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Neues Regelwerk nach 56 Jahren

Heute will die KMK ihren neuen Bildungsstaatsvertrag besiegeln. Die Chancen, dass ihr dies gelingt, stehen gut. Die Chancen, dass es ein echter Aufbruch wird, eher weniger.

DER TERMIN für die Pressekonferenz steht schon einmal. Heute Nachmittag um halb vier will KMK-Präsidentin Stefanie Hubig (SPD) den Durchbruch verkünden. Per Live-Stream – so wie die womöglich wichtigste Tagung der Kultusministerkonferenz seit Jahren als Ganzes wegen der wieder aufgeflammten Corona-Pandemie kurzfristig ins Digitale verlegt wurde. 

 

Anfang 2018 wurde er versprochen, knapp drei Jahre später soll er endlich verabschiedet werden: ein neuer Bildungsstaatsvertrag, der erste seit 1964, der die Zusammenarbeit der Bundesländer in der Bildungspolitik auf eine neue Grundlage stellen soll. Mehr Transparenz, mehr bundesweite Vergleichbarkeit bei den Abschlüssen und ein insgesamt planvolleres, gemeinsames Vorgehen, all das und mehr haben die Kultusminister versprochen. Und wann immer in letzter Zeit der öffentliche Frust mit dem Bildungsföderalismus und seiner Verkörperung, der KMK, mal wieder besonders groß wurde, lautete ihre Antwort: Wartet ab, bis der Staatsvertrag fertig ist. >>



 >> Jetzt ist er es, auch wenn bis zum Schluss nicht klar war, ob es überhaupt ein Staatsvertrag wird, der erst noch alle Länderparlamente passieren müsste. Eine Ländervereinbarung auf Regierungsebene bräuchte das nicht. Am Ende wird es auf einen Trade-Off hinauslaufen: Hier der Staatsvertrag, der eine größere Strahlkraft und Legitimation hätte, dort die Ländervereinbarung, die eine schnellere Ratifizierung ermöglichen würde und bei der, weil nicht so viele Köche mitmischen, die Kultusminister weniger Änderungen durch Dritte zu fürchten hätten. 

 

Egal, was drinsteht: Nach 56 Jahren ein neues Regelwerk ist für sich schon eine besondere Leistung

 

Eine besondere Leistung der Kultusminister wäre es so oder so, wenn sie sich 56 Jahren nach dem Hamburger Abkommen überhaupt auf ein neues Regelwerk für den Bildungsföderalismus verständigen können. Lange genug gedauert hat es ja auch – was angesichts der Vielzahl der dafür nötigen Sitzungen aller möglichen Gremien in den vergangenen fast drei Jahren vor allem für das Durchhaltevermögen der beteiligten Ministerialbeamten im Hintergrund spricht.

 

Die Frage ist, was das Abkommen über sein bloßes Zustandekommen hinaus signalisieren wird: Wird es das Symbol eines Bildungsföderalismus, der hauptsächlich den Status Quo seiner leidlichen Funktionalität absichern will – oder markiert es den Willen der Kultusminister, nach Jahren des Vor und Zurück, der kleinen Schritte und des Zauderns, endlich gemeinsam das deutsche Bildungssystem gestalten zu wollen?

 

Neben dem Vertrag/der Vereinbarung steht heute auch eine Liste mit sogenannten" politischen Vorhaben" zur Abstimmung, mit denen die Kultusminister die Ziele ihres Abkommens operationalisieren wollen. Las man im Vorfeld die Textentwürfe von Vereinbarung und Vorhaben, sah es nicht so aus, als ob mit dem Durchbruch – der Verabschiedung – auch der bildungspolitisch-inhaltlich große Wurf bevorstehen würde.

 

In großen Teilen lieferten die Entwürfe eine Beschreibung von bereits Vorhandenen, obgleich schon dessen vertragliche Festschreibung, Beispiel regelmäßige Vergleichsarbeiten oder die Nutzung des Abi-Aufgabenpools, ein wichtiges Mehr an Verlässlichkeit und Verbindlichkeit des Bildungsföderalismus bedeuten würde. Dazu jede Menge unbestreitbar richtige Allgemeinplätze und hier und da das Aufblitzen eines echten bildungspolitischen Ehrgeizes – etwa bei dem Bestreben, die Kurs-, Leistungs- und Bewertungsanforderungen der gymnasialen Oberstufe zu vereinheitlichen.  

