenen Kultusministerien nahe, dass im Gegensatz zum bislang extrem zögerlichen Abfluss aus dem regulären Digitalpakt die Millionen im Sofortprogramm nur so zu flutschen scheinen. Laut Sofortprogramm-Vereinbarung können die Länder alle seit Beginn der Schulschließungen im März für Schüler angeschafften Endgeräte über ihren Anteil an den 500 Millionen abrechnen und sie ab dem 4. Juli an Schüler ausleihen.
Zum Beispiel teilte Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) vergangene Woche mit, dass bereits mindestens 80 Prozent der fürs Land vorgesehenen Fördersumme plus Länderanteil an die Schulträger überwiesen worden seien. Wo Probleme auftauchen, liegen diese diesmal weniger in administrativen Hürden als in Lieferschwierigkeiten der Tech-Unternehmen begründet. Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) etwa berichtet, die Kommunen seines Landes hätten 60.000 Endgeräte angeschafft – ausgeliefert wurde aber offenbar bislang nur jedes fünfte. Bremen wiederum will sämtliche Schüler im Bundesland mit Tablets ausstatten, die erste Tranche von 30.000 Geräten geht derzeit an benachteiligte Kinder und Jugendliche – teilweise finanziert aus dem Sofortprogramm.
Warum nur teilweise? Weil, auch das gehört zur Vereinbarung, Bund und Länder bei der Verteilung der 500 Millionen nicht die tatsächliche Bedürftigkeit der Schüler für die Anschaffung der Geräte zu Grunde gelegt haben, sondern den sogenannten Königsteiner Schlüssel, der sich maßgeblich nach der Gesamtzahl der Einwohner bemisst – mit dem Ergebnis, dass zum Beispiel Baden-Württemberg pro armem Schüler mehr als dreimal so viel für Endgeräte ausgeben kann wie Bremen und Bremerhaven.
"Auf die Schnelle Geld
mit der Gießkanne"
Die armen Bundesländer hatten diese Vereinbarung nur zähneknirschend mitgetragen. Bremens SPD-Bildungssenatorin Claudia Bogedan etwa sagte im Juli: "Es ist ja noch schlimmer. Als die Idee mit den 500 Millionen aus dem GroKo-Koalitionsausschuss kam, stand noch die Voraussetzung der sozialen Bedürftigkeit drin. Davon ist in der neulich geschlossenen Bund-Länder-Vereinbarung nicht viel übriggeblieben."
Dass die reichen Länder sich nicht gegen den auch bei anderen Bund-Länder-Programmen verwendeten Königsteiner Schlüssel stemmen würden, war klar. Aber warum habe sich nicht wenigstens Ministerin Karliczek dafür stark gemacht, dass die Zuteilung an die armen Schüler wie ursprünglich geplant über ihre Berechtigung auf Leistungen aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket gelaufen wäre, fragt die Grünen-Politikerin Stumpp. Genau hier hätte sie vom Grundgesetz her sehr wohl Spielraum gehabt. "Es ist fatal, dass das Geld nicht dort ankommt, wo es tatsächlich und dringend benötigt wird, nämlich in Schulen mit multiplen Problemlagen. So wird nun einmal mehr auf die Schnelle Geld mit der Gießkanne – im Beamtendeutsch Königsteiner Schlüssel genannt, verteilt, ohne auf die Bedürftigkeit Rücksicht zu nehmen." Das sei eine "vertane Chance". Außerdem entziehe sich der Bund über das Einmal-Programm der notwendigen Debatte über eine angemessene Dauerberücksichtigung von Endgeräten im Bildungs- und Teilhabepaket.
Die Bundesregierung hält dagegen: Die im Sofortprogramm gefundene Regelung habe in der Corona-Pandemie den Vorteil, dass die Schulen flexibel auf die sich verändernden Unterrichtsbedingungen vor Ort reagieren könnten. Außerdem hätten sie "neben sozialen auch anhand von pädagogischen Kriterien einen direkten Überblick", welche Schüler zu Hause keine Endgeräte nutzen könnten und deshalb besonders auf Unterstützung angewiesen seien, um das Erreichen der Unterrichtsziele nicht zu gefährden, schreibt BMBF-Staatssekretär Rachel.
Mit anderen Worten: Der Bund verlässt sich darauf, dass die Länder und in den Ländern die Kommunen und Schulträger es schon richtig machen – und wartet geduldig darauf, von ihnen irgendwann berichtet zu bekommen, was sie mit seinem Geld angefangen haben.
