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Und dann kam die Pandemie

Wie steht es um die Internationalisierung der deutschen Wissenschaft? Die 20. Ausgabe von "Wissenschaft Weltoffen" berichtet von neuen Rekorden vor Corona. Über die aktuelle Lage kann sie nur bedingt Auskunft geben. Ein Blick auf die Zahlen.

Internationale Studierende vor Corona. Foto: Alexis Brown / unsplash.

ES SIND GUTE NACHRICHTEN aus einer anderen Welt. Rund 320.000 internationale Studierende waren im Wintersemester 2019/2020 an deutschen Hochschulen eingeschrieben – ein Rekord und sechs Prozent mehr als im Jahr davor. So kann man es in der neuen Ausgabe von "Wissenschaft Weltoffen" nachlesen, die der Deutschen Akademische Austauschdienst (DAAD) und das Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) heute veröffentlicht haben.

 

Doch sagen Statistiken, die nach Vor-Corona-Maßstäben brandaktuell gewesen wären, rein gar nichts über die Situation internationaler Studierender in der Pandemie. Das wissen natürlich auch DAAD, DZHW und der Finanzier von "Wissenschaft Weltoffen", die Bundesregierung. Und haben offenbar deshalb auf die sonst übliche Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen – 20. – jährlichen Datenwerkes verzichtet. 

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Wie viele Studierende im beginnenden Wintersemester aus dem Ausland gekommen sind oder noch kommen werden, weiß keiner genau. Auch der DAAD nicht. Weshalb er in seiner Pressemitteilung zu "Wissenschaft Weltoffen"auf die bereits einige Wochen alten Statistiken von "uni-assist" verweist. Der Verein wickelt im Auftrag der deutschen Hochschulen einen Großteil der internationalen Studienbewerbungen ab und hatte Ende August gemeldet, dass ihre Zahl bei rund 80 Prozent des Vorjahres gelegen habe.

 

Internationale Studierende bleiben

überwiegend zu Hause

 

Doch ist aus den akademischen Auslandsämtern vieler Hochschulen zu hören, dass nur ein Bruchteil der internationalen Studierenden, die normalerweise im Wintersemester bei Orientierungsveranstaltungen oder sonstigen Events auftauchen, dies bislang getan hat. Rein anekdotische Beobachtungen, mehr nicht. Beispiel Hochschule Worms: Dort haben sich lediglich 23 neue Austauschstudierende eingeschrieben, wirklich vor Ort seien aber bislang nur neun junge Menschen, berichtet der Leiter des International Centers, Joachim Meyer. Die anderen absolvierten ihr Auslandssemester in Worms in Form eines virtuellen Semesters von ihrem Heimatland aus. "Seit Juni 2020 hatten wir fast 110 neue Anmeldungen, aber im Rahmen der aktuellen Situation sind am Ende nur 23 Studierende übriggeblieben."

 

Es gibt freilich auch optimistische Stimmen. So berichtet die Universität Leipzig, dass die Zahl der ausländischen Studienanfänger von 568 "sich noch deutlich Richtung Vorjahresniveau (720) bewegen" werde. "Bis zum heutigen Tag haben 689 internationale Bewerberinnen und Bewerber ihren Studienplatz an der Universität Leipzig angenommen und wurden vorimmatrikuliert. Viele von ihnen müssen nun noch ihre beglaubigten Unterlagen nachreichen. Zudem sind noch nicht alle Nachrückverfahren in der Statistik abgebildet", sagte Thomas Hofsäss, Prorektor für Bildung und Internationales. Eine Nachfrage in ein paar Wochen an der Universität Leipzig wird also lohnen. 

 

"Mit der Corona-Pandemie verändert sich weltweit das Mobilitätsverhalten internationaler Studierender", sagt DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee. "Umfragedaten zeigen, das Deutschland seinen guten Ruf unter internationalen Studierenden offenbar auch durch das gute Pandemie-Management während der ersten Corona-Welle im Frühling und Sommer weiter verbessern konnte." Das sei eine gute Basis, um künftig noch mehr talentierte junge Menschen vom deutschen Bildungssystem zu überzeugen und ans Land zu binden. "Diese Chance sollten alle Beteiligten gemeinsam nutzen."