 

Der Bildungsrat ist tot,
es lebe der Bildungsrat

 

Neben Hubig wird heute Nachmittag für die SPD-regierten Kultusministerien Hamburg Bildungssenator Ties Rabe mit auf dem virtuellen Podium sitzen, dazu Rabes CDU-Pendant, Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann. Letztere hat gemeinsam mit ihrem grünen Regierungschef Winfried Kretschmann und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) entscheidend daran mitgewirkt, dass ein anderes Vertragswerk, das die KMK diesen Herbst mit der Bundesregierung abschließen wollte, nicht kommen wird: der im GroKo-Koalitionsvertrag vorgesehene Nationale Bildungsrat.

 

Immerhin: Die Chancen stehen gut, dass Eisenmann, Rabe und Hubig heute die Installation eines ganz ähnlich gelagerten Expertengremiums verkünden werden, für das die KMK zuletzt viele Namen diskutiert hatte, weil es auf keinen Fall Bildungsrat heißen darf, sich aber noch auf keine Bezeichnung hat einigen können. Eine unabhängige Kommission von Wissenschaftlern soll, genau wie der Nationale Bildungsrat es getan hätte, die Beratung der Bildungspolitik durch die Wissenschaft auf eine neue Grundlage stellen. 

 

Beim Nationalen Bildungsrat hatten die Skeptiker Angst, der Bund könnte ihnen in der Bildungspolitik ständig dazwischenfunken, ja die Kultusminister vor sich hertreiben. Weshalb die Länder bei dem neuen Gremium jetzt die Governance allein bestreiten. Gleichzeitig hat der Rausschmiss des BMBF ihnen so viel Selbstbewusstsein gegeben, dass sie den Bund bei Themen, die auch ihn betreffen, jetzt doch "angemessen" und nach festen Regeln beteiligen wollen, also etwa bei der frühkindlichen oder auch bei der beruflichen Bildung.

 

Wenn man sich die Blaupause des noch namenlosen Gremiums anschaut, ist Optimismus angebracht, dass der große Sprung nach vorn, den der Staatsvertrag vermutlich nicht liefern wird, genau hier passieren könnte. Was nach dem spektakulären Scheiterns des Nationalen Bildungsrat im vergangenen Spätherbst eine echte Überraschung wäre. 

 

Natürlich werden die Kultusminister
auch über Corona reden

 

Außerdem will die KMK Empfehlungen zur "Europabildung in der Schule" verabschieden – vor Corona hatte Stefanie Hubig dies einmal zum Leitthema ihrer Präsidentschaft erklärt – und zur "Beruflichen Bildung als Chance für Europa". Auch um Verbesserungen der Schülerleistungen im Fach Mathematik soll es gehen, nachdem vergangenes Jahr der IQB-Bildungstrend ergeben hatte, dass ein Viertel der Neunklässler bundesweit nicht einmal dem Mindeststandard erreicht.

 

Und natürlich werden die Kultusminister auch über Corona reden. Grundsätzlich Neues ist an der Stelle zwar kaum zu erwarten, am wenigsten in Bezug auf die wenig produktiven Forderungen nach verlängerten Weihnachtsferien. Auch die heute veröffentlichte Handreichung des Umweltbundesamtes zum richtigen Lüften in Schulen enthält keine Überraschungen – wird den Lehrerverbänden aber erwartbar nicht reichen. Und weil es verständlicherweise derzeit kein Thema gibt, dass die Schulen und die Öffentlichkeit mehr bewegt, hat die KMK sogar zu einer zweiten, eigenen Corona-Pressekonferenz eingeladen, die für morgen geplant ist. Das ist doppelt schlau, weil ihnen sonst vermutlich keiner die Ruhe lassen würde, über die langfristig wichtigen bildungspolitischen Weichenstellungen zu reden.

 

Vermutlich werden die Kultusminister dann auch nochmal gefragt werden, wie es eigentlich sein kann, dass sich die Schulen im täglichen Präsenzbetrieb befinden, während die Bildungspolitiker sich wegen Corona doch nicht wie geplant in Mainz treffen. Allerdings bei aller berechtigten Kritik, die man an der KMK üben kann, diese ist Quatsch. Die 7-Tages-Neuinfektionsrate liegt in Mainz seit Tagen über der kritischen Marke von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner. Hätte die KMK da aus ganz Deutschland viele Dutzend Leute anreisen lassen, dazu Journalisten, Experten und mehr, hätte man ihr einen unnötigen Zirkus vorgeworfen. Und das dann wirklich zu Recht.



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