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Corona-Krise = Krise des studentischen Engagements?

Nachhaltige Hochschulen leben von der ehrenamtlichen Mitarbeit
der Studierenden. Doch die wird durch die Pandemie ausgebremst.
Ein Gastbeitrag von Jana Holz und Marcus Lamprecht.

Screenshot der Konferenz-Website des European Forum on Science & Education for Sustainability (#EFSES2020), die heute aus Berlin gestreamt wird.

DIE AUSWIRKUNGEN der Corona-Pandemie auf das Bildungssystem sind enorm und bereits vielfältig diskutiert worden. Von Stand und Sinnhaftigkeit digitaler Bildung über die finanziellen Nöte der Studierenden bis hin zur Gefahrenbeurteilung bei Präsenzveranstaltungen. Mit am stärksten bremst das Leben unter Corona-Bedingungen allerdings das studentische Engagement aus. 

 

Mit dem Wegfall der Hochschulen als physischer Ort des Austausches, der akademischen Begegnung und der offenen Diskussion verändern sich auch die Möglichkeiten und die Rahmenbedingungen von Mitbestimmung an Hochschulen. Dabei geht es uns nicht um Selbstverständlichkeiten, etwa die Einbindung gewählter Studierendenvertreter*innen in Entscheidungen der Hochschule im Rahmen digitaler Sitzungen.

 

Wir meinen die existentiellen Schwierigkeiten, vor denen studentisches Engagement im Moment steht. Für studentische Initiativen und Hochschulgruppen ist es schwieriger, ihre Mitglieder aktiv zu halten, neue Projekte zu starten oder gar neue Mitglieder zu gewinnen. Durch die beachtlichen finanziellen, emotionalen und sozialen Belastungen, denen Studierende in der Corona-Krise (auch wegen der unzureichenden Abfederung durch die Politik) ausgesetzt sind, rücken Engagement und Ehrenamt in den Hintergrund. Sie werden zu weiteren Telefonkonferenzen und Emails unter vielen. Die sozialen Momente, spontane Interaktionen und der Eifer, vor Ort gemeinsam etwas zu verändern, von denen das Engagement und die Motivation maßgeblich leben, lassen sich kaum in den digitalen Raum verlegen. 

 

Die Corona-Krise als Krise
der Hochschuldemokratie

 

Die Corona-Krise ist insofern auch eine Krise der Hochschuldemokratie und der politischen Bildung von Studierenden. Denn so hervorragend Lehre und Forschung auch sein mögen, die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung an Hochschulen geschieht vornehmlich durch das ehrenamtliche Engagement von Studierenden und Mitarbeitenden. Und genau dieses studentische Engagement ist zu einem großen Teil weggebrochen. >>


Jana Holz promoviert in Soziologie an der Universität Jena und ist Vorstandsmitglied und Sprecherin im netzwerk n e. V. Außerdem ist sie Mitglied der Nationalen Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung und Co-Vorsitzende des Fachforums Hochschule. Foto: privat.

Marcus Lamprecht studiert Politikmanage-ment, Public Policy und öffentliche Verwaltung an der Universität Duisburg-Essen und war 2018/19 Vorstandsmitglied des freien zusammenschlusses von student*innenschaften. Er vertritt den fzs im Fachforum Hochschule. Foto: privat.



>> Gerade der Einsatz für nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz in Forschung, Lehre, Governance, Betrieb und Transfer der Hochschulen leidet. Studierende konnten in der Vergangenheit konkrete Nachhaltigkeitsprojekte realisieren: von den ersten Semestertickets in den 1990er-Jahren über Green-Office-Initiativen und Foodsharing-Kooperationen hin zu Ringvorlesungen und ganzen Nachhaltigkeitsmodulen in jüngster Zeit. Im vergangenen Jahr haben Schüler*innen und Studierende über Fridays for Future die Forderungen nach einer gesamtgesellschaftlichen Transformation lautstark auf die Straße, in die Vollversammlungen und in die Köpfe getragen. Angesichts dieser so großen Bedeutung von Engagement im Bildungsbereich gilt es alles zu tun, um es auch in Zeiten digitaler Hochschulen abzusichern und zugleich auf ein langfristiges Fundament zu stellen. 

 

Studierende als Mitgestalter*innen
ihrer Lebensräume und Zukünfte

 

Einen wichtigen Beitrag dazu kann "Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE) als Prinzip leisten, an dem sich Inhalte, Form und Aufbau der universitären Lehre orientieren sollten. BNE setzt die Befähigung von Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln als Ziel der Bildung fest und orientiert sich an den Sustainable Development Goals (SDG).

