Wieder diskutieren Politiker*innen, Rektor*innen und Professor*innen, wie das Studium inmitten der Pandemie ablaufen soll. Und wieder bleiben die studentischen Stimmen meist ungehört. Dabei haben wir viel zu sagen! Ein Gastbeitrag der "#DigitalChangeMaker".
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DAS SOMMERSEMESTER STELLTE Hochschulen und deren verschiedene Statusgruppen in vielerlei Hinsicht vor Herausforderungen: Lehrende und Hochschulleitungen mussten in kürzester Zeit eine Infrastruktur bereitstellen, die – gelinde gesagt – an den meisten deutschen Hochschulen noch in den Kinderschuhen steckte. Wie schnell dieser Infrastrukturwandel in den meisten Fällen gestaltet werden konnte, ist beeindruckend, und dafür gebührt den Entscheidungsträger*innen Respekt. Dennoch ist es erstaunlich, wie einseitig die ohnehin eher stille Debatte um die Krisenstrategien im Umgang mit der Pandemie geführt wird. Studentische Stimmen wurden bislang kaum gehört. Dabei verlangt die Krise gerade auch den Studierenden viel ab. Daher wollen wir DigitalChangeMaker durch diesen Beitrag eine studentische Perspektive auf das zweite "#CoronaSemester" werfen – und auf die Tücken und Vorzüge des digitalen Hochschullebens. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der steigenden Covid-Infektionszahlen und dem damit voraussichtlich ausbleibenden Hybridsemester drängend.
1. Corona stellte viele Studierende vor finanzielle Probleme. Hier muss die Politik schnelle, effektive Lösungen finden.
Seit März hat sich der Alltag der meisten Studierenden fundamental geändert. Viele Nebenjobs fielen der Krise zum Opfer. Dies traf vor allem diejenigen Studierenden hart, die sich nicht auf die finanzielle Absicherung durch die Eltern verlassen konnten. Diese finanzielle Ausnahmesituation bleibt für viele weiter bestehen. Weder Bund noch Länder haben geeignete Strategien gefunden, Studierenden finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Die Corona-Nothilfe des Bundes kam für viele existenzbedrohend spät und lief Ende September, zu Beginn des Wintersemesters, sogar aus. Zudem zwingt sie Studierende, zunächst ihre Ersparnisse aufzubrauchen, wenn sie denn überhaupt gewährt wurde.
Ausschließlich digital durchgeführte Semester sind zwar nicht wünschenswert, bieten jedoch gerade für finanziell schlechter gestellte Studierende die Möglichkeit, weniger Geld auszugeben, da sie sich die Lebenshaltungskosten in den oft teuren Hochschulstädten teilweise sparen können. Weil den Studierenden jedoch ein Hybridsemester angekündigt wurde und viele Hochschulen erst spät die Mischung von Präsenz- und Digitalunterricht aufgeben, werden in den kommenden Monaten wohl viele ungenutzte WG-Zimmer bezahlt. Gerade finanzschwache Studierende brauchen hier Planungssicherheit oder zumindest die Option, das Semester auch mit digitalen Kursen bestreiten zu können.
2. Durch die Pandemie änderte sich der Zugang zu Wissensressourcen drastisch. Die Hochschulen müssen faire und barrierefreie Zugangsmöglichkeiten schaffen.
Neben dem breiten Wegfall der Studienfinanzierung änderte sich auch das eigentliche Studium von Grund auf. Die meisten Seminare und Vorlesungen fanden plötzlich über digitale Kanäle wie Videokonferenzen statt. Bei der gleichen Anzahl an Seminaren nahm die Arbeitsbelastung oft abrupt zu. Die Vermutung, die Studierenden hätten durch die Pandemieeinschränkungen mehr Zeit zur Verfügung und könnten akademisch mehr leisten, ist nur bedingt richtig. Vielen mangelt es durch Bibliotheksschließungen schon an einem Arbeitsplatz mit gutem Internetzugang. Deshalb können viele Studierende nicht immer an den Lehrveranstaltungen teilnehmen oder müssen die Seminare vorzeitig verlassen. Nicht nur die Lehrbedingungen sind eingeschränkt, auch die wissenschaftliche Arbeit ist erschwert. So gestaltet sich der Zugang zu Laboren und Literatur schwierig. Hilfreich wären die Teilöffnung der Bibliotheken für Studierende ohne Arbeitsplatz und ein noch breiteres Angebot an digitaler Literatur.
