Hochschulen saßen laut Bericht 2018 auf 3,7 Milliarden Euro Ausgabenresten. Drohen Konsequenzen auch für den Zukunftsvertrag?
DER BUNDESRECHNUNGSHOF schlägt dem Bundestag vor, wegen Fehlentwicklungen beim Hochschulpakt die Auszahlung weiterer Tranchen an die Länder vorerst zu sperren. Angesichts von milliardenschweren Ausgabenresten erscheine eine zweckentsprechende Verwendung der Bundesmittel unrealistisch. Pikant ist auch, dass der Rechnungshof für das Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" befürchtet, dass auch dessen Mittel "nicht bedarfsgerecht zugewiesen" werden könnten. Das BMBF hatte demgegenüber stets betont, dass beim Zukunftsvertrag derlei nicht mehr möglich sein werde.
In seinem gestern an den Haushaltsausschuss des Parlaments verschickten Bericht kommt die Kontrollinstanz zu dem Ergebnis, dass der milliardenschwere Hochschulpakt über eine Vielzahl von Einzelprogrammen, verbunden mit der teilweisen Integration der Paktmittel in die Grundfinanzierung der Länder, so unüberschaubar geworden sei, dass sich der Kern des Bund-Länder-Programms– die Finanzierung zusätzlicher Studienanfängerplätze und die Ermöglichung eines hochwertigen Studiums – "bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst" habe.
Für 2018 beziffert der Rechnungshof die gemeldeten Ausgabenreste – also die nicht ausgegebenen Pakt-Gelder auf knapp 3,7 Milliarden Euro. Und die Prüfer fügen hinzu: "Da die Angaben nicht alle Hochschulpakt-Mittel umfassten, dürfte die Ausgabenreste tatsächlich sogar noch höher sein."
Schon in einem Bericht an den Haushaltsausschuss im vergangenen Jahr hatte der Rechnungshof massive "Fehlentwicklungen, Verstöße und Intransparenz" beim Hochschulpakt kritisiert. Die Koalitionsfraktionen hatten daraufhin die weitere Untersuchung in Auftrag gegeben. Haushalts-Politiker verschiedener Fraktionen teilten heute mit, dass die aktuelle Einschätzung des Rechnungshofes womöglich schon übernächste Woche auf die Agenda im Ausschuss kommen wird.
Das BMBF wies die im neuen Bericht gemachten Vorwürfe in einer Stellungnahme für den Rechnungshof zurück.
Prüfer: Ein bloßer Mitteltransfer vom Bund zu den
Ländern war nicht das Ziel des Hochschulpakts
Die Prüfer halten dennoch an ihrer Einschätzung fest: Das Bundesbildungsministerium habe es versäumt, den Fehlentwicklungen in dem Programm früh genug entgegenzutreten und seine Zielerreichung konsequenter zu überwachen. So jedoch werde der Hochschulpakt lediglich zu einem Mitteltransfer vom Bund zu den Ländern – "und dies ist nicht das Ziel des Hochschulpakts". Wenn dies so gewollt sei, wären andere Förderformate wirtschaftlicher.
Das BMBF müsse die Ausgabenreste nicht nur vollständig erfassen, sondern auch sicherstellen, dass sie auch die Gegenfinanzierung der Länder mit einbeziehe, verlangt der Rechnungshof. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Hochschule mit den Pakt-Geldern Ausgaben bestreiten würden, die eigentlich aus ihrem Grundhaushalt zu finanzieren wären – womit sie zwar nominal die Ausgabenreste beim Hochschulpakt sänken, tatsächlich jedoch lediglich mehr Rücklagen bei ihren globalen Grundmitteln bilden würden.
So umfassten die von den Ländern berichtete Ausgabenplanungen für die Restmittel "in beachtlichem Umfang" Maßnahmen des Hochschulbaus, was laut Rechnungshofprüfern den Bund-Länder-Vereinbarungen zur föderalen Finanzverantwortung widerspreche. Das BMBF müsse dafür sorgen, dass die entsprechenden Pläne so nicht umgesetzt würden.
Der Rechnungshof berichtet weiter, dass einige Bundesländer bezweifelten, dass der Bund überhaupt die bis zum Jahr 2023 nicht vertragsgemäß ausgegebenen Hochschulpakt-Mittel zurückfordern dürfe. Womit die Länder sogar nach Einschätzung der Rechnungsprüfer Recht haben könnten, denn wie es im Bericht heißt: "Es erweist sich als ein Versäumnis, dass der Hochschulpakt keine entsprechenden Haftungstatbestände enthält." Das Ministerium von Anja Karliczek dürfe deshalb "nicht daran nachlassen", bis zur nächsten Mittelzuweisung rechtssichere Möglichkeiten für Rückforderungen zu finden.
