Aktuelle Zahlen belegen: Jüngere stecken sich vergleichsweise seltener an, bei den Älteren steigen die Neuinfektionen dagegen mit großer Dynamik.
ES IST NICHT ALLES SCHLECHT. Ich meine den Blick auf die aktuelle Corona-Statistik. Die Zahl der gemeldeten Fälle steigt wieder, aber sie steigt immer noch relativ verhalten – vor allem vor dem Hintergrund der Dynamik in Frankreich, Spanien oder auch Tschechien und Österreich (die Liste ließe sich verlängern). Und auch wenn man angesichts der aufgeregten Debatte einen anderen Eindruck bekommen könnte: Besonders die Pandemie-Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen ist vergleichweise ermutigend. Das Gegenteil, und das ist das Besorgniserregende, gilt für die Gruppe der über 60-Jährigen.
Keine exponentielle
Entwicklung
Deutschland ist derzeit zum Glück und anders als im Frühjahr noch weit von einer exponentiellen Entwicklung der gemeldeten Neuinfektionen entfernt. Weshalb man bisher nicht wirklich von einer zweiten Welle sprechen sollte. Trotzdem führt auch ein allmählicher Anstieg dazu, dass die Nachverfolgung von Infektionswegen immer schwieriger wird – weswegen die zweite Welle dann doch in absehbarer bevorstehen könnte. Es sei denn, die Menschen ändern ihr Verhalten.
Jedenfalls wurde in der vergangenen Kalenderwoche (38) nach aktuellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) 12.058 neue Fälle registriert, das sind 2355 oder 24,3 Prozent mehr als in der Kalenderwoche zuvor. Ähnliche Wachstumsraten hatte es bereits zwischen Mitte Juli und Mitte August gegeben, bevor die Zahlen zwischendurch stagnierten und dann sogar leicht zurückgingen. Die heute gemeldete 7-Tages-Inzidenz ist sogar etwas günstiger mit gut 20 Prozent Zuwachs im Vergleich zur Vorwoche – was unter anderem daran liegt, dass ein paar Fälle weniger als am 16. September gemeldet wurden. Nochmal: Es sind gerade Tage und Wochen, die darüber entscheiden, wie heiß der Corona-Herbst wird. Wir haben es – noch – selbst in der Hand.
Kinder und Jugendliche sind seit Wochen unterdurchschnittlich betroffen – inzwischen deutlich
In der Kalenderwoche 38 registrierte das RKI 1132 infizierte 0- bis 14-Jährige, 85 mehr als in der Vorwoche. Das ist ein extrem erfreulicher Wert, bedeutet er doch, dass Kitas und Schulen (von den bei knapp 100.000 Einrichtungen unvermeidlichen Einzelfällen) weiter keine Hotspots sind. Der Anteil der erkrankten Kinder und Jugendlichen sinkt seit Wochen stetig von 15,5 Prozent (Kalenderwoche ab 10. August) auf jetzt nur noch 9,4 Prozent. Zum Vergleich: Ende 2019 gab es 11,4 Millionen Unter-15-Jährige in Deutschland, was 13,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung entsprach. Parallel zum drastischen Rückgang des Anteils und – im Vergleich Anfang August auch immer noch – der absoluten Zahl nachweislich neuinfizierter Kinder und Jugendlicher liefen die Kitas und Schulen überall im Land an. Es wäre gut, wenn dies auch Kommunalpolitiker und Gesundheitsämter zur Kenntnis nehmen würden, anstatt als Reaktion auf explodierende Corona-Zahlen doch wieder präventiv alle Kitas und Schulen zu schließen. So geschehen gerade in Bad Königshofen in Bayern – als Reaktion auf den Corona-Ausbruch nach einer Hochzeitsfeier. Läden und Restaurants durften übrigens offenbleiben. Auch Alkohol durfte weiter ausgeschenkt werden.
Die Dynamik bei den Älteren
ist besorgniserregend
Innerhalb von nur 14 Tagen hat sich die Zahl der nachweislich neuinfizierten Über-60-Jährigen in absoluten Zahlen mehr als verdoppelt: von 665 auf 1566 in der vergangenen Woche. Der Anteil an allen Neuinfektionen stieg von 7, 7 auf 13,0 Prozent. Noch dramatischer ist, dass sich die Zahl der Positivgetesteten über 70-Jährigen im selben Zeitraum fast verdreifacht hat, immerhin noch ausgehend von einem niedrigen Niveau (293) auf jetzt 798. Diese Entwicklung muss dringend gestoppt werden, denn wie Charité-Chefvirologe Christian Drosten erst heute Morgen auf Twitter betonte: "Wenn sich wieder vermehrt ältere Menschen anstecken, werden wieder mehr schwere Fälle und Todesfälle auftreten."
Noch bleiben die Krankenhauseinweisungen insgesamt auf extrem niedrigen Niveau (437 in der vergangenen Woche), auch die Zahl der Verstorbenen klettert bislang nicht. Wie stark sich die Demografie des Coronavirus in Deutschland gerade ändert, zeigt indes der Vergleich zu Mitte August. Da stellten die Unter-30-Jährigen genau 50 Prozent der Neuinfizierten. Jetzt sind es noch 42 Prozent. Fünf der acht Prozentpunkte wanderten zu den Über-60-Jährigen.
Wie geht es weiter?
Im Augenblick kann das keiner sagen. Noch ist es warm und trocken draußen. Deshalb ist es ja überhaupt besorgniserregend, dass die gemeldeten Neuinfektionen bereits jetzt
wieder steigen. Denn die richtige Dynamik dürfte sich erst in der kalte Jahreszeit entwickeln, wenn sich das Leben zwangsläufig stärker nach innen verlagert. Das Ziel von Politik und
Gesundheitsbehörden muss darin bestehen, den Anstieg solange wie möglich zu bremsen. Absehbar ist allerdings, dass im späteren Herbst die Neuinfektionen stark zunehmen werden. Doch
sollten allein daraus keine politischen Entscheidungen abgeleitet werden. Die wichtigeren Indikatoren sind, wie sich die Zahl der ins Krankenhaus eingewiesenen, der beatmeten und
verstorbenen Patienten entwickelt. Gerade im Herbst und Winter wird es wichtig, mit kühlem Kopf zu handeln – und alle Maßnahmen auf die Empirie zu stützen.
Kommentar schreiben