3. Hochschulen sind mehr als eine Zusammenstellung von Lehrveranstaltungen, sie sind auch Orte des sozialen Austausches und der Persönlichkeitsentwicklung.
Das digitale Sommersemester hat gezeigt, dass Lernen an der Hochschule nie rein individuell funktionieren kann. Dies gilt insbesondere für diejenigen Studierenden, deren Umfeld nicht akademisch geprägt ist. An der Hochschule lernen Studierende, im Kollektiv zu diskutieren und zu arbeiten, schließen aber auch Freundschaften, bauen ein Netzwerk auf und finden Leidenspartner*innen auf dem Weg zum Abschluss. Das Finden der eigenen Peer-Group ist durch das digitale Studium sehr eingeschränkt. Gerade für die Studierenden, die sich in der Studieneingangsphase befinden, ist das schwer, denn sie kennen ihre Kommiliton*innen noch nicht. Im Wintersemester sollte vor allem auf diese Statusgruppe Rücksicht genommen werden.
4. Soziale Isolation durch die rein digitale Lehre stellt eine große Gefahr für die psychische Gesundheit der Studierenden dar.
Die oben genannten Punkte führen zum Wegbrechen bekannter Strukturen. Dieser Strukturwegfall gepaart mit den Zukunftsängsten und finanziellen Sorgen gefährdet die psychische Gesundheit enorm. Der nur über Distanz mögliche Austausch mit Kommiliton*innen über Inhalte und Übungen, besonders aber der fehlende soziale Kontakt erschweren das Studium. Dementsprechend besteht durch die Krise erhöhter Bedarf an psychosozialer Beratung für Studierende, dem von Seiten der Studierendenwerke dringend nachgekommen werden sollte.
5. Die Beteiligung der Studierenden an der universitären Selbstverwaltung wird erschwert.
Die studentische Partizipation ist durch die Landeshochschulgesetze zugesichert. In den vergangenen Wochen und Monaten mussten allerdings viele Entscheidungen sehr schnell getroffen werden, sodass Studierende nicht immer eingebunden wurden. Das ist nicht nur partizipationstheoretisch schlecht, sondern auch praktisch. Da die Entscheidungsträger*innen meist nur einen Ausschnitt von Studierenden vor Augen haben und zwar tendenziell die privilegierteren, ist ihnen die Tragweite ihrer Entscheidungen manchmal nicht klar. Hier sollten die Hochschulen Durchschnittsstudierende mehr einbinden. Dies ist an vielen Hochschulen durch breite Studierendenumfragen schon sehr gut geschehen und sollte weiter ausgebaut werden.
6. Es gibt keine Blaupause für den Umgang mit einer globalen Pandemie. Allerdings würde es den Studierenden sehr helfen, wenn in Zukunft so klar wie möglich kommuniziert wird.
Bisher mangelte es teilweise an klaren Szenarien für das Wintersemester. Die Idee eines Hybridsemesters hat viel Energie gekostet. Heute ahnen wir, dass das nächste Semester abgesehen von einigen Ausnahmen digital stattfindet. Studierende konnten sich nur sehr schwer auf ein neues Digitalsemester einstellen. Beispielsweise ist unklar, ob räumliche Anwesenheit vonnöten sein wird. Hier würde es helfen, wenn flächendeckende Aussagen der Hochschulen schnell erfolgten. Das würde nicht nur den Studierenden helfen, sondern auch den Hochschuldidaktiker*innen die Möglichkeit zu breiten Schulungsangeboten im Bereich der digitalen Lehre geben.