"Wenigstens", sagt Margit Stumpp, "scheinen die Bundesländer die Gelder aus dem Sofortprogramm schneller auszugeben, als die Bundesbildungsministerin das mitbekommt."
Laptops, Tablets und der Hartz-IV-Regelbedarf
Wo bekommen arme Kinder die nötige technische Ausstattung für den Unterricht?
Die im Mai 2019 besiegelte Digitalpakt-Vereinbarung sieht bereits vor, dass die Länder bis zu 20 Prozent der 5,5 Milliarden Euro für (schulgebundene) Laptops und Tablets ausgeben können – aber erst, wenn die Infrastruktur in den Schulen entsprechend ausgestattet ist. Einen speziellen Bezug zur Bevorzugung sozial benachteiligter Kinder fehlt hier.
Das 500-Millionen-Sofortprogramm wiederum lässt, siehe oben, den Ländern und Schulträgern in der Verteilung der Leihgeräte ebenfalls viel Spielraum. Außerdem handelt es sich bei allen Digitalpaktausgaben um Einmal-Investitionen.
Weil das so ist, hatte das Land Berlin Anfang Juli einen Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht. Der Bundesrat solle die Bundesregierung auffordern, "sicherzustellen, dass bei Schülerinnen und Schülern im Leistungsbezug zukünftig die Anschaffung eines digitalen Endgerätes berücksichtigt wird." Kinder von Sozialleistungsbeziehern sollen also die Anspruchsberechtigten sein.
Weiter führte der Berliner Senat aus: Es lägen inzwischen mehrere Urteile von Sozialgerichten vor, die Laptops oder Tablets für leistungsberechtigte Schüler als notwendigen Bedarf anerkennen. Dies müsse jetzt auch gesetzlich klargestellt werden.
Das Bundesrats-Plenum verwies den Entschließungsantrag zur weiteren Beratung in den zuständigen Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik.
Noch bevor der Bundesrat sich überhaupt entschieden hat, die Bundesregierung aufzufordern, hat diese – zumindest das BMBF – dazu schon eine klare Position.
So habe das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes am 22. Mai 2020
zwar entschieden, dass die Anschaffung eines internetfähigen Computers "zur Teilnahme am pandemiebedingten häuslichen Schulunterricht" grundsätzlich einen anzuerkennenden Mehrbedarf darstelle.
Doch, so betont BMBF-Staatssekretär Rachel in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage Stumpps: "Anders als vom Landessozialgericht angenommen, sind internetfähige Computer (Hardware und Software) sowie Zubehör bereits im Regelbedarf berücksichtigt". Allerdings, weil nicht zwischen "privaten" und "Schulcomputern" unterschieden werde, im Ausgabenposten "Freizeit, Kultur und Unterhaltung". Das wiederum habe zu der (nach Darstellung des BMBF offenbar falschen) Schlussfolgerung des Sozialgerichts geführt.
Außerdem handele es sich bei einem Schulcomputer nicht um einen laufenden (also wiederkehrenden), sondern um einen einmaligen Bedarf, weil seine Anschaffung üblicherweise nicht mehrmals anfalle.
Das Signal ist klar: Anja Karliczeks Ministerium sieht offenbar weder die rechtliche noch die politische Notwendigkeit, den Regelbedarf zugunsten der Ausstattung ärmerer Schüler mit digitalen Endgeräten anzupassen.
Nur kurz zur Info: In Abteilung 9 der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), über die der Regelbedarf ermittelt wird, stehen pro Monat für 6- bis 14 Jahre alte Kinder und Jugendliche derzeit insgesamt 43,92 Euro. Davon sollen sämtliche anfallenden Ausgaben für Freizeit, Unterhaltung und Kultur bezahlt werden – und, so das BMBF, auch das für den Schulunterricht benötigte mobile Endgerät. In Abteilung 10 ("Bildung") stehen übrigens 55 Cent – ebenfalls pro Monat.
Es wird spannend, ob a) der Entschließungsantrag Berlins im Bundesrat eine Mehrheit findet und falls ja, ob der Bundesrat b) Karliczek und ihren Kollegen, Sozialminister Hubertus Heil (SPD), zum Umdenken bringen kann.
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Simone Darro (Freitag, 04 September 2020 13:09)
Ist die Nennung des Art. 104 GG (Freiheitsentziehung) ein subtiler Hinweis darauf, was mit den Politikern geschehen sollte, die solche Regelungen treffen? Oder ist es schlicht ein Versäumnis, hinter die 104 ein "c" zu setzen?