BMBF: Der Zukunftsvertrag verhindert
Tricksereien in den Ländern
Womit der Rechnungshof bei seiner Kernforderung angekommen ist: Weil die Rückzahlungen fraglich seien und zugleich das Ende des Hochschulpaktes bevorstehe, seien weitere Überzahlungen schon von 2021 an zu vermeiden. Das Mittel der Wahl, das die Prüfer dem Bundestag deshalb vorschlagen: die Gelder "qualifiziert zu sperren" und sich in der Höhe der Sperrungen an den vorhandenen Ausgabenresten zu orientieren.
Genauso war der Haushaltsschuss bislang bei den Betriebsmitteln der Helmholtz-Zentren vorgegangen. Aktuell sind noch bei fünf Zentren Teile der Gelder für 2020 gesperrt.
Das BMBF teilte dem Rechnungshof mit, es sehe nicht, dass die Länder sich aus ihrer Finanzverantwortung zögen. Die Regelungen vom künftigen Zukunftsvertrag verhinderten zudem zukünftige Einsparungen der Länder bei der Grundfinanzierung.
In Bezug auf den Hochschulpakt führt der Rechnungshof dennoch weiter aus: "Weitere Bundesmittel könnten den Ländern nur dann zugewiesen werden, wenn sie notwendig sind und die Ausgabenplanungen den Zwecken des Hochschulpakts entsprechen." Explizit weist der Bericht darauf hin, dass die Hochschulpakt-Gelder für die Jahre 2021 bis 2021 zur Ausfinanzierung der im Jahr 2020 zusätzlich eingerichteten Studienplätze dienten – und keine darüberhinausgehenden Aufnahmen neuer Studierenden oder etwa "einen nachholenden Kapazitätsaufbau" zuließen.
Für den Zukunftsvertrag fordert der Rechnungshof das BMBF auf, konsequent auf den vereinbarte Regeln zur Transparenz und Nachverfolgbarkeit der Gelder zu bestehen. "Andernfalls wären auch Haushaltszuwäche aus dem Hochschulpakt nicht mehr erkennbar und drohten verloren zu gehen." Die Länder müssten genau ausweisen, wie sich die Grundfinanzierung parallel zum Zukunftsvertrag entwickeln, sie müssten weiter über die Ausgabenreste an den Hochschulen berichten – und das BMBF müsse dies "sorgfältig beobachten".
Letztes Mittel
Nachverhandlungen?
Weil aber der Zukunftsvertrag in seiner Zielsetzung so breit und offen angelegt sei, was der Rechnungshof schon in der Vergangenheit kritisiert hatte, werde genau diese Beobachtung und Auswertung der Mittelverwendung in den Ländern für den Bund schwierig, warnen die Prüfer.
Da der Bund über den Zukunftsvertrag künftig dauerhaft an der Grundfinanzierung der Hochschulen beteiligt sei, müsse er sich auch ein umfassendes Bild von deren Finanzlage machen können. Dies sei bei den bisher bestehenden Haushalts- und Wirtschaftsplänen jedoch nicht möglich. Das BMBF müsse die Jahresabschlüsse der Hochschulen auswerten und von den Ländern einheitliche Regeln zumindest für die Bilanzierung der gemeinsamen Bund-Länder-Finanzierung fordern. Auch müssten die Jahresabschlüsse der Hochschulen veröffentlicht werden – der Rechnungshof empfiehlt sogar, dies zu einer "grundsätzlichen Voraussetzung" für die Zuweisung von Bundesmitteln zu machen.
Sogar Nachverhandlungen beim Zukunftsvertrag fordern die Kontrolleure, falls sich erweise, dass die Länder nicht entsprechend den vereinbarten Zukunftsvertrags-Zielen handelten. Auch bei seiner Berichterstattung über den Zukunftsvertrag dürfe sich der Bund nicht mehr damit begnügen, "schlicht die Einschätzung der Länder wiederzugeben". Er müsse auch eine eigene Bewertung erstellen und abgeben.
Haushaltspolitiker: "Dürfen das so
nicht weiterlaufen lassen"
Der Rechnungshof schließt mit dem Plädoyer: "Bevor die Länder weitere Forderungen zur Finanzierung und Förderung der Hochschulen an den Bund richten, müssen sie aufzeigen, in welchem Maße sie die Hochschulen auskömmlich finanzieren. " Dies hätten im vergangenen Hochschulpakt-Jahrzehnt aber nur einzelne Länder systematisch getan.
Die grüne Haushaltspolitikerin Ekin Deligöz sagte, für den Haushaltsauschuss seien solche Rechnungshof-Berichte nur sehr schwer verdaulich. Das BMBF komme seiner Verantwortung für eine gute Finanzkontrolle überhaupt nicht nach. "Es ist seit Jahren bekannt, dass die Mittelverwendung des Hochschulpakts nicht transparent nachvollzogen werden könnten." Das BMBF habe es mehrfach versäumt, auf eine einheitliche und transparente Hochschulrechnung hinzuwirken. "Die Länder nutzen die Trägheit des BMBF ungeniert aus." Ministerin Karliczek müsse endlich "aus ihrem Trott herauskommen" und klare Vorgaben an die Länder machen. Der Haushaltsauschuss müsse seinerseits nun ernsthaft in Erwägung ziehen, die Ausgabenreste zu sperren, "bis die Länder zweifellos darlegen können, dass die Mittel auch zweckentsprechend verwendet werden."