Ähnliches gilt auch für die finanziellen Rahmenbedingungen und deren Planbarkeit: Die Frage nach der Anrechnung der Regelstudienzeit beim BAföG steht hier im Vordergrund. Hier sollte auch im nächsten Semester Nachsicht als Maxime gelten. Studierende, die beispielsweise den Wohnort wechseln mussten, in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind oder zur Risikogruppe gehören, sollten das nächste Semester komplett digital besuchen können. Gleichzeitig sollte, wo eine sichere Durchführung möglich ist, Präsenzlehre gerade für Studierende in den ersten Semestern ermöglicht werden.
Die Leistung der Hochschulen in den vergangenen Monaten verdient Anerkennung. Wir als DigitalChangeMaker haben großen Respekt vor dem Krisenmanagement und den vielen pragmatischen Lösungen, die in kurzer Zeit gefunden wurden. Gleichzeitig sehen wir uns als Vertretung der Studierenden in der Verantwortung, Antworten für immer noch bestehende Probleme einzufordern. Dafür muss der Stimme der Studierenden gerade in der Krisensituation Gehör geschenkt werden. Wir fordern insbesondere wirkende Soforthilfen, eine klare Kommunikation von Bund, Ländern und Hochschulen, um vor allem den kommenden Erstsemestern einen – der Situation angemessenen – Studienstart zu ermöglichen.
Die studentische AG des Hochschulforum Digitalisierung, die "#DigitalChangeMaker", setzt sich im Jahrgang 2019/20 aus 13 studentischen Expertinnen und Experten von Hochschulen aus ganz Deutschland zusammen. Sie sind: Leonie Ackermann, Adrian Bidlingmaier, Lilith Diringer, Corinna Kalkowsky, Onur Karademir, Kevin Kunze, Melissa Major, Jorin Meyer, Ines Müller-Vogt, Constantin Pittruff, René Rahrt, Sophie Rink und Matthias Thiemermann.
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Klaus Diepold (Dienstag, 27 Oktober 2020 10:17)
Das ist ein wertvoller Diskussionsbeitrag, dem ich in erster Linie zwei Gedanken entnehme und weitertragen werde.
Zum ersten geht es um die Planbarkeit des Studiums in diesen Zeiten. Die Diskussion um ein "Hybrides Semester" war hier sicher problematisch, vor allem, wenn dann alles wieder ganz anders kommt. Vielleicht ist hier mehr Pragmatissmus hilfreich auf Kosten von "wishful thinking".
Als zweites sehe ich den Bedarf an Kommunkation und "Community-Building" unter den Studierenden. Da ist es nicht mit der Einführung von Zoom-Vorlesungen getan. Das Gebiet der studentischen Kommunikatio den Studierenden selbst zu überlassen, die sich dann in WhatsApp-, Telegram-, oder Discord-Gruppen zersplittern ist nicht wirklich hilfreich. Die Hoschulen sollten an dieser Stelle auch darüber nachdenken entsprechend geeignete virtuelle Kommunikationsräume zu finden, einzurichten und zu betreiben.
Ruth Himmelreich (Dienstag, 27 Oktober 2020 13:21)
"Klare Szenarien für das Wintersemester" - tja. Am klarsten wäre das Szenario, das keiner will, nämlich ein Digitalsemester mit lediglich Praktika und Prüfungen in Präsenz. Die Hochschulen haben bisher versucht, es nach Kräften zu vermeiden, auch weil der Ruf nach Präsenz von allen Gruppen in der Hochschule (und außerhalb!) sehr stark war. Morgen treffen sich Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten und verkünden neue Maßnahmen. Am Donnerstag/Freitag schrauben die Länder erneut an ihren Coronaverordnungen herum, das verkünden sie Freitag oder auch Samstag. Oder Sonntagmorgen. Erst dann sehen wir, was wir ab nächsten Montag zu Semesterbeginn überhaupt noch dürfen. So ist das mit dem Vorlauf, leider...