 

Mobilität der Studierenden wird nach

der Pandemie wieder zunehmen

 

Laut DAAD und DZHW hatten Hochschulen in 185 Ländern schon zum 1. April ihren Lehrbetrieb eingestellt. Einer weltweiten Umfrage zufolge seien zu diesem Zeitpunkt 60 Prozent der Hochschulen geschlossen und 30 Prozent nur eingeschränkt geöffnet gewesen. Rund zwei Drittel aller befragten Hochschulen hätten bis zum Juni 2020 ihre Lehre auf digitales Fernstudium umgestellt, rund dreiviertel aller Studierenden hätten in Fernstudienformaten gelernt.

 

Eine Umfrage des DAAD ergab im Frühjahr, dass rund 80.000 internationale Studierende Deutschland zu diesem Zeitpunkt temporär verlassen hatten. Allerdings zeigten die vorliegenden Daten auch, betont der DAAD, dass es bislang kaum zu einer Verringerung des studentischen Interesses an Studienerfahrungen im Ausland gekommen sei. Deshalb gingen erste Prognosen auch davon aus, dass es nach dem Ende der Pandemie wieder zu einem schnellen Anstieg der Zahl international mobiler Studierender kommen werde. Im Jahr 2017 waren laut UNESCO 5,3 Millionen Studierende außerhalb ihres Heimatlandes eingeschrieben, 71 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Gastland Nummer eins mit großem Abstand seien die USA mit 985.000 internationalen Studierenden gewesen. Ein Sechstel aller ausländischen Studierenden weltweit waren Chinesen.  

 

Was "Wissenschaft Weltoffen" sonst noch an interessanten, gleichwohl irgendwie unwirklich wirkenden Zahlen aus der Vor-Corona-Zeit präsentiert: 140.000 Deutsche studierten im Ausland, viermal so viele wie 1991 und doppelt so viele wie im Jahr 2000 – die meisten in Österreich, in den Niederlanden und in Großbritannien – wobei der DAAD wegen des Brexit einen Rückgang bei den deutschen Auslandsstudierenden im Vereinigten Königreich erwartet. 

 

Ein Drittel der internationalen Studierenden kam 2019 mit 30 Prozent aus Asien und dem Pazifikraum, jeweils 18 Prozent stammten aus Westeuropa sowie aus Nordafrika und dem nahen Osten. Allein 39.900 aller internationalen Studierenden sind in China zu Hause.

 

Abbrecherquote unter internationalen Studierenden

bleibt weiterhin hoch

 

Die meisten internationalen Studierenden an deutschen Hochschulen waren in ingenieurwissenschaftliche Studiengänge eingeschrieben (40 Prozent), rund 25 Prozent studierten in einem Fach der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die Studienabbrecherquote unter internationalen Studierenden lag im Bachelorstudium bei 49 Prozent, im Masterstudium bei 26 Prozent – weiter dramatisch über den Werten von einheimischen Studierenden (27 bzw. 17 Prozent). 

 

Hier war schon vor Corona der Handlungsbedarf enorm – wie wird er erst nach der Pandemie sein? Viele Bildungsexperten gehen davon aus, dass die wirtschaftlichen Folgen (zum Beispiel durch verlorene Studentenjobs und ausbleibende elterliche Unterstützung) für internationale Studierende noch weitaus härter sind als für die deutschen.

 

Internationalisierung der Führungsetagen deutscher 

Hochschulen bleibt ausbaufähig

 

Der Wissenschaftsstandort Deutschland zog vor der Corona-Pandemie immer mehr internationale Doktoranden an. Im Jahr 2019 waren es 27.100 – ein Viertel aller Promovierenden in Deutschland, drei Prozent mehr als im Jahr zuvor und 52 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Insgesamt waren 2018 49.600 wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter mit ausländischem Pass an deutschen Hochschulen angestellt, was einem Anteil von 12,2 Prozent entsprach.