 

Im Sinne der BNE sind Studierende Mitgestalter*innen ihrer Lebensräume und Zukünfte – und damit auch ihrer Hochschule. Hochschulen werden verstanden als Räume für gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die in Gesellschaft hineinwirken. Gemeinsam mitpolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteur*innen gestalten sie lebenswerte Städte, Regionen und eine lebensfähige Zukunft. BNE ist unabdingbar für zukunftsfähige Hochschulen, gute Lehre und für ein Bildungsverständnis, das an den Herausforderungen der Gegenwart und ihrer Lösung orientiert ist: gemeinsamer, gerechter und global gedachter als bislang. >>


Bildung für nachhaltige Entwicklung 

2015 fiel der Startschuss für das UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist in Deutschland federführend und hat eine Nationale Plattform BNE eingerichtet, der sechs Fachforen, unter anderem das für Hochschule, zuarbeiten.

 

Gemeinsam wurde ein "Nationaler Aktionsplan BNE" für die Bildungsbereiche Frühkindliche Bildung, Schule, Berufliche Bildung, Hochschule, sowie "Non-formales und informelles Lernen/Jugend und Kommunen" formuliert und verabschiedet, der 2017 vom Kabinett gebilligt  

wurde. Jugendbeteiligung wird durch ein eigenes Jugendforum youpan, deren Vertreter*innen in der Nationalen Plattform und in den Fachforen vertreten sind, gesichert und auf oberster Ebene integriert.

 

Seit 2020 setzt sich das BNE-Engagement in dem bis 2030 verlängerten Programm "ESD for 2030" fort und wird zum Beispiel um den Querschnittsaspekt der Digitalisierung erweitert. Jana Holz und Marcus Lamprecht sind beide Mitglieder des Fachforums Hochschule als Teil der Nationalen Plattform. 



>> Vor dem Sommersemester 2020 stand es zwar nicht rosig, aber durchaus hoffnungsvoll um den Zustand der BNE an den deutschen Hochschulen: Das UNESCO-Weltaktionsprogramm BNE (2015 bis 2019) wurde Anfang 2020 um weitere zehn Jahre verlängert und als "Education for Sustainable Development: Towards achieving the SDGs" ("ESD for 2030") neu aufgesetzt. Im Sommer 2020 sollte in Berlin die große UNESCO-Konferenz anlässlich des neuen Programms stattfinden. Weiterbildungsangebote für BNE in der Lehre wurden vermehrt angeboten, Hochschulen als Lernorte für BNE ausgezeichnet und BNE-Netzwerke gegründet. Studentische Initiativen, beispielsweise das Nachhaltigkeitsbüro an der Humboldt-Universität zu Berlin, erhielten regen Zulauf und organisierten Nachhaltigkeits-Lehrveranstaltungen. Sie waren ein ernst genommener, gut organisierter und inhaltlich fitter Ansprechpartner für die - und Gegenpart der - Hochschulleitung. 

 

Doch die über Nacht umzusetzende Digitalisierung von Lehre, Verwaltung und Forschung im Sommersemester hat alle studentischen Bemühungen um BNE ebenso plötzlich gestoppt. Die Prioritäten lagen (zurecht) zunächst darauf, sicherzustellen, dass der Lehrbetrieb überhaupt studierbar aufrechterhalten und dass Prüfungen abgelegt werden konnten. Auch dass die hochschulinterne Kommunikation online stattfinden konnte, war ein Kraftakt. Für das kommende Wintersemester, welches erneut maßgeblich online stattfinden wird, gilt es allerdings neue (alte) Prioritäten zu setzen: BNE in digitale Lehr-/Lernformate zu integrieren ist eine zusätzliche Herausforderung, der sich Hochschulen stellen müssen. Auch unter Corona-Bedingungen sollte nicht nur irgendeine Lehre, sondern inhaltlich und didaktisch qualitativ hochwertige Lehre das Maß der Dinge darstellen. 

 

Digitale Lehre darf nicht hinter den erreichten
Standards guter Lehre zurückfallen

 

Als studentische Akteure fordern wir, dass die digitale Lehre nicht unter die bereits erreichten Standards guter Lehre zurückfallen darf. Digitale Lehre und BNE geht zusammen - und beides gehört auch zusammen. Wir sind nicht die ersten, die darauf hinweisen, dass die Herausforderungen der Klimakrise nicht auf das Ende der Corona-Pandemie warten, sondern sich rasant und unberechenbar entwickeln. Für das Wintersemester 2020/21 erwarten wir daher mehr Augenmerk auf studentisches Engagement, das ein wichtiger Ausdruck studentischen Lebens und Lernens ist. Außerdem sollte (digitales) Engagement für Nachhaltigkeit, globale Gerechtigkeit, Partizipation oder Menschenrechte von der Hochschule explizit unterstützt werden.

 

Die Hochschulen sind gefragt, ihren Studierenden (digitale) Räume zur Verfügung zu stellen, um so studentische Partizipation auf allen Ebenen der Entscheidungsstrukturen zu ermöglichen. Die Hochschulen sind gefordert, die Studierenden darin zu unterstützen, neue, kreative und innovative Formen des Engagements auszuprobieren. Die Corona-Krise wird uns weiter begleiten, die Klimakrise ebenfalls. Eine hausgemachte Krise des studentischen Engagements können wir uns da nicht auch noch leisten. 

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