Michael Herzog (Dienstag, 27 Oktober 2020 23:46)
Ich kann die hier formulierten Forderungen der Studierenden schon nachvollziehen, sehe aber keine wirklich zwingenden Argumente, warum Hochschulen und Studierende aktuell immer noch Präsenz- und Hybridlehre durchsetzen sollten. Aus den zwiespältigen Erfahrungen eines improvisierten Online-Semesters und nicht immer gelungener Didaktik lässt sich erklären, warum die Abneigung von Online-Unterricht und der Wunsch nach Präsenzstudium bei vielen Studierenden auch während der Pandemie so stark ist. Es ist ja auch schön für uns zu erleben, welch neue Wertschätzung unserer Lehre im persönlichen Kontakt erfährt.
Wir können und sollten jedoch auch noch viel besser werden mit der Online-Lehre und mit den digitalen Services für unsere Studierenden. Warum kreieren wir aus dem Mangel nicht eine weitere Chance, die Digitalen Bildungsangebote noch ein weiteres Semester lang auszuprobieren und auszubauen?
Dass Hybrid-Lehrformate (wer möchte kann online an der Vorlesung im Saal teilnehmen) von einigen Leitungen immer wieder als Lösung eingefordert wird, um alle Bedarfe zu befriedigen, offenbart problematische Erfahrungs- und Wissenslücken. Ausgeblendet wird, dass an höheren Dimensionen der Bloomschen Taxonomie ausgerichtete Lehre in Hybrid nicht so einfach umsetzbar ist. Beispielsweise sind Gruppenarbeiten oder Rechnerübungen auf dem Campus aktuell stark beeinträchtigt vom Abstandsgebot in Räumen oder der fehlenden Bandbreite für die Nutzung digitaler Tools durch alle Studierenden gleichzeitig. Gruppenarbeiten und Rechnerübungen sind wie viele andere komplexe Lernformate leicht online und mit digitalen Werkzeugen zur Zusammenarbeit auch außerhalb des Campus risikofrei und gut durchführbar. 15 Jahre Forschung zur Online Lehre haben gezeigt, dass eine adäquate und in mancher Hinsicht sogar bessere Lehrqualität entstehen kann, wir aber noch nicht alle dazu in der Lage sind.
Zuletzt ziehe ich das Argument der sozialen Vereinsamung in Zweifel. Wir erleben und lesen auch in Studien zum digitalen Medienkonsum, dass sich Freundschaften durchaus in Soziale Medien verlagert haben, dass Beziehungen hier initiiert und in einem bisher nicht gekannten Ausmaß gepflegt werden. Plattformen und Werkzeuge gegen die Vereinsamung und für Lernmotivation wären also durchaus vorhanden und etabliert.
Warum sollen Hochschulen nicht lernförderliche Beziehungen im Kontext der Lehre unterstützen, indem digitale Anlässe geschaffen werden?
Mein Schlüsselerlebnis dazu hatte ich bei Kollegen an der OntarioTech University, die wirklich abgelegene Communities in den Weiten kanadischer Landschaften mit reinen Online-Studiengängen vollwertig versorgen. Das klappt auch deshalb erstaunlich gut, weil der Beziehungsaufbau zwischen Studierenden mit Gruppenarbeitsformaten und PeerEducation in der Lehre sowie niedrigschwelligen SocialEvent-Angeboten besonders gefördert wird. Das könnten wir doch auch leisten!
Digitale Erlebnisse ersetzen natürlich (noch) nicht die rauschende Party oder das gemeinschaftliche Kinoerlebnis, aber braucht es das für erfolgreiches Lernen in einer Pandemie?
Ulf-Daniel Ehlers (Donnerstag, 29 Oktober 2020 07:32)
Die Stimmen der Studierenden und einen besseren Einbezug wünsche ich mir auch bei den Formen, Formaten und der Didaktik der Lehre. Digital Social presence können wir nur alle miteinander schaffen. Auch die Frage, was gelernt werden muss in einer Welt, wie unserer, mit Pandemien, aber auch mit Klimaveränderungen etc Bedarf einer neuen Sicht und Diskussion - die mE nur mit Studierenden zusammen stattfinden kann.
Wir sind auf Stimmenfang gegangen: www.Studium-im-shutdown.de
Reinhören lohnt sich. Mittlerweile 16 Folgen in denen Studierende über das Studium während Corona sprechen.