 

3400 internationale Professoren lehrten und forschten zu diesem Zeitpunkt in Deutschland, 7,1 Prozent der gesamten Professorenschaft. Wenn man bedenkt, dass fast ein Drittel dieser ohnehin geringen Zahl internationaler Professoren aus der Schweiz und Österreich stammen, wird deutlich: Die Führungsetagen von Deutschlands Hochschulen haben und hatten ein deutliches Internationalisierungsproblem – und es wird nicht geringer, denn die Zahl der internationalen Profs steigt kaum. 

 

Bei den vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen Helmholtz, Max Planck, Leibniz und Fraunhofer stammten 2018 bereits 27 Prozent aller Wissenschaftler aus dem Ausland, ihre Zahl hat sich seit 2010 fast verdoppelt (+91 Prozent) und lag 2018 bei rund 13.000.  

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Kommentare: 2
  • #1

    Th. Klein (Mittwoch, 28 Oktober 2020 11:25)

    Zu den Anteilen an ausländischen WissenschaftlerInnen/ProfessorInnen an Hochschulen und AUF: Zur Wahrheit gehört auch - und da hinkt der Vergleich, dass sich das Personal an Hochschulen stärker in der Selbstverwaltung engagieren muss/soll. Die KollegInnen haben also ein Interesse daran, Neuberufene mit Deutschkenntnissen zu rekrutieren (wollen sie nicht alle Ämter und Funktionen selbst ausfüllen). Es gibt freilich Ausnahmen. An der TUM sollen m.W. die Präsidiumssitzungen auf Englisch laufen. Aber größtenteils läuft die Administration auf Deutsch.

  • #2

    René Krempkow (Mittwoch, 28 Oktober 2020 17:42)

    Naja, man sollte idealerweise auch nicht zwingend gleich in den ersten paar Jahren nach Berufung sehr aktiv in der Selbstverwaltung sein müssen (besser langsamerer Einstieg und systematisches Onboarding - wie es neudeutsch heißt). Nach ein paar Jahren sollte man aber soweit deutsch sprechen, dass es für Gremien reicht. Daher finde ich es schon erstaunlich, dass wie vor einer Dekade immer noch nur rund 7% der Professorenschaft internationaler Herkunft sind. Das ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr wenig (siehe S. 3 in
    (www.researchgate.net/publication/340861684). Auch Österreich mit relativ ähnlichem Hochschulsystem ist da weiter.

    Und Internationalität ist nur eine Dimension, in anderen Dimensionen wie sozialer Herkunft sieht dies noch ungünstiger aus für die Offenheit des deutschen Wissenschaftssystems: So haben Akademikerkinder nicht nur etwa 3fach höhere Chancen auf Hochschulzugang und 10fach höhere Chancen auf eine Promotion, sondern trotz dieser extremen sozialen Vorselektion nochmals 4fach höhere Chancen auf eine Professur. Dies hat leider kaum etwas mit akademischen Leistungen zu tun (ebd. S. 8, sowie Überblick über jüngere Studien in www.researchgate.net/publication/333163357).
    Ähnlich sieht es für weitere Dimensionen von Diversity aus, wie z.B. Elternschaft (ebd. S. 18ff.).

    Leider gibt es zu solchen anderen Dimensionen für die deutsche Wissenschaft kein ähnliches systematisches Monitoring wie "Wissenschaft weltoffen", so dass solche Fakten bislang nur Wenigen bekannt sind und soweit bekannt bislang auch nichts daraus folgte. Dabei ist die sogenannte Bestenauswahl nicht nur rechtlich geboten, sondern auch für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wissenschaft eine zentrale Grundlage (s. auch www.researchgate.net/publication/344172707).