Der SPD-Haushälter Swen Schulz sagte in einer ersten Reaktion: "Der Bericht wird für intensive Diskussionen sorgen. Ich glaube nicht, dass wir das wie bisher weiterlaufen lassen dürfen."
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tutnichtszursache (Donnerstag, 24 September 2020 11:07)
"Jahresabschlüsse der Hochschulen" - existiert derlei überhaupt? Ich saß einmal mit hochrangigen Ministerialen zusammen und fragte, ob das Jahresbudget einer großen Uni bekannt sei.
Großes Gelächter.
"Niemand hat einen Überblick über die Gesamtfinanzen einer Hochschule, inkl. Personal, Liegenschaften und allem, was dazugehört."
Finanzer (Freitag, 25 September 2020 08:48)
Ich kenne den Bericht nicht, nur diesen Artikel und was im Spiegel am 23.9. geschrieben steht. Jedoch ist für mich absehbar, dass diese Debatte zu undifferenziert geführt werden wird. Vieles ist sicher richtig beschrieben und ob das BMBF die Erwartungen des Haushaltsausschusses erfüllt hat, müssen andere bewerten. Jedoch sind alle hier wiedergegebenen Vorwürfe gegenüber den Ländern und den Hochschulen sehr alarmistisch und inhaltiche zu kurz gefriffen und sollten für ein Urteil genauer betrachtet werden. Ich greife drei Punkte exemplarisch heraus. 1. "Angesichts von milliardenschweren Ausgabenresten erscheine eine zweckentsprechende Verwendung der Bundesmittel unrealistisch." Ein "Ausgabenrest" ist eine kamerale Idee (verständlich für die Sicht des BRH). Nur weil noch "Mittel" auf (Bank)Konten liegen, heisst es nicht, dass es Reste sind. Die Hochschulen buchen kaufmännisch und bilden auch Rücklagen für bestimmte Zwecke, die sehr wohl dem Verwendungszweck des Hochschulpaktes (HSP) entsprechen können. Die Summe der sog. Restmittel ist also genau zu differenzieren. Interessant ist, was bisher nicht verplant ist. 2. Der vorgenannte Punkt verweist auch auf ein zweites sehr wichtiges Thema: die zeitliche Dimension des Mitteleinsatzes. Die Vorstellung, dass die überwiesenen Mitteln zeitnah bzw. bis Ende 2023 komplett für die gewünschten Ziele eingesetzt werden können, ist ein Konstruktionsfehler im HSP III. Insb. Investitionen, welche die Rahmenbedingungen für ein Studium verbessern können, brauchen zeitlichen Vorlauf. Bsp. braucht die flächendeckende Verbesserung der technisches Infrastruktur eines Campus (z.B. durch W-Lan mit hoher Bandbreite) einige Jahre. Gerade in Zeiten, in denen alle Fachfirmen und Handwerker volle Auftragsbücher haben, sind solche Ausgaben nicht zeitnah möglich. Die vielleicht zum Teil hektische Verausgabung der Mittel hat der BRH mit seinem letzten Bericht an den Haushaltsausschuss noch befeuert. Im Nachgang mussten alle Bundesländer deutlich auf die zeitnahe Verausgabung der Mittel drängen. 3. Ein weiterer Knackpunkt ist, was überhaupt eine zweckentsprechende Mittelverwendung ist. Die Bedingungen, mit denen die Mittel durch Bund und Land zugewiesen werden, sind bewußt offen gehalten, da nur die Hochschule selber entscheiden kann, was zu einer Verbesserung der Studienbedingungen führt. Was ist z.B. mit einem Fahrradständer? Oder der im Spiegel Artikel erwähnten Tribühne für ein Studierendentheater? Warum sollte das nicht dem Zweck entsprechend? Wo steht das? Die Kritik des BRH setzte hier ein eigenes Verständnis des Zweckentsprechenden Mitteleinsatzes voraus. Ob das BMBF und die zuständigen Ministerien der Länder das auch so sehen, wäre zu erörten. Aus den Verträgen ergibt es sich jedenfalls nicht explizit. Zusammenfassend würde ich also zur Gelassenheit und einer (wie immer nötigen) differenzierten Betrachtung raten. Die mit der Berichterstattung implizierte Problematik ist vielfältig. Eine Debatte dazu sicher gut. Vor allem, um die Allokation der Steuergelder im Sinnde der Studierenden zu verbessern. Zu beachten ist jedoch auch: Eine Bedarfsplanung gibt es nicht. Noch nicht mal eine einheitliche Sicht auf die Bedarfe. Das alles im Nachgang zu kritisieren, ist leicht.