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Der falsche Zeitpunkt

Da sind sie wieder: Die Forderungen, angesichts steigender Corona-Zahlen den schulischen Regelbetrieb zu beenden. Ein Glück, dass die Bildungspolitik dieselben Warnungen im Frühsommer ignoriert hat.

DER SPD-GESUNDEITSPOLITIKER Karl Lauterbach warnt, Präsenzunterricht könne "zum Superspreading-Event werden" und fordert Anpassungen. Auf Twitter erklärte er gestern: "Schulen beginnen früh zur Stosszeit, dauern bis mittags. Volle Klassen, Busse, keine Abstände. Alleine Masken und Lüften sollen es richten. Das wird nicht reichen. Luftfilteranlagen, Klassenteilung, Anpassung von Lehrplänen, zusätzliche Räum sind nötig." Viele Betriebe seien besser vorbereitet als Schulen.

 

Mit letzterer Feststellung – vor allem, was die technische Ausstattung angeht – dürfte Lauterbach Recht haben. Ansonsten bleibt festzuhalten: Wäre es nach Lauterbach gegangen, hätten die Schulen in diesem Frühjahr gar nicht wieder aufgemacht. Im Mai verkündete er auf Twitter, der reguläre Unterricht müsse für mindestens ein Jahr lang ausfallen.  "Das kann jetzt als epidemiologisch sicher gelten. Daran ändern weder Apps noch Masken etwas. Es ist die Übertragung durch Aerosole und Kontakte im Klassenraum." 

 

Die öffentliche Diskussion, forderte er damals, müsse sich verschieben weg von der Frage, "wer zuerst öffnet, hin dazu, welches Bundesland es schafft, mit Homeschooling und besonderer Unterstützung der bedürftigen Kinder das nächste Schuljahr zu organisieren."

 

Was für Lauterbach damals eine epidemiologische Gewissheit war, ist zum Glück nicht wahr geworden. Im Gegenteil: Angefangen mit Ländern wie Sachsen oder Schleswig-Holstein gab es seit Juni und dann spätestens seit Ende der Sommerferien mehrere Monate nahezu regulären täglichen Unterricht für alle Kinder – ohne dass die Schulen wie von Lauterbach und anderen befürchtet zu Hotspots wurden.

 

Der (späte) Mut der Bildungspolitiker, trotz vieler Warnungen das Bildungs- und Teilhaberecht der Kinder zu beachten, hat sich ausgezahlt, und Lauterbach hat Unrecht behalten.

 

Auch wenn, was möglich ist, sich die epidemiologische Situation an den Schulen in diesem Herbst ebenfalls ändern sollte, bleibt dreierlei festzuhalten.

 

Erstens: Egal, wie es jetzt weitergeht, die kompletten Schulöffnungen waren schon jetzt ein großer Erfolg, weil sie den Kindern und Jugendlichen mehrere Monate eine Normalität ermöglicht haben, die ihnen – wäre geschehen, was Lauterbach und andere im Mai und auch noch deutlich später forderten – verwehrt geblieben wäre.

 

Zweitens: Weil sich die Neuinfektionszahlen bei den Kinder und Jugendlichen bis heute unterdurchschnittlich entwickeln, ist eine öffentliche Fixierung auf die Kitas und Schulen zum jetzigen Zeitpunkt unverständlich und lenkt von den eigentlichen Super-Spreading-Events und ihrer Bekämpfung – Familienfeiern, Alkoholgelagen etc. – ab.

 

Drittens: Wenn sich die Dynamik der Infektionszahlen auch in den Schulen ändert, muss reagiert werden. Dann ergeben einige der Vorschläge Lauterbachs durchaus Sinn. Aber nur dann und erst dann. 



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Kommentare: 2
  • #1

    N. Dehne (Freitag, 09 Oktober 2020 13:04)

    Hallo,
    wir sind uns sicher alle einig, dass der Lockdown der Schulen im Frühjahr schlecht für die Kinder und Jugendlichen war und in der Form nicht wiederholt werden sollte. Ich muss Ihnen aber bzgl. der Interpretation der bisherigen Daten widersprechen. Es gibt derzeit keine guten Studien, die den Einfluss von Kindern und Jugendlichen auf die Verbreitung des Virus/den Verlauf der Pandemie zeigen. Wir wissen bisher, dass Kinder das Virus ebenfalls bekommen, dass sie selten erkranken aber das sie durchaus Virus im Rachenbereich produzieren und damit auch andere anstecken können. Welche Bedeutung das für die Pandemie hat, kann man an den Daten in Deutschland nicht ableiten, da die Untersuchungen bisher aus dem Zeitraum sind, in dem die Schulen geschlossen waren oder jetzt in den letzten Monaten in einem Kontext geöffnet waren, in dem das Geschehen per se gering war.
    Das ändert sich gerade und erste Ausbrüche in Schulen und Kitas legen nahe, dass wir bei steigenden Infektionszahlen auch wieder Ausbrüche in den Schulen haben werden.

    Die Befürchtung von Herrn Lauterbach interpretiere ich als Hinweis darauf nicht nochmal unvorbereitet in einen Lockdown zu schlittern. Selbst wenn es nicht flächendeckend alle Schulen treffen sollte, sondern nur einzelne oder einzelne Landkreise, würden die betroffenen Schüler*innen dabei wieder die Verlierer*innen sein. Um das zu verhindern, so ist die Idee, muss man jetzt an einer Strategie arbeiten und dabei sind die Maßnahmen, die Herrn Lauterbach vorschlägt sicher sehr gut geeignet. Wir sollten doch mit diesen Vorbereitungen nicht warten bis es soweit ist, sondern jetzt handeln, um dann vorbereitet zu sein mit Alternativkonzepten. Die Kritik ist doch eher, dass hier viel zu wenig Energie investiert wird. Wie kann es sein, das Sportvereine und Restaurant solche Alternativkonzepte haben, die Schulen aber nicht? Bildung sollte doch das vorrangige Ziel unserer Gesellschaft sein.
    Viele Grüße
    N. Dehne

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 09 Oktober 2020 17:13)

    @N. Dehne: Vielen Dank für Ihr Feedback. Ich bin da gar nicht so weit weg von Ihnen, was die Unsicherheit in Bezug auf das Kommende angeht. Nur zwei Anmerkungen: 1. Ich analysiere die Zahlen, wie sie seit den Schulöffnungen waren, und treffe ganz bewusst keine Aussagen darüber, wie es weitergeht. 2. Das mit dem niedrigen Infektionsgeschehen in den vergangenen Monaten stimmt und war immer eines meiner Argumente, den Vollbetrieb zuzulassen. Den wollten nämlich trotz des niedrigen Infektionsgeschehens manche (auch Herr Lauterbach) lange nicht. Deshalb meine Schlussfolgerung: Die Öffnung war in jedem Fall schon ein Erfolg – egal, wie es jetzt weitergeht. Viele Grüße!